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Dichten

[564] Dichten hatte ehedem die Bedeutung unsers jetzigen Verdichten und da das Bilden von Begriffen aus mehren einzelnen Vorstellungen gleichsam ein Verdichten derselben ist, so nannte man das Denken (s.d.) auch Dichten, welche alterthümliche Redeweise sich in dem sprüchwörtlichen Ausdrucke »dichten und trachten« erhalten hat, der so viel wie denken und streben bedeutet. Gegenwärtig unterscheidet man aber vom Denken, als einem Geschäfte des Verstandes, das Dichten als vorzugsweise Thätigkeit der Einbildungskraft, indem sie Ideen durch Bilder und Gleichnisse zu versinnlichen sucht, wobei jedoch die Mitwirkung des Verstandes nicht fehlen darf, wenn kein Unsinn herauskommen soll, und dadurch unterscheidet sich das Dichten zugleich vom Erdichten, d.h. Ersinnen und Erdenken von Dingen, welche in der Wirklichkeit gar nicht begründet sind. In seiner vorzüglichsten und künstlerischen Bedeutung heißt Dichten jene erhöhte schöpferische Thätigkeit der Einbildungskraft oder Phantasie, welche unter begeisterter Mitwirkung aller Seelenkräfte, Ideen in entsprechende Bilder zu fassen und als ein innig übereinstimmendes Ganze zur sinnlichen Anschauung zu bringen vermag. Man nennt diese schöpferische Einbildungskraft auch Dichtungsvermögen, allein nur Diejenigen, bei denen diese Eigenschaft von Natur in höherm Grade wirkt, sowie noch besonders geübt worden ist, werden Ausgezeichnetes in den schönen Künsten leisten, wenn ihnen außerdem ein gebildeter Geschmack, Erfahrungen und höhere Weltanschauung nicht abgehen. Im engsten Sinne heißt endlich Dichten die künstlerische Darstellung der begeisterten Schöpfungen der Einbildungskraft durch die Sprache; die Kunst dieser Darstellung wird vorzugsweise Dichtkunst oder Poesie, ein Erzeugniß derselben ein Gedicht und der Urheber desselben ein Dichter oder Poet genannt. Die Dichtkunst darf nicht mit der Verskunst verwechselt werden, welche ihr nur die möglichst vollendete sprachliche Darstellung des Gedankens vermitteln hilft, was indessen höchst wichtig ist, da die größte Wirkung eines Gedichts von dem höchsten Wohllaut der Sprache desselben mit abhängt. – Dichtungsarten heißen die unendlich mannichfaltigen Formen, deren die Dichter sich zur Darstellung ihrer Kunstwerke bedienen und bei deren Wahl ein Haupterfoderniß ist, daß sie dem Gegenstande möglichst angemessen sei. Über die Zahl derselben herrschen verschiedene Ansichten, doch bieten sich am bequemsten vier Hauptformen, die lyrische, epische, dramatische, didaktische (s.d.) dar, unter die sich übrigens keineswegs alle Gedichte ordnen lassen, da es auch gemischte, z.B. lyrisch-dramatische und lyrisch-epi sche Gedichte gibt und der Charakter vieler überhaupt nur nach der vorherrschenden Idee bestimmt wird. – Gekrönter Dichter, lat. poeta laureatus, hieß ehemals Derjenige, welcher nach der bei den alten Griechen und Römern üblichen, im 13. Jahrh. in Italien wieder erneuerten Sitte feierlich mit einem Lorbeerkranze bekränzt wurde. In Deutschland wurden sie von den Kaisern ernannt und diese Auszeichnung widerfuhr zuerst dem um Verbreitung des Studiums der classischen Literatur und Verbesserung des wissenschaftlichen Geschmacks in Deutschland verdienten Konrad Celtes, eigentlich Meißel genannt, geb. bei Schweinfurt 1459, gest. 1508 als Lehrer der Dichtkunst und Beredtsamkeit in Wien, welchen Kaiser Friederich III. im I. 1491 zu Nürnberg wegen seiner lat. Gedichte eigenhändig mit dem Lorbeerkranze krönte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 564-565.
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