ADB:Frank, Johann Peter
Grafen Limburg-Styrum ernannt wurde. – Hier entwickelte F. eine segensreiche praktische Thätigkeit, gleichzeitig aber machte er sich durch Vorlesungen über Anatomie und Physiologie, durch einen geordneten Hebammen-Unterricht, für den er sich während seines Aufenthaltes in Straßburg unter Anleitung von Weigen, einem Assistenten von Fried, tüchtig vorbereitet hatte, und durch zahlreiche Verbesserungen in den öffentlichen Medicinaleinrichtungen hoch verdient, und legte damit und mit seinem litterarischen Auftreten den Grund zu dem Ruhme und der glänzenden Stellung, die er später eingenommen hat. – Während seines letzten Aufenthaltes in Heidelberg hatte F., und zwar wesentlich durch Overkamp animirt, die große Idee gefaßt, einen bis dahin fast ganz unbeachtet gebliebenen Zweig der Heilkunde, die Medicinalpolizei, wissenschaftlich zu bearbeiten. Schon vor seiner Uebersiedelung nach Rastatt hatte er einen Theil dieses Werkes vollendet, so daß der erste Band druckreif war, hatte die Arbeit aber wieder vernichtet, weil der badische Geheimrath Reinhart, dem er sie vorgelegt, derselben seinen Beifall versagte. Da trat nun F. im J. 1776 mit einer kleinen Schrift (Epistola invitatoria ad eruditos de communicandis quae ad politiam medicam spectant principum ac legislatorum decretis“, Mannh. 1776) auf, in welcher er dem ärztlichen und Verwaltungs-Publicum den Plan zu seiner Arbeit über Medicinalpolizei vorlegte und sie zu Mittheilungen über die bestehenden Verordnungen und Gesetze auf diesem Gebiete aufforderte. Seine Idee fand allgemeinen Beifall, er selbst aber nicht die geringste Unterstützung, und so war er denn gezwungen, das große Werk proprio marte auszuführen. Unter dem Titel „System einer vollständigen medicinischen Polizei“ veröffentlichte er in Mannheim den ersten Band im J. 1779, den zweiten im darauf folgenden, den dritten im J. 1783, dann aber trat wegen seiner Uebersiedelung nach Göttingen und später nach Pavia eine Unterbrechung [255] in dem Erscheinen der Arbeit ein, die, wie aus den folgenden Mittheilungen hervorgeht, nur sehr langsame Fortschritte, und noch bevor sie zu Ende gediehen war, neue Auflagen der bereits veröffentlichten Theile nothwendig machte.
Frank: Johann Peter F., Arzt, ist 19. März 1745 in der kleinen Ortschaft Rothalben (zwischen Zweibrücken und Landau gelegen) geboren, wo sein Vater, ein geborener Franzose, als einfacher Landmann lebte. Seine Eltern hatten, seiner Neigung zum Studium nachgebend, ihn zum geistlichen Stande bestimmt; so besuchte er zuerst die lateinische Schule der Piaristen in Rastatt, später die Jesuitenschule in Bockenheim (Pfalz) und die Gelehrtenschule in Baden. Im J. 1761 ging F. behufs des Studiums der Philosophie nach Metz und im folgenden Jahre nach Pont-à-Mousson, wo ihn vorzugsweise der Unterricht des Jesuiten Barlet in der Physik anzog und wo in ihm die Neigung entstand, sich dem Studium der Medicin zu widmen. Er begab sich daher, nachdem er die philosophische Doctorwürde erlangt hatte, nach Heidelberg und 1765 nach Straßburg, wo er seine Inauguraldissertation „De curis infantum“ verfaßte, die er dann später, von Gattendorf gekürzt, der Heidelberger Facultät überreichte und im August 1766 behufs Erlangung der Doctorwürde öffentlich vertheidigte. – Die ärztliche Praxis begann er zuerst in seinem Geburtsorte, ging dann, nachdem er mit seinem Gesuche um die Venia practicandi in Rastatt von der Behörde abschlägig beschieden worden war, nach Pont-à-Mousson, legte daselbst bei der medicinischen Facultät das Examen ab und habilitirte sich, nachdem er im October 1766 in das Collegium der lothringischen Aerzte aufgenommen worden war, als Arzt in Bitsch. Hier blieb er zwei Jahre, siedelte dann, nachdem er die Erlaubniß zur ärztlichen Praxis in der Markgrafschaft Baden erlangt hatte, nach Baden, wo er mit der Stellvertretung des Landphysicus