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CCXXXXV. Der Dürrenstein Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCXXXXVI. Constanz
CCXXXXVII. Banz und Vierzehnheiligen in Baiern
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CONSTANZ
und das Panorama der Alpen

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CCXXXXVI. Constanz.




Welch ein Anblick, wenn man von den letzten Höhen Schwabens den ganzen Spiegel des Bodensees sammt seinen Busen und segensreichen Gestaden ausgebreitet vor sich sieht, im Glanze der Morgen- oder Abendsonne; oder wenn der brausende Föhn den strudelnden, schreienden See peitscht und taumelnde Schiffe, wie leichte Elfen, auf den schäumenden Wogen tanzen. Ist auch der Anblick des Meeres, oder des Himmels, indem das Unbegrenzte, das Unendliche das Vergnügen des Nachdenkens in das des Beschauens mischen, viel erhabener; so macht der des Bodensees durch seine Einfassung, seine lachenden Gestade doch heiterer und froher. Alle Vorlande des Sees siehst du bedeckt mit Städtchen, Schlössern, Klöstern und Dörfern und mit unzähligen kleinen Landsitzen; – dazwischen breiten sich Gärten und Auen aus, dahinter die prächtigen Wälder, die Vorberge der Alpen, die Arlberge, der 7700 Fuß hohe Sentis, und den Rahmen dieses Panorama’s geben die Appenzellener Schneeberge, die glänzenden, leuchtenden, strahlenden Firnen der Graubündtner Kette. Kein Wunder, daß dies herrliche Binnenmeer die benachbarten Staaten mit magnetischer Kraft an sich zog, und es auf der Karte Europa’s gleichsam der Mittelpunkt ist, in dem die Länderfarben zusammenlaufen. Oesterreich, Baiern, Würtemberg, Baden und drei Schweizerkantone theilen sich in seine Gestade und Frankreich streckt seine Arme verlangend darnach aus. Doch so viele Wappenadler auch an seinen Ufern horsten: auf dem See selbst wohnt die Freiheit. Jeder Versuch des einen oder des andern Uferstaats, eine Oberherrschaft über den See zu erlangen, schlug fehl an der Eifersucht der übrigen.

Constanz ist die Hauptstadt des Bodensees, und gab diesem einen seiner beiden Namen. Malerisch liegt es an dem, die beiden ungleichen Theilen des Sees (oberer und unterer See) verbindenden Arme. Der Ort, in bessern Tagen freie Reichsstadt, jetzt Baden gehorchend, zählt nur fünftehalb tausend Bewohner: – einst hatte er 30,000!

Begünstigt durch seine Lage, könnte Constanz die erste Handelsstadt Süddeutschlands und der Schweiz seyn; sie könnte noch immer das seyn, was sie gewesen ist: eine Königin der Städte. Aber öde sind jetzt ihre düstern Straßen, das Gras wächst auf ihren Plätzen, sie verfällt und verarmt mitten in einem Paradiese, als ruhte ein Fluch auf ihr ob der Gräuel, welche einst in ihr geschehen. –

[33] Constanz’s Glanz war am höchsten zu der Zeit, als es den zahlreichsten Congreß von Kirchenfürsten herbergte, der sich jemals irgendwo versammelt hat. Das weltberühmte, und in seinen Folgen so wichtige Constanzer Conzil dauerte von 1414–1418, vier volle Jahre. Alle christlichen Völker sandten ihre geistlichen Oberpriester; – der Pabst selbst kam mit einem Gefolge von 600 Personen, fünf Patriarchen mit 118, drei und dreißig Cardinäle mit 150, sieben und vierzig Erzbischöfe mit 1500, hundert und sechzig Bischöfe mit 1600, fünf hundert weltliche Fürsten und Grafen mit 1700 Rittern und mit einer Dienerschaft von 5000 Personen. Die Universitäten schickten über 1000 Doktoren und Magister, und die Zahl der anwesenden Weltpriester überstieg 4000. Was, beim Besitz der Mittel, Genuß und Vergnügen suchte, oder, als Werkzeug für das eine oder das andere, auf Erwerb spekulirte, das ging nach Constanz, von dem es zu jener Zeit hieß:

In Constanz siehst du
     Die fettsten Bäuche
     Aller Reiche.

 

An allen Ecken
     Da treiben sie wüste
     Sodom’sche Lüste.

Schon jene Zahlen sind hinreichend, um eine Vorstellung von dem luxuriösen Leben zu geben, von welchem Constanz damals der Mittelpunkt war; aber keine Vorstellung erreicht das, was die alten Chroniken davon berichten. Geistliche Umzüge wechselten mit Turnieren, Saufgelage und Schmausereien mit Oratorien, Comödien mit den feierlichen Sessionen der versammelten geistlichen und weltlichen Fürsten. Der See selbst wurde zum Schauplatz des Vergnügens. Bald ergötzten Lustfahrten, bald Stechrennen und Gastereien, die auf besonders dazu gezimmerten großen Flössen gehalten wurden. Die englischen Kardinäle verschrieben ihre Mysterienspieler; aus Venedig und Genua berief man Gauklerbanden und Tänzerinnen aus Palermo und Neapel. 3000 Geiger und Musikanten ließen der Lust und ihrem Taumel kein Ende finden. Jeder Tag hatte ein neues Fest und erfand neue Genüsse. Und inmitten dieses Treibens ward zu Gericht gesessen über die wichtigsten Angelegenheiten der Kirche und aller christlichen Völker, wurden zwei Päpste entthront, ein dritter zur Abdankung genöthigt, ein vierter, in der Person Martin des Fünften, gewählt. Mehre Erzbischöfe wurden von ihren Sitzen verwiesen, weltliche Herrscher gedemüthigt und zur Anerkennung der geistlichen Obergewalt gezwungen. Der Glanzpunkt aber des Conzils war das Verhör und die Verurtheilung jenes Mannes, dessen flammendes Lebensabendroth der Welt einen schönern Tag weissagte. –

Prag, damals der Hauptsitz der Gelehrsamkeit und Bildung, mit einer Universität, die eine kaum glaubliche Frequenz genoß, hatte an Huß einen Mann erzogen, der auf dem Catheder, wie auf der Kanzel, Ruhm ärndtete. Unbescholtenen Wandels und von strenger Tugend, war sein unablässiges Streben auf die [34] Erforschung der Wahrheit gerichtet, und seine umfassende Gelehrsamkeit diente diesem Zweck als Mittel. Als Beichtvater der Königin Sophia wurde er mit den Schriften Wikleff’s bekannt, die zu lesen der Papst hart verpönt hatte. Die Lehren dieses großen Mannes, deren Wahrheiten die Bibel belegt, erfüllte Hussen’s Seele mit dem Vorsatze, der ausgearteten Kirche die Einfachheit und Reinheit des schriftmäßigen Christenthums wiederzugeben. Er begann sein apostolisches Wirken damit, daß er öffentlich gegen die Mißbräuche in kirchlichen Sachen predigte und die Nothwendigkeit einer Reform behauptete.

Die Zeit war günstig. Das große Schisma, das Verketzern von Päpsten und Gegenpäpsten wider einander, hatte das kirchliche Oberhaupt vom Heiligenscheine entkleidet und die Blößen von Priesterherrschaft aufgedeckt. Adel und Volk in Deutschland, besonders aber in Böhmen, dem damaligen Sitz der Aufklärung, waren durch einige helle Köpfe, welche als Vorläufer der Huß’schen Lehre galten, gegen die willkührlichen Satzungen des Papstthums eingenommen und an freiere Urtheile gewöhnt. König Wenzel begünstigte den antipapstistischen Geist aus politischen Gründen und aus Neigung für den geachteten Huß. Dieser durfte daher die verwilderten Sitten der Priester öffentlich rügen und wider den Ablaßkram des Papstes in Böhmen predigen: er sagte nichts Neues, wenn er Seelenmessen, Bilderdienst, Mönchsleben, Ohrenbeichte, Fasten u. d. gl. für Erfindungen des geistlichen Despotismus und Aberglaubens, und die Vorenthaltung des Kelchs beim Abendmahle für schriftwidrig erklärte. Der neue Papst, Alexander der Fünfte, forderte ihn endlich nach Rom, und da sich Huß nicht stellte, übertrug jener dessen Verfolgung dem Erzbischofe von Prag. Solcher, ein eifriger, orthodoxer Priester, begann damit, die Wickleff’schen Schriften überall, wo er ihrer habhaft werden konnte, wegzunehmen und öffentlich zu verbrennen. Huß sollte nicht mehr predigen. Der aber kehrte sich nicht daran, sondern schickte ein paar Freunde nach Rom, um den Erzbischof beim päpstlichen Stuhle zu verklagen. Statt sie zu hören, ließ sie der Papst verhaften. Oeffentlich denunzirte nun Huß das päpstliche Verfahren als dem apostolischen Geiste zuwider, und appellirte an ein allgemeines Conzil. Der Papst schleuderte dagegen auf Huß den Bannstrahl und belegte Prag mit dem Interdikt. Huß, den Wankelmuth Wenzels fürchtend, entfernte sich aus Prag und schrieb die merkwürdigen 6 Bücher gegen die 6 Irrthümer der katholischen Kirche, und als er bald darauf wieder, furchtlos und entschiedener wie früher, als antipapstistischer Prediger auftrat, gewannen die Hussischen Lehren in immer weitern Kreisen Anhänger und mächtige Freunde.

Jetzt erhielt er von dem in Constanz versammelten Conzil eine förmliche Ladung, sich vor den christlichen Oberhirten aller Nationen und vor Kaiser und Reich über seine Glaubensgrundsätze zu rechtfertigen. Kaiser Sigismund verband die Ladung mit der feierlichen Zusage sichern Geleits zur Hin- und Rückreise, und auch der Papst Johann XXIII. versprach ihm das nämliche. Huß bedachte sich keinen Augenblick und erklärte, er sey bereit, sofort mit den Gesandten des Conzils abzureisen. Seine Freunde, König Wenzel selbst, riethen ihm ab; doch vergeblich. Als [35] Huß sich nicht halten ließ, gab ihm der König den Grafen Chotum und 2 Ritter zur Begleitung, und machte letztere für die persönliche Sicherheit des furchtlosen Apostels der Wahrheit verantwortlich. Mehre böhmische Großen, Anhänger der Hussischen Lehre, besorgt um ihren Lehrer, folgten und erboten sich ihm zum Beistand in jeglicher Gefahr. Es war am 4. November 1414, als Huß unter dem wilden Geschrei einer unermeßlichen, von seinen Gegnern aufgeregten Volksmenge in Constanz Einzug hielt. Er war geeignet, auch den Muthigsten zu entwaffnen und ihn mit trauriger Ahnung von dem Schicksale zu erfüllen, das ihn erwartete. Zudem war Huß unterwegs krank geworden. Aber seine starke Seele achtete aller dieser Widerwärtigkeiten nicht, und sogleich nach seiner Ankunft verlangte er vom Papste öffentliches Verhör vor dem versammelten Conzil. – Es wurde verweigert. Drei Wochen blieb Huß ohne Gehör, aber preisgegeben den Beschimpfungen und dem Spotte eines gut bezahlten, aufgehetzten Pöbels. Erst am 24. November bekam er eine Ladung, vor den geheim-versammelten, anwesenden Kardinälen zu erscheinen. Huß, krank, ließ sich in einer Sänfte hintragen und vertheidigte seine Grundsätze mit erschütternder Salbung; aber, anstatt ihn zu widerlegen, befahlen die Kirchenfürsten seine Verhaftung. Sie wurde in ihrer Gegenwart vollzogen und Huß in den Kerker geworfen.

Hier schmachtete der kranke Glaubensheld 7 Monate. Endlich, auf die immer dringlichere Verwendung König Wenzel’s und der böhmischen Großen, anberaumte man ein feierliches, öffentliches Verhör des Verketzerten vor dem versammelten Conzil und in Gegenwart des Kaisers und der Reichsfürsten. Mit ruhiger, fester Stimme sprach Huß seine Glaubenssätze aus und vertheidigte sie in drei auf einander folgenden Tagen mit der Begeisterung, welche die Wahrheit allein einhaucht. Die infulirten Väter der Kirche, unfähig ihn zu widerlegen, übertäubten ihn mit Vorwürfen, und das Ende dieser schmachvollen Scene war die Forderung unbedingten, sofortigen Widerrufs von Allem, was er gelehrt hatte, und reuevolle Rückkehr zu den von ihm bestrittenen kirchlichen Satzungen. Ruhig erklärte Huß sein Unvermögen, ein solches Verlangen zu erfüllen, bevor man ihm nicht das Irrige seiner Meinungen bewiesen. Da schrie die Versammlung, gleichsam verabredet, Zeter über ihn, und verdammte ihn, ale einen unverbesserlichen Ketzer, zum schrecklichen Feuertode. Huß hört schweigend das Urtheil; drauf wendet er sich gegen die weltliche Fürstenbank, nähert sich dem Throne des Kaisers und verlangt, würdevoll, das versprochene sichere Geleit. Die Röthe der Schaam überflog des Kaisers Antlitz, Aller Augen hefteten sich auf Siegismund; in diesem Momente drang von der Straße herauf Pöbelgeschrei: – „zum Scheiterhaufen mit dem Ketzer!“ Und, „zum Scheiterhaufen mit ihm!“ hallte im Saale es wider.

