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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 01.12.2009

4. Polizei

Meine Kontrolle im Polizeibereich umfasste nicht nur Speicherungen in Dateien, wie z.B. im Kriminalaktennachweis, der Staatsschutzdatei, der Antiterrordatei (ATD), der "Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter" (HEADS), sowie in weiteren Dateien, insbesondere in regional geführten GAST-Dateien. Überprüft habe ich auch Datenerhebungsmaßnahmen wie beispielsweise Entnahmen von Speichelproben zum Zwecke der DNA-Analyse sowie Maßnahmen der präventiven Telekommunikationsüberwachung, soweit sie nicht bereits gerichtlich überprüft worden waren. Polizeiliche Datenerhebungen und -speicherungen im Zusammenhang mit der automatisierten Kennzeichenerkennung sowie der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze und von Versammlungen waren weitere Prüfungsschwerpunkte.

Datenübermittlungen der Polizei, z.B. an die Presse, Abfragen im polizeilichen Informationssystem durch Polizeibedienstete sowie Auskünfte an Betroffene über polizeiliche Speicherungen zu ihrer Person habe ich ebenfalls überprüft. Daneben habe ich anlassabhängig aufgrund von Bürgereingaben, Pressemitteilungen oder sonstigen Hinweisen aber auch anlassunabhängig Prüfungen vor Ort beim Landeskriminalamt, bei zwei Präsidien und einer Polizeidirektion durchgeführt.

Darüber hinaus habe ich auf eine datenschutzkonforme Fassung von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften hingewirkt, soweit sie Befugnisse zum Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch die Polizei zum Gegenstand hatten. Schwerpunkte waren in diesem Zusammenhang Stellungnahmen zur Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG), insbesondere zur vorgesehenen Befugnis der Durchsuchung von Wohnungen als "Begleitmaßname" der "Online-Durchsuchung", und zum Entwurf eines Bayerischen Versammlungsgesetzes. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass die Gesetzentwürfe die verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere hinsichtlich Normenklarheit, Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit, beachten und ausreichende Schutzvorkehrungen für den Kernbereich privater Lebensgestaltung enthalten. Außerdem habe ich auch zahlreiche Errichtungsanordnungen, die die wesentlichen Festlegungen für polizeiliche Dateien enthalten, geprüft und an Prüfungen bundesweiter polizeilicher Dateien mitgewirkt.

Meine datenschutzrechtliche Beratung der Polizei umfasste auch Vorträge bei Aus- und Fortbildungsveranstaltungen.

Die nachfolgende Darstellung ist eine Auswahl meiner Feststellungen im Polizeibereich.

4.1. Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (vgl. Nr. 4.8) habe ich auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Befugnis zur präventiven Rasterfahndung (Art. 44 PAG) baldmöglichst an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur präventiven Rasterfahndung vom 04.04.2006 anzupassen.

Die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts können aber auch Bedeutung für andere polizeiliche Eingriffsmaßnahmen haben, die - wie die Rasterfahndung - sowohl durch Verdachtslosigkeit als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind, bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben. Ich habe deshalb das Staatsministerium des Innern gebeten, im Polizeiaufgabengesetz über die Rasterfahndungsbefugnis hinaus weitere polizeiliche Eingriffsnormen (z.B. automatisierte Kennzeichenerfassung, Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen) datenschutzkonform auszugestalten. Darüber hinaus halte ich es für verfassungsrechtlich geboten, die von der "Polizeilichen Beobachtung" betroffenen Personen grundsätzlich nach Abschluss der Maßnahme zu benachrichtigen (vgl. dazu Nr. 4.1.4).

Das Staatsministerium des Innern hat mir am 06.03.2007 einen Referentenentwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes übersandt, der die Anpassung der Befugnis zur Rasterfahndung an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Ziel hatte. Ich bedaure, dass meine o.g. Forderungen, auch andere polizeiliche Eingriffsmaßnahmen datenschutzkonform auszugestalten, nicht aufgegriffen wurden.

Die CSU-Fraktion hat im Rahmen des o.g. Gesetzgebungsverfahrens mehrere Änderungsanträge in den Landtag eingebracht. Damit sollten die Befugnis zur automatisierten Kennzeichenerfassung an die Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2008 angepasst (vgl. Nr. 4.1.1) und die Polizei mit neuen, tiefgreifenden und z.T. verfassungsrechtlich bedenklichen Befugnissen (Online-Durchsuchung, heimliche Wohnungsdurchsuchung, vgl. Nrn. 4.1.2 und 4.1.3) ausgestattet werden.

Zu dem Gesetzentwurf und den Änderungsanträgen habe ich gegenüber dem Staatsministerium des Innern und den zuständigen Ausschüssen des Landtags ausführlich Stellung genommen. Der Landtag hat das Gesetz am 03.07.2008 beschlossen. Es ist am 01.08.2008 in Kraft getreten.

4.1.1. Automatisierte Kennzeichenerkennung

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung der Befugnis zur polizeilichen Rasterfahndung (Art. 44 PAG) hat die CSU-Fraktion einen Änderungsantrag eingebracht mit dem Ziel, die Befugnis zur automatisierten Kennzeichenerfassung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2008 anzupassen. Zuvor hatte ich das Staatsministerium des Innern auf eine Reihe verfassungs- und datenschutzrechtlich problematischer Punkte der bisherigen Regelung hingewiesen (vgl. Nr. 4.1).

Die Neufassung der Befugnis berücksichtigt meine Forderungen zum Teil:

  • Art. 33 Abs. 2 Satz 3 PAG enthält nunmehr eine nähere Bestimmung der polizeilichen Fahndungsbestände, mit denen ein Abgleich der erfassten Kennzeichen erfolgen darf.
  • Die Befugnis, die erhobenen Daten zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zu verwenden, wurde in Art. 38 Abs. 3 Satz 2 PAG gestrichen.

Leider wurde die automatisierte Kennzeichenerfassung nicht ausdrücklich auf Stichprobenkontrollen beschränkt. Darüber hinaus ist nicht vorgesehen, dass Lageerkenntnisse, auf die sich die Maßnahme stützt, gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dokumentiert sein müssen. Im Gegensatz zur Begrenzung der Fahndungsbestände ist die Umschreibung der "anderen polizeilichen Dateien", mit denen ein Abgleich der Kfz-Kennzeichen möglich ist, wenig präzise. Sie ermöglicht einen Abgleich mit nahezu allen polizeilichen Dateien.

4.1.2. Online-Durchsuchung

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 27.02.2008 erstmals zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der sog. Online-Durchsuchung und zu den Anforderungen an diese Maßnahme geäußert sowie deren Grenzen aufgezeigt. Das Gericht ist dabei davon ausgegangen, dass die Nutzung der Informationstechnik für die Persönlichkeit und die Entfaltung des Einzelnen eine früher nicht absehbare Bedeutung erlangt hat. Die moderne Informationstechnik eröffne dem Einzelnen neue Möglichkeiten, begründe aber auch neuartige Gefährdungen der Persönlichkeit.

