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Ein fränkisches Lustschloß

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Textdaten
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Titel: Ein fränkisches Lustschloß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 248–251
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein fränkisches Lustschloß.


Bei Gelegenheit des Besuches, den Kaiser Wilhelm im vorigen Jahre bei den Wagner-Vorstellungen dem Könige von Baiern in Bayreuth abstattete, bewohnte der Kaiser das bei genannter Stadt gelegene Lustschloß Eremitage. Die Zeitungen brachten bei Gelegenheit einige Notizen über Eremitage. Wir hoffen das Interesse unsrer Leser durch eine ausführliche Skizze über den interessanten Ort zu fesseln.

In den oberfränkischen Kreis des Königreichs Baiern theilten sich einst zwei Herren, ein weltlicher und ein geistlicher, der Markgraf von Brandenburg-Bayreuth und der Bischof von Bamberg. Das Markgrafthum Brandenburg-Bayreuth zählte etwa zweihunderttausend Einwohner. Friedrich Wilhelm der Erste von Preußen hatte den an Sparsamkeit gewöhnten Markgrafen Georg Friedrich Karl im Sommer des Jahres 1730 in dem damals noch winzig kleinen, unscheinbaren Bayreuth besucht. Der Etiquette gemäß hatte der Markgraf seinen königlichen Gast in einem eine halbe Meile von Bayreuth entfernten Dorfe in seinem Staatswagen aufgenommen, an dem die historischen Erinnerungen vielleicht noch das einzige Bemerkenswerthe waren. Die Dienerschaft hatte Mühe, das vierrädrige schwankende Möbel aufrecht [249] zu erhalten – so schlecht waren die Wege. Der König erzürnte sich darüber gewaltig; seine Flüche verhallten im Toben eines hereingebrochenen Gewitters. Die Hände gefaltet, saß der Markgraf still neben dem aufgeregten Könige.

„Herr Vetter,“ redete ihn dieser in seiner derb-natürlichen Weise an, „was macht Ihr ältester Sohn so lange auf Universitäten?“ Erbprinz Friedrich befand sich damals auf der wegen ihrer calvinistischen Richtung vielbesuchten Universität Genf. – „Lassen Sie ihn doch heimkommen! Ich will ihm meine älteste Tochter zur Frau geben.“

Der darob nicht wenig geschmeichelte Vater glaubte in dem ihm vom Könige übermachten Portrait der Prinzessin eine stille und gute Landesmutter zu erblicken. Mit Entsetzen mußte er aber die Wahrnehmung machen, daß die fürstliche Schwiegertochter das Gegentheil von Dem war, was er erwartet hatte. Sie war in seinen Augen ein Weltkind, weil sie Reisen, Musik, Komödien, Ballets, überhaupt kostspielige Feste liebte, und – was bei dem Markgrafen dies Alles überwog – sie war eine Philosophin, Verehrerin und Freundin Voltaire’s, in welchem er den Antichrist zu erblicken glaubte. Im Disputiren ließ sie einen Altdorfer Professor weit hinter sich zurück. Daß sie die Musen und Künste, die Cultur in diesem von denselben bisher gemiedenen Winkel deutscher Erde einführte – für diese Würdigung freilich war sein Gesichtskreis zu eng. Nach ihres Schwiegervaters Tode, der 1735 erfolgte, ging die Markgräfin an die Vollendung und Verschönerung des Lustschlosses Eremitage, das sie von ihrem Gemahle bei seinem Regierungsantritte zum Geschenke erhalten hatte. Dieser auf den Raum einer Viertelquadratmeile hingezauberte Mikrokosmus war ein Product ihres phantasiereichen, weitausstrebenden Geistes. Daß es ein Mikrokosmus war und blieb, davon ist die Schuld dem Schicksale beizumessen, das sie nach ihrer geistiger Beschaffenheit zu großen Dingen, zur Trägerin der vier Kronen der britischen Monarchie bestimmt hatte. Die Vorsehung, oder vielmehr die österreichische Politik, hatte später ihre Gedanken geändert und der Fürstin eine Krone auf das Haupt gesetzt, deren Glanz nicht wie der von Großbritanniens Krone über die Meere dahin strahlte, eine Krone, welche die großen Pläne, die der Fürstin im Gedanken an ihre einstige Bestimmung sich erzeugt hatten, auf ein reell sehr eng begrenztes Gebiet einschränken mußte.

