Pferdezucht
Unter Pferdezucht versteht man die geplante und durchdachte Vermehrung von Pferden mit dem Ziel, Gesundheit, Leistungsvermögen und -bereitschaft und bestimmte Rassemerkmale zu erhalten oder zu verbessern. Waldemar Seunig formuliert schon 1943 als Zuchtziel: „Das vom Züchter zu erstrebende Ideal ist, ein Pferd zu schaffen von so vollkommener Gesundheit und Harmonie zwischen äußerem und innerem Leben, daß alle Kräfte frei bleiben für Wollen und Wirken im Dienste des Menschen.“[1]
Allgemeines
Da als Zuchtpferde nur Tiere eingesetzt werden sollten, die dem Zuchtziel der jeweiligen Rasse möglichst gut entsprechen, muss zunächst eine Auswahl erfolgen. Auswahlkriterien können sein:
Geschichte der Pferdezucht
Die Pferdezucht hat eine weit zurückreichende Historie und beginnt nach derzeitigem Wissensstand zwischen 5000 v. Chr. und 3000 v. Chr. etwa zeitgleich in verschiedenen Gebieten Europas, Asiens und Nordafrikas. Der Einsatz von Pferden steigerte vielfach die Beweglichkeit der sie nutzenden Völker. Die Domestizierung führte gleichzeitig zu einer stärkeren Vermischung der Pferderassen untereinander, da der Mensch stets bemüht war, aus den im nun größeren Aktionskreis vorgefundenen Rassen das ihm jeweils am besten erscheinende Zuchtmaterial zu verwenden. Es ist außerordentlich schwierig, den genauen Domestikationszeitpunkt festzulegen, da es nur wenige Anhaltspunkte gibt, an denen ein domestiziertes Pferd von einem Wildpferd unterschieden werden kann. So ist man normalerweise auf den Fund von Gebrauchsgegenständen wie Trensen und Sätteln angewiesen. Haupteinsatzzwecke waren anfangs wohl der Transport von Lasten und die Fleischproduktion; bald kamen auch das Reiten und die Feldarbeit hinzu. Heute gibt es hunderte verschiedener Pferderassen, die mit dem Menschen nahezu alle Lebensräume erobert haben. Seit Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts ist ein Rückgang der Artenvielfalt zu beobachten. Ursache dafür ist der Wegfall einer Reihe von Einsatzgebieten durch die fortschreitende Industrialisierung.
Letzte Untersuchungen, die auf der Auswertung der mitochondrialen DNA von heutigen Hauspferden und von Fossilien ausgestorbener Rassen beruhen, deuten darauf hin, dass die Domestikation des Pferdes nicht an einem Ort, sondern unabhängig voneinander an mehreren Orten stattgefunden hat. Wesentliches Indiz hierfür ist die Breite der genetischen Variationen, die in beiden Testgruppen gleich groß ist. Bei nur einem Domestikationsort wäre bei den Hauspferden eine geringere genetische Variationsbreite zu erwarten gewesen. Zudem wurde bei diesen Tests festgestellt, dass einige der fossilen Funde näher mit heutigen Rassen verwandt waren als einige heutige Rassen untereinander.
Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 kamen ca. ein Drittel aller deutschen Pferde um, weil sie im Interesse der Beweglichkeit/Schnelligkeit der deutschen Armeen, eingesetzt worden waren. In der Folge einigten sich die deutschen Fürsten auf eine Rassenverteilung, um für den nächsten Krieg durch eine breite Streuung der kriegswichtigen Rassen gerüstet zu sein. Hierzu bekamen die staatlichen Gestüte das Hengstmonopol, um in jedem deutschen Teilstaat vorrangig eine bestimmte Rasse zu züchten. Auch wenn das Hengstmonopol sich nicht durchsetzen ließ, so war es doch ca. die Hälfte der Pferde, die entsprechend gezüchtet werden konnten. Bei der Weltausstellung 1900 in Paris konnten diese einheitlichen Rassen erstmals international präsentiert werden.[2]
Hieraus würde sich auch die starke Divergenz einiger heutiger Rassen, wie Ponys, Kaltblüter und Vollblüter erklären, da die Züchter zur unterschiedlichen Entwicklung der Rassen nicht nur den Domestikationszeitraum gehabt hätten, sondern auf das genetische Material bereits lange vorher existierender Rassen zurückgreifen konnten.
Der Fachbegriff für Deckhengste ist im Allgemeinen Beschäler oder Schälhengst, die auf einem Landgestüt eingesetzten Hengste werden als Landbeschäler bezeichnet.
Zuchtverfahren
Zu Beginn der Pferdezucht kann man kaum von einer systematischen Zucht heutiger Form sprechen. Es wurden schlicht die zur Verfügung stehenden Tiere nach Gefallen miteinander gekreuzt. Gerne wurden durch Handel oder Raubzüge aus entfernteren Gegenden stammende Tiere eingekreuzt. Das Endprodukt war eher zufällig. Die Rassen entsprachen weitgehend den im jeweiligen Gebiet vorgefundenen Naturrassen.
