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Orakel

[345] Orakel, was eigentlich einen Ausspruch bedeutet, werden vorzugsweise die im Alterthume an gewissen heiligen Orten, die ebenfalls Orakel hießen, auf Befragen angeblich von den Göttern ertheilten oder begeisterten Priestern eingegebenen Aussprüche genannt, welche unter Darbringung von Geschenken und Beobachtung religiöser Gebräuche als Rath in wichtigen Angelegenheiten und Bedrängnissen eingeholt wurden. Die Orakel gingen aus dem bei allen. abergläubigen und mangelhaft gebildeten Menschen sich zeigenden Hange hervor, in der Noth Abhülfe oder bei wichtigen Unternehmungen Rath oder Auskunft über den Erfolg bei unsichtbaren Mächten zu suchen, was der Eigennutz der Priester bald für sich auszubeuten verstand. Die Orakel behaupteten sich in Griechenland bis gegen Ende des 4. Jahrh. n. Chr., wo sie vom Kaiser Theodosius aufgehoben wurden, durch große Behutsamkeit und Schlauheit und die Dunkelheit und den Doppelsinn der von ihnen im Namen der weissagenden Gottheit ertheilten Antworten. Zu vielen berühmten Beispielen davon gehört auch die dem König Krösus von Lydien, der dies Reich bis an den Fluß Halys ausdehnte, zu Delphi gegebene Antwort, daß er ein großes Reich zerstören werde, wenn er den Halys überschreite. Nach seiner Meinung war damit das pers. Reich unter Cyrus gemeint, dem er jedoch unterlag, während das Orakel in beiden Fällen Recht behielt. Die ältesten Orakel befanden sich in Ägypten, von denen das des Jupiter Ammon vorzüglich durch den Besuch Alexander's des Großen bekannt ist. Das älteste in Griechenland war das des Jupiter in einem heiligen Eichenhaine bei Dodona, einer angeblich von Deukalion (s.d.) erbauten Stadt der Molosser, das berühmteste von allen aber wurde das des Apollo zu Delphi (s.d.); andere, weniger in Ruf gekommene griech. Orakel waren die des Jupiter zu Kreta in einer Höhle des Berges Ida, die zu Elis und Pisa, sowie die des Apollo zu Didyma, auf Delos, zu Larissa, Klaros, Abä und andern Orten. Die Römer hatten zwar keine eigentlichen einheimischen Orakel, sondern wendeten sich bei wichtigen Vorfällen meist an das zu Delphi; indessen gebrach es auch bei ihnen nicht an nähern Auswegen zu abergläubigen Befragungen über künftige Dinge und die der ältesten Zeit angehörenden sibyllinischen Bücher oder vorgeblichen Weissagungen der cumanischen Sibylla abgerechnet, welche sie dem Tarquinius Superbus mitgetheilt haben soll und aus denen man, bis sie beim Brande des Capitols verloren gingen, in Zeiten der Bedrängniß zu erforschen suchte, wie die erzürnten Götter zu versöhnen sein möchten, wendete man sich hauptsächlich an die Auguren (s.d.).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 345.
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