Der Hügel, auf welchem das Lustschloß liegt, ist von drei Seiten vom rothen Maine umflossen. Im Jahre 1715 war der Ort noch ganz mit Wald bedeckt. Markgraf Georg Wilhelm hatte das Vorderteil des Hauptgebäudes, das ein geschlossenes Viereck bildet und aus scheinbar unzugehauenen Sandsteinblöcken aufgeführt ist, zu einem Jagdschlößchen bestimmt, den Wald in einen Garten umwandeln lassen und dem Ganzen den Namen „Eremitage“ beigelegt. Der Name rührte von mehreren im Walde zerstreut liegenden Eremitenhäusern her, die der Fürst mit einer ausgesuchten kleinen Gesellschaft beiderlei Geschlechts bewohnte. Hier gerirte man sich „A l'Eremite“. Alles, was an den Glanz der Welt hätte erinnern können, war streng ausgeschieden; das Hofkleid wurde mit einem Eremitenkleide von braunem Zeuge vertauscht; ein Strohhut, ein Flaschenkürbis und ein Stab bildeten den übrigen einsiedlerischen Schmuck. Die Lebensweise vollendete den Einsiedler; man speiste mit hölzernen Löffeln aus braunirdenem Geschirr. Die Freuden der Gesellschaft durften beide Geschlechter nur zu bestimmten Stunden genießen. Der Fürst gab das Zeichen dazu mit einer Glocke, die auf dem Thürmchen seines Eremitenhauses angebracht war.

Ihren im achtzehnten Jahrhunderte weitverbreiteten Ruf verdankt die Eremitage zumeist der Markgräfin Sophie Wilhelmine, des großen Friedrich's Lieblingsschwester. Sie schien hierher geführt zu sein, um mit ihrer sittlichen Reinheit und ihrem geistiger Nimbus diesen Ort zu entsühnen, um ihn von den Spuren eines Verbrechens zu reinigen. Dasselbe enthüllt die tiefe Verworfenheit eines Weibes, das den heiligen Namen einer Mutter geschändet hatte – einer Mutter, die aus verletzter Eitelkeit die Lebensblüthe ihres Kindes brach.

Christiane Sophie Wilhelmine, die einzige Tochter des Markgrafen Georg Wilhelm, war bis zum zwölften Jahre am Hofe ihrer Tante, der Königin von Polen, erzogen worden. Sie ward bewundert wegen ihrer Schönheit, verehrt und geliebt um ihrer Sanftmuth und Sittsamkeit willen. Desto mehr wurde sie von ihrer Mutter gehaßt, einer geborenen Prinzessin von Weißenfels. Die Markgräfin Wilhelmine schildert sie als eine Frau, die noch in späten Jahren ihre körperlichen Reize sich erhalten hatte. Die Tochter, jünger in ihrer Erscheinung, reizvoller, frischer, drohte sie zu verdunkeln – und darum beschloß sie, ihr eigenes Fleisch und Blut zu verderben. Die Feder sträubt sich, die dunkle That zu berichten, zu der ein Kammerherr von Wobeser die Hand lieh.

