Sie forscht deswegen seit Jahren in Malaysien. Auf regelmäßigen Expeditionen in den malaysischen Regenwald sucht sie Inspiration.
science.orf.at: Seit dem Klettverschluss hat sich in der Biomimetik einiges verändert – heute kann man sich ganz andere Ebenen der Natur anschauen. Ist das eine neue Art der Biomimetik?
Ille Gebeshuber
- Die Physikerin Ille Gebeshuber
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Einen Beitrag zu diesem Thema hören Sie auch in Wissen Aktuell am 30. Jänner, um 13:55.
Ille Gebeshuber: Biomimetik gibt es schon seit vielen Jahrhunderten - schon Leonardo Da Vinci hat sich von der Natur inspirieren lassen. Aber heutzutage sind wir schon so weit, dass wir wirklich die "Sprache" der belebten Natur auf der untersten Ebene untersuchen und daraus Erkenntnisse gewinnen können - nämlich auf der Nanometerskala. Ein Nanometer ist ein Tausendstel von einem Millionstel Meter - sehr, sehr klein. Die meisten Materialien in der belebten Natur haben funktionale Einheiten im Bereich von einigen zehn bis einigen hundert Nanometern. Weil wir jetzt mit unseren Mikroskopen die verschiedenen natürlichen Materialien auf dieser Größenskala anschauen und funktionale Materialien in dieser Größenskala entwickeln können, können wir natürlich viel besser diese wunderbaren Erfindungen der Natur in die Technik transferieren.
Kann man sagen, dass die Natur effizienter gebaut ist als unsere bisherigen technischen Entwicklungen?
Das absolut Außergewöhnliche an natürlichen Materialien, Strukturen und Prozessen ist, dass sie optimiert sind. Nicht in Bezug auf einen einzigen Parameter wie z.B. Energie - sondern in Bezug auf ein ganzes Set von Parametern. Was herauskommt ist eine Art der Technologie, die ganz anders ist als unsere derzeitige "menschliche" Technologie.
Wenn man sich zum Beispiel GPS anschaut, wie es viele im Auto haben: es besteht aus Metall, braucht Batterien, braucht Satelliten, von denen es ein Signal bekommt. Und diesem Navigationssystem kann man das einer Taube oder einer Ameise genüberstellen, die genauso gut den Weg heim finden. Aber das eingebaute Navigationssystem dieser Tiere verwendet keine Metalle, sondern biologisch abbaubare Materialien - im Körper - und Signale, die schon in der belebten Natur vorkommen.
Die Ameisen zum Beispiel orientieren sich anhand des Polarisationsmusters des Himmelslichts. Einige der großen Meeresschildkröten verwenden die magnetischen Feldlinien der Erde, um die Bucht zu finden, in der sie aus dem Ei geschlüpft sind. Um wieder hinzuschwimmen und dort ihre Eier abzulegen. Tauben verwenden auch verschiedene Hinweise aus der Umgebung. Diese Technologie aus der Natur funktioniert ganz anders – aber sehr, sehr effizient! Und ich würde auch sagen sehr gut - mit "gut" meine ich dabei, dass die Technologie dieser Tiere nicht nachteilig ist für andere Tiere.
Gibt es einen grundlegenden Unterschied in der Herangehensweise bei von Menschen entwickelter Technologie?
Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen der "Technologie" der Natur - wenn man es so bezeichnet - und der Technologie des Menschen ist, dass wir Menschen sehr, sehr viele verschiedene Materialien verwenden, um Funktionalitäten zu erzielen. Wohingegen in der belebten Natur einige wenige, nachhaltige Materialien verwendet werden. Aber die werden so intelligent strukturiert, und ein kleines bisschen chemisch modifiziert, um jene Funktionalitäten zu erreichen, die man erreichen möchte.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir Menschen können wunderschöne Farben herstellen - knallgelb, giftgrün, blitzblau! Meistens sind diese Farben pigmentbasiert. Pigmente sind chemische Farbstoffe und viele sind toxisch, also giftig. Wenn Fabriken dann Kleidungsstücke einfärben, ist das Abwasser belastet… und so weiter.
Wenn man sich einige tropische Schmetterlinge anschaut, entstehen die Farben bei den Schmetterlingen nicht durch Pigmente, sondern durch Strukturen.
Wie kann das funktionieren?
Das kann man sich so vorstellen: es wird ein beliebiges Material strukturiert und zwar auf einer Größenskala, die der Lichtwellenlänge entspricht - jetzt sind wir wieder im Bereich der Nanotechnologie. Wenn man Strukturen in der Größe der Lichtwellenlänge hat, dann spielen sich diese Strukturen mit dem Licht und es entstehen optische Effekte. Und die Strukturen von so einem Schmetterlingsflügel sind eben genauso dick, so breit, so hoch, dass die jeweilige Farbe entsteht. Wenn wir Strukturen herstellen, die genauso klein wie diese Strukturen am Schmetterlingsflügel sind, dann hat man die gleichen Funktionalitäten. Und die Struktur am Schmetterlingsflügel hat noch zusätzliche Eigenschaften: zum Beispiel, dass die Regentropfen abperlen.
Es ist spannend, dass wir eine völlig neue Art der Oberflächenfunktionalisierung entwickeln können, die auf Strukturen basiert, mit denen man verschiedenartigste Funktionalitäten erreichen kann. Meine Dissertantin von der Akademie der Bildenden Künste hat jetzt zum Beispiel eine Methode entwickelt, um dieses wunderschöne Blau vom Morphoschmetterling mit einem „Stempel“ abzunehmen. Mit diesem "Stempel" nimmt sie diese Strukturen auf und hat dann einen Negativstempel, mit dem sie Farben stempeln kann – und sie kann Flächen stempeln, die der Fläche von tausend Schmetterlingsflügeln entsprechen.
Also man kann ganz einfach diese Ideen transferieren und völlig neuartige technische Sachen bauen, ohne umweltbelastend zu sein. Denn wenn man Materialien strukturiert, die nachhaltig sind, die nicht giftig sind, hat man dieselben Farbeffekte, wie wenn man ganz konventionelle Materialien strukturiert.
Es scheint ja auch, dass Strukturfarben in den nächsten Generationen von Bildschirmen wichtig sein werden?
Ja, verschiedenste Firmen lassen sich von den Schmetterlingsflügeln inspirieren, um neue Smartphone- und Computerbildschirme herzustellen. Denn wenn man sich die Materialien anschaut, die in so einem Smartphone generell drinnen sind, dann sind das sehr viele seltene Metalle, sehr viele seltene Erden, die man umständlich gewinnen muss und die teuer sind. Und wo man natürlich an ein Limit der Ressourcen kommt!
Wenn wir aber anfangen in unserer Technik parallel zum Zugang der Natur zu arbeiten - indem man eben nicht auf die Chemie setzt oder auf verschiedene Materialien, sondern auf die Strukturen geht und überall verfügbare Materialien verwendet - dann haben wir dieses Problem der Ressourcenknappheit ausgeschaltet.
Ist es automatisch nachhaltiger, wenn man biomimetisch entwickelt?
Nein. Das ist das Problem bei der Bionik. 95 Proeznt der bionischen Entwicklungen werden für militärische Anwendungen und für konventionelle Anwendungen verwendet - und sind halt ein bisschen billiger, ein bisschen besser, ein bisschen schneller. Aber sie sind nicht nachhaltig. Ich glaub viel von den bionischen Erfindungen reitet auf dieser grünen Welle – obwohl die bionischen Erfindungen an sich überhaupt nicht nachhaltig sind. Es ist in der Bionik nicht festgeschrieben, dass wenn man von der Natur lernt, man auch eine nachhaltige Erfindung machen muss. Anstatt das gesamte System zu transferieren, werden dann einige Funktionalitäten übernommen.
Für mich ist die Nachhaltigkeit integraler Bestandteil, wenn ich von der Natur lerne. Ich denke, zusehends kommen wir auch in die Richtung. Für uns Menschen wird es wichtig, dass wir nachhaltige Technologien entwickeln, ganz besonders wie es jetzt ausschaut.
Sie haben einen Vortrag gehalten, dessen Titel war "Was macht eine Physikerin im Dschungel?". Was machen Sie tatsächlich, wenn sie wieder auf Expedition in den Dschungel gehen?++
Wenn wir in den Dschungel gehen, sind wir immer viele Menschen mit sehr interessanten, verschiedenen Hintergründen. Also wir sind Künstlerinnen, Ingenieure, Physikerinnen, Materialwissenschaftler, manchmal Menschen aus der Wirtschaft - und so weiter und so fort. Und wir schauen uns dieses große, schöne, nachhaltige, geschlossene System nicht mit den Augen eines Biologen an - also nicht mit langen lateinischen Namen von verschiedenen Pflanzen und Tieren - sondern als Einheit, die miteinander und füreinander funktioniert. Und im Hinterkopf hat jeder von uns das spezielle Forschungsproblem, an dem wir gerade arbeiten.
Die Architektin beschäftigt sich mit Unterkunft, die Materialwissenschaftlerin möchte zum Beispiel eine große Struktur bauen, auf der Zellen wachsen können - damit man Menschen, die Amputationen gehabt haben, keine künstliche Gliedmaße geben muss, sondern dass man neue Knochen wachsen lassen kann und an diesen neuen Knochenzellen die körpereigenen Muskelzellen anfangen zu wachsen. Jeder beschäftigt sich mit einem Problem.