Zum Schutz der Nutzer informationstechnischer Systeme vor diesen neuartigen Gefährdungen hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz erstmals ein "Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme" hergeleitet. Einen heimlichen Eingriff in dieses Grundrecht, wie er durch die sog. Online-Durchsuchung erfolgt, hat es nur unter besonderen, eng begrenzten Voraussetzungen zugelassen. Das Bundesverfassungsgericht hebt die besondere Schwere des Grundrechtseingriffs der Online-Durchsuchung hervor, die durch einen heimlichen Zugriff auf ein fremdes informationstechnisches System ("technische Infiltration") die längerfristige Überwachung der Nutzung des Systems und die laufende Erfassung der entsprechenden Daten ermöglicht.

Wegen der besonderen Schwere des Eingriffs fordert das Gericht tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut. Überragend wichtig sind nach der Entscheidung Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt.

Es müssen bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für ein solch wichtiges Rechtsgut hinweisen. Die Tatsachen müssen dabei den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen. Der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme muss grundsätzlich von einem Richter angeordnet werden.

Darüber hinaus fordert das Gericht, dass eine gesetzliche Regelung, die zur Online-Durchsuchung ermächtigt, den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sicherstellen muss. Erforderlich sei ein zweistufiges Schutzkonzept, wonach in einer ersten Stufe die Erfassung kernbereichsrelevanter Daten soweit möglich unterbleibt. Ergibt die Durchsicht (Zweite Stufe), dass kernbereichsrelevante Daten erhoben wurden, sind diese unverzüglich zu löschen. Eine Weitergabe oder Verwertung ist auszuschließen.

Auf Anfrage hat mir der Staatsminister des Innern mit Schreiben vom 10.04.2007 mitgeteilt, dass weder die Polizei zur Gefahrenabwehr noch das Landesamt für Verfassungsschutz Online-Durchsuchungen in den drei vorangegangenen Jahren durchgeführt hätten. Für den Bereich der Strafverfolgung verweise ich auf meine Ausführungen unter Nr. 6.1.2.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht das neue Grundrecht mit besonders hohen verfassungsrechtlichen Hürden vor staatlichen Eingriffen schützt. Sie haben auf ihrer Konferenz am 03. und 04.04.2008 in Berlin die Gesetzgeber in Bund und Ländern aufgefordert, die Erforderlichkeit von Online-Durchsuchungen kritisch zu hinterfragen (vgl. die Entschließung der 75. Datenschutzkonferenz "Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der Online-Durchsuchung beachten", Anlage Nr. 18).

Die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag hat am 02.04.2008 im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Neufassung der Befugnis zur Rasterfahndung einen Änderungsantrag eingebracht. Ziel war insbesondere, in das Polizeiaufgabengesetz eine Befugnis zur "Online-Durchsuchung" einzufügen. Diese gestattet der Polizei nicht nur, Daten aus informationstechnischen Systemen unter bestimmten Voraussetzungen zu erheben, sondern bei gegenwärtiger Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person auch zu löschen oder zu verändern.

Die Schaffung einer Befugnis zur "Online-Durchsuchung" setzt eine seit Jahren zu beobachtende Entwicklung fort, der Polizei immer wieder neue, zum Teil tiefgreifende Eingriffsbefugnisse einzuräumen, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zunehmend einschränken. Von solchen Eingriffen sind nicht nur Verantwortliche oder Störer im Sinne des Polizeirechts betroffen, sondern im großen Umfang auch und gerade Nichtverantwortliche und Nichtstörer. So darf die Polizei auf informationstechnische Systeme von Nichtverantwortlichen und Nichtstörern zugreifen, soweit bestimmte Tatsachen die begründete Annahme rechtfertigen, dass Verantwortliche für eine Gefahr oder potentielle Straftäter diese Systeme benutzen oder benutzt haben (vgl. Art. 34 d Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe b PAG n.F.).

In einer ausführlichen Stellungnahme habe ich die zuständigen Ausschüsse im Landtag auf meine zum Teil grundlegenden datenschutzrechtlichen Bedenken hingewiesen. Dadurch konnten erhebliche Verbesserungen erreicht werden. Die Aufzählung von Straftaten, zu deren Abwehr die Online-Durchsuchung zulässig ist ("Anlasstatenkatalog"), wurde nahezu ausschließlich auf solche Straftatbestände beschränkt, die zum Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter bestehen. Neben dem Schutz von Leib, Leben und Freiheit der Person fallen darunter nur Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt (existenzielle Bedrohungslage).

Nicht berücksichtigt wurden vor allem meine nachstehenden Forderungen:

  • Streichung der Befugnis der Polizei, zur Durchführung einer Online-Durchsuchung auch die Wohnung heimlich zu durchsuchen. Eine solche Durchsuchung sieht das Grundgesetz nicht vor (vgl. dazu Nr. 4.1.3).
  • Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts engster Familienangehöriger (vgl. § 52 StPO). Aus einer Online-Durchsuchung gewonnene Erkenntnisse sollten nur verwertet werden dürfen, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts steht. Eine entsprechende Regelung ist bereits in der Strafprozessordnung für den "Großen Lauschangriff" enthalten.

Der bayerische Gesetzgeber hat zum 01.08.2008 die Ermächtigung zur Online-Durchsuchung für die Polizei und - trotz meiner Bedenken - für das Landesamt für Verfassungsschutz (vgl. dazu Nr. 5.1.4) geschaffen. Zur Vorbereitung dieser Maßnahme sollen Polizei und Verfassungsschutz heimlich in Wohnungen eindringen und diese auch durchsuchen dürfen (vgl. dazu Nrn. 4.1.3 und 5.1.5).

4.1.3. Heimliche Wohnungsdurchsuchung

Die Gesetzesänderung enthält darüber hinaus - bundesweit erstmalig - die Befugnis für die Polizei, zur Durchführung einer Wohnraumüberwachung, einer Telekommunikationsüberwachung oder einer Online-Durchsuchung die Wohnung des Betroffenen heimlich zu betreten und zu durchsuchen.

Dies wirft erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken auf. Art. 13 des Grundgesetzes garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung als räumliche Sphäre der Privatheit und als Mittelpunkt der menschlichen Existenz. In dieses Grundrecht kann zwar unter bestimmten Voraussetzungen eingegriffen werden; allerdings ist dem Wortlaut und der Systematik des Grundgesetzes zu entnehmen, dass nur offene Wohnungsdurchsuchungen auf Art. 13 GG gestützt werden können.

Meiner Forderung, auf die Befugnis zur heimlichen Wohnungsdurchsuchung zu verzichten, wurde leider nicht entsprochen.

