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Familie

[172] Familie. Zu unterscheiden sind die Familie im engeren Sinne, das Haus, und die Familie im weiteren Sinne, das Geschlecht, die Sippe oder Magschaft. Im Hause gilt bei den Germanen wie bei allen Völkern der Hausherr als die Quelle des Friedens und Rechtes; vermöge seines mundium (siehe dieses) vertritt und schützt er die Hausangehörigen nach aussen, in Volk, Heer und Gericht; nach innen beherrscht er sie kraft seiner hausherrlichen Gewalt. Er ist Herr, in älterer Zeit frô, die anderen dienen ihm. Bei ihm sind die häusliche Gerichtsbarkeit, das häusliche Priestertum; er darf die Kinder aussetzen, die Frau züchtigen, im Fall der Not beide verkaufen. In seiner Hand steht das gesamte häusliche Vermögen, dessen Besitz, Genuss, Verwaltungs- und Verfügungsrechte nur ihm zustehen. Zunächst ist diese häusliche Gemeinschaft auf Weib und Kinder berechnet, sie erfährt aber eine Erweiterung durch die zum Hause gehörigen Unfreien und Hörigen. Eine weitere Ausdehnung der Familie auf eine Gesamtheit von Einzelfamilien unter einem Geschlechts ältesten kennt das deutsche Recht nicht, da ihm das Erstgeburtsrecht fremd war. Der rechtliche Zusammenhang der Familie im weiteren Sinne oder des Geschlechtes erlöscht frühe. Zu Tacitus Zeit ordnete sich noch das Volksheer nach Geschlechtern und wurde das Land nach Geschlechtern verteilt; aber zur Zeit der Volksrechte war dieses schon nicht mehr der Fall; dagegen dauerte die uralte Idee, dass die Sippe eine Schutz- und Trutzverbindung zu gemeinsamer[172] Wahrung eines alle Genossen umfassenden Friedens sei, der, wenn gebrochen, von der Sippe gerächt und hergestellt werden müsse, in Sitten und Gewohnheit bis ins späte Mittelalter fort und fanden förmliche Kriege und Friedensschlüsse zwischen den Sippen statt; doch beschränkte man einesteils die zu zahlende Busse bald auf den nächsten Grad unter den Magen und zuletzt auf den nächsten Erben, andernteils die Rache auf eine bestimmte Anzahl von Verwandten des Todtschlägers. In ältester Zeit hatte das Geschlecht die Einzelnen durch das engste persönliche Band und die geheiligte Pflicht unbegrenzter gegenseitiger Treue und Unterstützung verknüpft und als Gesamtheit bedeutende Befugnisse und Pflichten den Gliedern gegenüber geübt. Eine Versammlung aller Hausväter hatte über Friede, Recht und Sitte des Geschlechtes gewacht, ohne Zweifel ein Familiengericht gebildet; noch später konnten Verwandte gegen Verwandte nicht vor Gericht auftreten, mussten vielmehr bei den Genossen Sühne und Herstellung des Friedens suchen. Im fernern war die Sippe ursprünglich eine sittliche, religiöse und gesellige Gemeinschaft, die für Verlobung, Eheschliessung und Ehescheidung, Aufnahme des Kindes und Bestattung des Toten einzutreten hatte. Endlich scheint das Geschlecht auch als solches vermögensfähig gewesen zu sein und heilige Gerätschaften, Vieh, Waffen im Gesamtbesitz gehabt zu haben; ja das spätere Gemeindevermögen war ursprünglich Geschlechtseigentum.

Sehr früh löste sich die genossenschaftliche Verfassung der Familie auf und wirkte bloss im Privatrecht des Mittelalters nach. Die gesamte Verwandtschaft heisst mhd. sippe, sippeschaft. Im besondern heisst die Nachkommenschaft in gerade absteigender Linie buosem, Busen, nach dem Bilde des menschlichen Leibes, unter welchem man die Verwandtschaftsgrade darzustellen pflegte; alle übrigen (Seiten-) Verwandten von den Geschwisterkindern an heissen mâgen. Dieselben sind im Mannesstamm swertmâgen, im Weibestamm kunkel- oder spilmâgen, spindelmâgen, Verwandte der Kunkel oder Spindel. Das ältere Wort mundium heisst selten mehr der oder die munt, häufiger vormuntscaft, vogtî, phlege, und es giebt einen ehemännlichen, väterlichen und verwandtschaftlichen munt. Seit dem 15. Jahrh. erhält das römische Recht Einfluss auf die deutsche Rechtsanschauung von der Familie. Gierke, Genossenschaft I, § 3.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 172-173.
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