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"Ich war wie ein verspieltes Kind"

Interview. Ille C. Gebeshuber kehrte im Herbst 2016 nach sieben Jahren Forschung in Malaysia wieder nach Wien zurück. Jetzt will sie an der TU Wien viele Ideen, die ihr im Dschungel kamen, technologisch umsetzen.

Im Labor der TU Wien haben Gebeshuber und ihr Team die Möglichkeit, Konzepte aus Malaysia experimentell zu testen.
Im Labor der TU Wien haben Gebeshuber und ihr Team die Möglichkeit, Konzepte aus Malaysia experimentell zu testen.(c) Daniel Novotny

Die Presse:Warum sind Sie vor sieben Jahren ausgerechnet nach Malaysia gegangen?

Ille Gebeshuber: Mein Mann hat ein sehr gutes Jobangebot in Malaysia bekommen, und ich habe mich gerade frisch in Experimentalphysik habilitiert. Da war es eine gute Idee, für ein paar Jahre das Land zu verlassen und weiter Auslandserfahrung zu sammeln. Als Postdoc habe ich zuvor schon in Kalifornien geforscht. Ich habe an der TU Wien eine Dienstfreistellung bekommen und aus den geplanten zwei Jahren in Malaysia wurden sieben.

Empfanden Sie Malaysia als ein unkonventionelles Land, um wissenschaftliche Forschung zu betreiben?

Ja, sehr. Es gibt dort eine unüberschaubare Anzahl an Unis auf Chinesisch, Indisch, Malaysisch und Englisch. Daher habe ich in Wien die malaysische Botschaft kontaktiert, ob man mir etwas anbieten könne. Zuerst hieß es, wir haben nichts. Doch nach einer Woche war die Dekanin der Erziehungswissenschaften der Nationalen Universität in Wien. Wir haben uns getroffen, ich habe ihr meine Arbeit gezeigt, und kurze Zeit später kam ein Anruf, dass ich als Full Professor am Institute of Microengineering and Nanoelectronics anfangen kann.

Dann haben Sie gleich begonnen, Lehrveranstaltungen vorzubereiten?

Nein, meine ganze Lehrverpflichtung belief sich auf zwei Stunden. Nicht Wochenstunden, sondern zwei Stunden sondern pro Jahr. Denn mein Institut war ein Forschungsinstitut an einer Forschungsuniversität. In Malaysia sind Forschungsuniversitäten von Lehruniversitäten getrennt. Ich hatte Zeit nachzudenken, mich komplett meinen Forschungen zu widmen und meine Dissertanten zu betreuen. Ich bin auch viel gereist, zu nationalen und internationalen Konferenzen, veranstaltete etliche Expeditionen und konnte generell vollkommen meinen akademischen Neigungen folgen – mit guter finanzieller und menschlicher Unterstützung.

Die finanzielle Unterstützung war besser als in Österreich?

Hier findet Forschung meistens nur statt, wenn man ein Forschungsprojekt bewilligt bekommt: Man arbeitet dann seine Meilensteine ab und hat relativ wenige Möglichkeiten, langfristig zu denken und zu planen. Davon war ich in Malaysia völlig entkoppelt und konnte mich langfristig mit Themen auseinandersetzen, die mich interessieren. Zugleich hatte ich die Zusicherung der TU Wien, dass ich in meinen Job zurückkehren könnte, wenn es in Malaysia nicht geklappt hätte.

Gab es Situationen, in denen Sie es als Frau schwer hatten an der Universität?

Überhaupt nicht. An der Nationalen Universität ist eine Medizinerin Rektorin, die Elektrotechnik wird von einer Dekanin geleitet, die elf Kinder hat. Meine Studentinnen hatten zwei bis fünf Kinder. Malaysia ist ein muslimisches Land, und Frauen sind in allen Bereichen gut repräsentiert, vom Straßenkehrer bis zu Managern in großen Firmen.

Sie wohnten in der Hauptstadt, Kuala Lumpur, doch die Universität liegt etwa 20 Kilometer südlich. Sind Sie gependelt?

Nein, denn ich konnte meine Anwesenheit frei einteilen. Nur bei akademischen Feiern, Group Meetings oder wenn Gäste kamen, war meine Anwesenheit erforderlich. Ich war völlig frei, zu tun und zu lassen, was ich will, wann und wo und wie ich will.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass „Lösungen aus dem Dschungel unser Leben verändern werden“. Wie oft waren Sie im Dschungel?

Der nächste primäre Regenwald, also ein jungfräulicher Dschungel mit Gibbons, Großkatzen, Vögeln, Schlangen etc., war direkt hinter unserem Haus. Er war allerdings streng geschützt, weil er mittlerweile völlig von der Millionenstadt umgeben ist. Mein Mann und ich wohnten mit den Katzen und Graupapageien in einem 400 m2großen Haus und hatten sehr oft, meist für Monate, Studenten aus aller Welt zu Gast. Mit ihnen bin ich immer in den Dschungel gegangen: auf der malayischen Halbinsel und auf Borneo. Manchmal für ein paar Tage, manchmal für einige Wochen.

Hatten Sie Technik- und Physikstudenten zu Gast?

Nein, die kamen aus allen Fachrichtungen: Kunst und Architektur, Biologie, Physik, Ingenieurwissenschaften, Bionik und Veterinärmedizin. Wenn wir in den Dschungel gegangen sind, war mir wichtig, dass wir weit weg waren von Internet und Telefon. Wir durften dort voneinander und von der Natur lernen, in dieser Biodiversität, voller Inspirationspotenzial.

Hatten Sie im Dschungel auch Einheimische dabei?

Natürlich: Wir wollten die Muße haben für die Forschung und uns nicht darum Sorgen machen, wie man wieder aus dem Dschungel herauskommt oder wie man Gefahren umgeht. Die Universität hat eigene Forschungsstationen mit Köchen und Versorgern, man schläft dort in Hängematten, und es war immer ein Jungle Guide dabei. Das waren oft Indigene, die in Malaysia noch mit vielen Stämmen vertreten sind, die ihr ganzes Leben im Regenwald verbringen.

Was war Ihr erstes Aha-Erlebnis in dieser anderen Welt?

Ich kam hin als Physikerin, die gut ausgebildet war in Nanotechnologie. Und ich war wie ein verspieltes Kind. Ich habe den Regenwald als Schatzkiste für Innovationen gesehen: Wie kann man Sachen ein bissl schneller machen, ein bissl kleiner, größer oder billiger. In der Fachsprache heißt das inkrementelle Innovationen. Doch dann wurde ich nach Saudiarabien eingeladen, um auf einer großen Konferenz über Nachhaltigkeit zu sprechen. Bei der Recherche dazu wurde mir bewusst, wie schlecht es um unsere Erde bestellt ist und wie viele Probleme vom Menschen hervorgerufen sind.

Daraufhin haben Sie Ihren Zugang zur Forschung geändert?

Ich wollte weg von der inkrementellen hin zur disruptiven Innovation: also, dass man alles ganz anders macht. Denn ich will durch meine Forschungen nicht primär irgendwelche Firmen oder mich selbst reicher machen, sondern einen Beitrag leisten, dass wir unsere Technologien so herstellen, dass sie im besten Fall positiv für Mensch und Umwelt sind.

Wie meinen Sie das?

Wir sind mitten im sechsten großen Artensterben. Die konventionelle Art und Weise, wie unsere Industrie Technologien herstellt, hat verheerende Auswirkungen auf unsere Umwelt. Dies führt nicht nur zu einer Verringerung des Raumes, der der Natur zur Verfügung steht, und in weiterer Folge zu massiver Reduktion der Biodiversität, sondern langfristig auch dazu, dass sich die Menschheit ihre Lebensgrundlage entzieht. Das alles ist vom Mensch und seinen Aktivitäten induziert. Dieser Zugang gehört schnellstens geändert, denn eine nachhaltige Versorgung der Menschheit ist essenziell.

Was müssen wir ändern?

Wir haben bereits einige Grenzen des Planeten überschritten und können folgenden Generationen keine so gute Lebensqualität wie uns selbst bieten. Ein disruptiver Zugang wäre hier, dass wir Dinge bauen, die statt zu Abfall zu Dünger oder zu Futter werden. Dass ein Computer, der nicht mehr gebraucht wird, zu einem Auto wird, und das Auto, wenn es nicht mehr gebraucht wird, zu einer Brücke. In meinem Buch habe ich drei Gebiete herausgefiltert, an denen man ansetzen kann: Materialien, Strukturen und Prozesse.

Geben Sie uns ein Beispiel.

Man könnte Dinge aus Rohstoffen produzieren, die lokal vorhanden sind. Es gibt magnetbildende Bakterien, es gibt Algen, die hydratisiertes Siliziumdioxid herstellen, also in etwa Glas. Man könnte Verbundstoffe und Metalllegierungen inspiriert von der Art, wie Organismen sie bilden, herstellen. Meeresorganismen reichern Titansulfat in sich an, viele Pflanzen reichern Metalle und Schwermetalle an. Derzeit wird Metall gewonnen, indem man tonnenweise Erdmaterial aushebt, es über chemische Schritte herauslöst, presst und weltweit transportiert. Dabei könnten wir auf ganz andere Art und Weise, inspiriert von Organismen, diese Aufgaben erledigen.

Wie kommt dabei die Bionik ins Spiel, an der Sie forschen?

Ich schaue mir einen Organismus oder ein Ökosystem an und identifiziere Grundprinzipien. Diese kann man dann in die Technik transferieren. Man kann etwa die Strukturen, die manchen Schmetterlingsflügeln ihre brillante Farben verleihen, die nicht ausbleichen, die die Temperatur regulieren und die ihn selbstreinigend machen, mit einem Stempel abnehmen. Und damit kann man diese Strukturen wiederholt auf Oberflächen aufstempeln, die aus Materialien bestehen, die auch nanostrukturiert ungefährlich sind. So kann man ohne zusätzliche Lackschicht und ohne giftige Stoffe Oberflächen wie Hauswände oder Autos einfärben oder ihnen noch andere Funktionen geben.

Wie setzen Sie diese Forschung nun um?

An der TU Wien habe ich Studenten und Dissertanten, die viele der Ideen, die uns im Regenwald gekommen sind, in die Technik transferieren. In Malaysia beschäftigte ich mich mit dem grundlegenden Gedankengerüst eines derartigen disruptiven Zugangs, in Wien habe ich nun die Möglichkeit der experimentellen Umsetzung. Hier haben wir auch die Infrastruktur. Ich unterrichte zudem an der FH in Villach im Bionik-Masterlehrgang und nutze meine Netzwerke in Österreich und der Welt. Damit bewirken wir bei Schlüsselpersonen ein Umdenken in Bezug auf unseren Umgang mit Technologieentwicklung.

ZUR PERSON

Ille C. Gebeshuber wurde 1969 in Bruck an der Mur geboren. Sie studierte Technische Physik an der TU Wien und habilitierte sich 2008 in Experimentalphysik über nanotechnologische Oberflächen. Von 2006 bis 2009 war sie Leiterin der Strategischen Forschung am Kompetenzzentrum für Tribologie in Wr. Neustadt. Nach sieben Jahren als Professorin für Microengineering und Nanoelectronics in Malaysia ist sie nun am Institut für Angewandte Physik der TU Wien. Gebeshuber engagiert sich in der Vermittlung von Wissenschaft, etwa bei der Kinderuni Steyr, durch öffentliche Vorträge und Expeditionen.

Ihr Buch (siehe rechts) ist mit vier anderen für das Wissenschaftsbuch des Jahres in der Kategorie Naturwissenschaft & Technik nominiert. Die Wahl fand bis 9. Jänner 2017 statt. Das Ergebnis wird Ende Jänner bekannt gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)

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