4.1.4. Benachrichtigungspflicht bei der "Polizeilichen Beobachtung"

Leider wurde die Änderung des Polizeiaufgabengesetzes nicht auch dazu benutzt, Art. 36 PAG (Polizeiliche Beobachtung) verfassungskonform dahin gehend zu ergänzen, dass der Betroffene nach Abschluss der polizeilichen Beobachtung grundsätzlich zu benachrichtigen ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die Bedeutung der Benachrichtigungspflicht bei heimlichen Eingriffsmaßnahmen hervorgehoben. So hat es z.B. in seiner Entscheidung zum Großen Lauschangriff vom 03.03.2004 Folgendes dazu ausgeführt:

"Bei nicht erkennbaren Eingriffen steht dem Grundsrechtsträger aufgrund der Gewährleistung effektiven Grundrechtschutzes grundsätzlich ein Anspruch auf spätere Kenntnis der staatlichen Maßnahme zu. Ohne eine solche Kenntnis können die Betroffenen weder die Unrechtmäßigkeit der Informationsgewinnung noch etwaige Rechte auf Löschung der Aufzeichnungen geltend machen."

Seit 01.01.2008 besteht bei der polizeilichen Beobachtung zum Zwecke der Strafverfolgung grundsätzlich die Pflicht zur Benachrichtigung der Zielperson und der Person, deren personenbezogene Daten erfasst worden sind. Der Gesetzesbegründung zufolge "erscheint" eine Benachrichtigungspflicht "in Anbetracht der mit der Maßnahme im Einzelfall verbundenen Überwachungsintensität (Erstellung von Bewegungsprofilen) geboten".

Ich habe das Staatsministerium des Innern bereits im Dezember 2006 auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Benachrichtigung der Betroffenen grundsätzlich auch bei der polizeilichen Beobachtung zur Gefahrenabwehr vorzusehen. Da die Pflicht zur Benachrichtigung sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergibt, muss sie - trotz der derzeitigen fehlenden gesetzlichen Verpflichtung - bereits jetzt erfüllt werden. Ich halte es daher für notwendig, dass das Staatsministerium des Innern z.B. durch den Erlass entsprechender Verwaltungsvorschriften die verfassungsrechtlich gebotene Benachrichtigung sicherstellt. Das Staatsministerium des Innern hat mir mitgeteilt, dass die Regelung einer Benachrichtigungspflicht der Betroffenen geprüft werde.

4.1.5. Präventive Rasterfahndung

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (vgl. Nr. 4.8) habe ich über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur präventiven Rasterfahndung vom 04.04.2006 berichtet und die wichtigsten Punkte aufgeführt, in denen die Befugnis zur präventiven Rasterfahndung (vgl. Art. 44 PAG) an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden muss. Dies ist, nachdem ich das Staatsministerium des Innern auf die Notwendigkeit der Anpassung und die erforderlichen inhaltlichen Änderungen hingewiesen habe, mit dem In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung am 01.08.2008 nach mehr als zwei Jahren geschehen.

Dabei wurde die Regelung der Rasterfahndung im Wesentlichen in folgenden Punkten geändert:

  • Voraussetzung für den Einsatz der Maßnahme ist nunmehr das Vorliegen einer "konkreten" Gefahr für hochrangige Rechtsgüter, wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person.
  • Die Maßnahme darf nur durch den Richter angeordnet werden. Dabei muss die richterliche Anordnung den zur Datenübermittlung Verpflichteten bezeichnen.
  • Präzise Bestimmung des Verwendungszwecks der durch die Maßnahme erlangten Daten und Einführung einer Kennzeichnungspflicht.
  • Ausweitung der Pflicht zur Benachrichtigung von Personen, gegen die nach Abschluss der Rasterfahndung weitere Maßnahmen durchgeführt werden. Die Betroffenen müssen informiert werden, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme, der eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten oder hochrangiger Rechtsgüter geschehen kann.

Mehr Klarheit hätte ich mir aber bei der Festlegung des Zeitpunkts der Löschung der Daten gewünscht. Der Neuregelung zufolge sollen die im Rahmen der Rasterfahndung übermittelten und im Zusammenhang mit der Maßnahme zusätzlich angefallenen Daten erst dann gelöscht werden, wenn der Zweck der Rasterfahndung erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann (vgl. Art. 44 Abs. 6 Satz 1 PAG n.F.). Es wird jedoch nicht deutlich, wann von einer "Zweckerreichung" auszugehen ist. Auch bei den Rasterfahndungen im Jahr 2001 nach sog. Schläfern war nicht klar, ob Zweck der Maßnahme i.S.d. Art. 44 PAG der Erhalt der Rasterungsergebnisse, deren Auswertung oder die Ermittlung der sog. Schläfer war (vgl. dazu meine Ausführungen im 21. Tätigkeitsbericht unter Nr. 7.7 und im 20. Tätigkeitsbericht unter Nr. 6.11). Ich hatte deshalb eine Pflicht zur Löschung der übermittelten und im Zusammenhang mit der Rasterfahndung zusätzlich angefallenen Daten gefordert, sobald der Abgleich abgeschlossen ist und die Daten nicht für weitere polizeiliche Maßnahmen benötigt werden.

4.2. Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG)

Das Versammlungsrecht war bisher durch das Versammlungsgesetz des Bundes geregelt. Durch die Föderalismusreform I ist die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder übergegangen. Bayern hat mit dem Erlass eines Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) von dieser Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Das BayVersG ist am 01.10.2008 in Kraft getreten.

Das BayVersG enthält insbesondere folgende datenschutzrechtlich relevanten Regelungen:

  • Die Polizei erhält eine allgemeine Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen personenbezogene Daten von Versammlungsteilnehmern zu erheben (vgl. Nr. 4.2.1).
  • Sog. Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen, deren Speicherung und Nutzung durch die Polizei, sind - im Gegensatz zum Versammlungsgesetz des Bundes - grundsätzlich zugelassen (vgl. dazu Nr. 4.2.3 und 4.2.4).
  • Der Veranstalter der Versammlung hat der zuständigen Behörde auf Anforderung bestimmte persönliche Daten des Leiters und der Ordner (z.B. Namen, Geburtsnamen, Geburtsdatum und Geburtsort) mitzuteilen.

Zu den Gesetzentwürfen hatte ich gegenüber dem Staatsministerium des Innern ausführlich Stellung genommen. Leider wurde eine Reihe meiner Änderungsvorschläge nicht berücksichtigt. Die wichtigsten datenschutzrechtlichen Problempunkte habe ich im Folgenden zusammengefasst.

4.2.1. Allgemeine Befugnis zur Datenerhebung

Die Polizei darf bei oder im Zusammenhang mit Versammlungen personenbezogene Daten von Teilnehmern erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayVersG). Diese personenbezogenen Daten müssen grundsätzlich offen erhoben werden (Art. 9 Abs. 3 BayVersG i.V.m. Art. 30 Abs. 3 PAG).

Die allgemeine Befugnis, personenbezogene Daten zu erheben, begegnet im Hinblick auf den Grundsatz der Normenbestimmtheit und Normenklarheit datenschutzrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht führt in seinem Beschluss vom 04.04.2006 zur präventiven Rasterfahndung aus, dass Ermächtigungen zu Grundrechtseingriffen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit entspricht. Zwar ist der Begriff der "personenbezogenen Daten" in Art. 4 Abs. 1 BayDSG definiert als "Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse bestimmter oder bestimmbarer natürlicher Personen". Die Art der möglichen Datenerhebungsmaßnahmen (z.B. offene oder verdeckte Maßnahmen) und deren Umfang (z.B. Erhebung auch der Religionszugehörigkeit) bleiben aber offen.

