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Vesper, Bernward

Lebensdaten
1938 – 1971
Geburtsort
Frankfurt/Oder
Sterbeort
(Freitod) Hamburg
Beruf/Funktion
Journalist ; Verleger ; Schriftsteller ; Übersetzer
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118626728 | OGND | VIAF: 73919882
Namensvarianten

  • Vesper-Triangel, Bernward
  • Vesper, Bernward
  • Vesper-Triangel, Bernward
  • Triangel, Bernward Vesper-

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Zitierweise

Vesper, Bernward, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118626728.html [27.11.2024].

CC0

  • Vesper, Bernward (Vesper-Triangel)

    |Journalist, Verleger, Schriftsteller, * 1.8.1938 Frankfurt/Oder, 15.5.1971 (Freitod) Hamburg, Gut Triangel bei Gifhorn. (evangelisch)

  • Genealogie

    V Wilhelm (s. 1);
    M Rose Savrda; Cannstatt 1965 Gudrun (1940–77, Freitod), Dr. phil., Germanistin, Verl., RAF-Terroristin (s. W, L.), T d. Helmut Ensslin (1909–84), ev. Pfarrer, u. d. Ilse Hummel (1910–99); 1 S Felix Ensslin (* 1967), Schriftst., Regisseur, Prof. f. Ästhetik an d. Kunstak. Stuttgart (s. W).

  • Biographie

    Während seiner Gymnasialzeit in Gifhorn betrieb V. Wahlwerbung für die Dt. Reichspartei. Nach dem Abitur 1959 absolvierte er eine zweijährige Lehre als Verlagsbuchhändler in Braunschweig und schrieb während dieser Zeit im Sinne seines Vaters für nationalistische Zeitungen. Seit 1961 studierte V. Geschichte, Germanistik und Soziologie in Tübingen, seit 1964 in Berlin, wohin ihm seine Tübinger Freundin und spätere Verlobte, Gudrun Ensslin, folgte. Mit ihr arbeitete er seit 1965 im Wahlkontor dt. Schriftsteller für die SPD. Im Kreis der Altersgenossen fand V. neue Orientierungen, die sich im Studium befestigten. Dieses trat allerdings trotz beibehaltenen Promotionsvorhabens hinter publizistische Tätigkeiten zurück, die sich aus der Nähe zur APO und zur „Kommune 1“ ergaben. V. gab eine eigene „studio bibliothek“ heraus, in der nur zwei Bände erschienen. Zum ersten Band (Gegen d. Tod, Stimmen dt. Schriftst. gegen d. Atombombe, 1964) trug neben Heinrich Böll, Oskar Maria Graf u. a. auch der NS-Lyriker Hans Baumann (1914–88) bei. 1966–68 redigierte V. die „Voltaire Flugschriften“ (33 Hh., bis H. 10 unter Ps. B. V.-Triangel; mit Btrr. v. J.-P. Sartre, H. Böll, G. Grass, H. M. Enzensberger u. a.). Durch die Trennung von Ensslin, die seit Frühjahr 1968 mit Andreas Baader (1943–77) lebte und V. den Umgang mit dem von ihm vergötterten Sohn verweigerte, verlor V. die Orientierung. Ohne festen Wohnsitz widmete er sich seit Herbst 1968 seinem autobiographischen Romanessay „Die Reise“ (zunächst u. d. T. Der Haß), der Fragment blieb. 1971 wurde V. in die Psychiatrie Haar bei München eingewiesen, dann nach Hamburg-Eppendorf verlegt.

    Entscheidend für V.s Biographie war die völkische, über 1945 hinaus bewahrte nationalsozialistische Gesinnung des Vaters, um dessen Werkausgabe sich V. (vergeblich) bemühte und den er finanziell unterstützte. Von den Demütigungen auf dem elterlichen Gut handelt „Die Reise“ (hg. u. mit e. Ed.-Chronol. versehen v. J. Schröder, 1977, 22 1982, zahlr. Nachdrr.), die kurz vor dem „Deutscher Herbst“ postum erschien. Deren Chronologie durchweben unstrukturierte Berichte über Drogenräusche mit irritierenden Kritzeleien, Reiseberichten, Reflexionen zur Autobiographie, einmontierten Pressezitaten und politischen, an Herbert Marcuse und Wilhelm Reich orientierten Essays. Trotz radikaler Absage an den Vater in diesem Buch blieb V. in seinem Selbstbewußtsein der Elite-Ideologie der Eltern verhaftet; seine Umgebung galt ihm als „vegetables“.

    Authentizität und Radikalität der „Reise“ machten V. zu einem Kultautor der Epoche. Die Wertung des Buchs spaltete die Interpreten: Eine heftige Kontroverse zwischen Dorothee Sölle und Böll zeugt von Niveau und Gewicht der frühen Rezeption. Die anhaltende Aktualität des Werks bestätigen neben der 2005 viel beachteten Neuauflage eine Edition der Korrespondenz zwischen V. und Ensslin, mehrere biographische Darstellungen über den Autor 2009 sowie eine Adaption für das Theater (Regie E. Hannemann, UA Theater Erlangen 2008) und zwei Verfilmungen (Regie M. Imhoof, 1986; Regie A. Veiel, 2011).

  • Werke

    W Gerardo Diego, Gedichte, Span. u. dt., übers. v. B. V.-Triangel, 1964 (studio bibl., Bd. 2);
    Ergg. zu „Die Reise“, Aus d. Ausg. letzter Hand, hg. v. J. Schröder, 1979 (P);
    Die Reise, Ausg. letzter Hand, hg. v. dems. u. K. Behnken, 1979;
    „Notstandsgesetze v. Deiner Hand“, Briefe 1968/69, Mit e. Nachbem. v. Felix Ensslin, hg. v. S. Harmsen u. a., 2009 (mit G. Ensslin); – Nachlaß:
    DLA Marbach/Neckar.

  • Literatur

    L H. Böll, Wohin d. Reise gehen kann, in: Konkret, Dez. 1977, Wiederabdr. mit D. Sölles Antwort u. H. Bölls Replik, in: ders., Werke, IX, hg. v. J. H. Reid, 2006, S. 497–505 u. 549–51;
    M. Rutschky, Die Todesdrohung, in: Lit.mag. 9, 1978, S. 152–67;
    K. Hartung, Die Repression wird z. Milieu, Die Beredsamkeit linker Lit., ebd. 11, 1979, S 52–79;
    M. Schneider, Über d. Außen- u. Innenansicht e. Selbstmörders, u. Väter u. Söhne, posthum, in: ders., Den Kopf verkehrt aufgesetzt, 1981, S. 8–79;
    J. C. Martin, Schreiben, Harakiri, Über B. V.s Romanessay Die Reise, Mit e. Anh. „Phil. Tagebücher B. V. s, d. nicht in d. Ausg. letzter Hand enthalten sind“, 1982;
    A. Plowman, The Radical Subject, Social Change and the Self in Recent German Autobiogr., 1998;
    Prot. Lit. um 1968, Ausst. d. Dt. Lit.archivs Marbach, hg. v. U. Ott u. F. Pfäfflin, 1998, S. 13–28 u. 429–44 (P);
    M. Holderied, B. V., Die Reise, in: Reclams Romanlex. V, hg. v. F. R. Max u. Ch. Ruhrberg, 2000, S. 307 f.;
    R. Luckscheiter, Der postmoderne Impuls, 2001;
    G. Koenen, V., Ensslin, Baader, Urszenen d. dt. Terrorismus, 2003;
    H. Voss, Vor d. Reise, 2005;
    M. Kapellen, B. V. in Tübingen, 2004; ders., Doppelt leben, B. V. u. Gudrun Ensslin, 2005;
    A. Prinz, B. V., Will Vesper, in: ders., Rebellische Söhne, 2010, S. 9–41;
    Braunschweig. Biogr. Lex.;
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Metzler Autorenlex. (P);
    Lex. Gegenwartslit.; Munzinger.

  • Autor/in

    Ulrich Dittmann
  • Zitierweise

    Dittmann, Ulrich, "Vesper, Bernward" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 775-776 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118626728.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA