[go: up one dir, main page]

Handel

[356] Handel erscheint schon im Mittelalter in den beiden Gestalten des Klein- und Grosshandels. Den niedersten Grad des Kleinhandels repräsentiert der Landfahrer oder Hausierer, der in älterer Zeit für das gesellschaftliche und häuslichwirtschaftliche Leben von grosser Bedeutung war, er gab sich namentlich mit Glaserwaren und Wollentüchern ab und war nicht zunftmässig. Die ausgebreitetste Form des Kleinhandels, die namentlich mit den Jahr- und Wochenmärkten (siehe den Artikel Markt) aufs engste verknüpft ist, war der Kramhandel. Kramer, kremer, kromer, gremper, grembler heissen alle, die bloss ze kram stan, also ihr Geschäft bloss in der Markt- oder Gassenbude betreiben. Ihr Handel, Cromerie, Kremerwerk, Kramerei, Kramschaft, bezog sich zunächst auf alles, was im Hauswesen für Nahrung und Kleidung nötig war, konnte aber durch Ortsstatute eingeschränkt werden. Man teilt sie zunächst in reiche und arme Krämer ein; hervorgehoben werden insbesondere die Specierii sive Mercerii sive Mercennarii, deren specia, species, merces, specirei hauptsächlich die edeln Gewürze Muskat, Muskatblüte, Cardemom, Saffran, Pfeffer, Kandel, Ingwer, Nelken, Zucker, dann Alaun, Weihrauch, Südfrüchte u. dgl. betraf, später aber auch Seefische, süsse Weine und Delikatessen herbeizog; sie erhielten ihre Ware von den in den Städten vorübergehend weilenden und nur zum En-gros-Verkaufe befugten fremden Grosshändlern. Sodann werden genannt die apotecarii, aputekaer, apteker, die seit dem 13. Jahrh. von den Spezerei- und Gewürzkrämern sich ausschieden und sich vornehmlich auf die Bereitung und den Verkauf von Arzneien und Heilsalben verlegten. Da die Städte ein Interesse hatten, eine derartige Heilbude zu besitzen, so unterstützte man die Unternehmer gern mit Steuer- und Wachtfreiheit, regelte ihr Verhältnis zu den Ärzten und verordnete insbesondere, dass sie auch an Sonn- und Feiertagen Arznei zu verabreichen schuldig seien. Dahin gehören endlich die penestici, hoken, häker, höker, die sich bloss mit dem Verkaufe von Getränken und Speisen abgaben; in Süd- und Südost Deutschland heisst eine Unterart derselben fragner, die mit Obst, Gemüse, Käs, Milch, Kräutern, Hühnern, Salz u. dgl. handelten und einer besonderen Beaufsichtigung[356] unterlagen; es waren meist Frauenspersonen, die diesen Handelszweig betrieben.

Die genannten Kleinhandelsleute waren in den Städten selber wohnhaft. Ausserdem durften auf Jahr- und Wochenmärkten auch fremde Händler, Gäste, unter gewissen Einschränkungen Handel treiben. Dahin gehört, dass der Gast gewisse Artikel nur in grössern Quantitäten bis zu einer festgesetzten Minimalgrenze verkaufen und keine Kaufgeschäfte mit anderen Gästen abschliessen durfte; ferner musste er seine eingebrachten Waren tarifmässig verzollen, ausser dem herkömmlichen Stätte- oder Budengelde für die gemietete Verkaufshalle weitere, oft ziemlich beschwerliche Markt-Gebühren entrichten.

