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ADB:Stüve, Johann Karl Bertram

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Artikel „Stüve, Johann Karl Bertram“ von Gustav Stüve in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 84–94, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:St%C3%BCve,_Johann_Karl_Bertram&oldid=- (Version vom 30. November 2024, 11:56 Uhr UTC)
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Stüve: Johann Karl Bertram St., geboren zu Osnabrück am 4. März 1798, † am 16. Februar 1872. St. entstammte einer in Osnabrück einheimischen Familie, deren Glieder seit mehreren Generationen im Rathe gesessen hatten. Der Großvater Johann Eberhard St. war Syndikus und Verfasser einer 1789 erschienenen „Geschichte und Beschreibung des Hochstifts Osnabrück“. Der Vater Heinrich David St., geboren 1757, 1792 zum Rath gewählt, seit 1797 Bürgermeister, hatte in der nun folgenden schwierigen Zeit gegenüber den rasch wechselnden Landesregierungen (1803 Hannover, 1806 Westfalen, 1810 Frankreich) die Interessen der Stadt mit Klugheit und Festigkeit zu vertreten gewußt. Die damit verbundenen aufopfernden Anstrengungen hatten seine Kräfte erschöpft. Als er aus diesem Grunde 1812 sein Amt als Maire niederlegte, wurde er zum Mitgliede des Corps législatif ernannt, starb jedoch bereits im Mai 1813 (vgl. die von St. verfaßte, 1827 als Manuskript gedruckte Biographie: Heinrich David Stüve, zur Erinnerung für dessen Kinder und Enkel). St. war der jüngste von fünf Geschwistern. Lebhaften Geistes und früh gereift, war er aufgewachsen unter dem Eindrucke der gewaltsamen Ereignisse, welche vielfach auch auf das Leben im Elternhause einwirkten, und sich seiner Erinnerung tief einprägten. Für seine Denkweise war bestimmend das Beispiel selbstloser Hingabe an die öffentlichen Interessen, welches ihm der Vater gegeben, und die ernste, etwas zu Sorgen geneigte Gemüthsart der an Geist und Herz ausgezeichneten Mutter, geb. Berghoff. Er empfing seine Schulbildung auf dem Rathsgymnasium, ging jedoch, da ihm die Art des Unterrichts nicht genügte, seine eigenen Wege, zur Besorgniß der Mutter, welche ihn für leichtsinnig hielt, und darin bei seiner vorzüglichen Begabung eine doppelte Gefahr erblickte. Eine Aenderung erfuhr dies nach der Berufung B. R. Abeken’s (s. A. D. B. I, 8), dessen geistreiche und fesselnde Behandlung des Alterthums den bevorzugten Schüler zum eifrigsten Studium der Classiker anregte. Diesem Studium, insbesondere der Historiker und Redner, blieb er auch im späteren Leben treu, und wußte daraus für die Bildung seiner politischen Anschauungen reichen Gewinn zu ziehen. In dem Abgangszeugnisse, mit welchem St. Ostern 1817 das Gymnasium verließ, finden sich besonders gerühmt: ejus mores candidi, modestia, animi benevolentia, summum honesti studium cum indefessa in rebus praeclaris assiduitate conjunctum. Niemand zweifle, daß er ut dulce gymnasii decus fuerit sic fore aliquando inter patriae ornamenta numerandum. Für den Beruf des Rechtsgelehrten entschieden, wandte sich St. zunächst nach Berlin, verband jedoch mit dem juristischen zunächst noch ein ausgedehntes philologisches Studium. Seine Lehrer waren. Savigny, Boeckh, F. A. Wolf und Schleiermacher. In hohem Maaße empfand er den erhebenden Einfluß, welchen des letzteren Persönlichkeit und Vorträge auf seine Zuhörer ausübten. Er war eifriger Turner, ohne Jahn’s Excentricitäten zu theilen, und nahm mit Begeisterung theil an der Gründung der Berliner Burschenschaft, vertrat jedoch mit der Entschiedenheit der Ansicht, welche ihn schon damals auszeichnete, allen lustigen Reformideen gegenüber den Standpunkt der historischen Entwicklung. Unter den Freunden, welche er in Berlin gewann, war vor allem der junge Joh. Friedr. Frommann aus Jena, mit welchem er bis an seinen Tod in engster Freundschaft, unter unausgesetztem Wechsel tagebuchartiger Briefe, die [85] ein treues Spiegelbild seines ganzen inneren und äußeren Lebens enthalten, verbunden blieb. Im Herbst 1818 machten die Freunde eine gemeinsame Fußreise durch Böhmen und Schlesien. Später waren die Besuche im Frommannschen Hause in Jena die einzigen Erholungsreisen, wozu St. sich die Muße gönnte. – Durch den Berliner Aufenthalt innerlich bereichert und befestigt, wandte er sich zur Fortsetzung seiner Studien nach Göttingen. War er durch Savigny in das historische und quellenmäßige Studium des Römischen Rechts eingeführt, so ergriff er dort im gleichen Sinne unter Leitung Eichhorn’s, dem er persönlich nahe trat, die germanistische Wissenschaft. Eindrücke, welche er in Jena empfangen und die Lust und Liebe zur geschichtlichen Rechtserforschung, welche er den Begründern der historischen Schule verdankte, hatten den Plan in ihm reifen lassen, sich der akademischen Laufbahn zu widmen. Schweren Herzens, aber mit raschem Entschlusse entsagte er demselben, als im J. 1820 plötzliche Todesfälle im Kreise seiner Geschwister ihn als Pflicht erkennen ließen, seiner geliebten alternden Mutter in der Heimath eine Stütze zu sein. Er entschied sich für die Advocatur und verließ Göttingen im März 1820 nach vorheriger Promotion unter Eichhorn’s Decanat, welcher in der Universitätschronik bemerkte: „magnam is de se spem excitaverat cum insignis omnino per omnem studiorum decursum fuisset moribus et assiduitate“. Stüve’s politische Anschauungen waren während des Göttinger Aufenthalts weiter gereift. Die Zeitereignisse: Sand’s That, die Karlsbader Beschlüsse, die Demagogenverfolgungen erschütterten ihn tief, konnten aber sein Vertrauen auf den Sieg eines besonnenen Fortschritts nicht unterdrücken. Charakteristisch ist die gelegentliche Aeußerung, daß eine tüchtige Gemeindeverfassung, nach der doch Niemand frage, wichtiger sei, als eine Repräsentation, weil sie das Volk weit unmittelbarer zur Theilnahme an den Staatsgeschäften führe, als wenn von Tausenden Einer auf den Landtag gehe.

Von der Thätigkeit des Advocaten innerlich nicht befriedigt, die Entfernung von den Pflegestätten der Wissenschaft schwer empfindend, konnte St. eine seinen Neigungen entsprechende Beschäftigung in Osnabrück nur in localgeschichtlichen Studien finden. Die Ordnung des städtischen Archivs gab ihm Gelegenheit, in das Quellenmaterial einzudringen. Eine begonnene nicht zum Abschluß gelangte Doctor-Dissertation über das getheilte Eigenthum führte ihn auf das Studium der bäuerlichen Verhältnisse. Sein Gönner, der Landdrost v. Bar, übergab ihm das Manuscript des dritten Bandes von Möser’s Osnabrück’scher Geschichte, welchen St. 1823 herausgab, nicht ohne schon in manchen Punkten Möser gegenüber selbständige Ansichten geltend zu machen. Seine nächste größere Arbeit war die Fortsetzung einer von Möser’s Neffen Friderici und Stüve’s älterem Bruder begonnenen Geschichte der Stadt Osnabrück, welche 1826 erschien. Die bereits erwähnte Biographie seines Vaters schloß sich dieser Arbeit an. Nebenher liefen die auf ganz Westfalen und Niedersachsen sich ausdehnenden Vorarbeiten für die geplante Fortsetzung der Möser’schen Geschichte des Hochstifts. Einzelne Ergebnisse derselben wurden schon damals in Wigand’s Archiv veröffentlicht (Beitrag zur Geschichte des westphälischen Handels, 1826; Bemerkungen über den sächsischen Krieg 1070–1125, Bemerkungen über die politische Geschichte Westphalens um 1300, beide 1828) und in Spangenberg’s neuem vaterländischen Archiv (Von der Landesverfassung des Stifts Osnabrück; Vorschläge zur Beförderung einheimischer Geschichtskunde; Ueber die Entstehung des Gebiets von Osnabrück). Auch auf dem Gebiete der populären Schriftstellerei versuchte er sich schon jetzt. In Ermangelung von Zeitungen wählte er dazu den Kalender „der in jedes Haus kommt“. Durch Aufsätze mehr politischer Färbung suchte er im „Hannoverschen Magazin“ zu wirken, was auch [86] gelang, bis seine Aufsätze von dem Curator des Blattes bedenklich gefunden wurden.

Schon seit 1824 war St. Mitglied II. Kammer. Er hatte die Vertretung seiner Vaterstadt übernommen, fast unwillig darüber, daß der Magistrat keinen Würdigeren hatte entsenden wollen. Die ständischen Sitze waren wenig gesucht und die nicht öffentlichen Verhandlungen im Lande wenig beachtet. Durch das 1819 nach Rehberg’s Beseitigung durch Graf Münster eingeführte Zweikammersystem war das Uebergewicht des Adels im Staatswesen noch verstärkt. In zweiter Kammer dominirten die stadthannoverschen Beamten, welche von den Wahlcorporationen oft schon aus Ersparnißrücksichten gewählt wurden. So schrieb St. schon 1823: „Die Stände sind jetzt wenig oder nichts; aber sie sind die Form, welche einst viel Gutes wirken, und, was noch wichtiger ist, viel Böses verhüten kann.“ St. ergriff die ständische Thätigkeit mit vollem Eifer, nutzte jedes Mittel in und außerhalb der Kammer, um seine Kenntniß der Landesverhältnisse zu erweitern, und erlangte durch die so erworbene Sachkenntniß, bei welcher ihm insbesondere der Verkehr mit Rehberg von großem Werthe war, durch die Besonnenheit und den Ernst seines Auftretens bald eine geachtete Stellung. Der rothe Faden, welcher sich durch die Verhandlungen zog, war der Streit um die Exemtionen und gutsherrlichen Rechte des Adels, welche ein gesundes Gemeindeleben nicht aufkommen ließen, von den Berechtigten aber als unantastbar vertheidigt wurden. Stüve’s nächste Reformideen, welche schon in den ersten Jahren seiner ständischen Thätigkeit hervortraten, knüpften hier an. Als seinen Zweck bezeichnet er schon jetzt: Entwicklung des Staats auf seiner historischen Basis und Gründung desselben auf ein gesundes Gemeindeleben. Der Umstand, daß St. die Stelle eines Stadtrichters in Osnabrück, um welche er sich 1827 bewarb, nicht erhielt, veranlaßte ihn, sich noch mehr als bisher der politischen Thätigkeit zuzuwenden. Neben den historischen Studien betrieb er mit verdoppeltem Eifer die Lecture der politischen Schriftsteller. Vor allem waren es Macchiavell’s Discorsi, Burke’s Reden und etwas später Baco, denen er die förderndste Anregung verdankte. Es wat die Zeit, in welcher sich seine politische Anschauung zur völligen Reife durcharbeitete und für das Leben feststellte. Ausgegangen von den Ansichten der geschichtlichen Rechtsschule war und blieb er allen theoretischen Constructionen auf dem Gebiete des Staatslebens abhold. Er erkennt aber, daß die Geschichte das Bestehende, wenn auch erkläre, doch nicht ohne weiteres rechtfertige. Sie soll ihm dienen, den ursprünglichen Grundgedanken der Staatseinrichtungen aufzufinden. Darin liegt die Berechtigung der letzteren, welche wegfällt, wenn sie erstarrend in Mißverhältniß treten zu allen anderen Zuständen des Staats. So versteht er Macchiavell’s oft citirten Satz: spesso ritirare la republica verso il suo principio. Er erkennt selbst an, daß er damit oft zu denselben Resultaten gelange, wie die Theoretiker. Aber, sagt er: „Ich verlange, daß stets die Voraussetzungen des Alten und ihr Mangel klar sei, und daß man dann langsam nachsinken lasse. Der Unterschied ist praktisch von Gewicht. Jenes führt zum Gränzenlosen, dies aber ist höchst begränzt.“ „Das Treiben aufs Unbegränzte ist der Fehler unserer Zeit. Ich möchte, wenn einmal ein Princip sein soll, dem der Freiheit das der Sammlung der Kräfte entgegenstellen. Auf ihr beruht alles Gemeindewesen und was dem ähnlich ist. Ist eine solche Sammlung von Kräften mit der Ungebundenheit vereinbar, so will ich mich dieser nicht widersetzen. Geht das aber nicht, so ziehe ich die Sammlung vor.“ (1828.)

St. begann nun mit Entschiedenheit einzugreifen. Auch über die praktischen Ziele seiner Politik war er ins Klare gekommen. Sie umfaßte ein Dreifaches: Befreiung von Grund und Boden, Ordnung des Gemeindewesens und Gestaltung [87] eines einheitlichen Staatshaushalts. Das genüge vorerst; alles andere sei Beiwerk, das sich von selbst bessern werde, wenn diese Grundlagen des Staats, nämlich: Fürst, Volk und Adel zu einander in ein richtiges Verhältniß gebracht seien. Mit dem ersten jener 3 Punkte beginnend, brachte er in der Session von 1829 einen Antrag ein, gerichtet auf: „Befreiung des Grundeigenthums durch Ablösung von Zehnten, Diensten, gutsherrlichen und Meyergefällen, durch Aufhebung der aus dem Leibeigenthum herrührenden Lasten“, welcher in zweiter Kammer mit großer Mehrheit angenommen, in erster Kammer unter Führung der Herren v. Schele und v. Schulte hochfahrend abgewiesen wurde. Um die Sache gründlicher vorzubereiten, brachte St. in seinem Buche: „Ueber die Lasten des Grundeigenthums“, welches anfangs 1830 erschien, die bestehenden Verhältnisse, das Bedürfniß und die praktischen Wege zur Lösung der Aufgabe erschöpfend zur Darstellung. Das Buch wirkte; auch fanden sich in der ersten Kammer Freunde, welche ihn unterstützten. Die Wiederaufnahme des Antrags führte zu einem gemeinsamen Beschluß, der seine Forderung mit einiger Einschränkung acceptirte. Ein ausführlicher Bericht von ihm über die Session – regelmäßige Publicationen über die Verhandlungen waren immer noch nicht zu erreichen – erschien als Ergänzungsheft zur juristischen Zeitung (Nr. 13) mit einem nach der Julirevolution geschriebenen Vorwort, welches warnend auf die Gefahren hinweist, mit welchen der von Frankreich herüberwehende kosmopolitische Liberalismus Deutschland bedroht.

Im Herbst 1830 wählte die Osnabrück’sche Provinziallandschaft St. gegen die Stimmen der ritterschaftlichen Curie zum Schatzrath, wodurch er in die Lage kam, sich der Thätigkeit in der Ständeversammlung noch freier widmen zu können. Seine Stellung war hier eine immer bedeutendere geworden. Er war Mitglied aller wichtigeren Commissionen. Die Erwiderungen auf die Thronrede flossen regelmäßig aus seiner Feder. Die zunehmende Erregung im Lande, welche anfangs 1831 in Göttingen und Osterode zu Revolten führte, brachte ihn in eine schwierige Stellung zwischen den ins Ziellose gehenden Forderungen der Liberalen, die er vertreten sollte aber mäßigen mußte, und der Regierung, deren Unentschlossenheit eines entschiedenen Treibers bedurfte. Er empfand die Nothwendigkeit, sich vor dem Lande auszusprechen und that dies in der Schrift: „Ueber die gegenwärtige Lage des Königreichs Hannover“. Er sah voraus, daß das Buch, welches in maßvollster Form, aber sehr freimüthig und mit ungewohnter Sachkenntniß die Fehler des bisherigen[WS 1] Systems darlegte, vielfach Anstoß erregen werde, ließ sich indeß dadurch, und durch den Rath vorsichtiger Freunde, welche wünschten, daß er sich den Weg zu einer leitenden Stellung in der Regierung nicht verlegen möge, nicht von der Publication abhalten. Für dieselbe entscheidend war, daß nur eine offene Documentirung seiner Unabhängigkeit nach beiden Seiten hin ihm die Stellung im Lande erhalten könne, um im Sinne seiner conservativen Reformpolitik mit Erfolg zu wirken. Die in dieser Zeit erfolgte Ernennung zum Beisitzer des Geheimen Raths-Collegii nahm er an, weil sie keine Abhängigkeit mit sich brachte.

Die Entlassung des Grafen Münster und die Ernennung des Herzogs von Cambridge verlegten den Schwerpunkt der Regierung wieder nach Hannover. Ihr zögerndes Verhalten ließ jedoch der Kammer die Initiative. Oeffentlichkeit der Verhandlungen, auf welche St. das größte, Preßfreiheit, auf die er ein mäßiges Gewicht legte, wurden beschlossen. Der vorgelegte Entwurf eines Ablösungsgesetzes erhielt durch Stüve’s Hand eine wesentlich veränderte Gestalt, in welcher er Gesetz wurde. Der von anderer Seite gestellte Antrag auf Erlaß eines Staatsgrundsetzes wurde von ihm dahin amendirt, daß dasselbe auf dem bestehenden Recht beruhen, dieses ergänzen, verbessern und durch klare Gesetzesworte [88] die Verfassung vor Angriff und Zweifeln schützen solle. Damit war die Regierung einverstanden, welche auch der Cassenvereinigung keinen Widerspruch mehr entgegenstellte. Der Entwurf des Grundgesetzes unter Dahlmann’s Mitwirkung bearbeitet, im Herbst einer gemischten Commission aus Regierungsvertretern und Ständemitgliedern zur Vorberathung vorgelegt, ließ in Stüve’s Sinne manches zu wünschen übrig. Doch gelang es ihm, inbezug auf die Bildung der Kammern und deren Rechte, die grundlegenden Bestimmungen über das Gemeindewesen, die Stellung des Staats zur Kirche, seine Hauptforderungen soweit durchzusetzen, daß das Ganze als ein acceptables Compromiß erschien. Er verfaßte einen ausführlichen Bericht darüber für die im Verein mit Dahlmann und Pertz unter des letzteren Leitung begründete Hannoversche Zeitung, welche in den nächsten Jahren auch andere Beiträge aus seiner Feder brachte. Erst im Mai 1832 wurde der von der Regierung wiederum modificirte Entwurf den neugewählten Kammern vorgelegt, in welchen die Situation durch den Eintritt radicaler Elemente inmittelst schwieriger geworden war. Es bedurfte längerer Zeit und der ganzen Entschiedenheit Stüve’s, bis es ihm im Verein mit seinen Freunden gelang, diese Geister zu bannen und die Verhandlungen auf eine praktische Bahn zu leiten. Auch dann hielt es schwer genug, dem Adel und der von diesem beherrschten Regierung, in welcher ihn nur der Geheime Cabinetsrath Rose wesentlich unterstützte, die nothwendigsten Zugeständnisse abzuringen. Während sich die oft hoffnungslosen Verhandlungen bis zum März 1838 hinzogen, vereinigten sich die Fäden derselben mehr und mehr in Stüve’s Hand, dessen ungemeine Arbeitskraft und Ausdauer bis an die äußersten Grenzen in Anspruch genommen wurde. So war das Schlußergebniß wesentlich sein und Rose’s Werk, nicht in allen Punkten den Wünschen entsprechend, aber doch eine, wie St. auch bei späterem Rückblick urtheilte, den hannoverschen Verhältnissen wol angepaßte Verfassungsform. Es war der Höhepunkt in Stüve’s Leben, der im Hinblick auf die Art und Weise, wie er die in jungen Jahren ungewöhnlichen Erfolge errungen, nicht im Unrecht war, wenn er das Wort Dante’s auf sich anwandte: A te fia bello, aver ti fatta parte per te stesso.

Das Staatsgrundgesetz sollte nach Stüve’s Meinung seine Folge und Ausführung in einer gründlichen Reform des Verwaltungswesens finden. Die Regierung ließ aber mit den zugesagten Vorlagen von Jahr zu Jahr auf sich warten und die neue Kammer, überwiegend aus Beamten bestehend, zeigte sich schwach. Der wegen der abgerungenen Concessionen frondirende Adel, unter Führung der Herren v. Schele und v. Voß, wandte seine Blicke nach dem Thronfolger, dessen Abneigung gegen die begonnenen Reformen bekannt war. St., welcher im J. 1835 zum Bürgermeister seiner Vaterstadt gewählt wurde, und dort, wenn auch nicht ohne heftige Kämpfe mit den liberalen Stadtpolitikern, ein neues fruchtbares Feld der Wirksamkeit fand, zog sich in diesen Jahren von dem unerfreulich gewordenen ständischen Leben mehr zurück und trat entschiedener erst wieder hervor, als zu Anfang 1837 die Organisationspläne der Regierung vorgelegt wurden. Hervorgegangen aus der traditionellen Anschauung des Beamtenthums, ließen sie schöpferische Gedanken nicht erkennen und befriedigten insbesondere nicht seine Erwartungen inbezug auf die ihm vor allem wichtige Reform der untersten Verwaltungsinstanz. St., welcher dafür auch in der Kammer nach deren Zusammensetzung wenig Verständniß fand, mußte sich begnügen, seine Ideen, welche schon die Keime seiner eigenen späteren Reformen erkennen lassen, in einem Votum dissensus niederzulegen, welches demnächst in den Actenstücken über den Verfassungskampf (Portfolio II, 242) abgedruckt ist.

Noch vor Abschluß der Verhandlungen erfolgte am 20. Juni der Tod Wilhelm’s IV. und die Thronbesteigung Ernst August’s, welcher alsbald die [89] Kammer vertagte, Herrn v. Schele zum Cabinetsminister ernannte und im Patente vom 5. Juli die Erklärung ins Land warf, daß er sich an das Staatsgrundgesetz nicht gebunden erachte, weitere Entschließungen vorbehaltend. St. begann alsbald die Ausarbeitung einer Staatsschrift, um darin die Angriffe gegen das Staatsgrundgesetz zu beleuchten. Da die letzteren nur in ihrer allgemeinen Richtung bekannt, Begründung und praktische Zielpunkte aber nur zu vermuthen waren, galt es, neben dem Rechtspunkt vor allem den materiellen Werth und die politische Berechtigung dieses Verfassungswerks darzuthun. Die Art, wie dies von berufenster Feder geschah, verlieh Stüve’s „Vertheidigung des Staatsgrundgesetzes“, welche im folgenden Jahre durch Dahlmann herausgegeben wurde, ihre ungewöhnliche Bedeutung. St. war noch mit der letzten Revision der Arbeit beschäftigt, als der König, Schele’s Drängen nachgebend, durch das Patent vom 1. November 1837 das Staatsgrundgesetz für erloschen erklärte und damit allen noch festgehaltenen Hoffnungen auf eine bloß materielle Revision ein Ende machte. St., den inmittelst die Göttinger philosophische Facultät beim Jubiläum auf Dahlmann’s Vorschlag zum großen Mißvergnügen des Königs als auctorem patriarum rerum gravem fortem propositi tenacem zum Doctor creiert hatte, zweifelte von Anfang an, ob das Land festhalten werde. Für ihn aber gab es weder Furcht noch Hoffnung, sondern allein den Weg der Pflicht. Diese dachte er zu erfüllen im Sinne der Bürgermeister und Syndiken von ehedem, welche furchtlos das Recht ihrer Städte und Landschaften gegen Gewaltacte der Landesherren vertreten hatten, oder des oft von ihm citirten Lampadius, der nach Spittler’s Ausdruck nicht drohen und nicht bestechen, aber bis zum unbehaglichen Gefühl des mächtigen Gewaltthätigen sein Recht vorstellen und dadurch selbst einen Oxenstierna zur Billigkeit zwingen konnte. Durch die eigene Betheiligung am Staatsgrundgesetz, überlegene geistige Kraft, Unabhängigkeit der Stellung und Gesinnung zur Führerschaft berufen, nahm er den Kampf auf, in welchem er meistens allein handelnd, damals einer der populärsten Namen in Deutschland, seine Gegner geistig besiegte, einen Erfolg aber gegenüber der Politik der Cabinete nicht erzielen konnte, welche, um den König nicht fallen zu lassen, lieber dem klaren Rechte den Schutz versagten und das Ansehen des Bundestags unwiederbringlich vernichteten. Die zahlreichen Schriften, welche St. während des Verfassungskampfs verfaßte, finden sich abgedruckt theils in den von Detmold zusammengestellten 4 Bänden des Hannoverschen Portfolio, nach Inhalt und Stil leicht kenntlich, theils in dem von Frommann herausgegebenen Deutschen Staatsarchiv. Durch unerhörte Wahlkünste, welche St. in der „Vertheidigung des Magistrats der Stadt Hannover" ans Licht zog, war es der Regierung endlich gelungen, eine beschlußfähige Kammer und mit ihr das Landesverfassungsgesetz von 1840 zu Stande zu bringen. St. war bereit, in die nach dem letzteren 1841 neugewählte Kammer einzutreten, um dort den Kampf fortzusetzen, wurde aber von dieser sowol als von der folgenden, nach erfolgter Auflösung mit neuer Willkür zusammengebrachten Kammer mit frivolen Vorwänden fern gehalten, und konnte infolge dessen bis 1848 am ständischen Leben nicht theilnehmen.

Durch eine willkürliche Urlaubsverfügung auch am Reisen verhindert, war er beschränkt auf die Geschäfte der Stadtverwaltung, in welcher ihn der erfolgreich hingehaltene Kampf mit der Regierung um die Stadtverfassung („Zwei Entwürfe zu einer neuen Stadtverfassung für Osnabrück.“ Jena, bei Frommann, 1844) fortdauernd in Anspruch nahm, und auf seine geschichtlichen Studien, welche er, die Geschichte des Hochstifts bis 1508 zum Abschluß bringend, immer mehr erweiterte und vertiefte. Zu erwähnen ist noch eine kleine im selben Jahre [90] bei Frommann erschienene Schrift: „Ueber Reformen in der Verfeissung und Verwaltung Hamburgs.“

In seinem amtlichen und persönlichen Wirkungskreise der Pflege der socialen Zustände mit Vorliebe zugethan, nahm er sich mit Eifer der Sache der Mäßigkeitsvereine an, und wirkte dafür durch Kalenderartikel, denen später die von 1852 bis an seinen Tod von ihm herausgegebenen und allein geschriebenen „Blätter gegen Bratmtwein und Berauschung“ hinzutraten.

Als zu Ende 1847 die Stände neu gewählt werden mußten, war ein einfaches Fortregieren nach dem bisherigen System schon wegen des unhaltbaren Zustandes der 1840 mit der Cassentrennung wiederhergestellten Königlichen Casse nicht möglich. St., von der Stadt Osnabrück gewählt, hatte schon die Erlaubniß zum Eintritt erhalten, als die Märzereignisse den völligen Zusammenbruch der Cabinetsregierung herbeiführten. Auf des Grafen v. Bennigsen Vorschlag entschloß sich der König, St., den er bei aller Gegnerschaft persönlich achtete und den die einhellige Stimme des Landes als die zur Leitung berufene Persönlichkeit bezeichnete, zum Ministerialvorstand des Innern zu ernennen, während Schatzrath Lehzen die Finanzen, Cabinetsrath Braun den Cultus, Justizrath v. Düring die Justiz übernahm. Das Ministerium, aus vorzüglichen Capacitäten sehr glücklich zusammengesetzt, wie das feste Zusammenstehen seiner Mitglieder während und nach ihrer Amtsführung zeigte, übernahm die Geschäfte am 22. März mit einer Proclamation, welche aus dem Bereiche der Phrasen sofort auf den Weg praktisch greifbarer Reformen hinführte. Diese mit fester Initiative sofort für die Stände, deren Zusammentritt unmittelbar bevorstand, vorzubereiten, war die Aufgabe. Es gelang mit äußerster Aufbietung der Kräfte, namentlich Stüve’s, der in diesen Tagen Erstaunliches leistete. Mit der im Ganzen gut zusammengesetzten Kammer – ein Rückgriff auf das formale Recht des Staatsgrundgesetzes war jetzt praktisch nicht mehr in Frage zu ziehen – konnten nun nach rascher Unterdrückung einer vereinzelten, in Hildesheim ausgebrochenen Revolte, unbeirrt durch den Lärm der Volksversammlungen die nothwendigsten Reformen zunächst auf dem Gebiete der Verfassung in verhältnißmäßiger Ruhe vereinbart werden, und zwar unter strenger Einhaltung der im Landesverfassungsgesetze dafür vorgeschriebenen erschwerenden Form. Die Gefahr der Revolution war damit für Hannover beschworen, Dank der eigenthümlichen Fügung, daß hier als Haupt der bisherigen Opposition, und deshalb auch von den Liberalen auf den Schild erhoben, ein Mann an die Spitze trat, der seine Popularität in dem ihn ganz durchdringenden Sinne einer conservativen Reformpolitik verwerthen konnte. Wenn er hiebei, durch den Druck der Zeitströmung genöthigt, in einigen Beziehungen über das Ziel seines ursprünglichen Programms hinauszugehen sich verstand, insbesondere inbezug auf das übrigens vom Adel selbst preisgegebene Standschaftsrecht der Ritterschaften in erster Kammer, und er schon damals nicht die darin liegenden Bedenken verkannte, so bewegte sich doch das Verfassungsgesetz vom 5. September 1848, im Vergleich zu den meisten übrigen Verfassungsbildungen der damaligen Zeit in sehr maßvollen Linien.

Die Hoffnung auf einen ähnlich befriedigenden Gang in der Entwicklung der deutschen Angelegenheiten wurde durch den in der Paulskirche alsbald herrschend gewordenen Geist und die Schwäche der Regierungen hinfällig. Von der Nothwendigkeit einer dem materiellen Bedürfnisse entsprechenden Ausgestaltung der Bundesverfassung längst und tief durchdrungen, sah St. doch auf dem dort betretenen revolutionären Wege kein Heil. Daß er sich nicht scheute, dies mit Entschiedenheit auszusprechen und dem Principe der Volkssouveränität gegenüber dasjenige der Vereinbarung zu betonen, brachte ihn in scharfen Conflict [91] mit der Frankfurter Versammlung und den Liberalen des eigenen Landes. Das „Schreiben Stüve’s an seine Wähler in Osnabrück“, im Juli geschrieben, im folgenden Januar als Broschüre gedruckt, enthält seine Gedanken über die Frankfurter Bestrebungen, wie über die Aufgaben der inneren Politik. Der Conflict verschärfte sich im Winter durch seinen Widerspruch gegen die sofortige Publication der Grundrechte. Da diese Forderung auch in der neuen, durch liberale Elemente verstärkten Kammer die Majorität fand, kam es im Februar zu einem Entlassungsgesuch der Minister, welches aber zurückgewiesen wurde, nachdem die Opposition sich unfähig erwiesen, ein neues Ministerium zu bilden und folgeweise zu einer Auflösung der Kammer, worauf das Land sich umsomehr beruhigte, als der Fortbestand des Ministeriums dem allgemeinen Wunsche entsprach. Nachdem das Reformwerk von Preußen aufgenommen worden, übernahm St., wenn auch ungern, die Vertretung Hannovers bei den Berliner Verhandlungen, in der Meinung, daß kein Versuch zurückgewiesen werden dürfe, welcher Aussicht biete, die verfahrenen deutschen Verhältnisse auf einen haltbaren Stand zurückzuführen, war aber der zweideutigen Radowitz’schen Politik gegenüber so vorsichtig, in der Vereinbarung vom 26. Mai (vgl. darüber seine gleichzeitige anonyme Schrift: „Das Bündniß der drei Königreiche“. Leipzig, Brockhaus, und die Mittheilung an die Kammer vom 10. December 1849) den Rücktritt für den Fall vorzubehalten, daß der Anschluß Süddeutschlands nicht erreicht, das Ergebniß also nicht die Einigung Deutschlands, sondern die Mainlinie werde. St., welcher Preußens Verdienst um Deutschlands Einigung durch die Gründung des Zollvereins stets hoch anerkannt hatte, verfolgte seit jenen Verhandlungen die preußische Politik mit Mißtrauen. Seine eigenen Ideen über eine mögliche Entwicklung der Bundesverfassung mit Vorbehalten für Oesterreich enthält eine im folgenden Winter geschriebene Broschüre: „Deutschlands Bedürfnisse; Sendschreiben an einen Frankfurter Reichstagsdeputirten“, deren volles Verständniß freilich Kenntniß eines Entwurfs voraussetzt, welchen der König im Herbst 1849 dem Fürsten Schwarzenberg hatte mittheilen lassen, ohne einen Erfolg zu erzielen.

Durch den Conflict mit der Kammer war für die organisatorische Gesetzgebung, welche das Ministerium alsbald nach Abschluß der Verfassungsrevision in Angriff genommen hatte, kostbare Zeit verloren gegangen. Der umfassende Complex von Entwürfen konnte nicht mehr 1849 sondern erst 1850 zur Verabschiedung mit den Ständen gelangen, zu einer Zeit, als die Stellung der Minister schon erschüttert war. Stüve’s Organisationsplan begriff in einer Reihe von Entwürfen über die Einrichtung der Landdrosteien und Provinziallandschaften, Aemter und Amtsvertretungen, Städteordnung und Landgemeindeordnung, das ganze Gebiet der allgemeinen Landesverwaltung. Hinzu treten umfassende Entwürfe über Specialgegenstände, Wasserbauwesen und Wegeordnung. Sein Grundgedanke war: Beschränkung der Staatsverwaltung auf ihre nothwendige Thätigkeit, und Sammlung aller im Volksleben vorhandenen Kräfte unter natürlicher Führung der aus dem unnatürlichen Gegensatz zu den Gemeinden befreiten Aristokratie zu einem den Behörden auf allen Stufen organisch angeschlossenen System der Selbstverwaltung. Die mit sicherer Hand gezeichneten Reformpläne, eine gereifte Frucht schöpferischen Geistes, wurden vom Lande freudig begrüßt und von den Kammern ohne wesentliche Aenderungen acceptirt. Allein beim Könige, in dessen Umgebungen das Spiel der Einflüsterungen begann, gewannen Stimmen Gehör, welche sie als demokratisch bezeichneten. Das Verlangen nach Wiederherstellung der Adelskammer wurde lauter. Der König begann den Ministern in ihrer Verwaltung Schwierigkeiten zu machen, welche mit Entlassungsgesuchen beantwortet wurden. Wiederholte Trennungs- und [92] Ausgleichsversuche, sowie die Schwierigkeit der Nachfolgerschaft eines so populären Ministeriums verschleppten die Entscheidung monatelang, bis endlich im October 1850 einige politische Freunde Stüve’s, denen letzterer seinen herben Tadel über eine solche Schwäche nicht vorenthielt, zu einer Combination gewonnen wurden, welche den altersschwach gewordenen König aus der Verlegenheit zog, und den Faiseurs in und außer Landes das Feld für ihre Action frei machte. St. lehnte die ihm angebotenen Stellen im Staatsdienst ab und kehrte in seine Heimath zurück, wo er neben einer vielseitigen Thätigkeit im bürgerlichen Leben und in der Stadtvertretung seine politischen und geschichtlichen Studien wieder aufnahm. Die erste Frucht derselben war seine bedeutende Schrift: „Wesen und Verfassung der Landgemeinden und des ländlichen Grundbesitzes in Niedersachsen und Westphalen“. Es folgte die „Geschichte des Hochstifts bis zum Jahre 1508“, erschienen 1853. In der Kammer lieh St. den Nachfolgern der Märzminister zunächst seine Unterstützung, um von den Organisationen so viel zu retten wie möglich, mußte jedoch darauf verzichten, nachdem er sich überzeugt, daß sie sich von seinem Grundgedanken der Selbstverwaltung immer mehr entfernten, und legte nach einer scharfen Auseinandersetzung hierüber mit Herrn v. Münchhausen im Sommer 1851 sein Mandat nieder. Unter dem Ministerium des jüngeren Schele auf Wunsch seiner Freunde als Vertreter Mündens wieder eingetreten, übernahm er das politische Referat über den Septembervertrag, den er, obwol von jeher Freund des Zollvereins, unter den obwaltenden Umständen zwar nicht ablehnen konnte, aber doch als einen politischen Fehler betrachtete, zumal er die Hoffnung, dafür Preußens Unterstützung gegen die inmittelst beim Bunde anhängig gemachten ritterschaftlichen Beschwerden zu finden, nicht theilte. Auf Wunsch der Minister, unter denen ihm Herr v. Schele nach Charakter und Gesinnung sympathisch, Herr v. Hammerstein als sein früherer Generalsecretär befreundet war, wirkte St. in vertraulichen Conferenzen bei Ausführung der Organisationen mit, soweit diese noch in Frage kamen, bemühte sich auch ernstlich um eine Verständigung zwischen Regierung und Kammer über einen Ausweg zur Beseitigung der von Frankfurt drohenden Gefahr; freilich erfolglos, weil die Minister die durch seinen Einfluß hergestellte günstige Disposition der Kammer nicht entsprechend benutzten. Entmuthigt durch den Fehlschlag nahm er gleichwol nach der Session im Herbst 1852 nochmals das Wort, um sich in der Broschüre „Ueber die Hannoversche Verfassungssache. Ein Sendschreiben an die Wahlmänner der Stadt Münden“ sowol über die Grundgedanken des Verfassungswerks von 1848, als über die Möglichkeit und Ziele einer Revision auszusprechen, konnte sich aber doch neuen Revisionsvorschlägen gegenüber nicht entschließen, wiederum eine Vermittlerrolle zu übernehmen, zu Gunsten von Propositionen, die er nur halb billigte und die ihm auch eine definitive Sicherung der Landesverfassung nicht verbürgten. Ueberdies durch dringende Geschäfte des 1852 wieder übernommenen Bürgermeisterpostens gebunden, blieb er diesmal den Kammerverhandlungen fern, entgegen dem Wunsche seiner Collegen, welche ihrerseits der Linken gegenüber nicht durchzudringen vermochten. An der Starrheit der letzteren scheiterte auch im folgenden Jahre ein Versuch Stüve’s, aus der neuen Kammer durch Wiederaufhebung des voreilig vom Ministerium v. Münchhausen publicirten Provinziallandschaftsgesetzes den Hauptpunkt der ritterschaftlichen Beschwerden aus dem Wege zu räumen. Das Ministerium v. Lütcken verzichtete auf weitere Kompromißversuche, und provocirte durch Ueberreichung der Zimmermann’schen Schrift die Entscheidung des Bundestags. Nach Bekanntwerden jenes Schrittes vereinigten sich die Märzminister nochmals zu einer von St. redigirten Vorstellung beim Könige und überreichten dem Bundestag die von Lehzen unter eingreifender Mitwirkung Stüve’s verfaßte, als Broschüre [93] gedruckte „Beleuchtung der K. Hannoverschen Denkschrift“. An der abgemachten Sache konnten beide Schritte nichts mehr ändern. Durch die Beschlüsse vom 12. und 19. April 1855 gab der Bund zum zweiten Male das Recht des Landes preis. In der unter dem Druck dieser Beschlüsse zur Berathung neuer Propositionen berufenen Kammer übernahm St. nochmals die Führung, setzte zum allgemeinen Erstaunen zunächst die Bewilligung des Budgets durch und formulirte dann als Referent des Verfassungsausschusses seine Anträge, welche die Verfassungsrevision nicht ablehnten, aber in der Begründung eine vernichtende Kritik der Regierung enthielten. Die letztere unterbrach die eben begonnene Verhandlung durch Vertagung, welcher die Octroyirungen auf dem Fuße folgten.

Stüve’s politische Laufbahn war damit zu Ende. Von den folgenden Ständeversammlungen wurde er durch Urlaubsverweigerung ferngehalten. Ein Vorgehen wie 1837 war diesmal, da der Bund bereits gesprochen, von vornherein aussichtslos. Auch die spätere Zeit bot ihm keinen Stützpunkt für erneutes Eingreifen. Agitation in Vereinen und Versammlungen, politisches Parteitreiben überhaupt war niemals seine Sache gewesen. Seiner nächsten politischen Freunde durch den Tod beraubt, seiner Vergangenheit nach außer Stande, sich der jüngeren liberalen Schule, welche demnächst die Führung der Opposition übernahm, in der Gesammtheit der politischen Anschauungen anzuschließen, überdies durch zunehmende Amtsgeschäfte gefesselt, stellte er sich den politischen Ereignissen gegenüber mehr und mehr auf den Standpunkt des aufmerksamen aber unbetheiligten Beobachters. Konnte er sich doch auch mit Beruhigung sagen, daß die wesentlichsten Theile seines jugendlichen Programms, der jetzigen Rückschläge unerachtet, zum Vortheil des Landes verwirklicht blieben. Auch nach Beseitigung des Ministeriums v. Borries mochte er sich zur Uebernahme eines Mandats nicht entschließen. Sein städtisches Amt, ursprünglich nur provisorisch zur Hülfe aus augenblicklicher Verlegenheit übernommen, erforderte das Opfer von 12 Lebensjahren, bis er sich Ende 1864 zur Niederlegung entschloß. Oftmals unerquicklich durch die Unterstellung unter Männer wie v. Borries und v. Lütcken, wie auch durch unnöthige Parteiungen in der Bürgerschaft, bot es ihm doch eine in vieler Hinsicht dankbare Beschäftigung und in Verbindung mit dem Vorsitz im landwirthschaftlichen Verein, wie früher einen Stützpunkt für sein sociales Wirken, dem er als wahrer Bürger- und Bauernfreund selbstlos und unermüdlich seine Kräfte widmete. Erholung fand er, wie in jüngeren Jahren, in seinen immer ausgedehnteren historischen Studien. Litterarische Früchte derselben sind eine Reihe von Aufsätzen in der Zeitschrift des historischen Vereins, eine Monographie über „die Gogerichte in Niedersachsen und Westphalen“ (1870) und die Fortsetzung der Geschichte des Hochstifts, von welcher der zweite Band mit einer lesenswerthen, den Kern seiner politischen Anschauung nochmals zusammenfassenden Vorrede, unmittelbar nach seinem Tode im Druck vollendet, der dritte später aus seinem Nachlaß herausgegeben wurde.

Die Ereignisse des Jahres 1866 fanden St., der sich über die drohende Gefahr nach den seit 1851 begangenen Fehlern niemals getäuscht hatte, resignirt. Er veröffentlichte eine kleine „Denkschrift zur Beurtheilung der Veränderungen welche in den Verhältnissen Hannovers durch die Vereinigung mit Preußen hervorgebracht worden“, war aber zufrieden, unter den neuen Verhältnissen zu einer praktischen Wirksamkeit nicht mehr berufen zu sein, und enthielt sich, eine Wahl zum Reichstage ablehnend, auch der Theilnahme an den Agitationen der folgenden Jahre. In seinen städtischen Ehrenämtern, auch im Bürgervorstehercollegium blieb er bis zu seinem Ende thätig.

St. war unverheirathet geblieben, nahm aber, mit dem älteren Bruder († 1871 als Director des Rathsgymnasiums) im väterlichen Hause wohnend, [94] bis zu seinem Tode an dessen Familienkreise theil. Von Statur klein und zierlich, besaß er eine erstaunliche Arbeitskraft, deren unermüdliche Bethätigung durch eine zuverlässige, in der Jugend gestählte und durch ein äußerst mäßiges Leben erhaltene Gesundheit unterstützt wurde. Auch als nach einer schweren Erkrankung im J. 1869 ein zunehmender Verfall der Körperkräfte sich bemerkbar machte, blieb die geistige Kraft ungebrochen, bis am 16. Februar 1872 ein sanfter Tod seiner Arbeit und seinem Leben ein Ziel setzte. Im J. 1882 wurde ihm vor dem Rathhause in Osnabrück ein Denkmal gesetzt, dessen Sockel als Inschrift die Goethe’schen Worte trägt, die er sich in der Zeit jugendlichen politischen Strebens als eine Art Richtschnur gewählt hatte: „Frei gesinnt, sich selbst beschränkend, immerfort das Nächste denkend, nie vom Weg dem geraden weichend, und zuletzt das Ziel erreichend.“


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: biherigen