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Sinnlichkeit

[576] Sinnlichkeit (sensualitas) bedeutet 1. die Fähigkeit, durch Nervenreize zu Empfindungen und Vorstellungen veranlaßt zu werden, also die Empfänglichkeit, die Rezeptivität; 2. das, was durch die Sinne angeregt wird, nämlich Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle, Triebe, Begehrungen, Neigungen, Affekte und Leidenschaften, mit einem Worte unsere ganze Natur, sofern sie noch nicht der Vernunft und dem Willen gehorcht. In der ersten Bedeutung preist man eine gesunde Sinnlichkeit als ein Glück, weil dadurch der Mensch befähigt wird, reiche und tiefe Eindrücke von der Welt zu empfangen. In der zweiten Bedeutung ist Sinnlichkeit ein niederer Zustand des Menschen, (das »Fleisch« im Gegensatz zum »Geist« [Paulus],[576] das »Sinnenglück« im Gegensatz zum »Seelenfrieden« [Schiller]), welcher der Erhöhung bedarf, soll nicht der Mensch wertlos bleiben. Im ersten Sinne redet Kant von sinnlicher Anschauung und stellt man die sinnliche Aufmerksamkeit der intellektuellen gegenüber; im zweiten redet man von sinnlicher Begierde und ihren verhängnisvollen Folgen. Ein sinnlicher Mensch, ein Sybarit oder Hedonikor, sieht den Genuß überhaupt oder gar den Geschlechtsgenuß für das höchste Glück an. In der ersten (theoretischen) Bedeutung setzt man der Sinnlichkeit das vernünftige Denken, in der zweiten (praktischen) das vernunftmäßige Handeln entgegen. Dort ist der Gegensatz die Vernunft, hier die Sittlichkeit.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 576-577.
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