Als Träger der Marktverwaltung ernannte der Rat die erforderlichen Marktbeamten und übte unter Beihilfe oder Vermittelung derselben die Marktpolizei aus. Der örtlich verbreitetste und bedeutendste städtische Marktbeamte ist der Marktmeister; zu seiner Unterstützung dienten einerseits die Schauer oder Versucher, auch Visierer genannt, und die Vermesser. Die Marktpolizei hatte vorzüglich die dreifache Aufgabe, der Waren-Fälschung, der Mass- und Gewichts-Verletzung und der künstlichen Preissteigerung vorzubeugen. Die Verhütung der Waren-Fälschung bezog sich auf die »Weinschmiere«, Fälschung von Öl, Talg, Gewürze, Bijouterie und Tücher; die als gefälscht erkannten Waren wurden entweder vernichtet, oder wie unreine Wolltücher oder nicht gesundes Fleisch, an besonderen Verkaufsstellen verkauft. Um Mass und Gewicht rein zu erhalten, hatten die Städte in der Regel ihre festen Normalmasse, eine Muster-Elle, einen Rats-Scheffel u. dgl. Besondere Beachtung wurde der Wage zugewendet. Der Stadt- oder Rats-Wage hatte man sich zu bedienen bei allen Samtkäufen, deren Gegenstand grössere Quantitäten bildeten, und bei allen Gäste-Käufen. Die öffentliche oder gemeine Wage, auch Fronwage, war im Rat- oder Kaufhaus, oder in einem eigenen Waghaus untergebracht und der Obhut und Behandlung eines Wagmeisters anvertraut. Die künstliche Preissteigerung oder der Vorkauf, mit dem sich die Marktpolizei vielfach beschäftigte, kommt in viererlei Formen vor: als Auskauf, d.h. Verkauf der Waren, um die in demselben Moment ein anderer verhandelt; als Innungs-Auskauf, wenn Zunftmeister die zu Markt gebrachten Rohstoffe für sich allein und ohne andere Mitmeister nach deren Bedarf und Wunsch daran teilnehmen zu lassen, käuflich erstehen; als einfacher Auskauf ohne Tendenz des gewinnbringenden Wiederverkaufes, wenn die Leute, um gewisse Waren für ihren eigenen Haushalt möglichst billig zu erhalten, »vor die Thore laufen oder in Gassen kaufen und auf die Wagen steigen«, und endlich als gewinnsüchtiger Auskauf oder Vorkauf im engern Sinne, wenn Jemand die zum täglichen Lebensbedarfe gehörigen Handelsartikel um des ihn bereichernden Weiterumsatzes willen in grössern Mengen wagen- oder karren weise von den den Markt besuchenden Producenten erwirbt und aufspeichert. Solche Vor- oder Fürkäufer erstreckten ihre Thätigkeit auf alle Zweige des städtischen Handels, Getreide, Holz, Fleisch, Eisen, Kohlen, Waffen, Kleider, Schuh- und Sattelwerk, namentlich aber auf Holz, Tiere und Getreide.

Den Kleinhändlern stehen die Grosshändler gegenüber, die gewelbherren, kaufherren. Ihrem dreifachen militärischen, bürgerschaftlichen und internationalen Charakter entsprechen die drei Erscheinungen der Kauffahrten, der Kauffahrer-Brüderschaften und des Hansgrafen-Amtes.[357]

Um die für den einheimischen Markt nötigen ausländischen Industrie-Produkte in den erforderlichen Quantitäten an ihren Schaffungsstätten zu erwerben, unternahmen die Kaufleute eines oder mehrerer kommerziell verbündeter Länder oder wohl auch eines oder mehrerer gewerblich konföderierter Einzelorte alljährlich, beziehungsweise nach kürzeren Zwischenzeiträumen eine gemeinsame Kauf- oder Handelsfahrt, deren frühestes geschichtlich bezeugtes Beispiel sich an die halbmythische Persönlichkeit des Franken Samo im Jahr 623 anknüpft. Ging die Reise auf überseeische Plätze mit Benützung der Wasserstrasse, so konnte dies entweder mit Flotte oder in Convoi geschehen. Mit der Flotte fuhr man, nachdem man das Ende der Frühlingsstürme abgewartet hatte, vom bestimmten Hafen in zahlreichen gut bemannten und verproviantierten, zu einer kriegstüchtigen Flotille vereinigten Ruderschiffen und Roggen, d.i. vorn und hinten abgerundeten Fahrzeugen, aus, und kehrte nach beendigten Geschäften gewöhnlich bald nach dem Sonnenwendtage in die Heimat zurück. Die Convoi-Fahrten hingegen, deren Anwendung auch auf die Binnenströme sich erstreckte, verlangten bloss kleine Schiffeverbände, hatten aber in diesem engern Kreise eine gemeinsame Gefahrtragung, eine Art von Versicherung, im Gefolge.

