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Zeitschrift-Artikel: Anleitung, wie die Heilige Schrift zu lesen sei ...

Zeitschrift: 94 (zur Zeitschrift)
Titel: Anleitung, wie die Heilige Schrift zu lesen sei ...
Typ: Artikel
Autor: PAUL GEYSER
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 1411

Titel

Anleitung, wie die Heilige Schrift zu lesen sei ...

Vortext

Text

Wenn du die Heilige Schrift lesen willst, so hüte dich zum ersten vor jeder Brille. Gebrauche die Augen, die du im Kopfe hast, gerade so, wie sie sind. Sodann hüte dich auch vor allen Wachslichtern, Öllampen und jeglichem Licht, das Menschen erfunden haben, um den hellen Gottestag zu verspotten. Sei zufrieden mit der Sonne, die am Himmel steht, und vor deren Helligkeit nichts verborgen bleibt. Also, wenn du die Heilige Schrift lesen willst, so merke erstlich, was du vor dir hast: nicht ein Buch von diesem Mann oder jenem Mann, bei welchem die Hexenmeister und Vogelbeschauer Babylons und die Kalbspriester Jerobeams dich erst introduzieren müssen, sondern Gottes Offenbarung, Gottes heiliges, ewiges Wort. Das halte dir beständig vor, dann tust du erst die Augen recht auf und siehst die Worte mit dem rechten Ernste an. Das Zweite, was ich dir rate, ist: dass du nicht bald hier bald da dir ein Kapitelchen auswählst, um dich einen Augenblick zu sonnen und zu wärmen (Joh 5, 35), sondern fange da an, wo Gott angefangen hat, und lies die Schrift im Zusammenhang. Warum? Weil jedes Buch nur durch das, was vorher steht, erklärt werden kann. Niemand kann das zweite Buch Moses verstehen, als wer das erste verstanden hat. Niemand das dritte, als wer das zweite sorgfältig gelesen hat. Niemand dringt in die Bücher Samuelis und der Könige ein, als wer weiß, was Mose zuvor bezeugt hat, gleichwie auch niemand ohne diese die eigentlichen Propheten zu verstehen vermag. Wenn Amos sagt, er habe in den Tagen Usias und Jerobeams, des Sohns Joas, geweissagt, zwei Jahre vor dem Erdbeben – dann musst du wissen, was von dieser Könige Regierung in der Schrift gesagt ist, oder seine Predigt fliegt dir über den Kopf weg. Warum ist die Offenbarung des Johannes, die Gott seinen Knechten gegeben hat, damit sie sie lesen und verstehen, ein verschlossen Buch? Darum, weil die Leute das nicht beachtet haben, was vorher steht. Von allen Büchern der Schrift ist gerade die Offenbarung das verständlichste und trostreichste dem, der bei den Propheten Israels in die Schule gegangen ist. Wenn du beim Lesen im Zusammenhang an manches Kapitel kommst, in dem du gar nichts findest, so halte das auch für einen Gewinn; denn es ist etwas Großes, wenn wir unsre Dummheit und geistliche Blindheit erkennen. Also – werde nicht müde – was heute nicht klar wird, das kann morgen wie eine Sonne aufgehen. Es gibt einen Geist der Wahrheit, der nach und nach in alle Wahrheit leitet.

Nachtext

Quellenangaben

Erschienen in: Paul Geysers Schriften, gesammelt und herausgegeben von einem Kreis seiner Freunde. Verlag der Buchhandlung des Erziehungsvereins Neukirchen, aus dem „Reformierten Wochenblatt“ von 1871 (S. 35).