Hohe Schule Herborn

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Hof der Hohen Schule Herborn

Die Hohe Schule Herborn (Academia Nassauensis) war eine universitätsähnliche deutsche Hochschule in Herborn, die von 1584 bis 1817 bestand. Die Theologische Fakultät der Hochschule existiert im „Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau“ in veränderter Form weiter.

Das Schloss Herborn, der erste Sitz der Hohen Schule bis 1588
Das Gebäude der Hohen Schule Herborn von 1588 bis 1817

Die Academia Nassauensis, eine Hohe Schule, wurde von Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg auf Drängen seines Bruders Wilhelm von Oranien in dessen Sterbejahr 1584 gegründet. Der Landesherr gewährte seinen Studenten zwei warme Mahlzeiten und drei Liter Dünnbier am Tag. Die Anfänge der Hohen Schule (Pädagogium) lagen im Schloss Herborn. 1588 kaufte Graf Johann der Stadt Herborn das alte Rathaus ab und ließ es durch Erweiterungsbauten zur Hohen Schule umfunktionieren. Die später reformierte universitätsähnliche Hochschule war mit vier Fakultäten ausgestattet. Sie wurde bald eine der wichtigsten Bildungsstätten der calvinistisch Reformierten in Europa. In den Niederlanden bestand mit der Universität Franeker eine vergleichbare Hochschule.

Trotz wiederholter Bemühungen und der unbestritten hohen Qualität der Lehre wurde der Hohen Schule kein kaiserliches Privileg für die Führung der Bezeichnung „Universität“ erteilt, eventuell weil es sich um eine calvinistische Gründung handelte. Die Hohe Schule hatte daher nie ein Promotionsrecht.

In der ersten Blütezeit, die bis 1626 andauerte, waren über 300 Studenten in Herborn eingeschrieben, z. B. im Jahr 1603 etwa 400.[1] Abgesehen von einer Nachblüte in der Zeit von 1685 bis 1725, gingen die Zahlen nach 1626 stark zurück. Im Schnitt waren seither etwa 100 Studenten bzw. Schüler in Herborn eingeschrieben. Starke Schwankungen der Schüler- und Studentenzahlen weist die Geschichte immer wieder aus, so waren z. B. im Jahr 1745 insgesamt weniger als fünf Studenten in der Stadt. Von ihrer Gründung im Jahre 1584 bis zu ihrer Schließung im Jahre 1817 studierten hier etwa 5700 Studenten aus ganz Europa. Viele kamen aus der Schweiz, Böhmen, Mähren, Ungarn oder Schottland; allein 1000 stammten aus Herborn.

Am 17. Dezember 1811 erließ Napoleon ein Dekret, für das Herzogtum Berg (an das Herborn 1806 gefallen war) in Düsseldorf eine Landesuniversität zu errichten und zu deren Gunsten unter anderem die Hohe Schule Herborn zu schließen. Infolge des Endes der napoleonischen Herrschaft kam es zwar nicht mehr zur Umsetzung dieser Anordnung, aber auch das 1806 entstandene Herzogtum Nassau konnte oder wollte die Hohe Schule nicht weiterführen. Die Hochschule wurde 1817 aufgehoben, nur die theologische Fakultät wurde als theologisches Seminar der Evangelischen Landeskirche in Nassau weitergeführt.[2]

Der Nachfolger der Hohen Schule, das Theologische Seminar der heutigen Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), wurde im Herborner Schloss angesiedelt.

Die ursprünglichen Gebäude sind Kulturdenkmäler nach dem Hessischen Denkmalschutzgesetz und stehen außerdem unter dem Schutz der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.[3] Sie werden heute als Hotel und Restaurant genutzt.

In den Obergeschossen befindet sich heute das städtische Museum mit Sammlungen aus der Vor- und Frühgeschichte des Dillgebietes, vielen Exponaten zur Geschichte der Hohen Schule (dazu befindet sich im ehemaligen Hörsaal, der Aula, ein seltenes Disputationsgestühl), ihrer Einrichtungen, Professoren und Studenten sowie viele weitere Abteilungen mit Exponaten aus der bewegten Stadtgeschichte. Wechselnde Sonderausstellungen vertiefen regelmäßig einzelne Themengebiete.