betraut wurde, 1769 nach Rastatt, wo er den Charakter eines Hofmedicus erhielt, und 1772 nach Bruchsal über, wo er zum Stadt- und Landphysicus und zwei Jahre darnach zum Leibarzte des Fürstbischofs von Speier,Der Beifall, dessen sich das Werk erfreute, war ein der vortrefflichen Ausführung desselben entsprechender: schon im J. 1784 erhielt F. fast gleichzeitig Berufungen als klinischer Lehrer an zwei der damals bedeutendsten medicinischen Facultäten, nach Göttingen und Pavia. Er gab Göttingen den Vorzug, sah sich aber in Folge sehr geschwächter Gesundheit schon nach dem zweiten Semester, das er dort verlebt hatte, gezwungen, den Ort zu verlassen und die ihm an Tissot’s Stelle angetragene klinische Professur in Pavia anzunehmen. Im Mai 1785 traf er daselbst, in Begleitung seines Sohnes und seines Neffen, ein und schon nach kurzer Zeit war er soweit hergestellt, daß er seine akademische Thätigkeit beginnen, im Anfange des nächsten Jahres das Directoriat des Hospitals und bald darnach die ihm von der Regierung übertragene Stellung des Protophysicus und Generaldirectors des Medicinalwesens in der Lombardei übernehmen konnte. Mit seinem Auftreten in Pavia nahm die dortige medicinische Facultät einen glänzenden Aufschwung und bildete bald einen Hauptanziehungspunkt für die Jünger der Heilkunde, die in Schaaren herbeiströmten, um des Unterrichtes von F. theilhaftig zu werden. Gleichzeitig benützte er die ihm in reichlichem Maße gebotene Gelegenheit für Durchführung von Reformen im Gebiete der Medicinalpolizei innerhalb des seiner Oberaufsicht anvertrauten Landestheiles, dennoch aber blieb ihm so viel Zeit übrig, um nicht nur an seinem ersten Werke weiter fortzuarbeiten (der vierte Band erschien 1788), sondern auch neben einer nicht geringen Zahl kleinerer, die verschiedensten Zweige der Heilkunde und den medicinischen Unterricht behandelnden akademischen Schriften (dieselben finden sich neben anderen, theils früher, theils später veröffentlichten kleinen Arbeiten abgedruckt in den von ihm unter dem Titel: „Delectus opusculorum medicorum, antehac in Germaniae diversis academiis editorum“ in 12 Bänden, Papiae 1785–1792 und „Opuscula medici argumenti, antehac seorsim edita“, Lips. 1790 veranstalteten Sammlungen) eine populär-medicinische Schrift „Abhandlung über eine gesunde Kindererziehung etc.“, 1794 (in 2. Aufl. 1803, in französischer Uebersetzung Straßburg 1799) und die ersten fünf Bücher seines classischen Handbuches der praktischen Heilkunde („De curandis hominum morbis epitome lib. I – lib. V, pars I. 1792–94) zu veröffentlichen. – Seine großen Leistungen und Verdienste fanden in Wien die gerechte Anerkennung; im Jan. 1795 wurde er dahin berufen, um an den Berathungen einer zur Verbesserung des Militärmedicinalwesens gewählten Commission Theil zu nehmen, nach Beendigung dieser Aufgabe wurde er zum Hofrath, Director des allgemeinen Krankenhauses und zum Professor der medicinischen Klinik ernannt. – Auch in dieser Stellung, in welcher er bis zum Jahre 1804 verblieb, entfaltete F., besonders unterstützt durch die vortrefflichen Leistungen Vetter’s, der als Prosector die Leichenuntersuchungen ausführte, und auf seine Veranlassung das pathologisch-anatomische Museum anlegte, eine fruchtbare Thätigkeit als academischer Lehrer, die nur für kurze Zeit durch den Eifer, mit welchem er sich dem Brownianismus hingab (vgl. hierzu die Biographie seines Sohnes Joseph F.) getrübt wurde; dagegen blieb seine litterarische Productivität in dem geräuschvollen und zerstreuenden Leben der Hauptstadt eine sehr beschränkte; außer der Vorrede zu dem von seinem Sohne herausgegebenen klinischen Berichte aus Pavia, in welcher F. seine Stellung zum Brownianismus klar gelegt hat, datirt von ihm aus der Zeit seines Aufenthaltes in Wien nur seine interessante Selbstbiographie (1802) und der 2. Theil des 5. Buches seiner Epitome (1803).