4.2.2. Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern

Die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern ist nicht nur ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) der Betroffenen, sondern auch in das für eine Demokratie wesentliche Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG).

Aus diesem Grund gestattet Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayVersG der Polizei - wie bisher das Versammlungsgesetz des Bundes - personenbezogene Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern nur unter engen Voraussetzungen anzufertigen: Es müssen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von den betroffenen Teilnehmern erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Datenschutzrechtliche Bedenken gegen diese Befugnis habe ich nicht, wenn im Einzelfall ihre Voraussetzungen beachtet werden.

Auf meine Forderung hin wurde in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass die Anfertigung solcher Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen nur von solchen Personen zulässig ist, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass gerade von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen.

4.2.3. Übersichtsaufnahmen

Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayVersG gestattet der Polizei, Übersichtsaufnahmen von der Versammlung und ihrem Umfeld zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes anzufertigen. Die Erfahrungen aus der datenschutzrechtlichen Prüfungspraxis zeigen, dass bei Versammlungen lange Bildsequenzen von der Polizei aufgenommen werden, ohne dass zwischen Übersichtsaufnahmen und personenbezogenen Aufnahmen unterschieden wird (vgl. dazu 21. Tätigkeitsbericht 2004 unter Nr. 7.14). Häufig sind auch bei sog. Übersichtsaufnahmen die Betroffenen zum Teil individuell erkennbar. Im Übrigen ist es technisch grundsätzlich möglich, nicht personenbezogen erfasste Personen nachträglich zu individualisieren.

Versammlungsteilnehmer können grundsätzlich nicht erkennen, ob eine Videokamera außer Betrieb ist, mit ihr Übersichtsaufnahmen oder Übersichtsaufzeichnungen oder personenbezogene Aufnahmen/Aufzeichnungen angefertigt werden. Das Bundesverfassungsgericht befürchtet daher im sog. Volkszählungsurteil, dass potentielle Versammlungsteilnehmer auf eine Teilnahme an der Versammlung gerade deshalb verzichten, weil sie nicht abschätzen können, ob personenbezogene Informationen dauerhaft gespeichert werden und ihnen daraus Risiken entstehen können.

Um diesen Gefahren zu begegnen, habe ich gefordert, Übersichtsaufnahmen nur zuzulassen, soweit sie zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes "unbedingt erforderlich" sind. Darüber hinaus habe ich - aus Gründen der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit der Befugnis - gefordert, den Begriff "Übersichtsaufnahme" im Gesetz dahin gehend zu definieren, dass "Übersichtaufnahmen" nur solche Aufnahmen sind, die keinen Personenbezug erkennen lassen. Beide Vorschläge haben - ohne erkennbaren Grund - keinen Eingang in das Gesetz gefunden.

4.2.4. Übersichtsaufzeichnungen

Sofern es zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens erforderlich ist, darf die Polizei auch Übersichtsaufzeichnungen anfertigen. Diese dürfen auch zu Zwecken der polizeilichen Aus- und Fortbildung verwendet und dazu zeitlich unbegrenzt gespeichert werden (vgl. Art. 9 Abs. 2 BayVersG).

Übersichtsaufzeichnungen verlängern den durch Übersichtsaufnahmen erfolgten Grundrechtseingriff. Ich hätte es deshalb begrüßt, wenn auf Übersichtsaufzeichnungen vollständig verzichtet worden wäre.

Der mir vom Staatsministerium des Innern übersandte Gesetzentwurf hatte ursprünglich die unbefristete Speicherung von Übersichtsaufzeichnungen auch für den Fall vorgesehen, dass diese zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens verwendet werden. Neben dem Verzicht auf Übersichtsaufzeichnungen habe ich hilfsweise gefordert, wenigstens kurze Löschungsfristen vorzusehen. Diese Forderung wurde im Gesetzgebungsverfahren insoweit berücksichtigt, als Übersichtsaufzeichnungen, soweit sie zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens verwendet werden, spätestens nach einem Jahr seit ihrer Entstehung zu löschen sind.

Nicht berücksichtigt wurde meine Forderung, Übersichtsaufzeichnungen, die zu Zwecken der polizeilichen Aus- und Fortbildung verwendet werden, ebenfalls nach einer kurzen Frist zu löschen. Allerdings wurde im Gesetz die Möglichkeit der Polizei, auf solchen Aufzeichnungen abgebildete Personen nachträglich - z.B. durch Heranzoomen - zu individualisieren, in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt. So ist die Identifizierung einer abgebildeten Person nach Ablauf von einem Jahr seit Entstehen der Aufzeichnungen nicht mehr zulässig.

4.3. Kriminalaktennachweis (KAN)

Speicherungen personenbezogener Daten im Kriminalaktennachweis der bayerischen Polizei (KAN) sind ein Schwerpunkt bei Bürgereingaben. Neben der anlassbezogenen Prüfung solcher Eingaben habe ich auch polizeiliche Speicherungen ohne konkreten Anlass im KAN geprüft. Dabei habe ich dieses Mal ein besonderes Augenmerk auf die Speicherung von Daten Jugendlicher und Kinder sowie die Einstufung von Anlasstaten als sog. Fälle geringerer Bedeutung gelegt. Für Kinder und Jugendliche sind nach dem Polizeiaufgabengesetz verkürzte Regelspeicherfristen vorgesehen. Nachdem in Fällen geringerer Bedeutung eine weitere Verkürzung der Speicherfristen geboten ist, habe ich bei der Neufassung der Richtlinien für die Führung polizeilicher personenbezogener Sammlungen (PpS-Richtlinien) auf die Aufnahme eines entsprechenden Hinweises gedrängt. Zudem sollen Fälle geringerer Bedeutung - soweit nicht weitere polizeiliche Erkenntnisse vorliegen - nur in der polizeilichen Vorgangsverwaltung (PSV) nachgewiesen werden. Unter diesen Gesichtspunkten habe ich bei einer Polizeidirektion Fälle geringerer Bedeutung, bei denen Kinder oder Jugendliche als Tatverdächtige gespeichert waren, geprüft.

Dabei habe ich nur in vier von 25 überprüften Fällen die festgelegte Speicherungsfrist für vertretbar gehalten. Bei 19 Speicherungen habe ich die Polizei zur Fristverkürzung aufgefordert, weil ich von Fällen geringerer Bedeutung ausgegangen bin. Die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass hier bereits die Erfassung im KAN nicht erforderlich war:

Eine 13 Jahre alte österreichische Schülerin war zusammen mit ihrer Freundin bei einer Kontrolle im Bus nur mit einem Sonderfahrausweis festgestellt worden, welcher für die betreffende Fahrstrecke keine Gültigkeit besaß. Die Betroffene gab an, mit dem Ticket von Österreich nach Deutschland zu einer Haltestelle gefahren zu sein, wofür der Fahrschein galt. Sie habe gedacht, man könne das Ticket anschließend auch für die in der betreffenden Stadt eingesetzten Busse benutzen. Folglich eines polizeilichen Vermerks soll auf einen Strafantrag verzichtet worden sein, weil es sich um eine Ersttat gehandelt und das Fahrgeld nur 80 Cent betragen habe. Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wurde von der Staatsanwaltschaft nach § 152 Abs. 2 StPO abgesehen. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, nicht zuletzt auch wegen des Alters des Kindes bin ich von einem Fall geringerer Bedeutung ausgegangen.