Ketten klirrten, und 6 Henkersknechte traten ein, den Verdammten zu fesseln; denn noch an dem nämlichen Tage sollte das Urtheil vollzogen werden. Huß bat um eine kurze, einsame Stunde für Gebet und Andacht; er bat [36] vergebens. Man behing ihn mit bunten Lumpen, band ihm eine Teufelslarve vor’s Angesicht und stellte ihn aus, damit die rohe Menge Spott und Schimpf mit ihm treibe. Als nun die Vorbereitungen zur Hinrichtung getroffen waren, da wurde der Märtyrer auf einen mit Teufelsfratzen und den Vorstellungen höllischer Strafen bemalten Karren gesetzt und unter dem herzlosen Jauchzen der Menge hinausgeführt nach seinem Golgatha, jener Anhöhe am See, wo des Märtyrers Eiche grünt! Dem Karren folgten 1000 Priester und eine Anzahl weltlicher Fürsten in feierlichem Aufzuge; ihnen nach und zur Seite drängte die Menge zu Tausenden. Es war zu der Zeit gerade eine totale Sonnenfinsterniß, einen Umstand, den man benutzt hatte, um auf das abergläubische Volk zu wirken. Langsam bewegte sich der Zug in dem schauerlichen Zwielichte, und die Sonne stand, blutigroth und strahlenlos tief am Horizont, als man anlangte. Hoch und breit war der Holzstoß aufgerichtet, Pechkränze umhingen ihn und in der Mitte erhob sich aus sorgfältig geschichtetem, harzreichen Kienholze eine Plattform, aus deren Mittelpunkte ein Mast emporragte. Oben standen die Henkersknechte und winkten. Festen Trittes bestieg Huß die Leiter. Noch einmal wurde er durch den Oberprofoß aufgefordert, zu widerrufen. Huß lächelte und antwortete nicht. Nun packten ihn die Henker, rissen ihm die Kleider vom Leibe und banden ihn mit rostigen Ketten nackt an den hohen Marterpfahl. Zürnend aber trat ein Bischof aus der Schaar der Priester und befahl, ihn rückwärts zu binden; denn man habe das Haupt des verfluchten Ketzers nach Osten gerichtet, wie das gemeiner Verbrecher, – aber ein Ketzer sey nicht werth, nach Osten zu schauen. Die Henker gehorchten. Indessen war der Schatten von der Sonne gewichen und ihre volle Scheibe leuchtete dem Betenden in’s Antlitz. Schon naheten die Henkersknechte mit den zündenden Fackeln; – da ritt der Graf von Pappenheim, der Reichsmarschal, heran und rief dreimal mit lauter Stimme: „O Huß, widerrufe und rette dein Leben!“ – Huß aber antwortete: „Ich sterbe in der Wahrheit. Ehre sey Gott in der Höhe von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!“

Jetzt berührten die Fackeln die Pechkränze und ein weiter Flammenkreis umwirbelte den Märtyrer. Als die Flammen aufschlugen, brach das Volk in ein Freudengeschrei aus. Immer näher umflatterte die Lohe das Opfer; da wurde es stille in der unermeßlichen Menschenmenge, als stürbe ihre rohe Natur; – und eine weiche, zitternde Stimme durchdrang den Flammenkreis. Huß sang eine Hymne. Enger und immer enger umschloß ihn die Gluth, immer leiser tönte die Stimme. Da spaltete ein Windstoß den feurigen Vorhang, und noch einmal sah die Menge die Gestalt des Gemarterten. Hoch erhob er die betend gefalteten Hände, und das verklärte Auge war nach dem Himmelsblau gerichtet. Fest hing es an einer Stelle, als erschauete er dort den Unendlichen. Ein stiller Glanz war ausgegossen über sein Antlitz, das Land der Seligen schien aufgedeckt vor seinen Blicken, und unter den Qualen des Körpers schwelgte sichtbar seine Seele im Vorgenuß des Himmels. Es war [37] nur ein Augenblick, der nächste umhüllte den Vollendeten mit dem Flammenschleier – und bald leuchtete die untergehende Sonne nur noch einem glimmenden Haufen. Als Alles vorüber war, da scharrten die Henker die Asche zusammen und streuten sie, unter den Verwünschungen der Priester, in den Rhein. –

Vieles ist noch in Constanz, was den Fremden an diese Tage und ihre Greuel erinnert. Im Conziliensaal (im ehemaligen Carthäuserkloster, das jetzt ein Fruchtmagazin ist), sieht man noch die hölzernen Thronstühle des Kaisers und des Papstes; die Wände sind noch mit Trümmern der alten Tapeten behangen; der Schemel, auf dem Huß geknieet, ist noch da, und die Bibel, welche er bei seiner Vertheidigung gebraucht hat. Den Ort, wo Huß gestanden, als man den Stab über ihn gebrochen, bezeichnet eine in den Fußboden eingelassene messingene Platte.