Die Markgräfin Wilhelmine erzählt in ihren Memoiren die Geschichte, und wenn diesen Aufzeichnungen auch nicht überall stricte Glaubwürdigkeit beizumessen sein möchte, so ist diese dunkle Seite aus den Annalen des Hoflebens des achtzehnten Jahrhunderts doch noch nicht widerlegt worden. Nach denselben wäre von Wobeser von der Mutter gedungen worden, die Tochter zu Falle zu bringen. Für seine Bemühungen um die Gunst der Prinzessin erntete er jedoch nur deren Geringschätzung und Verachtung. Die Mutter griff zu einem gewaltsamen Mittel. Sie ließ den Kammerherrn im Schlafzimmer der Prinzessin sich verbergen – die Folgen blieben nicht aus. Unter dem Vorwande einer Krankheit entfernte die Mutter die Tochter vom Hofe. Als die Zeit der Entbindung nahete, begab sich die Mutter mit ihr nach der Eremitage. Die Prinzessin gab zwei Knaben das Leben. Nicht achtend die Bitten und Vorstellungen der Anwesenden, nahm die unnatürliche Großmutter die Neugeborenen, trug sie im Schlosse umher und ergoß sich in Verwünschungen gegen das schamlose Geschöpf, das sich ihre Tochter nannte. Die Kinder starben an der zarten Behandlung durch die Großmutter bald nach der Geburt. Den Vater der Prinzessin traf die Unglücksnachricht auf der Jagd.

Die Prinzessin wurde auf die Plassenburg gefangen gesetzt, aber nach dem Tode ihres Vaters von dem Nachfolger desselben, dem Schwiegervater der Markgräfin Wilhelmine, aus ihrer Haft befreit. Sie lebte bis zu ihrem Lebensende in einem unscheinbaren Hause zu Culmbach, das noch heute das Prinzessinhaus heißt. Aber auch an der Mutter sollte sich die strafende Gerechtigkeit erweisen, wenn auch diese Strafe lange nicht der Größe des Verbrechens entsprechend war. Die Markgräfin-Wittwe, welcher Erlangen als Wittwensitz angewiesen worden war, faßte hier eine rasende Neigung zu ihrem Hofcavalier, dem mährischen Grafen Hoditz; sie verheirathete sich später mit ihm. Er verließ sie, nachdem er sie durch seine Verschwendungssucht ihres ganzen Vermögens beraubt hatte, sodaß sie in Wien auf die Mildthätigkeit des Adels angewiesen war. Das war in der Eremitage geschehen – damals, als der von der Zeit ergraute Sandstein des Schloßgebäudes noch licht war und die Gemächer von ihrem Schmucke noch neu erglänzten.

Den Mittelpunkt der Vorderfront des Wohngebäudes bildet ein mit grau und rothem Fichtelbergischem Marmor bekleideter Saal von ziemlicher Größe. Betrat man ihn vom Hofe aus, dessen Viereck von allen Seiten Gebäude einschlossen und in dessen Mitte ein Springbrunnen beständige Kühle verbreitete, so lagen rechts die Zimmer der Markgräfin, links die ihres Gemahls. Die letzten noch sichtbaren Reste ihrer einstigen Pracht sind die noch gut erhaltenen Deckengemälde; die historischen, dem Alterthum entnommenen Gegenstände behandeln antike, heroische Tugenden. Ueber dem Eingange in diesen Saal prangt in Stein gehauen das brandenburgische Wappen, und im Innern begegnet man überall den Zeichen des brandenburgischen, später preußischen rothen Adlerordens. Das erste Zimmer rechts vom Saale ist mit gelbem Damast und Lambris von schwarzem und gelbem Marmor bekleidet. Die silbernen Borden, von denen die Markgräfin spricht, sind nicht mehr zu entdecken. Vielleicht sind sie im Laufe der Zeit vergoldet worden. Das nächste Gemach ist mit Brocat in Blau und Gold ausgeschlagen. Die Ausstattung des dritten, kleinern Eckgemaches ist japanisch und ein Geschenk Friedrich’s des Großen. Es hatte eine hübsche Summe Geldes gekostet und war nach Versicherung des Gebers das einzige, das nach Europa gekommen war. Der Grund der Tapete ist von gekerbtem Golde; die Figuren sind in Basrelief mit chinesischer Sauberkeit und Genauigkeit ausgeführt.