Bei ihrer Gründung hatte die Hohe Schule vier Fakultäten:

Diese Reihenfolge spiegelt die damals übliche Prestigereihung der Fakultäten wider.

Das Gebäude der Schule mit Adresse Schulhofstraße 3–5 steht heute unter Denkmalschutz. Es handelt sich um das Alte Rathaus von Herborn. In der U-förmigen geschlossenen Hofanlage befindet sich heute das Heimatmuseum mit Bibliothek sowie eine Gaststätte. Der Eingang in den Hof erfolgt durch ein korbbogig abgeschlossenes Portal. Das Hauptgebäude ist ein zweigeschossiger Bruchsteinbau. An der Giebelfront wurde 1645 ein Erker angefügt. Der Fachwerkgiebel des Dachgeschosses mit profilierten Versätzen der vorderen Dachgeschossbalken und durchgehenden Reihen von Zierformen in den Brüstungsgefachen stammt aus dem Jahr 1591. Die hofseitige Längsseite verfügt über drei Zwerchhäuser. An der südwestlichen Gebäudeecke ist ein runder Treppenturm angebaut. Im Erdgeschoss befindet sich die frühere Aula, eine große Halle, deren auf Konsolen ruhende Balkendecke das Erdgeschoss in Querrichtung stützenfrei überspannt. Die ehemalige Mensa aus dem frühen 17. Jahrhundert mit einem oktogonalen Eckturm steht im Winkel zum Hauptgebäude. Das ehemalige Brauhaus wurde später als Wohnhaus der Professoren der Hohen Schule genutzt. Es handelt sich um ein Fachwerkhaus aus dem 17. Jahrhundert auf der westlichen Seite des Hofes. Im Hof steht ein gusseiserner Brunnen des 19. Jahrhunderts. Südlich des Anwesens liegt der Mühlbach.[4]