Heute werden Pferde meist nur dann zu Zucht zugelassen, wenn sie in das Herdbuch der jeweiligen Pferderasse aufgenommen sind. Dazu werden sie bei Zuchtschauen vorgeführt. Hengste müssen gekört werden.
Leistungszucht
Warmblutrassen haben meist ein offenes Stutbuch, das bedeutet, dass selbst Pferde, deren Eltern nicht eingetragen sind, in das Stutbuch aufgenommen werden dürfen, wenn sie den Anforderungen des Zuchtziels der jeweiligen Rasse genügen. Mit Hilfe der Zuchtwertschätzung kann die Leistung der Rasse verbessert werden.
Reinzucht
Beim Reinzuchtverfahren werden nur Tiere der gleichen Rasse miteinander angepaart. Man spricht in diesem Fall auch von einem geschlossenen Zuchtbuch. Rassen, die nach diesem Verfahren gezüchtet werden, haben meist eine konsolidierte Population. Das heißt, die meisten Tiere sind sich bezüglich Aussehen und Charaktereigenschaften recht ähnlich und es gibt verhältnismäßig wenige extreme Ausnahmen. Bei der Reinzucht gilt es für die Züchter, ein besonderes Augenmerk auf die Erhaltung der genetischen Vielfalt zu legen, da eine zu enge Blutführung auch zu nicht unerheblichen Gesundheitsproblemen führen kann. Die bekanntesten Rassen mit geschlossenen Zuchtbüchern sind das Arabische Vollblutpferd (Rassekürzel »ox«), das Englische Vollblutpferd (Rassekürzel »xx«) und das Islandpferd. Auch einige Warmblutrassen wie die Holsteiner oder die Trakehner haben nahezu geschlossene Zuchtbücher.
Veredlung
Die Veredlung einer Rasse durch Einzucht einiger weniger Individuen mit gewünschten Eigenschaften ist Standard in der Pferdezucht. So wurden in vielen Rassen Araber, Vollblüter oder Trakehner zur Veredlung eingesetzt. Im Gegensatz zur Einkreuzung wird der Veredler gezielt anhand gewünschter Eigenschaften ausgesucht.
Kreuzung
Bei der Kreuzung wird, wie zum Beispiel beim Aegidienberger, versucht, die Eigenschaften zweier Rassen zusammenzuführen. Die beiden Ursprungsrassen werden im Zuchtverlauf immer wieder zur Blutauffrischung und Verfestigung der Zuchtrichtung eingekreuzt. Es können selbstverständlich auch mehr als zwei Rassen die Ausgangspunkte der Kreuzung bilden, die Ausgangsrassen sollten dann aber bereits eine hohe Ähnlichkeit aufweisen, um ein zu starkes Aufspalten der neuen Zuchtlinie zu vermeiden. Beispiel für ein großflächiges Einkreuzungs-„Programm“ war in der Renaissance und im Barock die Kreuzung einheimischer mittel- und nordeuropäischer Rassen mit spanischen Pferden (wobei hierbei meist einzelne, heute noch namentlich bekannte Hengste aus Spanien eingesetzt wurden, so dass man auch von Veredelung sprechen könnte), die zur Entwicklung von Lipizzanern, Kladrubern, Frederiksborgern, Friesen, Neapolitanern und vermutlich auch dem Connemara-Pony geführt haben.
Zucht im 21. Jahrhundert
Die Zucht ist in Zuchtverbänden organisiert. Es gibt Staatsgestüte, der Großteil der Zuchttiere befindet sich jedoch in der Hand von privaten Züchtern. Grundlagen für die Pferdezucht in Deutschland sind das Tierzuchtgesetz sowie die Verordnung über Leistungsprüfung und Zuchtwertfeststellung bei Pferden.
Wie andere Tiere auch werden Pferde mittlerweile nicht mehr nur auf natürlichem Wege (Natursprung, Begattung), also durch das Zusammenführen von Hengst und Stute, vermehrt. Auch hier haben künstliche Besamung und Embryotransfer Einzug gehalten. Zur künstlichen Besamung ist zunächst Sperma erforderlich, das durch Absamung gewonnen wird. Das Sperma wird verdünnt, portioniert und tiefgekühlt. Diese Entwicklung wird teilweise kritisch betrachtet. Zu den Vorteilen der künstlichen Besamung zählen sicherlich die geringere Belastung der Tiere, da Transportwege entfallen und die Risiken von Verletzungen und Krankheitsübertragung minimiert werden, sowie die Kostenvorteile für den Züchter. Nachteilig sind zum einen die schlechteren Trächtigkeitserfolge bei Stuten, zum anderen besteht langfristig die Gefahr einer genetischen Verarmung, da gewisse offensiv vermarktete „Modehengste“ ihre Erbanlagen nun überdurchschnittlich oft weitergeben können.
Abstammung
Bei Pferden ist der Generationenabstand verhältnismäßig lang. Stuten haben selten mehr als sechs Nachkommen, dadurch können sie ihre Merkmale nicht im selben Maße weitervererben wie Hengste, die eine ganze Zuchtlinie begründen können. Bestes Beispiel hierfür ist die Zucht des Englischen Vollblüters, bei der 95 % der Rassetiere auf einen Hengst zurückgehen.