Im J. 1804 gab F. seinem Sohne zu Liebe die Stellung in Wien auf und folgte einem Rufe als klinischer Lehrer nach Wilna, wohin auch sein Sohn [256] als Professor der Pathologie berufen war. Hier errichtete er die erste klinische Schule, siedelte aber schon 8 Monate später auf Wunsch des Kaisers nach Petersburg über, um an der eben dort vor kurzem errichteten medicinisch-chirurgischen Akademie ebenfalls eine Klinik zu begründen und gleichzeitig als Leibarzt des Kaisers zu fungiren. – Der ungünstige Einfluß des Petersburger Klimas auf seinen Gesundheitszustand zwang F., schon nach vierjährigem Aufenthalt daselbst um seine Entlassung zu bitten, die er unter glänzenden Bedingungen erhielt. – Er wandte sich zunächst nach Wien, wo er mit Napoleon zusammentraf, der ihn, jedoch vergeblich, zu einer Uebersiedelung nach Paris zu veranlassen sich bemühte, und sodann – nach erfolgtem Friedensschlusse – nach Freiburg im Breisgau zu seiner Tochter. Die ihm hier gegönnte Muße benützte er zur Abfassung und Veröffentlichung des 5. Bandes der medicinischen Polizei und eines Supplement-Bandes zu diesem Werke, ferner des ersten Theiles des 6. Buches der Epitome und seiner „Interpretationes clinicae observationum selectarum“, 1811. – Im J. 1811 hatte er den tiefen Schmerz, die von ihm innig geliebte Tochter durch den Tod zu verlieren. Er wandte sich nun nach Wien zurück und ging an die Beendigung seiner großen Werke; in den Jahren 1816–1819 erschienen die drei den 6. (und letzten Band) der Medicinal-Polizei bildenden Abtheilungen und 1820 der 2. und 3. Theil des 6. Buches der Epitome, von Eyerel herausgegeben. Trotz der geistigen Frische und der physischen Kraft, welche sich F. bis ins Greisenalter bewahrt hatte, war es ihm doch nicht vergönnt, sein Werk zum Abschluß zu bringen: Mitte März 1821 traten bei ihm plötzlich Lähmungserscheinungen ein, welche seinen Geist zwar nicht trübten, ihn aber doch ans Krankenlager fesselten, die Zufälle steigerten sich schnell und führten schon am 24. April seinen Tod herbei. – Der letzten Bestimmung des Verstorbenen gemäß wurde seine handschriftliche Hinterlassenschaft seinem Sohne Joseph übergeben, der aus derselben eine Auslese unter dem Titel „Opuscula posthuma“, 1824, zwei kleine akademische Schriften, ein Fragment des 2. Bandes der Interpretationes clinicae und ein Fragment der Epitome, das Capitel der Nervenkrankheiten enthaltend, zusammenstellte, während das Nachträge zur Medicinalpolizei enthaltende Manuscript von G. C. Voigt bearbeitet und als 2. und 3. Supplement-Band zu dem System (1825. 1827) veröffentlicht worden ist. – Von der Epitome ist eine unter eigener Aufsicht des Verfassers besorgte deutsche Uebersetzung (1793–1811 in 9 Bänden), später eine solche von Sobernheim (1830–34 in 10 Bänden), eine französische Uebersetzung von Gondarcau (Paris 1820–1822, in 2 Bänden) und eine italienische von Comandoli (Pavia (Pisa 1810 ff.) erschienen. – Das System der Medicinal-Polizei ist von Barzelotti in’s Italienische übersetzt und 1827 veröffentlicht worden.
F. nimmt unter den deutschen Aerzten und medicinischen Gelehrten seiner Zeit eine der ersten Stellen ein. – Nicht großartige Entdeckungen, glänzende Ideen oder Epoche machende Leistungen knüpfen sich an seinen Namen und machen ihn vor seinen Zeitgenossen groß – die Unbefangenheit in der Beobachtung und Forschung, die kritische Nüchternheit in der Auffassung und Reflexion, das sind die Eigenthümlichkeiten, welche F. auszeichneten und die ihn fast vollständig vor den zahlreichen Irrthümern schützten, deren Opfer gerade die deutschen Aerzte damals wurden. Nur für kurze Zeit war er von dem richtigen Wege abgewichen, als er sich dem Brownianismus in die Arme warf, allein dies war eine schnell vorübergehende Episode, welche auf das Bild, in welchem er uns entgegentritt, keinen bleibenden Schatten geworfen hat. Ein Feind aller Systeme, aller theoretischen Speculationen, der Vergangenheit dankbar ob ihrer Leistungen und hellen Blickes den Werth der Fortschritte erfassend, die die Wissenschaft seiner Tage machte, war er vom Standpunkte rationeller Empirie bestrebt gewesen, [257] Klarheit in die Thatsachen zu bringen, vor allem dem wissenschaftlich praktischen Bedürfnisse zu genügen. – Seine Epitome enthält eine Fülle vortrefflicher Beobachtungen, sie hat nicht wenig zu einer Klärung pathologischer Begriffe und zur Vereinfachung der Therapie beigetragen und ist für lange Zeit das beliebteste und geschätzteste Handbuch der praktischen Heilkunde geblieben, sein System der medicinischen Polizei aber muß als eine bahnbrechende Arbeit bezeichnet werden, welche in vielen Stücken bis auf die neueste Zeit ihren Werth behalten und die Basis für alle späteren Bearbeitungen des Gegenstandes abgegeben hat.
- Ueber sein Leben vgl. Biographie des Dr. Jos. Pet. Frank von ihm selbst geschrieben, Wien 1802 (auch abgedruckt im [Wiener] Gesundheitstaschenbuch für das Jahr 1802), ferner Wiener Zeitung vom 31. Januar 1822, sodann Tantini, Opuscoli scientifici, Pisa 1822, II p. 3 (gibt den ersten Theil nach der Selbstbiographie, den Schluß von 1802–21 nach den Mittheilungen von Ludw. Frank) und Eissen in Gaz. méd. de Strassbourg 1843, II, p. 97. 177.