In einem anderen Fall hatte ein Vater Anzeige bei der Polizei gegen einen 15-jährigen Jungen erstattet, weil dieser seinen zwölfjährigen Sohn im Schulbus so gegen eine Scheibe gestoßen hätte, dass dieser Kopfschmerzen bekommen habe. Im Laufe der Ermittlungen beschuldigte der Junge den Sohn des Anzeigeerstatters der Beleidigung, weil dieser ihm auf seine Aussage, er sei "rechteckig", entgegnet haben soll: "Das sieht man ja an deiner Fresse". Hinweise auf die Vorlage der Anzeige an die Staatsanwaltschaft und auf den Verfahrensausgang waren der Kriminalakte nicht zu entnehmen. Bei einem Privatklagedelikt nach § 185 StGB ist folglich der PpS-Richtlinien regelmäßig von einem Fall geringerer Bedeutung auszugehen. Ein solcher Fall lag hier vor.

Eine 14-Jährige hatte zusammen mit ihren beiden Freundinnen mit einem Edding-Stift einen Schriftzug an eine Kirchenmauer gemalt. Die Kirchenverwaltung hatte keinen Strafantrag gestellt, nachdem sich die Mädchen später freiwillig beim Pfarrer gemeldet und die Schmiererei beseitigt haben. Die Staatsanwaltschaft sah nach § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung der Straftat ab. Bei einem Privatklagedelikt nach § 303 StGB ist in der Regel dann ein Fall geringerer Bedeutung anzunehmen, wenn die Tat nicht in der Öffentlichkeit begangen wurde und die Staatsanwaltschaft ein öffentliches Interesse nicht bejaht hat. Diese Voraussetzungen waren zwar wegen der Öffentlichkeit der Tat hier nicht vollständig erfüllt. Da die Betroffene aber gerade erst 14 Jahre alt geworden war, kein Strafantrag gestellt war, die Verschmutzung von ihr und ihren Freundinnen wieder behoben wurde und somit der durch die geringfügige Sachbeschädigung entstandene Schaden wieder beseitigt worden war, erschien mir die Annahme eines Falles geringerer Bedeutung angemessen.

Die Polizeidirektion hat alle meine Forderungen in diesen Fällen ausnahmslos erfüllt. Zudem hat mir der Behördenleiter mitgeteilt, dass das Prüfungsergebnis bei einer Besprechung den Dienststellenleitern vorgestellt und diese auf die Regelungen zur Einstufung von Vorgängen als Fälle geringerer Bedeutung hingewiesen wurden.


Im Rahmen der o.g. Prüfung ist mir auch aufgefallen, dass zu einigen Betroffenen Ordnungswidrigkeiten im KAN gespeichert waren. Die Ordnungswidrigkeit eines 15-Jährigen war wegen eines Verstoßes gegen das Bayerische Straßen- und Wegegesetz im KAN nachgewiesen worden. Der Junge war von einer Polizeistreife angetroffen worden, wie er auf einem Weihnachtsmarkt bettelte. Die Sicherheitsbehörde der Stadt verwarnte den Betroffenen wegen des Verstoßes schriftlich ohne Verwarnungsgeld. Ordnungswidrigkeiten sollen nur in bestimmten Ausnahmefällen im KAN gespeichert werden. Die Gründe für die Speicherung - die wegen der geringeren Bedeutung dieser Vorgänge zu verkürzen ist - sind grundsätzlich schriftlich zu dokumentieren. Ein solcher Ausnahmefall lag aber nicht vor, so dass die Speicherung auf mein Betreiben hin im KAN gelöscht wurde.


Ich habe in der Folge noch bei einer weiteren Polizeidienststelle die Speicherung von Ordnungswidrigkeiten im Kriminalaktennachweis auf die Einhaltung dieser Vorgaben hin überprüft. Dabei konnte ich feststellen, dass die datenschutzrechtlichen Anforderungen weitgehend erfüllt waren. Nur in wenigen Ausnahmefällen habe ich die Polizei aufgefordert, den Sachverhalt aus dem Kriminalaktennachweis zu löschen und lediglich in der Vorgangsverwaltung nachzuweisen.

So war ein Betroffener zusammen mit einer weiteren Person gespeichert worden, weil sie an einem Weiher Alkohol getrunken und die leeren Flaschen anschließend in den Weiher geworfen hatten. Vor der Polizei räumten beide ein, jeweils eine Flasche in den Weiher geworfen und damit eine Ordnungswidrigkeit nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz begangen zu haben. Zwar können im KAN Ordnungswidrigkeiten mit besonderer sicherheitsrechtlicher Gefahrenneigung sowie solche, deren Speicherung im Einzelfall unter besonderer Berücksichtigung der Person des Betroffenen (Vorerkenntnisse) oder anderer nachvollziehbarer Umstände zur Gefahrenabwehr erforderlich sind, gespeichert werden. Der vorliegende Sachverhalt ließ aber nicht erkennen, wieso hier ein Nachweis der Ordnungswidrigkeiten im KAN erforderlich sein sollte. Die Polizei ist meiner Forderung nach Löschung dieser Speicherungen aus dem KAN nachgekommen.


Ordnungswidrigkeiten werden nach Art. 38 Abs. 1 PAG gespeichert. Sie unterliegen somit nicht der sog. Mitziehautomatik nach Art. 38 Abs. 2 Satz 6 PAG. Diese bewirkt eine Verlängerung der Speicherfrist im Falle der Hinzuspeicherung weiterer Erkenntnisse, für die die Löschungsfrist später endet. Ich habe deshalb das Innenministerium aufgefordert zu gewährleisten, dass die im bayerischen KAN nachgewiesenen Ordnungswidrigkeiten nicht der sog. Mitziehautomatik unterliegen. Meine Forderung wurde in einer der nächsten Programmversionen des elektronischen KAN umgesetzt.