Reiste man nach den fremden Märkten zu Land, so glich die Kauffahrt noch in höherem Masse einem Kriegszuge. An der Spitze des Zuges der Frachtwagen und gewaffneten Fuhrleute zogen die Kaufherrn, gepanzert, das Schwert, wie der Landfrieden vorschreibt, am Sattelknopf befestigt; doch benahm später die allmähliche Ausbildung des Geleitwesens den Land-Kauffahrten das vorwiegend militärische Gepräge, indem jetzt an die Stelle des eigenen Wehrgesindes die Geleitsmannschaft zu Ross und zu Fuss trat; die Gebühr für das Geleite, die oft sehr beträchtlich war, hiess Geleitschatz; doch kamen auch Geleits-Verträge vor zwischen der Stadt, der die Kauffahrer angehörten, und den einzelnen Landesfürsten, durch deren Territorien der Weg zu gehen pflegte. Mit der Berechtigung zur Geleitsgabe war übrigens der Pflichtsatz verbunden, den die Geleits- und Gelobbriefe in der Regel ausdrücklich bestätigten.

Als eine Kauffahrt in verkleinertem Massstabe stellt sich die Messefahrt dar, mit der wieder das Messe-Geleite zusammenhing. Siehe den Art. Messe.

Auch nach überstandener Reise blieb der Kauffahrer am auswärtigen Bestimmungsorte stets in engster genossenschaftlicher Verbindung mit seinen Landsleuten. An manchen Orten treten die Auslandsfahrer desselben Landes oder derselben Stadt geradezu zu förmlichen Brüderschaften zusammen, eine Erscheinung, die man auch bei den blossen Messefahrern findet. Vgl. Gierke, Deutsche Genossenschaft, I, § 37.

Der Grosshändler war geradezu der industrielle Repräsentant seines Landes oder Volkes, daher sie auch im Auslande einfach Teutonici heissen. Der Inhaber des Regensburger Hansgrafenamtes, ursprünglich ohne Zweifel bloss aus der Mitte der Bürgerschaft für die kommerziellen Sonderinteressen auf den auswärtigen Märkten angestellt, erlangte allmählich die ausgedehnte Autorität eines Generalaufsehers über den gesamten südöstlichdeutschen Donauhandel.

In naher und vielseitiger Beziehung zu dem Hansgrafen (mhd. hanse = Kaufmannsgilde), deren es auch in anderen Städten gab, standen die Unterkäufer oder Mäkler (zu niederd. mäkeln, von machen abgeleitet), eine Art von Stadt- oder Ratsbeamten geringeren Ranges, die[358] während der Marktstunden stets am Marktplatze anwesend sein mussten und darauf zu achten hatten, »daz den burgern unde den gesten rehte gesehaehe«; man zog sie bei der Abschliessung bedeutender Handelsgeschäfte gern als Zeugen zu und übertrug ihnen schliesslich geradezu die Vermittelung solcher Verträge, hauptsächlich zwischen Bürgern und Gästen. Nach Gengler, deutsche Stadtrechtsaltertümer, Kap. 9 und Exkurs 8. Erlangen 1882. Vgl. Dr. Joh. Falke, die Geschichte des deutschen Handels. 2 Teile. Leipzig 1859 u. 60, wo in einer ersten Abteilung »des Handels Gebiete, Wege und Waaren«, in einer zweiten Abteilung »des Handels Formen und Einrichtungen« besprochen sind. Das bedeutendste Werk über die Handelswege im Mittelalter ist: W. Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittelalter, 2 Bde. Stuttgart 1879. Siehe auch H. Heller, die Handelswege Inner-Deutschlands im 16., 17. und 18. Jahrhundert und ihre Beziehungen zu Leipzig, in Ermisch Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde. Bd. V, S. 1–72. Dresden 1884.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 356-359.
Lizenz:
Faksimiles:
356 | 357 | 358 | 359
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon