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Leipzig

[324] Leipzig. Keine Stadt der Paläste und Denkmäler, nicht wie London der Aufenthalt von mehr als einer Million Menschen, nicht wie Dresden oder Wien ausgezeichnet durch eine romantische Umgegend, an keinem schiffbaren Strome oder Canale gelegen, nicht durch die Laune eines mächtigen Regenten der Mittelpunkt eines gewaltigen Reiches, eines prunkenden Hofstaates, der Intelligenz und der Gesammtinteressen eines Volkes, wie z. B. Petersburg – und dennoch eine Stadt von europäischer Bedeutung! Hier wurden riesige Schlachten geschlagen, hier concentrirte sich zuerst, in Folge der Messen, der deutsche Binnenhandel, hier entstand frühzeitig, nach den Prager Zerwürfnissen mit Huß, eine Universität, hier durchkreuzen sich die Straßen des nördlichen und südlichen Deutschlands, hier fanden die deutschen Eisenbahnen mit zuerst lebhafte Unterstützung, auch wird bald die erste größere deutsche in's Leben treten, und hier hat sich, unterstützt durch Privilegien, Lage, Gewerbthätigkeit und Volkssinn, ein Zustand der Intelligenz, Speculation, Betriebsamkeit und geistigen Wirksamkeit gebildet, wie in wenig andern Städten unter ähnlichen Verhältnissen. So ist Leipzig, die zweite Stadt des Königreichs Sachsen, Dresdens Nebenbuhlerin geworden. Nicht so reich als dieses an Kunstschätzen und Naturreizen, excellirt es durch finanzielle Kräfte und eine merkantilische Energie, die für das ganze Land von größtem Vortheile[324] und segenbringender Wirkung ist. Es leben in L. nicht viel Besitzer von Millionen, aber viele Wohlhabende, ja man kann sagen, ein gewisses Wohlbehagen ist über alle Stände verbreitet, und darum fast nirgends schreiende Armuth vorhanden. Für diese sorgt mit der dankenswerthesten Bestrebung die trefflich organisirte Armendirection, sowie der Frauen-Hilfsverein, an dessen Spitze die ersten Damen der Stadt stehen. Die Universität ist noch immer eine der blühendsten Deutschlands; für Wissenschaft und Kunst herrscht ein großer Eifer, die Menge der öffentlichen und Privatanstalten zu ihrer Förderung setzen bei nur 45,000 Ew. in Erstaunen. Wir erwähnen hier nur 2 große öffentliche Bibliotheken, die Sternwarte, eine Zeichnenakademie, den Kunst- und Gewerbsverein, die naturforschende, die deutsche und die polytechnische Gesellschaft, die Handelslehranstalt, die Bank für Lebensversicherung etc. Von den Anstalten für Leidende und Arme dürfen die Entbindungsanstalt, 2 Spitäler, die Ritterich 'sche Augenheilanstalt, das homöopathische Krankenhaus, das Georgenhaus (ein Waisenhaus und mehrere wohlthätige Anstalten in sich fassend), das Leihhaus nebst Sparkasse etc. nicht übergangen werden. Die Vorliebe für Musik ist allgemein. Wenn auch das Theater nur mäßigen Ansprüchen genügt, so übertrifft doch das sogenannte große Concert durch seine großartigen Leistungen die meisten derartigen Institute. Leipzigs Handel und seine 3 Messen sind weltberühmt, die Fabriken in Tabak, musikal. Instrumenten, Spielkarten etc. nicht unbedeutend. Es glänzt als Mittelpunkt des deutschen Buchhandels, man zählt 120 Buchhandlungen, 25 Buch-, 8 Stein- und 17 Kupferdruckereien. Zahllose gesellige Vereine wirken für die Unterhaltung, der Ton der Gesellschaften ist heiter und ungezwungen und wird durch keine schroffen Standesunterschiede gestört. Der lebhafte Verkehr in den beiden Hauptmessen, wo die Anzahl der Bewohner oft auf 70–75,000 steigt, mag das Seinige zu dieser Ausgleichung der Verhältnisse beitragen. Die Stadt hat viele schöne Gebäude, z. B die [325] Börse, das herrlich ausgemalte Härtel 'sche Haus, das Café français, die Buchhändler-Börse, die Bürgerschule, das Augusteum (Universitätsgebäude); unter den ältern sind die Nikolai- und Thomaskirche, das Gewandhaus, das Düfour- und Schwägrichen'sche Haus, Auerbachs-, Hohenthals-, Kochs- etc. Hof zu nennen. Reichel's, Keil's, Reimer's und Gerhard's Garten, letzterer mit Poniatowsky's Denkmal, werden von allen Fremden bewundert. – Für die Umgebungen hat die Kunst Viel gethan. Die reizenden Promenaden, nach Art des Wiener Glacis auf den frühern Festungswerken angelegt, umgürten, ein grünender Kranz, die eigentliche Stadt und trennen diese von den wohlgebauten Vorstädten, welche von Jahr zu Jahr erweitert werden. Das freundliche Rosenthal mit seinen im Gebüsch versteckten Restaurationen ist im Sommer der Versammlungsplatz der Leipziger schönen Welt. – Die Frauen sind meist hübsch, selten schön, aber heiter und gewandt in der Conversation, eben so weit entfernt von Koketterie wie von Prüderie. Man bemerkt mehr niedliche und interessante, als hohe und imposante Gestalten. Die Gesichtsbildung ist oft edel, die Carnation frisch und lebhaft. In der Toilette besitzen sie viel Geschmack und übertreffen darin viele ihrer Mitschwestern. Eine Versammlung Leipziger Mädchen, z. B. im großen Concerte, bildet einen reichen Blüthenflor und gewährt den lieblichsten Anblick. Vergnügungs- und Putzsucht wird ihnen freilich vorgeworfen, aber beides ist in einer Stadt von so allgemeinem Wohlstande und lebhaftem Fremdenverkehr zu entschuldigen, wird hier sogar bedingt. Um die schöne Literatur bekümmern sie sich allerdings weniger, als um Bälle und glänzende Soireen, viel weniger als die Frauen Berlins etc.; aber es finden sich auch selten Ueberbildete unter ihnen und die wahre Weiblichkeit und Häuslichkeit ist ihnen mit wenigen Ausnahmen doch nicht abzusprechen.

–n.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 324-326.
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