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Der Kaiser Joseph II.

[274] Der Kaiser Joseph II. wurde am 13. Mai 1741 geboren, 1765 zum Deutschen Kaiser gewählt, war seit 1780 nach dem Tode seiner Mutter, der Kaiserin-Königin, Maria Theresia, alleiniger Regent der Oestreichischen Erblande, und starb am 20. Febr. 1790. Ueber seine thatenreiche Regierungsgeschichte ist eben so ungleich geurtheilt worden, als über seinen persönlichen Charakter Zweifel entstanden sind. Indem ihm Einige den Ruhm des größten und thätigsten Regenten aus dem Oestreichischen Hause beilegen wollten, bemühten sich Andere, zu zeigen, daß kein Regent unausführbarere Entwürfe unternommen, unklugere Verordnungen bekannt gemacht und in einem höhern Grade nach einer unbegränztern Alleinherrschaft gestrebt habe, als Joseph der zweite. Wenn man auf die Eindrücke zurückgeht, welche Joseph in seiner Jugend empfing, und die Lage betrachtet, in der er sich bis zum Tode seiner Mutter befand, so wird man sich seine unruhige Thätigkeit in den Jahren, wo er allein regierte, [274] sehr leicht erklären können. Er zeigte schon in der frühern Jugend gewisse Eigenheiten des Charakters, deren künftige Entwickelung Selbstständigkeit und Unerschütterlichkeit im Handeln anzukündigen schien. Ausgezeichnete Lebhaftigkeit des Verstandes glaubte man anfänglich nicht an ihm zu bemerken; immer war er mehr in sich gekehrt: und die Geistlichen, welche seine Lehrer waren, konnten sich eines ganz folgsamen Schülers an ihm nicht rühmen. Ueberhaupt hatte er zu den Kenntnissen und den Verdiensten der Geistlichkeit ein schwaches Zutrauen, und konnte nur mit Mühe von seiner frommen Mutter dazu gebracht werden, sich dem strengen Ceremoniell des katholischen Gottesdienstes unbedingt zu unterwerfen. Nichts war ihm so lästig, als das Bewußtsein, nicht ganz frei handeln zu können, sondern seinen Willen den Aussprüchen seiner Mutter unterordnen zu müssen. Wäre diese früher gestorben, so würde der Bayersche Erbfolgekrieg von 1778 unstreitig länger gedauert und Friedrich dem zweiten ein weit härterer Stand bereitet worden sein. Joseph konnte den Verlust Schlesiens und den Urheber dieses Unglücks, dessen Name ihn von den ersten Jahren der Kindheit an geschreckt hatte, so wenig vergessen, daß er begierig auf eine Gelegenheit wartete, wieder zu dem Besitz dieses Landes zu gelangen, und dem König in Preußen zu zeigen, wie sehr er würdig sei, von ihm als Nebenbuhler gefürchtet zu werden. Der Wille der Kaiserin-Königin verhinderte jedoch die Ausführung dieser Absichten; und nach ihrem Tode fand Joseph so viel in seinen eignen Staaten zu thun, und verwickelte sich in so viele neue Pläne, daß er an die unmittelbare Wiedereroberung Schlesiens nicht denken konnte. Die kirchliche Reform und die Einziehung der Klöster beschäftigte ihn zuerst, und wurde so glücklich zu Stande gebracht, daß selbst die persönliche Gegenwart des Papstes in Wien (1782) den Kaiser nicht vermochte, der verjährten Rechte des Römischen Stuhls länger zu schonen. Bei den nachher (1784) ausgebrochenen Streitigkeiten mit den Holländern über die freie Schifffahrt auf der Schelde schienen die Absichten des Kaisers eben so eigennützig und gewinnsüchtig, als bei seiner nähern Verbindung mit Rußland und bei dem Ländertausche, der dem Churfürsten von Bayern angetragen [275] wurde. Der Deutsche Fürstenbund setzte (1785) diesen Vergrößerungsabsichten einen Damm entgegen; und der Kaiser, tief gekränkt über das Scheitern seiner Lieblingsidee, dachte nun an die Erweiterung seines Gebiets nach der Türkischen Gränze hin, und fing (1788), unter dem Vorwande seiner Allianz mit Rußland, einen Krieg mit der Pforte an, der seine Armeen schwächte und die Cassen erschöpfte, ohne ihm einigen Vortheil zu gewähren. Zu diesem Mißgeschick kamen noch die Empörungen in den Niederlanden, worin sich der Adel und die hohe Geistlichkeit gegen ihn verband, und das Volk wider seine Einrichtungen einnahm. Joseph merkte nun, daß nicht nur sein schwächlicher Körper mit jedem Tage hinfälliger wurde, sondern er sah auch mit nicht geringem Kummer, daß alle seine Anordnungen und Einrichtungen in dem Grade zu sinken anfingen, in welchem seine eigne Lebenskraft abnahm. Es war zu bedauern, daß sein Geist in der Jugend nicht durch hinlängliche wissenschaftliche Bildung belebt und zur feinern Menschenkenntniß ausgebildet worden war. Die weitläuftigen Reisen, die er unternahm, konnten diesen Mangel nicht ersetzen. Bei dem Bestreben, alles zu umfassen und überall allein zu handeln, mußte er oft die Gründlichkeit und die vollständige Belehrung aufopfern. Eben daher schrieb sich ein Grundsatz von ihm, daß alles auf einmahl durchgesetzt und ohne nöthige Vorbereitungen ausgeführt werden könne. Hätte Joseph die wissenschaftliche Bildung Friedrich des zweiten besessen, so würde nicht leicht entschieden werden können, welcher von beiden Monarchen der größte gewesen sei; denn an Muth und Standhaftigkeit, an rastloser Thätigkeit, an unermüdeter Sorgfalt für die Verbesserung des Landes, an lobenswerthem Eifer, das Glück der Unterthanen bestmöglichst zu befördern, und an dem Bestreben, alle Pflichten eines guten und weisen Regenten zu erfüllen, stand der Oestreichische Monarch dem Einzigen Beherrscher Preußens gewiß nicht nach.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 274-276.
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