Derzeit findet die Pilotierung für die sog. Elektronische Kriminalakten-Archivierung (EKAA) bei der Bayerischen Polizei statt. Dabei sollen alle bisher in Papierform vorliegenden Kriminal- und Vorgangsakten digitalisiert gespeichert und elektronisch abgerufen werden können. Das Innenministerium hat mir dazu das Berechtigungs- und Zugriffskonzept übermittelt. Wegen des bayernweiten Zugriffs auf Vorgangsverwaltungsdaten durch eine Vielzahl von Bediensteten verschiedenster Funktionen hatte ich bereits früher meine Bedenken gegenüber dem Innenministerium geäußert (vgl. hierzu Nr. 4.2 des 22. Tätigkeitsberichts). Mit EKAA sollen nun Zugriffe der Polizeibeamten auf (digitalisierte) Kriminal- und Vorgangsakten grundsätzlich präsidiumsweit und für bestimmte Benutzer auch landesweit ermöglicht werden. Bisher war eine Sicht auf die Akten mit einem erhöhten Aufwand, nämlich der schriftlichen Anforderung oder einer direkten Einsichtnahme bei der Kriminalaktenstelle oder der den Vorgang führenden Dienststelle verbunden. Mit dem Zugriff auf elektronischem Wege können zukünftig die berechtigten Benutzer beispielsweise auch auf in diesen Akten enthaltene Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen oder Gutachten zugreifen. Diese Leichtigkeit des Zugriffs und die fehlende Kontrolle durch die Kriminalaktenstelle erhöht die Gefahr einer unzulässigen Nutzung oder Weitergabe auch sensibler personenbezogener Daten, wie beispielsweise Niederschriften über die Vernehmung von Opfern von Sexualstraftaten oder psychologische Gutachten.

Ich habe deswegen gefordert, dass Benutzer außerhalb der sachbearbeitenden Dienststellen nur zu einer elektronischen Anforderung im Einzelfall oder temporär für die Ermittlungssachbearbeitung berechtigt werden sollen und gebeten, im Rahmen der Pilotierung ein solches Berechtigungskonzept zu prüfen.

Zudem ist es jedem Berechtigten möglich, recherchierte Vorgangs- und Kriminalakten oder Teile davon auszudrucken. Dies birgt wegen der Möglichkeit der Vervielfältigung die Gefahr, dass noch nach Vernichtung der Originalakten ausgedruckte Akten oder Aktenteile erhalten bleiben. Ich habe deshalb gebeten, die Druckfunktion im Rahmen des Berechtigungskonzeptes nur einem eingeschränkten Benutzerkreis zur Verfügung zu stellen und neben dem Lesezugriff auch den Ausdruck zu protokollieren.

Unabhängig davon werde ich mich über die EKAA vor dem flächendeckenden Einsatz bei einer der Pilotdienststellen vor Ort eingehend informieren.

4.4. Speicherungen in der Staatsschutzdatei

Immer wieder sind auch Speicherungen in der Staatsschutzdatei der Polizei (ISIS) Gegenstand meiner datenschutzrechtlichen Prüfungen. In meinem 22. Tätigkeitsbericht (vgl. hierzu Nr. 4.5) hatte ich in diesem Zusammenhang auch von meinen datenschutzrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Speicherung von Betroffenen wegen des Verdachts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten berichtet, weil sie bei Demonstrationen gegen die Münchner Sicherheitskonferenz 2006 Plakate mit der Aufschrift "Rumsfeld Massenmörder" trugen. Meiner Aufforderung, die Speicherungen derjenigen Personen in der Datei ISIS zu löschen, über die darüber hinaus keine staatsschutzrelevanten Erkenntnisse vorliegen, ist die Polizei nach kontroverser Auseinandersetzung schließlich nachgekommen.

Datenschutzrechtlich bedenklich waren auch Speicherungen, auf die ich durch die Presse und durch eine schriftliche Anfrage einer Abgeordneten des Landtags aufmerksam gemacht wurde. Anlass dieser Anfrage war eine Veranstaltung eines Kreisverbandes einer Partei, an der auch ein Regierungsmitglied teilnahm. Vor und während der Veranstaltung sollen personenbezogene Daten von Landwirten, Mitgliedern des "Bundes Naturschutz" und weiteren Bürgern, die sich als Gegner der sog. "Grünen Gentechnik" zu erkennen gaben, von Polizeibeamten erhoben und gespeichert worden sein. Der von mir zur datenschutzrechtlichen Prüfung der Speicherungen beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte war im Wesentlichen zu entnehmen, dass die Betroffenen den Besuch der Veranstaltung auch nutzen wollten, um vor dem Veranstaltungsort ihre Meinung zur Gentechnik zum Ausdruck zu bringen. Dazu kamen sie mit Traktoren zum Veranstaltungsort, an denen u.a. Transparente angebracht waren. Auf einem Anhänger war ein überdimensionaler Maiskolben mitgeführt worden. Einer der Beschuldigten sagte aus, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass die Aktion anmeldepflichtig war. Es habe auch keinen Koordinator der Aktion gegeben, der die Versammlung hätte anmelden können. Auch der polizeiliche Sachbearbeiter kam in seinen Ermittlungsvermerken zum Ergebnis, dass die Betroffenen, bei denen es sich ausschließlich um besorgte Landwirte handelte, keine Erfahrungen im Bereich des Versammlungsrechts hatten. Die zuständige Staatsanwaltschaft führte in ihrer Einstellungsverfügung aus, dass aufgrund der durchgeführten Ermittlungen nicht nachweisbar sei, dass es sich um einen von den Beschuldigten geplante bzw. initiierte Versammlung gehandelt habe. Es sei aber nicht auszuschließen, dass sämtliche Teilnehmer ohne vorherige Absprache zur Kundgabe Ihrer Einstellung gegen Gentechnik am Ort der Informationsveranstaltung erschienen seien.

Wegen dieses Vorgangs waren zunächst personenbezogene Daten von vier Beschuldigten im Kriminalaktennachweis und der Staatsschutzdatei gespeichert. Nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens wurden drei Personen aus diesen Dateien gelöscht. Im Zuge meiner Überprüfung hat die Polizei auch die Daten der vierten Person gelöscht. Die Betroffenen waren aber noch in der Vorgangsverwaltung gespeichert, wobei drei von ihnen weiterhin als "Beschuldigte" geführt wurden.

Ich hatte auf Grund des Sachverhalts erhebliche Zweifel, dass ein Tatverdacht von ausreichender Substanz, der eine Speicherung der drei Betroffenen als "Beschuldigte" wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsrecht rechtfertigen könnte, gegeben war. Dies galt insbesondere deshalb, weil völlig offen war, wer ggf. als Versammlungsleiter angesehen werden sollte. Meiner Aufforderung, die Betroffenen in der Vorgangsverwaltung mit der weniger belastenden Personenart "Betroffene einer polizeilichen Maßnahme" zu speichern, ist die Polizei nachgekommen. Auch die Speicherung der Person, gegen die als Leiter/Veranstalter einer nicht angemeldeten Versammlung ein Verfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz geführt wurde, in der INPOL-Fall-Datei "Innere Sicherheit" (IFIS) wurde nach einiger Verzögerung inzwischen gelöscht.

4.5. Polizeiliche Speicherungen in der Antiterrordatei

Über das zwischenzeitlich in Kraft getretene Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Länder (Antiterrordateigesetz - ATDG) und den damit zusammenhängenden datenschutzrechtlichen Problemen habe ich bereits in meinem letzten Tätigkeitsbericht (vgl. hierzu Nr. 5.4) berichtet. In diesem Berichtszeitraum habe ich Speicherungen in der Antiterrordatei sowohl bei der Bayerischen Polizei als auch beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (vgl. hierzu Nr. 5.2 - Datenschutzrechtliche Prüfungen beim Verfassungsschutz) überprüft.

