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Zwischenkieferknochen

(Weitergeleitet von Praemaxillare)

Der Zwischenkieferknochen, auch das Zwischenkieferbein oder kurz Zwischenkiefer (lateinisch Praemaxillare, kurz für Os praemaxillare; auch Os intermaxillare, Os incisivum[1] oder Goethe-Knochen[2][3]) genannt, ist ein paariger, die oberen Schneidezähne tragender Knochen bzw. Knochenteil des Gesichtsschädels von Säugetieren und grenzt an das Nasenbein (Nasale) und das Oberkieferbein (Maxillare). Dass auch der Mensch über einen embryonal angelegten Zwischenkieferknochen verfügt, erkannte und publizierte auch Johann Wolfgang Goethe.

Schädel eines Schafes:
Zwischenkieferbein farbig markiert

Beim Menschen verschmilzt der durch mehrere Knochennähte unterteilte und begrenzte Zwischenkiefer schon vor der Geburt mit dem Oberkiefer und wird daher nicht als eigener Knochen beim Erwachsenen aufgeführt. Bei den übrigen Säugetieren bleibt die als Sutura incisiva (genannt auch Sutura Goethei) bezeichnete Naht zum Oberkieferbein lange sichtbar. Dies hängt damit zusammen, dass die vordere Gesichtsregion beim Menschen stark verkürzt ist, wodurch der Oberkiefer nur senkrecht druckbeansprucht wird (gemäß Marinelli 1929).

Am Zwischenkieferknochen werden ein Körper (Corpus) und drei Fortsätze unterschieden:

  • Processus alveolaris (Zahnfachfortsatz): Er beherbergt die Zahnfächer der Oberkieferschneidezähne (Incisivi) jeder Seite, es sei denn, es gibt keine solchen Zähne (Wiederkäuer). Daher auch der lateinische Name Os incisivum.
  • Processus nasalis (Nasenfortsatz): nach hinten und oben, bildet (Ausnahmen: Mensch, Raubtiere) mit dem Nasenbein einen nach vorn offenen Einschnitt (Incisura nasoincisiva)
  • Processus palatinus (Gaumenfortsatz): bildet den vorderen Teil des harten Gaumens. Zwischen beiden Ossa incisiva verläuft ein Gang, der Ductus incisivus, der Mund- und Nasenhöhle verbindet.

Das paarige Praemaxillare entstand bei den Osteichthyes aus mehreren bezahnten Mundrandknochen (→ Amia) zusätzlich zum „alten“ Oberkiefer der Haie. Bei abgeleiteteren Teleostei wird es zum alleinigen Träger von Zähnen im oberen Mundhöhlenbereich. Bei den von Rhipidistia abstammenden Landwirbeltieren kann das Praemaxillare wegen des Schnappens im viel dünneren Medium Luft und des Kauens keine derartige Vormachtstellung erlangen (Bruchgefahr).

Johann Wolfgang von Goethe nahm für sich in Anspruch, den bei Tieren bereits bekannten Zwischenkieferknochen im März 1784 gemeinsam mit Justus Christian Loder im Anatomieturm in Jena beim menschlichen Embryo entdeckt zu haben. (Demzufolge und anlässlich seiner Publikation darüber wurde Goethe in die Academia Leopoldina in Halle aufgenommen[4].) Ihm war nicht bekannt, dass der Knochen zuvor schon mehrfach beschrieben worden war, zuletzt 1780 (im Druck erst 1784) durch den französischen Arzt Félix Vicq d’Azyr.[5][6][7] Dass auch der Mensch einen Zwischenkieferknochen aufweist, äußerte bereits Galenos, während der Anatom Vesal diesen 1543 verneinte und darüber eine mehr als 200 Jahre andauernde Kontroverse auslöste.[8] Die Existenz des Zwischenkieferknochens in der Ontogenese (Individualentwicklung) des Menschen ist ein Hinweis auf die gemeinsame Phylogenese (Stammesgeschichte) von Mensch und Tier und somit für die Evolution.

Literatur

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  • Félix Vicq d’Azyr: Observations anatomiques sur trois Singes appelés le Mandrill, le Callitriche & le Macaque; suivies de quelques Réflexions sur plusieurs points d'Anatomie comparée. In: Histoire de l’Académie Royale des Sciences. Année 1780. Paris 1784, S. 478–493 (online).
  • Franz-Viktor Salomon: Knöchernes Skelett. In: Franz-Viktor Salomon u. a. (Hrsg.): Anatomie für die Tiermedizin. 3. Auflage. Enke, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-8304-1288-5, S. 102.
  • Wilfried Westheide, Gunde Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie. Bd. 2, Wirbel- oder Schädeltiere. Springer Spektrum, Berlin/Heidelberg 2004, ISBN 3-8274-0307-3.

Einzelnachweise

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  1. International Committees on Veterinary Gross Anatomical Nomenclature, Veterinary Histological Nomenclature, & Veterinary Embryological Nomenclature (1994). Nomina Anatomica Veterinaria together with Nomina Histologica and Nomina Embryologica Veterinaria. Zürich/Ithaca/New York.
  2. Gudrun Schury: Wer nicht sucht, der findet. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-593-37799-3, S. 42.
  3. Friedrich Hofmann: "Erforschliches erforschen - das schönste Glück". In: Ärzte Zeitung. Springer Medizin Verlag GmbH, 22. März 2007, abgerufen am 3. August 2024.
  4. Ernst Kern: Sehen – Denken – Handeln eines Chirurgen im 20. Jahrhundert. ecomed, Landsberg am Lech 2000, ISBN 3-609-20149-5, S. 55.
  5. Bernhard Peyer: Goethes Wirbeltheorie des Schädels. In: Neujahrsblatt herausgegeben von der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich auf das Jahr 1950. 152. Stück. Kommissionsverlag Gebr. Fretz, Zürich 1950, S. 28 (ngzh.ch [PDF]).
  6. Hermann Bräuning-Oktavio: Vom Zwischenkieferknochen zur Idee des Typus. Goethe als Naturforscher in den Jahren 1780–1786. In: Nova Acta Leopoldina Band 18, Nummer 126. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1956.
  7. Klaus Seehafer: Mein Leben, ein einzig Abenteuer – Johann Wolfgang Goethe, Biografie. Aufbau-Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-351-02471-1, S. 180.
  8. Manfred Wenzel: Zwischenkieferknochen. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. Hrsg. von Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil und Wolfgang Wegner, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1534 f.