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Natascha Geiers NDR-Doku war oberflächlich? Wir beleuchten das Buch zur Hamburger Schule - und sprachen darüber mit Bernadette La Hengst.

Hamburg (rnk) - "Zum ersten Mal sympathische Menschen aus Hamburg, die ich kennengelernt habe. Die Tanztussis und die ganze Playback-Mucke findet auf anderen Kanälen statt. Echte Musik mit echten Frauen", mit diesen Worten kündigt der "Absolut Live"-Moderator auf N3 die Band Die Braut Haut Ins Auge an. Eine Anmoderation, wie sie nur in den Neunzigerjahren stattfinden konnte, als Begrifflichkeiten wie "echt" noch wichtig waren und man betonen musste, dass hier auschließlich Frauen spielen. Ich sehe diesen Konzertmitschnitt das erste Mal während meiner Recherche zum Buch "Der Text Ist meine Party" (Ventil Verlag, broschiert, 248 Seiten, 25 Euro). Uns beide vereint, dass wir damals noch zu jung waren und unser Provinz-Umfeld keinerlei Interesse oder gar Kenntnisse über das besaß, was in Hamburg Anfang der Neunziger passierte.

Als wir zu leben anfingen, war die Hamburger Schule schon vorüber, geblieben ist der interessierte Blick auf diesen Mythos, dem der Autor nun in einer Oral History nachgeht. Also zurück nach Bad Salzuflen, wo das Label "Fast Weltweit" quasi die Vorschule gründete und dann nach St. Pauli, zurück zu Diskurs und Pop. Hamburger Schule bleibt, das merkt man auch nach der Lektüre, ein schwammiger Begriff, der aber noch Jahrzehnte später Emotionen auslöst, wie Engelmann ausführt. Emotionen lösten Tocotronic oder Blumfeld auch bei uns Provinz-Punks aus, wenn auch anfangs noch keine guten. Man beäugte ihre Seitenscheitel und feine Sprache immer etwas suspekt. "Schnösel" war noch einer der netteren Begriffe, als "Digital Ist Besser" mit ordentlicher Verspätung auch in unserem südwestfälischen Gefilden eintraf.

Literatur-Zitate wie intertextuelles Sampling

Die Ex-Braut-Sängerin Bernadette La Hengst widerspricht schmunzelnd dieser Einschätzung, als wir sie zur Buchveröffentlichung im Zoom-Interview antreffen: "Die meisten von uns hatten ganz schlechte Abi-Noten oder sogar die Schule abgebrochen. Ich kann aber verstehen, dass es arrogant wirkte, wie da die ganzen Bücher und Filme zitiert wurden. Wir hatten mit unserer Band auch anfangs das Gefühl, dass man in die Szene gar nicht reinkommt, wenn man nicht Adorno kennt. Wir fanden das aber gleichzeitig interessant und habe uns deswegen genauer damit beschäftigt".

Ein ziemlich guter Punkt, denn vielleicht wäre man auf dem Weg in die Adoleszenz erst gar nicht zum "Kenner dieser fürchterlichen Streifen" oder der Literatur geworden, wenn sie Tocotronic und die anderen Bands nicht in unsere noch kleine Welt gebracht hätten. Dass Blumfeld ihre Film- und Literatur-Zitate wie intertextuelles Sampling verwendeten, war damals ein spannender Umgang mit deutscher Sprache. "Das mit der Urheberschaft kam ja später. Wir haben diese Texte einfach so genommen und ohne Kennzeichnung neu zusammengestellt. Die Hörer*innen hielten das dann entweder für total genial, weil sie die Zitate dechiffrieren konnten oder eben für arrogant."

Ein anderes Problem enstand zusätzlich in der Rezeption der Hamburger Schule: Hier die Bewunderung der intellektuellen Jungs, die man wegen ihrer sprachlichen Finesse bewunderte und dann die sympathischen Pop-Girls, mit denen man scheinbar niedrigschwelliger anbandeln konnte. "Letztlich waren wir ja nicht so leicht zugänglich", erklärt Bernadette und führt weiter aus: "Wir waren ja bei einem Majorlabel unter Vertrag und da galten wir als schwierig. Wir wollten eben keinen Hit-Remix von einem zerbrechlichen Song oder Kostüme tragen. Lange konnte man auf die immer noch großartigen Die Braut Haut Ins Auge-Alben auch gar nicht zugreifen, weil das Label alle CDs und LPs der Band einfach vernichtet hat. Das hat mich in den letzten 25 Jahren am traurigsten gemacht, dass ich so oft über die Musik sprach, obwohl sie nirgendwo verfügbar war."

"Warum wurden Frauen hundertmal strenger bewertet als Männer?"

Man musste sich ja auch gegen die vielen Hamburger Jungs behaupten, die in der scheinbar progressiv-linken Szene den Ton angaben. Knarf Rellöm kritisiert diesen Männerüberschuss im Buch: "Kolossale Jugend, vier Jungs. Die nächste Band, die mir einfällt, ist Blumfeld, drei Jungs, die nächste Band, die mir einfällt, ist Tocotronic, drei Jungs, die nächste Band sind Die Sterne, vier Jungs. Nur Jungs!" Bianca Gabriel, Grafikerin für u.a. Die Sterne, fragt: "Warum wurden Frauen, wenn sie Ambitionen zeigten, Musik zu machen, entweder nicht ernst genommen oder hundertmal strenger bewertet als Männer? Und das übrigens auch von anderen Frauen."

Ein Umstand, der auch Bernadette La Hengst umtreibt: "Ich habe mich bis ca. 1997 nicht wirklich mit anderen Musikerinnen solidarisiert, man hätte sich ja zusammenschließen können. Da waren wir noch nicht so weit, wie die Vorbilder der Rrriot Grrrl-Szene, die nach Deutschland rüber schwappte. Wir wollten mit den anderen Frauenbands auch gar nicht auf der Bühne stehen, weil wir textlich und musikalisch anders waren. Wir wollten nicht auf der Mädchenbühne spielen, sondern da wo alle spielen. Wir wollten uns nicht ausschließen, sondern den ganzen Kuchen und nicht nur die Krümel zugeworfen bekommen. Wir fühlten uns der feministischen Musikerszene auch gar nicht so zugehörig, weil uns die Musik nicht ansprach. Später habe ich erkannt, was für eine unheimliche Kraft von diesen Netzwerken ausgeht. Dieses gegenseitige Empowern, was die Männer schon seit Jahrtausenden erfolgreich praktizieren."

"Es gab damals eigentlich unheimlich viele Frauen"

Auch Rebecca Walsh (Nixe, Huah!) öffnet im Buch eine andere Perspektive: "Es gab eigentlich unheimlich viele Frauen. Natürlich nicht ganz so viele wie Männer. Aber wenn man gewollt hätte, hätte man mit Frauen Musik machen können, das wäre gar kein Problem gewesen, wir kannten die ja alle. Warum sind sie nicht so bekannt geworden? Ich habe mich gefragt, ob es da vielleicht in der Vermarktung ein Problem gab. Ich hatte als Frau nie das Gefühl, dass man mich nicht hat mitmachen lassen, dieses Gefühl: '"Halt deinen Mund, du bist eine Frau' oder 'Du darfst nicht mitreden!' – im Gegenteil. Die Männer haben mich total unterstützt oder mich sogar dazu angeregt, Sachen zu machen, auf die ich von selber nicht gekommen wäre." Und es gibt Stimmen wie die von Antje Jelinek (Die Ruhrbarone) oder die Grether-Schwestern, die in der NDR-Doku eher einem Opfer-Narrativ anhängen.

Für Bernadette bleibt es dennoch "bemerkenswert, dass auch die bekannten Indie-Labels wie L'Age D'or Die Braut haut ins Auge nicht unter Vertrag nehmen wollten. Niemand wollte uns heraus bringen und ich verstehe bis heute nicht warum. Das war denen wohl nicht diskursiv genug oder wir standen so zwischen den Pop- und Punk-Stühlen. Dieses Tabu, dass man nicht zu einer Major-Firma geht, haben wir als erste gebrochen und dann standen wir gleich noch weiter außerhalb."

So abgrenzend und ärgerlich das Verhalten der Indie-Labels gewesen sein muss, die Story, wie Die Braut haut Ins Auge schließlich ihren Vertrag ergatterte, bleibt bemerkenswert. In einer Eppendorfer Kneipe suchten sie eine Gitarristin der legendären Liverbirds auf. Eine Female-Gitarrenband aus Liverpool, die wie die Beatles in den Sechziger Jahren im berühmten Star Club auf St. Pauli auftraten, aber trotz großer Bewunderung der späteren Beat-Sensation leider keinen Weltruhm erlangte. Später wurde die Karriere zur Seite gelegt, weil sie sich eben doch um die Familie kümmern mussten. Eine Demokassette von Die Braut Haut Ins Auge landet jedenfalls bei der ehemaligen Bassistin Mary Dostal, deren Mann der Musikproduzent Frank Dostal ist. "Der hat mich am nächsten Tag angerufen und gesagt: Ich finde euch super! Ich werde euch heraus bringen!"

Die Hamburger Schule spricht nicht mit einer Stimme

Später verbünden sich auch Indie-Labels wie L'Âge d'Or mit Polydor und die dogmatischen Grenzen weichen endgültig auf. Heutiges Sponsoring, mit denen Indie-Bands überhaupt erst überleben können, war in der Schule verpönt und stellte einen Bruch mit allen Idealen da. Es fällt auf: Die Hamburger Schule spricht nicht mit einer Stimme. Es gab verschiedene Strömungen und Richtungen, die an einem Ort zum richtigen Zeitpunkt zusammen flossen. Die Frage nach dem Erbe ist natürlich entsprechend schwierig.

Christiane Rösinger meint gewohnt scharfzüngig in der NDR-Doku, dass die Schule auch Schuld an Tomte und vielen gefühligen Pop-Mainstream-Poeten trage. Als Konkurrentin sieht sich Bernadette jedenfalls heute nicht mehr: "Es lag in den Neunzigern schon etwas in der Luft zwischen der Braut und den Lassie Singers, aber wir haben das dann auch ganz gut aufgelöst. Ich habe 1999 eine Tour für die Lassie Singers gebucht und da haben wir uns letztendlich doch angefreundet.

Tocotronic-Bassist Jan Müller trifft es im letzten Kapitel von "Der Text ist meine Party" ganz gut: "Geblieben ist ein Haufen interessanter Platten, schöne Musik und darüber eine gewisse Haltung. Es wurde eine Haltung etabliert in der Musikbranche, dass man eben nicht den Erfolg über alles stellt." Aktuellstes Beispiel ist Rösinger, die ein Engagement beim Tatort ablehnte, weil auch ein Rammstein-Mitglied daran teilnimmt.

Blickt man auf die derzeitige, deutsche Poplandschaft, offenbart sich eine Lücke. Hip Hop bildete irgendwann die neuen musikalischen Epizentren, erfand sich schneller neu und hatte die größere Zugänglichkeit. Wir Sind Helden, Juli und Silbermond reüssierten mit einem poppigeren und kommerziellen Sound, der weitere Nachahmer fand.

Die Braut Haut Ins Auge-Alben endlich wieder erhältlich

Was nichts daran ändert, dass alle Protagonist*innen der Schule noch weiter aktiv im Musik oder Kulturbereich geblieben sind. Bernadette La Hengst arbeitet im Theater, als Radiomoderatorin und ihre Die Braut Haut Ins Auge-Alben sind endlich wieder erhältlich. Bernd Begemann veröffentlicht weiterhin tolle Alben, ebenso wie Die Sterne oder Tocotronic. "Ich spiele in meiner zweistündigen radioeins-Sendung immer Songs, die mir meine Tochter Ella empfiehlt und das bringt mich weiter. Die sucht bei Spotify nicht nur nach der Oberfläche, sondern geht auch in die Tiefe. Aus welchem Land die Künstler*innen kommen und welcher Szene sie angehören. Das kommt natürlich daher, dass ihre Mutter selber Musikerin ist. Die guckt sich auch jetzt alles super neugierig an und ist voll stolz", freut sich La Hengst.

Wer also in den letzten Tagen angesichts des Wirbels um die NDR-Dokumentation nur Bahnhof, respektive Schule verstand, kann nun das Buch von Jonas Engelmann zur Hand nehmen. Passend zum ebenfalls erschienenen Compilation-Album und unserem ausführlichen Begemann-Interview. Etwas mehr Perspektiven von außerhalb und eine weniger wissenschaftliche Erzählung hätten der Geschichte dennoch gut getan.

Jonas Engelmann - Der Text Ist Meine Party*

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Fotos

Tocotronic, Die Sterne und Blumfeld

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