Die überprüfte Polizeidienststelle hatte dabei Daten von Personen aus etwa 20 umfangreichen Ermittlungsverfahren in der ATD gespeichert, die aus der Arbeitsdatei "AKIS", dem Informationssystem zur Aufklärung krimineller islamistischer Strukturen, übernommen worden waren. Im Hinblick auf die Speicherfristen bestimmt § 11 Abs. 3 ATDG, dass personenbezogene Daten in der ATD zu löschen sind, wenn die zugehörigen Erkenntnisse nach den für die beteiligten Behörden jeweils geltenden Rechtsvorschriften zu löschen sind. Grundsätzlich ist deshalb in der ATD die Aussonderungsprüffrist festzusetzen, die für die korrespondierende Erkenntnis in AKIS maßgeblich ist. Nach Ablauf dieser Frist ist die Speicherung zu prüfen und ggf. zu löschen. Ich habe deshalb zu den zu prüfenden Speicherungen um einen AKIS-Auszug jedes Betroffenen sowie um Mitteilung der jeweiligen ATD-Speicherfristen gebeten. Die betreffende Dienststelle hat mir daraufhin mitgeteilt, dass bei der Überprüfung festgestellt worden sei, dass die Speicherfristen bei Kontaktpersonen nicht in allen Fällen korrekt festgesetzt waren. Sie habe dies zum Anlass genommen, die Speicherfristen für alle eingestellten Kontaktpersonen zu überprüfen und ggf. das nach der Errichtungsanordnung für AKIS vorgesehene Aussonderungsprüfdatum festzusetzen.

In Zukunft ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass bereits bei der Erfassung der Speicherungen die zutreffenden Speicherfristen in der ATD festgesetzt und die Speicherungen fristgerecht überprüft und gelöscht werden. Es darf nicht vorkommen, dass beispielsweise eine in der ATD gespeicherte Kontaktperson zehn Jahre gespeichert bleibt, nur weil eine (nicht ATD-relevante) Erkenntnis über den Betroffenen mit einer zehnjährigen Aussonderungsprüffrist in AKIS gespeichert ist.

In der ATD werden die Betroffenen nach bestimmten im Antiterrordateigesetz festgelegten Personenkategorien gespeichert: Angehörige oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a/b StGB (§ 2 Nr. 1 ATDG), Gewaltbefürworter (§ 2 Nr. 2 ATDG) oder Kontakt- und Begleitpersonen (§ 2 Nr. 3 ATDG). Bei der Auswahl der zu prüfenden Speicherungen habe ich alle Personenkategorien berücksichtigt. In einigen Fällen habe ich die Polizei aufgefordert, die Personenkategorie, beispielsweise von "Gewaltbefürworter" in "Kontaktperson", mit entsprechender Korrektur der Aussonderungsprüffrist zu ändern. Bei einigen Betroffenen, die ausschließlich als Kontaktpersonen gespeichert waren, habe ich die Polizei zur Löschung aufgefordert, weil ich das Vorliegen der Vorraussetzungen für eine Speicherung in der ATD nicht gesehen habe. Als Kontaktpersonen nach § 2 Nr. 3 ATDG sollen Betroffene nämlich nur gespeichert werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit einer in § 2 Nr. 1 oder Nr. 2 genannten Person (vgl. oben) nicht nur flüchtig oder in zufälligem Kontakt in Verbindung stehen, und durch sie weiterführende Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erwarten sind.

So war z.B. eine Person gespeichert, weil sie während der Observation eines verdächtigten Unterstützers einer terroristischen Vereinigung erfolglos versucht habe, diesen zu erreichen, indem sie an dessen Eingangstüre geläutet hatte. Weitere Erkenntnisse zum Betroffenen waren nicht vorhanden. Lediglich das (einmalige) Läuten erschien mir für die Speicherung als Kontaktperson in der ATD zu weitgehend. Das gleiche galt für die Speicherung einer 21-Jährigen, die im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren als Inhaberin von zwei Telefonanschlüssen festgestellt worden war, von denen aus männliche Personen in afghanischer Sprache mit einem Informanten gesprochen haben sollen. Die Betroffene war in AKIS als "Tatverdächtige" und in der ATD als Kontaktperson nachgewiesen. Auch hier habe ich die Löschung aus der ATD und eine Änderung der AKIS-Speicherung gefordert.

4.6. Öffentlich zugängliche Sexualstraftäterdatei

Aus der Presse habe ich erfahren, dass auch von bayerischen Sicherheitspolitikern Überlegungen angestellt werden, die personenbezogenen Daten polizeilich bekannter Sexualstraftäter zu veröffentlichen.

Eine solche allgemeine Bekanntgabe z.B. von Namen, Anschriften usw. polizeilich bekannter Sexualstraftäter an die Öffentlichkeit halte ich für unzulässig. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und das Recht auf Resozialisierung, wie es das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen ausgeführt hat (siehe BVerfGE 35, 202, 235; 45, 187, 238), lassen solche tiefgehenden Eingriffe mit Prangerwirkung nicht zu. Auch die 73. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat sich in einer Entschließung gegen dieses Projekt gewandt (siehe Anlage Nr. 3). Die Konferenz betont zwar, dass an Kindern begangene Sexualstraftaten mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden müssen. Dies schließt jedoch die Anwendung eindeutig rechtsstaatswidriger Mittel aus. Eine solche Datei wäre lediglich dazu geeignet, Misstrauen und Selbstjustiz zu fördern.

4.7. Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter (HEADS)

In meinem letzten Tätigkeitsbericht hatte ich über die Konzeption des Staatsministeriums des Innern für eine "Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter" (HEADS) berichtet (vgl. hierzu Nr. 4.6). Mit HEADS wird das Ziel verfolgt, das Risiko einer erneuten Begehung von Straftaten durch besonders rückfallgefährdete Sexualstraftäter zu minimieren und damit die Bevölkerung bestmöglich vor solchen Tätern zu schützen. Zielgruppe des Projekts HEADS sind Personen, die wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff. StGB) oder wegen Tötungsdelikten mit sexuellem Hintergrund oder unklarem Motiv verurteilt wurden oder sich wegen einer dieser Straftaten im Vollzug einer stationären Maßregel der Sicherung und Besserung befinden.

Nachdem es sich bei HEADS um die erstmalige zentrale Speicherung von Sexualstraftätern in einer besonderen Datei mit einer Vielzahl informationeller Eingriffsmöglichkeiten handelt, ist die Datei aus datenschutzrechtlicher Sicht von besonderer Bedeutung. In einigen Punkten der Konzeption, insbesondere bei der unmittelbaren Unterrichtung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde durch Bewährungshelfer anstelle der Einschaltung des bewährungsaufsichtsführenden Gerichts, konnte ich keine Übereinstimmung mit dem Innen- bzw. dem Justizministerium erzielen. Ich sehe für eine unmittelbare Datenübermittlung vom Bewährungshelfer an die Staatsanwaltschaft keine ausreichende bereichsspezifische Rechtsgrundlage.