Die Abstammung eines Pferdes wird meist mit drei Hengsten aus dem Stammbaum charakterisiert, siehe nachfolgende Grafik:
- der Vater, oftmals mit V abgekürzt (2)
- der Muttervater, oftmals mit MV abgekürzt (6)
- der Mutter-Mutter-Vater, oftmals mit MMV abgekürzt (14)
I | II | III | IV |
---|---|---|---|
Musterpferd (1) | Vater (2) | Großvater väterlicherseits (4) | Urgroßvater (8) |
Urgroßmutter (9) | |||
Großmutter väterlicherseits (5) | Urgroßvater (10) | ||
Urgroßmutter (11) | |||
Mutterstute (3) | Muttervater (Großvater mütterlicherseits, 6) | Urgroßvater (12) | |
Urgroßmutter (13) | |||
Großmutter mütterlicherseits (7) | Mutter-Mutter-Vater (Urgroßvater,14) | ||
Urgroßmutter (15) |
Als verkürzte Form der Darstellung ist häufig die Schreibweise (Name des Vaters) x (Name des Muttervaters) x (Name des Mutter-Mutter-Vaters) zu finden. Bei ausführlichen Angaben oder soweit die Mutter herausgehoben werden soll, ist auch die Angabe (Name des Pferdes), von (Name des Vaters) aus der (Name der Mutter) von (Name des Muttervaters) zu finden.
Der Anfangsbuchstabe des Zuchtnamens eines Pferdes bestimmt sich je nach Zuchtverband oftmals nach dem Anfangsbuchstaben des Namens des Vaters (häufigste Variante, insbesondere in Warmblutzuchten), nach dem Anfangsbuchstaben des Namens der Mutter (Englisches Vollblut) oder aber nach dem Geburtsjahr.
Hierbei kann sich der Zuchtname durchaus vom sonst üblichen Namen des Pferdes unterscheiden. So ging zum Beispiel der Holsteiner Hengst Caspar (Zuchtname, Anfangsbuchstabe C von seinem Vater Cassini I) im Turniersport unter dem Namen Eurocommerce Berlin.[3] Ein einmal vergebener Zuchtname kann nicht mehr geändert werden.[4]
Um die Bedeutung der Mutterstuten darzustellen, wurden insbesondere in der Holsteiner Zucht alle Stutenstämme durchnummeriert und werden entsprechend benannt.[5] In der Trakehner Zucht beginnt der Name des Pferdes mit dem Anfangsbuchstaben der Mutter, und die Stutenstämme werden in Familien unterteilt, die jeweils den Namen der Linienbegründerin tragen und durch einen Familienschlüssel systematisiert werden, z. B. Familie der Blitzlicht 018B1.[6]
Siehe auch
Literatur
- Michael Schäfer: Handbuch Pferdebeurteilung. Kosmos Verlag, 2000, ISBN 3-440-07237-1
- Waldemar Seunig: Von der Koppel bis zur Kapriole. Die Ausbildung des Reitpferdes. Mit einem Nachwort von Bertold Schirg. 2. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1943, Hildesheim usw. 2001 (Documenta Hippologica), ISBN 3-487-08348-5
- Richtlinien für Reiten und Fahren, Bd. 4, Haltung, Fütterung, Gesundheit und Zucht. Fn-Verlag, 2005, ISBN 3-88542-284-0
- Wilhelm Bittorf, Fotos: Nik Wheeler: Pferde: Kein Platz für Mustangs im Wilden Westen? In: Geo-Magazin. Hamburg 1979, 4, S. 88–104. Informativer Erlebnisbericht: „Im Auftrag der US-Regierung werden jedes Jahr Hunderte wilder Pferde gefangen und Amerikanern zur Adoption freigegeben.“ ISSN 0342-8311
Weblinks
- Literatur von und über Pferdezucht im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Allgemein
- Liste der deutschen EU-Besamungsstationen
- Liste deutscher Pferdezuchtverbände
- OCD-Forschungsprojekt
- Text des Tierzuchtgesetzes
- Datenbank für Sportpferde aller Rassen
- Karin Purrucker-Ströh: Pferdezucht – theoretisch betrachtet auf www.hippologie.net
- EU-Bestimmungen
Einzelnachweise
- Seunig, S. 244
- Arnd Krüger: A Horse Breeder's Perspective: Scientific Racism in Germany. 1870–1933, in: N. FINZSCH & D. SCHIRMER (Hrsg.): Identity and Intolerance. Nationalism, Racism, and Xenophobia in Germany and the United States. Cambridge: University Press 1998, 371 – 396.
- Liste des Holsteiner Zuchtverbandes zu privaten Hengststationen in Schleswig-Holstein (Memento vom 16. September 2011 im Internet Archive)
- Abschnitt „Der Unterschied zwischen Sport- und Zuchtname“ bei der Pferdenamenssuche der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven)
- Holsteiner Stutenstämme, www.holsteiner-stutenstaemme.com
- Stutenstämme (Memento vom 14. Oktober 2007 im Internet Archive), Trakehner Verband