Persönlichkeiten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Gedenktafel für Johann Amos Comenius am Gebäude der ehemaligen Hohen Schule Herborn
Name Zeit Anmerkung
Caspar Olevian (1536–1587) 1584–1587 Gründungsrektor, Dogmatiker und Theologieprofessor
Johannes Piscator (1546–1625) 1584–1625 Professor für Theologie, bedeutender Bibelübersetzer
Johannes Pincier (1556–1624) 1584–1607/1619 Mediziner, Professor für Physik, dreimal Rektor
Johannes Althusius (1563–1638) 1586–1604 Professor der Rechtswissenschaft, calvinistischer Staatstheoretiker, 1599/1600 und 1602 Rektor
Johann Heinrich Alsted (1588–1638) 1610–1628 Professor für Philosophie und Theologie, schrieb die erste deutsche Enzyklopädie
Justus Reifenberg († 1631) 1616–1621 Professor der Rechte
Zacharias Rosenbach (1595–1638) 1623–1638 Professor der Medizin und der alten Sprachen
Matthias Pasor (1599–1658) 1623–1624 Professor
Johann Heinrich Bisterfeld (1605–1655) 1629 Professor der Philosophie
Johann Jacob Gantesweiler (1631–1691) 1649–1654 Professor der Beredsamkeit
Matthias Nethenus (1618–1686) 1669–1686 Professor der Theologie
Johann Melchior Steinberg (1625–1670) 1655–1669 Professor der Theologie
Johann Lorenz Crollius (1641–1709) 1674–1681 Professor der Rhetorik, der praktischen Philosophie und Pädagogiarch
Johannes Voet (1647–1713) 1670–1674 Professor für Römisches Recht
Johannes Melchior (1646–1689) 1682–1689 Professor für Theologie, Autor der ersten reformierten Kinderbibel
Nicolaus Gürtler (1654–1711) 1685–1688 Professor der Philosophie und Beredsamkeit sowie Leiter des Pädagogiums
Johann Heinrich Florin (1650–1700) 1688–1700 Lehrer am Pädagogium und ab 1691 Professor der Theologie
Heinrich Horch (1652–1729) 1690–1698 Professor für Kirchenrecht und Kirchenkritiker, 1698 wurde er seiner Ämter enthoben: Er hatte die Hochschulen als Teufelswerk bezeichnet.
Ernst Alexander Otto Cornelius Pagenstecher (1697–1753) 1722–1753? Professor der Rechte, Rektor der Hohen Schule 1725, nassau-oranischer Rat seit 1733
Wilhelm Bernhard Nebel (1699–1748) 1700–1728 Professor der Mathematik, Physik und Medizin
Karl Andreas Duker (1670–1752) 1701–1704 Lehrer für Geschichte und Rhetorik am Pädagogium Herborn
Johann Heinrich Schramm (1676–1753) 1701–1707 Professor der Rhetorik, der Geschichte und der griechischen Sprache
Johann Matthias Florin (1680–1751) 1707–1751 Professor der Rhetorik, der Geschichte und der griechischen Sprache
Johann Eberhard Rau (1695–1770) 1721–1770 Professor der Theologie sowie der griechischen und hebräischen Sprache
Valentin Arnoldi (1712–1793) 1745–1793 Professor der Theologie
Johann Kasimir Mieg (1712–1764) 1733–1743; 1757–1764 Professor der Philosophie und Theologie
Hermann Friedrich Kahrel (1719–1787) 1743–1762 Professor der Philosoph, 1760 bis 1762 Prorektor
Johann Franz Coing (1725–1792) 1749–1753 Professor der Philosophie und Mathematik
Dietrich Christoph Ihringk (1727–1781) 1750–1752 Professor der Rechtsgelehrtheit
Johann Daniel Leers (1727–1774) 1755–1774 Botaniker und Leiter der Hohe-Schul-Apotheke, Verfasser der „Flora Herbornensis“
Wolrad Burchardi (1734–1793) 1757–1793 Professor der Rechtswissenschaftler, Universitätssyndicus und Universitätsarchivar, zweimal Rektor
Johann Friedrich Fuchs (1739–1823) 1767–1818 Professor der Beredsamkeit und Geschichte, der Philosophie, dann der Theologie, Hochschulbibliothekar, Ephorus des Pädagogiums
Wilhelm Otto (1800–1871) 1828–1867 ab 1828 Professor und Dekan und ab 1837 Direktor des Theologischen Seminars in Herborn
Name Zeit Anmerkung
Graf Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg (1576–1612) 1585–1591 ab 1585 Student, 1588 am Paedagogium, 1589 Rektor der Hohen Schule und 1590 wieder als Student.[5] Er gründete 1607 – nach dem Vorbild der Hohen Schule Herborn – die Hohe Landesschule Hanau
Graf Albrecht von Hanau-Münzenberg (1579–1635) 1585–1591 Jüngerer Bruder von Philipp Ludwig II.
Georg Pasor (1570–1637) ab 1591 Student am Pädagogium und der Hohen Schule, später Professor für Griechisch an der Hochschule im friesischen Franeker
Georg Cruciger (1575–1637) 1595–1597 lutherischer Theologe, Philosoph und Hochschullehrer
Johann Textor (1582–1626) ab 1599 Jurist und Historiker
Johann Heinrich Alting (1583–1644) reformierter Theologe
Johann Heinrich Alsted (1588–1638) ab 1608 Später Professor an der Hohen Schule
Johann Amos Comenius (1592–1670) ab 1611 Förderer der Pädagogik
Zacharias Rosenbach (1595–1638) ab 1611 Mediziner, Philologe und Bibelforscher
Matthias Pasor (1599–1658) ab 1613 reformierter Theologe, Mathematiker und Linguist
Johann Heinrich Bisterfeld (1605–1655) 1619–1623 Später Professor der Philosophie an der Hohen Schule
Friedrich von Bawyr (um 1600–1667) ab 1622 kurfürstlich-brandenburgischer Generalleutnant, Mitglied des preußischen Generalstabs
Johann Jacob Wissenbach (1607–1665) bis 1627 Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer
Valentin Arnoldi (1712–1793) bis 1735 reformierter Theologe und Historiker
Johann Friedrich Fuchs (1739–1823) 1654–1657 reformierter Theologe, Geistlicher, Bibliothekar und Hochschullehrer
Johann Friedrich Mieg (1744–1819) vor 1765 reformierter Prediger, Freimaurer und Illuminat
Emil Ludwig Philipp Schröder (1764–1835) 1784 evangelischer Geistlicher und Jugendschriftsteller
Johann Hermann Steubing (1750–1827) 1756 bis 1772 Kirchenhistoriker, Topograph, Heimatforscher und evangelischer Geistlicher
Georg Wilhelm Heinrich Seippel (1788–1850) Pfarrer der reformierten Kirchen. Erzieher von Friedrich Wilhelm Raiffeisen.
Karl Friedrich Fuchs (1776–1846) ab 1793 Arzt und Professor an der Universität Kasan
Christian Daniel Vogel (1789–1852) bis 1812 Historiker, Topograf und Pfarrer im Herzogtum Nassau
Carl Ludwig Heusler (1790–1851) 1807–1808 Unternehmer und Geheimer Bergrat
Wilhelm Otto (1800–1871) 1819 ab 1828 Professor und Dekan und ab 1837 Direktor des Theologischen Seminars in Herborn, MdL Nassau (Präsident der Deputiertenkammer), Mitglied des Vorparlaments
Friedrich Christian Vogel (1800–1882) um 1820 Pfarrer, Schriftsteller, Dichter und Politiker in Wittgenstein
Name Zeit Anmerkung
Christoph Corvin (1552–1620) ab 1585 akademischer Drucker

