[go: up one dir, main page]

Zeitschrift-Artikel: Eine Prise Salz und ein Topf voll Frieden

Zeitschrift: 142 (zur Zeitschrift)
Titel: Eine Prise Salz und ein Topf voll Frieden
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 3497

Titel

Eine Prise Salz und ein Topf voll Frieden

Vortext

„Habt Salz in euch selbst und seid in Frieden untereinander.“ Mark 9,50

Text

Mit dieser freundlichen Ermahnung endet ein hochinteressantes und aktuelles Kapitel im Markusevangelium.
Die Jünger Jesu hatten sich mal wieder von ihrer – uns so sehr vertrauten – menschlichen Seite gezeigt. Sie wurden auffallend still, als der Herr ihnen die Stationen seines Leidensweges
angekündigt hatte. Sie schwiegen in ihrer Verlegenheit, denn das Gehörte passte nicht zu ihrem Verständnisraster und ihren Zukunftsträumen.

Persönlicher Ehrgeiz?
Nur kurze Zeit später, auf dem Weg nach Kapernaum, gab es unter ihnen allerdings eine sehr lebhafte Diskussion.
Das alte, aber immer aktuelle und bis heute beliebte Thema, wer unter ihnen wohl der Größte sei, löste die Zungen und wurde ungeniert besprochen.
Die anschließende Gegenstandslektion des Herrn – dessen Geduld und Langmut im Umgang
mit den Jüngern man nur bewundern kann – hinterließ aber anscheinend keinen bleibenden
Eindruck bei ihnen.

Kollektiver Ehrgeiz?
Die ermahnenden Worte des Herrn: „Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk 9,35) wurden schnell abgehakt und das Thema gewechselt:
Denn da gab es doch tatsächlich jemanden, der im Namen Jesu Dämonen austrieb, obwohl er nicht zu dem Kreis der auserwählten Jünger gehörte. „Wir wehrten ihm, weil er uns nicht
nachfolgte“, beschwerte sich Johannes als ihr Wortführer (Mk 9,38).
Erst ging es um persönliche Ambitionen und jetzt stand der kollektive Ehrgeiz zur Diskussion.
Schließlich meinten sie als auserwählte Jünger die alleinige Berechtigung zu haben, Wunder zu tun und Dämonen auszutreiben …
Anscheinend hatten sie die erst kürzlich erlebte schmerzliche und demütigende Erfahrung ihrer vergeblichen Dämonen-Austreibung vergessen oder verdrängt (Verse 14-19) und dann wagte einer mit Erfolg im Namen Jesu Dämonen auszutreiben, der nicht zu ihrer „Fraktion“ gehörte? Das durfte doch nicht wahr sein!
Die anschließende, sehr deutliche Korrektur und Warnung des Herrn endete mit der oben zitierten Ermahnung: „Habt Salz in euch selbst und seid in Frieden untereinander.“

Eine Prise Salz …
Salz diente damals wie heute als wichtiges Gewürz, aber auch als konservierendes und desinfizierendes Mittel. Wohl und gezielt dosiert und angewandt ist es sehr wertvoll und unverzichtbar in der Küche wie in der Medizin.
Aber überaus beißend und verletzend, wenn es unkontrolliert und in Mengen verabreicht wird.
Mit einer Überdosis Salz kann man einen Menschen töten …
Salz ist in der Bibel ein oft gebrauchtes Bild für die Wahrheit und Wirksamkeit des Wortes Gottes. Man kann Gespräche und Predigten würzen oder schmackhaft machen, in manchen Fällen auch heilen oder desinfizieren, wenn etwas wund ist oder gereinigt werden muss. Aber mit einem fleischlichen Einsatz der Wahrheit kann man – wie mit zu viel Salz – auch großen Schaden
anrichten.

„Wahrheitssucht“ und „Wahrheitsflucht“
Wahrheit und Frieden in ausgewogener Harmonie scheint auch unter uns Christen, die wir uns gerne als „bibeltreu“ bezeichnen, Seltenheitswert zu haben.
Da gibt es solche, die von einer Art unnüchterner „Wahrheitssucht“ befallen sind und ihr Verständnis von der Wahrheit für das allein richtige halten. Andere wiederum scheinen von einer „Wahrheitsflucht“ getrieben zu werden. Sie meiden jede theologische Auseinandersetzung
und Konfrontation, weil sie diese für die Ursache von Disharmonie in den Gemeinden halten.
Die einen scheinen sich über jede Gelegenheit zu freuen, um vermeintliche Irrtümer bei „Anderen“ zu entdecken und dann kübelweise Salz zu streuen. Auf der anderen Seite ist man
empört, wenn es jemand wagt, in theologischen Auseinandersetzungen „Ross und Reiter“ zu nennen.
Bestimmte Seiten im Internet sind voll mit gesalzenen Urteilen über Geschwister, die eine andere Seite der „Wahrheit“ betonen oder vertreten und es wird nicht an gepfefferten Ausdrücken gespart, die man in der Kommunikation unter Christen ganz sicher nicht vermuten würde.
Sogenannte „Arminianer“ dreschen auf sogenannte „Hyper-Semi- oder Neo-Calvinisten“ ein und umgekehrt genau so.
Da macht man „Lordship-Salvation“ oder „Freie Gnade“ zum Streit-Thema, als hätten wir nichts Besseres zu tun.
„Missionale“ und „emergente“ Lehren und Praktiken werden propagiert und bekämpft – oft ohne die Begriffe und die damit verbundenen Gefahren verstanden, definiert und erklärt zu haben. Nur selten suchen die Kontrahenten die Begegnung und das Gespräch. Oft benutzen sie die Medien, um im Schreibtisch-Sessel sitzend die Klingen zu kreuzen.
„Salz in sich“ zu haben und trotzdem in „Frieden miteinander“ zu leben – geht das überhaupt, oder ist es eine Utopie?

Ein Prediger, der in keine Schublade passte
Gott sei Dank gibt es auch Ausnahmen! Manchmal muss man allerdings in der Kirchengeschichte
nach Vorbildern suchen …
In einem Buch von John Piper unter dem Titel „Beharrlich in Geduld“ wird das Leben eines Mannes skizziert, der in unseren Breitengraden fast unbekannt ist: Charles Simeon.
Er lebte in der Zeit der „Großen Erweckung“ in England, in welcher gleichzeitig der alte und immer neue Kampf der „Calvinisten“ gegen die „Arminianer“ heftig tobte. Die Freunde John Wesley und George Whitefield waren Wortführer der beiden „gegnerischen“ Lager und auch damals fehlte es nicht an heftigen und beleidigenden Streitgesprächen, schriftlichen Stellungsnahmen und Gegendarstellungen.
Charles Simeon aber suchte die Begegnung und das Gespräch. Piper schreibt über ihn: »Er wollte weder als Calvinist noch als Arminianer bezeichnet werden, sondern der Bibel von Grund auf treu sein und jedem Text seinen ihm gebührenden Platz einräumen – ganz gleich, ob er Arminianern oder Calvinisten die besseren Argumente zu liefern schien. Bekannt war er aber als evangelikaler Calvinist, und das zu Recht …
Für unbarmherzige Calvinisten hatte er jedoch wenig Sympathie. In einer Predigt über Römer 9,16 sagte er:
„Es gibt viele, die diese Wahrheiten [die Lehren von der Souveränität Gottes] nicht sehen können, obwohl sie ein Leben führen, das Gott wahrhaftig erfreut.
Ja, es gibt viele, zu deren Füßen die Besten von uns im Himmel nur allzu gern sitzen würden.
Es ist ein großes Übel, wenn diese Lehren ein Grund zur Spaltung zwischen uns werden und die Befürworter unterschied-licher Systeme sich gegenseitig verurteilen. […]
In Bezug auf Wahrheiten, worüber so viel Unklarheit herrscht wie über die Lehren der Souveränität Gottes, sind gegenseitige Freundlichkeit und Zugeständnisse weitaus besser als
scharfe Auseinandersetzungen und lieblose Diskussionen.“