Von da tritt man in das Musikzimmer von weißem Marmor mit grünen Feldern, aus welchen in erhabener Vergoldung die Embleme der Musik hervortreten. Unter dem Kamine üben die frischen, pikanten Züge eines lebensgroßen weiblichen Portraits auf das Auge nicht geringe Anziehungskraft. Es ist das Bildniß [250] eines Hoffräuleins der Markgrafin, jener Albertine von Marwitz, später verheiratheten Gräfin Burghaus, die von ihrer Gebieterin so sehr geliebt wurde und die derselben zum Lohne für diese ihre Liebe das Herz ihres Gemahls raubte. Rings um das Zimmer läuft eine Galerie sehr schöner weiblicher Portraits von den berühmtesten Meistern jener Zeit. Es sind die Bildnisse von fürstlichen Zeitgenossinnen der Markgräfin; auch die ihrer schönen Schwestern sind darunter. Eigenthümlich ist es, daß so wenige Portraits der Markgräfin selbst existiren – d. h. aus ihrer späteren Zeit. Aus ihrer Kindheit und Jugend hat man deren mehrere im Charlottenburger und Berliner Schlosse. Man kennt von ihr als Markgräfin im Grunde nur ein Bild, das in mehreren Copien existirt – eines in der ersten rothen Vorkammer des Schlosses in Berlin. Das ist jedenfalls aber nicht das Original. Dieses befindet sich in einem der Räume des früheren Sommerschlosses bei Bayreuth auf dem sogenannten „Brandenburger“ in dem Leers’schen Kinderstifte. Die „Gartenlaube“ ist das einzige Journal, welches dieses Bild reproducirt hat (Jahrgang 1856, Nr. 28). Die Markgräfin ist in Lebensgröße und lesend abgebildet; sie trägt eine Art Eremitenkleid, eine schwarze Robe mit langem Kragen, die mit hochrothen Schleifen geschmückt ist. Auf ihren Knieen ruht ein Bologneserhund; in der rechten Hand, die des Pinsels eines Carlo Dolce würdig wäre, hält sie ein Buch; der Ellbogen des linken Armes ist auf den mit Büchern bedeckten Schreibtisch gestützt. In der Hand ruht das schöne denkende Haupt, von dessen äußerem Umfange man kaum glauben möchte, daß ein so reicher Schatz von Gedanken darin wohnen konnte. Das große tiefblaue Auge blickt ernst, klar und heiter. Diese zarte Haut, unter der das Astgewebe der Adern sich hinschlängelt, frischte im Volke die Sage von der schönen Augsburgerin auf, durch deren Hals man den Strom des rothen Weines fließen sah. Es liegt Ruhe in diesem Antlitz voll lieblicher Schönheit, nicht jene kalte, todte Ruhe, die aus Verzagen abgeschlossen hat mit dem Fühlen, mit dem Kämpfen des Lebens, nein, eine Ruhe, die sich im Gefühle einer höhern Wesenheit aus schweren Kämpfen emporgerungen hat, eine Ruhe voll Leben und Seele, höher fühlend als die übrige Welt, aber für sie fühlend, ihren Schmerz, ihre Freuden mit empfindend. Wer ahnte in dieser Ruhe Kampf, heißen, wogenden Kampf, von dem dieses Herz entbrannt war, als Liebe und Entsagung gebietend gegen einander auftraten! Der Markgraf, ihr Gemahl, war ihr geistig nicht gewachsen. Er war ein hübscher, wenn auch nicht sehr vornehm aussehender Mann, ein Stück Natursohn. Aber gerade dieser Gegensatz erklärt ihre Liebe zu ihm, die ihr so manche Stunde verbittern sollte. Nebenan jenes kleine braune Gemach mit den erhabenen Blumen auf braunem Lack ist der Ort, wohin die beleidigte Gattin flüchtete, wenn die Wunden zu bluten anfingen. Hier fand sie Trost in den Werken der Dichter und Weisen, die sie umgaben, Trost in der Aufzeichnung ihrer Lebensschicksale, den berühmten Memoiren. „Hier ist es,“ schreibt sie aus diesem Raume, „wo ich diese Memoiren schreibe und viele Stunden mit meinen Betrachtungen hinbringe.“

Von den Zimmern der Markgräfin aus erblickt man zur Rechten im Gebüsche zwei Bauwerke, ein steinernes Theater mit offener Scene und eine einsam stehende hohe und schmale Wand mit antiker Säulenverzierung. Es ist ein Denkmal, das die Markgräfin ihrem Lieblingshunde hatte errichten lassen. In dem Briefwechsel mit ihrem Bruder, dem Könige, befinden sich als jeux d'esprit, als Erzeugnisse übermüthiger Laune, Briefe, welchc die Lieblingsthiere der Markgräfin aus Bayreuth an die Windhundexcellenzen in Sanssouci schrieben. Unter diesem römisch antiken Gemäuer ruht einer derselben. An der Vorderseite des Theaters sind an einer Stelle die Worte in den Stein gehauen: „Albertine de Marwitz mieux gravée dans mon coeur que sur cette pierre.“ Jedenfalls ist dieses Geständnis der Erguß eines liebeentbrannten Pagenherzens oder die berechnete Schmeichelei eines Höflings. Aber daß so etwas unter den Augen der Markgräfin geschehen konnte, geschehen durfte, das beweist, bis zu welchem Grade die ebenso schöne wie kecke Märkerin Macht über die Sinne des Markgrafen gewonnen hatte. Aus der Chronik des Hofes ist ein Factum bekannt geworden, welches ihr Wesen am deutlichsten portraitiren möchte. Der Onkel des Markgrafen Friedrich, später dessen Nachfolger, Prinz Friedrich Christian, war aus Altona, wo er in dänischen Diensten stand, nach Bayreuth gekommen. Zur Mittagstafel nach der Eremitage eingeladen, ertrug er manche Extravaganzen der Marwitz mit verbissenem Grimme. Zuletzt ging sie in ihrem kecken Uebermuthe so weit, ihm über die Tafel zuzurufen: „Prinz, sing’ man mir mal Eens!“ Im Zorn sprang der Angeredete von der Tafel auf. „Was unterstehst Du Dich?“ rief er ihr mit einem derben Schimpfworte zu. „Ich bin jeder Zeit Prinz von Brandenburg. Ich will aber Bayreuth nicht wieder sehen.“ Mit diesen Worten verließ er den Saal und kam nicht eher wieder nach Bayreuth, als bis er nach dem Tode seines Vorgängers als regierender Fürst die Huldigung des Landes empfing.

Die glänzendste Zeit hatte die Eremitage wohl in jenen Augusttagen des Jahres 1743 gesehen, wo Friedrich der Zweite und Voltaire dort weilten. In dem Buche „Voltaire und die Markgräfin von Bayreuth“ von Georg Horn ist ein Mehreres über die politische und literarische Tragweite dieses Besuches des großen Königs in den fränkischen Fürstenthümern gesagt. Unten am Fuße des Hügels verbarg sich unter hochragenden Bäumen eine Einsiedelei – sie stellte die Ruinen eines den Musen geweihten Tempels dar. Innerhalb desselben war ein Gemach mit Majoliken, ein anderes mit den Bildnissen der berühmtesten Philosophen. Wie mag „Frère Voltaire“, wie er sich in Erinnerung an die Eremitage in den Briefen an die Markgräfin oft selbst zu nennen beliebte, wie mag er geschmunzelt haben, als er hier sein Bild neben den Portraits Newton’s, Leibnitz’s, Loke’s, Bayle’s entdeckte! Die Ruinen der Einsiedelei stehen noch, aber Majoliken und Bilder sind daraus verschwunden. Auch Theater wurde bei diesem Besuche gespielt und zwar in jenem offenen steinernen Bau. Unter hohen, rauschenden Bäumen ertönten die Verse aus „Mort de César“; unter den Acteurs waren der Dichter, die Markgräfin und Prinz August Wilhelm von Preußen.