Und wir gehen gemeinsam in den Regenwald und schauen neugierig – verspielt wie kleine Kinder – in dieser Schatzkiste nach, wie die belebte Natur parallele, ähnliche Probleme löst. Andere Lebewesen haben genauso wie wir Dinge, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Sie müssen etwas produzieren, bewegen, entsorgen, bauen, sie müssen Unterkunft finden. Da können wir einfach lernen: Prinzipien lernen, abstrakte Ideen lernen, an die man eigentlich gar nicht gedacht hätte, wenn man in seinem Büro sitzt und darüber nachdenkt, wie man sein Problem löst.
Was kann man da konkret lernen?
Ich sage Ihnen ein Beispiel: Antireflexionsschichten. Wenn man eine hochauflösende Kamera baut, mit der man in der Nacht ohne Blitz fotografieren kann, möchte man, dass das meiste Licht auf den Fotosensor kommt. Und nicht auf der Oberfläche der Kamera reflektiert wird, weil dann ist einfach weniger Licht da, um detektiert zu werden. Jetzt kann man sich überlegen: Welches Tier könnte uns inspirieren, dass wir bessere Kameras bauen, dass diese Reflexionseigenschaften optimiert werden? Am besten wäre ein nachtaktives Tier, das in einer Umgebung lebt, wo eben sehr wenig Licht ist. Und das ist zum Beispiel am Boden des Primärregenwaldes in Malaysia der Fall. Da ist unter Tag schon nur vier Prozent des Lichts, dass man über den Baumkronen hat – das heißt es ist so schon sehr dunkel, und in der Nacht ist es noch dunkler.
Die Motten, die in der Nacht in Borneo herumfliegen, die haben wirklich wunderbare Augenoberflächen, die dafür sorgen, dass das ganze Licht ins Auge reingeht und von den Photodetektoren reflektiert werden kann. Wenn man sich diese Augenoberfläche mit einem hochauflösenden Mikroskop anschaut, sieht man kleine, noppenartige Strukturen. Zum Vergleich: der Durchmesser eines Haares beträgt ungefähr 100.000 Nanometer - diese Noppen sind 100 Nanometer groß. Also ganz, ganz klein. Sie sorgen dafür, dass der Brechungsindex der Luft ganz langsam angepasst wird an den Brechungsindex des Augenoberflächenmaterials. Infolgedessen gibt es dann keine Reflexion. Und man kann diese Noppenform übertragen für hochsensitives Kameraequipment, in dem man diese Noppen zum Beispiel aus Silizium nachbaut und die Oberfläche damit beschichtet.
Das klingt alles nach sehr althergebrachter Forschung – Entdecker, die ausziehen und die Welt erkunden, sich anschauen, was da zu finden ist und versuchen, es zu verstehen. Was gar nicht so sehr nach der heutigen, sehr zielgerichteten Wissenschaftsmaschinerie klingt. Ist das ein bisschen so?
Naja, es ist ein sehr anderer Zugang als die meisten es machen. Als ich vor ein paar Wochen mit meinen zwei malaysischen Dissertantinnen in den Regenwald gegangen bin, waren wir dort mit Biologen und Biologinnen unterwegs – die halt das machen, was sie normalerweise machen: sie fangen irgendwelche Tiere, schneiden irgendwelche Pflanzen ab, und untersuchen es dann daheim im Labor. Und wir drei waren die einzigen, die eben nur geschaut haben.
Es war am Anfang sehr schwierig ihnen klar zu machen, dass wir auch Wissenschaft machen, aber ganz, ganz anders. Dass wir schauen, und versuchen zu verstehen. Wir haben ihnen dann einmal am Abend beim Essen einen Vortrag gehalten, und ihnen erzählt, was wir machen. Danach war es wunderbar. Dann haben sie angefangen uns die irisierenden Pflanzen und Tiere zu zeigen, die sie im Wald gesehen haben. Blauschillernde Farne. Irisierende Pflanzen sind für unsere Arbeit ganz wichtig.
Wir haben auch einen pflanzlichen Edelstein gefunden. Bambus kann einen Pflanzenopal herstellen, der magisch bläulich leuchtet. Und es gibt auch eine rote Begonie in Papua Neu Guinea: wenn man sich ein Blatt von dieser Begonie anschaut, schaut das aus, als ob das unendlich tief ist. Als ob man reintauchen und tausende Meter nach unten schwimmen kann. Mit dem werden wir uns während der nächsten Jahre beschäftigen - das ist eine sehr interessante Oberfläche, von der wir noch sehr viel lernen können.
Isabella Ferenci, Ö1 Wissenschaft
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