Das Gespräch mit John Wesley
Ein Beispiel dafür, wie er seinen eigenen Rat in die Praxis umsetzte, finden wir in einem
Gespräch mit dem greisen John Wesley. Er erzählt die Begebenheit selbst:
„Sir, ich verstehe, dass Sie als Arminianer bezeichnet werden; und ich wurde gelegentlich Calvinist genannt. Deshalb, so nehme ich an, könnten wir leicht aneinandergeraten.
Doch bevor ich mich zum Kampf bereit erkläre, möchte ich Ihnen mit Ihrer Erlaubnis einige Fragen stellen. …
Damit zur ersten Frage, Sir: Fühlen Sie sich als verdorbenes Geschöpf, und zwar so verdorben, dass Sie nie daran gedacht hätten, sich zu Gott hinzuwenden, wenn er Ihnen diese Absicht nicht
zuvor ins Herz gelegt hätte?“ – „Ja, natürlich.“
„Und haben Sie jegliche Hoffnung aufgegeben, dass Sie sich vor Gott mit irgendeiner Ihrer Taten empfehlen können? Blicken Sie hinsichtlich Ihres Heils einzig und allein auf Christi Blut und Gerechtigkeit?“ – „Ja, ausschließlich auf Christus.“
„Aber, Sir, nehmen wir an, Sie wurden anfänglich von Christus errettet. Versuchen Sie dann jetzt nicht, sich irgendwie durch eigene Werke selbst zu retten?“ – „Nein, ich muss von Anfang bis Ende von Christus errettet werden.“
„Erlauben Sie es dann als zuerst durch die Gnade Gottes Umgestalteter, sich auf die eine oder andere Weise durch eigene Kraft im Glauben zu halten?“ – „Nein.“
„Werden Sie also jede Stunde und jeden Augenblick von Gott gehalten, so wie ein Säugling in den Armen seiner Mutter?“ – „Ja, ganz und gar.“
„Und hoffen Sie von ganzem Herzen darauf, dass Gott Sie in seiner Gnade und Barmherzigkeit
bewahren wird, bis Sie in sein himmlisches Reich kommen?“ – „Ja, außer ihm habe ich keine
Hoffnung.“
„Dann, Sir, werde ich mit Ihrer Erlaubnis den Kampf nicht aufnehmen, denn all dies kennzeichnet
meinen Calvinismus. Es ist meine Erwählung, meine Rechtfertigung durch Glauben, mein Ausharren bis zum Ende: Es ist im Kern alles, woran ich festhalte und das ich vertrete.
Und deshalb, wenn Sie gestatten, werden wir uns von ganzem Herzen in den Dingen zusammenschließen, worin wir übereinstimmen, statt Begriffe und Wendungen aufzuspüren, die Streit zwischen uns verursachen.“
Aber verstehen Sie dies nicht dahin gehend, dass Simeon keine Überzeugungskraft hatte, wenn er biblische Texte auslegte. Er predigte unumwunden, was die Bibel lehrt, und nannte Irrtum beim Namen. Allerdings war er eifrig bedacht, Sachverhalte immer ausgewogen zu betrachten.«(1)

Piper zieht aus dieser interessanten Begegnung folgende Erkenntnis, die auch für unser aktuelles Problem sehr hilfreich und nachahmenswert sein könnte:
„Ein persönliches Gespräch unter vier Augen besitzt ein großes friedenstiftendes Potenzial.
Seine Vorgehensweise ersparte Simeon nicht die jahrelange Kritik, aber sie war sicherlich eines der Mittel, die Gott benutzte, um den Widerstand auf lange Zeit zu überwinden.“(2)

Nachtext

Quellenangaben

(1) John Piper: „Beharrlich in Geduld“, CLV, Bielefeld, 2010, S. 116 – 120
(2) Ebd., S. 139