Daß die Markgräfin nicht nur verstand geistreiche Briefe zu schreiben, Madrigaux zu machen, daß sie auch in Stein zu dichten verstand, davon zeugt ein nach ihrer Idee und unter ihrer Aufsicht errichtetes Gebäude unterhalb des Schlosses. Dasselbe bildet einen offenen Halbkreis, dessen Mitte ein Pavillon in Form einer Kuppelrotunde durchschneidet. Das Vorbild hierfür ist in jener berühmten Rotunde von Sanssouci zu suchen, deren Form und Ausschmückung der Markgräfin bei ihrem Entwurfe jedenfalls vorgeschwebt hat. Die beiden Flügel bilden offene Arcaden, hinter denen die Gemächer liegen. Die Außenseite des ganzen Gebäudes ist nach einer gewissen Ordnung mit weißen, blauen und rothen Kieseln von der Größe eines Taubeneies bedeckt, die in den Kalk eingedrückt sind. Man denke sich an einem sonnenglänzenden Sommerabend die wunderbare Farbenpracht, die aus diesen bunten Prismen über das ganze Gebäude fluthet. Die schillernden Farben der springenden, rauschenden und glitzernden Wasser, die den steinernen Leibern der Götter und Ungethüme aus dem weiten Bassin entsteigen, und inmitten dieser Umgebung hoher Rüstern und Ulmen, unter blühenden Orangenbäumen, deren die Eremitage siebenhundert hatte, die Gesellschaft des Hofes mit ihren schwerseidenen, rauschenden, schleppenden Gewändern, ihren graziösen Formen und ihrem Kreuzfeuer von Witz und Coquetterie – und man hat ein Bild von Eremitage aus dieser Zeit, der glänzendsten, welche das Schloß je gesehen hat.

Dreißig Jahre später – wie einsam dieser Lust- und Freudenort! Die Statuen und Urnen überzogen sich mit Moos; die kunstvollen Wege verwandelten sich in Wildnisse; die Grotten versanken; die künstlichen Ruinen wurden wirkliche – überall das Schweigen, die Ruhe des Verfalls. Dann wurden eines Tages im Frühling des Jahres 1793 Thüren und Fenster weit geöffnet, um das Sonnenlicht in die verlassenen Gemächer einzulassen, in welchen die Spinngewebe ihre märchenstille Arbeit bereits gethan hatten; die verblichenen Damastmöbeln wurden neu bezogen – und Eremitage wurde wieder in bewohnbaren Zustand versetzt. Der dirigirende Minister Freiherr von Hardenberg hatte sich das Schloß zum Sommersitz gewählt; er hielt daselbst mit seiner Tochter Lucie, der späteren Gräfin Pappenheim und darauf Fürstin Pückler, Hof. Aber mit dem alten politischen Staate war auch der Staat des Lustschlosses dahin. Lucie Hardenberg trug keine Brocatgewänder mehr; die neue Zeit hatte die alte schleppende Pracht mit ihren Fesseln abgestreift. In weißem Mousselin schwebte Lucie auf dem grünen Rasen dahin, [251] und höchstens flatterte ein blauseidenes Band in ihrem prachtvollen, entfesselten Haar.

In dieser Zeit konnte man eines Tages einen jungen, hochgewachsenen Menschen mit lichtbraunem Haar und blauen Augen, aber in ärmlichem Gewande hier einherwandeln sehen, trunken von all’ den Eindrücken dieser verblichenen Pracht, die einem dichterischen Geiste so sympathisch ist. Wie war sein Heimathsort, aus dem er kam, sein armes Dorf, in dem er seine Jugend einsam und mit den Träumen seines Geistes verlebt hatte, wie war das öde, nüchtern, kalt gegen diese Eindrücke, die ihm hier sich entgegendrängten, so voll, so mächtig, so überwältigend, daß er sich in einem Geistes- und Sinnentaumel befand! Diese eingestürzten Statuen und Urnen, die verfallenen Tempel und Lusthäuser, die leeren Bassins mit ihren moosgrünen Göttern, die düsteren Alleen und melancholischen Grotten, und dann wieder als Widerspiel ein Blick aus diesem Dornröschenmärchen in das grüne, lebendige, sonnenhelle Bayreuther Thal, sein Marienthal, auf den alten Kirchthurm von St. Johannes, auf die Höhen des Fichtelgebirges, hinter denen seine Heimath lag! Und dann stieg der junge Mensch wieder hinauf und schrieb in Hof, im schmucklosen einsamen Stübchen, in dem seine arme Mutter am Spinnrädchen saß, seine Romane, die ein Schatz unserer Literatur sind, und wo sich in denselben zwei Seelen nach Sehnen, Schmerz, Trennung, Schuld oder Reue in Liebesjauchzen begegnen, da geschah es hier, unter den Linden und Rüstern von Eremitage. Was braucht es noch gesagt zu werden, daß hier von Jean Paul Friedrich Richter die Rede ist? Der Dichter wurde von den Napoleonischen Generalen abgelöst, die sich's hier bequem machten und die seidenen Polster absaßen, bis 1810 das Lustschloß mit dem Lande an Baiern kam.

König Ludwig der Erste von Baiern räumte seinem Vetter Herzog Pius die Eremitage als Sommersitz ein; der Großvater der Kaiserin von Oesterreich bewohnte bis zu seinem Tode dieselben Gemächer, welche einst Markgraf Friedrich und Hardenberg inne hatten. Schade, daß sie eine so totale, moderne Umwandlung erlitten hatten! Es giebt Orte, die als Reliquien behandelt werden müssen. Solche Orte sind Sanssouci und die Eremitage. In diesem also modernisirten Flügel finden sich noch einige Bilder von Persönlichkeiten des preußischen Königshauses und des brandenburgischen Hauses aus dem vorigen Jahrhunderte, aber über die Personen, welche sie vorstellen sollen, herrscht unter den Leuten, welche die Führer abgeben, vollständige Confusion. Es wäre an der Zeit, daß hier einmal eine historische Sichtung vorgenommen würde. Wie man sich erzählt, hat der deutsche Kronprinz bei seinem Besuche des Schlosses viele irrthümliche Traditionen in Bezug darauf berichtigt. Im Sommer 1851 war Eremitage von dem Könige Max von Baiern, dessen Gemahlin und seinen beiden Söhnen einige Zeit bewohnt. Eremitage ist eine der Jugenderinnerungen König Ludwig's des Zweiten von Baiern. Es scheint, daß diese Erinnerung zu einer Vorliebe in ihm geworden ist. Bei den Besuchen, die der König dem oberfränkischen Kreise abstattet, unterläßt er es in seinem pietätvollen historischen Sinne niemals, Schloß Eremitage und dessen Erinnerungen seine Huldigung darzubringen. Dann erholte sich König Otto von Griechenland während einiger Sommer hier von der Unruhe und den Enttäuschungen seines griechischen Königthums. Im Sommer 1874 stattete der Kronprinz des deutschen Reiches und von Preußen dem Lustschlosse in den Stammlanden des brandenburgischen Hauses seinen Besuch ab, neunundsechszig Jahre nach jenem letzten Besuche des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten und der Königin Louise im fränkischen Lande wieder der erste Hohenzoller in diesen Räumen, bis im Sommer 1876 Kaiser Wilhelm hier als Gast des königlichen Schloßherrn war und die Erinnerung an diese Stätte seines Geschlechts neu belebte.