Die Hohe Landesschule in Hanau wurde 1607 nach dem Vorbild der Hohen Schule Herborn gegründet. Sie besteht heute noch als Gymnasium.

  • Johann Hermann Steubing: Geschichte der Hohen Schule Herborn. Im Verlage der neuen Gelehrten-Buchhandlung, Hadamar 1823. (Nachdruck: Verlag Die Wielandschmiede, Kreuztal 1983)
  • Gottfried Zedler, Hans Sommer (Hrsg.): Die Matrikel der Hohen Schule und des Paedagogiums zu Herborn (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau. Band 5, ISSN 0170-1568). Bergmann, Wiesbaden 1908.
  • Heinrich Schlosser: Die Hohe Schule Herborn und Caspar Olevian (= Hauptverein Wiesbaden der Gustav-Adolf-Stiftung. Flugblatt. Nr. 15). Ritter, Wiesbaden 1918.
  • Carl Heiler: Die Matrikel der Hohen Schule zu Herborn: 1725–1817. Rekonstruiert. In: Nassauische Annalen. Band 55, 1935, ISSN 0077-2887, S. 149–184.
  • Stadt Herborn und Herborner Geschichtsverein e. V.: Hohe Schule Herborn. Stadt Herborn u. a., Herborn 1972.
  • Gerhard Menk: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584–1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau. Band 30). Historische Kommission für Nassau, Wiesbaden 1981, ISBN 3-922244-42-4 (Zugleich: Frankfurt am Main, Universität, Dissertation, 1975).
  • Dieter Wessinghage: Die Hohe Schule zu Herborn und ihre Medizinische Fakultät. 1584–1817–1984. = The High School of Herborn and its Medical Faculty. Schattauer, Stuttgart u. a. 1984, ISBN 3-7945-1016-X.
  • Joachim Wienecke (Hrsg.): Von der Hohen Schule zum Theologischen Seminar Herborn. 1584–1984. Festschrift zur 400-Jahrfeier. Magistrat der Stadt, Herborn 1984.
  • Hans Haering: Die Spätzeit der Hohen Schule zu Herborn (1742–1817). Zwischen Orthodoxie und Aufklärung (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Band 615). Lang, Frankfurt am Main u. a. 1994, ISBN 3-631-47632-9. (Zugleich: Marburg, Universität, Dissertation, 1994)
  • Wilhelm A. Eckhardt, Gerhard Menk (Hrsg.): Christian Wolff und die hessischen Universitäten (= Beiträge zur hessischen Geschichte. Band 18). Trautvetter und Fischer, Marburg 2004, ISBN 3-87822-118-5.
Commons: Hohe Schule Herborn – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Störkel in der Festschrift 1984, S. 26.
  2. Störkel in der Festschrift 1984, S. 55.
  3. Druckausgabe der Dill-Zeitung, 8. Juni 2011.
  4. Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Hohe Schule In: DenkXweb, Online-Ausgabe von Kulturdenkmäler in Hessen
  5. Zedler, S. 7 (Nr. 73), 10, 11 (Nr. 179), 185 (Nr. 29).