Nach der Aufnahme des Wirkbetriebs habe ich die Datei vor Ort bei einem Polizeipräsidium datenschutzrechtlich überprüft. Zunächst habe ich mir die grundsätzliche Verfahrensweise darlegen lassen. Danach wird in der Regel durch die Justizvollzugsanstalten (JVA) den zuständigen Staatsanwaltschaften mitgeteilt, dass ein Sexualstraftäter, der möglicherweise als Risikoproband einzustufen ist, in der nächsten Zeit entlassen wird. Zudem gibt es auch retrograde Erfassungen, d.h. von Personen, die bereits entlassen sind und unter Führungsaufsicht stehen. Die Staatsanwaltschaft entscheidet dann, ob der Betroffene als sog. HEADS-Risikoproband eingestuft werden soll und meldet diesen der HEADS-Zentralstelle der Polizei. Dort wird je nach Art und Schwere der begangenen Tat, der Persönlichkeit des Täters und seinem Verhalten nach der Tat eine Einteilung der Betroffenen in drei Kategorien und die Speicherung ihrer personenbezogenen Daten vorgenommen.

Für meine Prüfung habe ich von jeder Kategorie die Speicherungen von mindestens fünf Risikoprobanden ausgewählt. Ich habe festgestellt, dass nur in wenigen Fällen eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Einstufung als HEADS-Risikoproband dokumentiert war. Lediglich die Übermittlung der zur Beurteilung maßgeblichen Unterlagen aus den Strafverfahrensakten (z.B. Gerichtsurteile, Führungsaufsichtsbeschlüsse, Gutachten) an die Zentralstelle war festzustellen. Es war deshalb den Unterlagen nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Gesichtspunkte die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Personen als HEADS-Risikoprobanden einzustufen und die Daten der Polizei zu übermitteln sind. Ich habe deshalb das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz um Mitteilung gebeten, nach welchen Kriterien bei der Staatsanwaltschaft eine Einstufung der Betroffenen als HEADS-Proband erfolgt und ob und ggf. auf welche Weise diese Entscheidung und deren Begründung dokumentiert werden.

Bei den überprüften Fällen hatte ich mit wenigen Ausnahmen keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegen die Speicherung in HEADS. Bezüglich eines Betroffenen habe ich die Polizei gebeten, eine Löschung der Speicherung zu prüfen:

Der Betroffene wurde in HEADS als sog. Bewährungsfall eingestuft. Er war wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des zuständigen Landgerichts wurde die Vollstreckung eines Restes der Gesamtfreiheitsstrafe für fünf Jahre zur Bewährung ausgesetzt, aber keine Führungsaufsicht angeordnet. Etwa eineinhalb Jahre nach der Entlassung informierte die Staatsanwaltschaft die HEADS-Zentralstelle über einen Vorfall, bei dem sich der Betroffene einem 17-Jährigen in sexueller Absicht genähert habe. Dies wurde von der Staatsanwaltschaft als Bewährungsversagen bewertet und der Betroffene als Risikoproband eingestuft.

Nachdem das Verfahren im Zusammenhang mit der Annäherung an den 17-Jährigen eingestellt worden war, weil durch die Annäherung kein Straftatbestand erfüllt war, gegen den Betroffenen keine Führungsaufsicht bestand, er sich einer sozialtherapeutischen Behandlung unterzogen und stets beanstandungsfrei verhalten hatte, habe ich dem Polizeipräsidium mitgeteilt, dass ich die Speicherung des Betroffenen in HEADS für problematisch halte. Das Staatsministerium habe ich, unabhängig von dem konkreten Einzelfall, gebeten, die Errichtungsanordnung für HEADS dahin gehend zu ändern, dass nach Ablauf der Führungsaufsicht in jedem Fall eine Prüfung der Erforderlichkeit der weiteren Speicherung in HEADS zu erfolgen hat.

4.8. Speicherungen in sonstigen Dateien

Gegenstand meiner Prüfungen bei verschiedenen Polizeidienststellen waren neben Speicherungen im Kriminalaktennachweis auch Speicherungen in deliktsspezifischen Dateien. Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse dieser Prüfungen zusammengefasst:

In meinem 21. Tätigkeitsbericht hatte ich meine Bedenken gegen die Speicherung aufgrund "polizeilichen Tatverdachts" dargelegt (vgl. hierzu Nr. 7.6). Ich habe deshalb im zurückliegenden Berichtszeitraum insbesondere solche "Tatverdächtige", die zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig waren, zu einem Schwerpunkt meiner datenschutzrechtlichen Prüfungen gemacht und dazu Arbeitsdateien der Bayerischen Polizei wie das "Rauschgift-Informationssystem" (RGIS) und das "OK-Informationssystem" (OKIS) herangezogen. Kinder und Jugendliche sind dort nur in einem geringen Umfang als "Tatverdächtige" gespeichert. Bei einer Polizeidienststelle habe ich in zwei Fällen die Löschung der Speicherungen gefordert. So war ein 13-Jähriger als Tatverdächtiger länger als für die Regelspeicherfrist von 2 Jahren gespeichert. In einem anderen Fall war ein 8-jähriges Kind in OKIS als Tatverdächtiger gespeichert, weil es in einem Anwesen festgestellt wurde, in dem sich nach polizeilicher Annahme Personen - u.a. auch Prostituierte - aufhalten, die planmäßig aus Bulgarien eingeschleust wurden. In welchem Zusammenhang der Junge damit stand, ließ sich den Unterlagen nicht entnehmen. Auf meine Aufforderung hin wurden die beiden Speicherungen gelöscht.

Bei einem anderen Präsidium habe ich die Datei "Jugendliche Intensivtäter" überprüft. Nach der Errichtungsanordnung sollen in dieser Datei Personen unter 21 Jahren gespeichert werden, die innerhalb eines nachvollziehbaren zeitlichen Zusammenhanges Delikte mit einer besonderen Schwere und/oder einer besonderen Häufigkeit begehen. Ihre Täterpersönlichkeit soll erkennen lassen, dass die Straffälligkeit nicht nur eine episodenhafte Lebensphase ist, sondern zum festen Bestandteil der Persönlichkeitsstruktur zu werden droht.

Nach Angabe des geprüften Polizeipräsidiums waren insgesamt 197 Jugendliche in der Datei erfasst. Bei den meisten der Betroffenen waren die Voraussetzungen für die Speicherung in der Datei gegeben. Zu ihrer Person waren regelmäßig eine Vielzahl von Delikten im KAN nachgewiesen, die auch hinsichtlich ihrer Schwere eine Einstufung als "Jugendliche Intensivtäter" nachvollziehbar erschienen ließen.

4.9. Automatisierte Kennzeichenerkennung

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 11.03.2008 grundlegend zur polizeilichen Maßnahme der "automatisierten Kennzeichenerfassung" geäußert. Die bayerische gesetzliche Regelung zur automatisierten Kennzeichenerkennung war zwar nicht unmittelbar Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Entscheidung. Diese hat aber auch für die bayerische Regelung und deren Vollzug erhebliche Bedeutung (vgl. hierzu Nr. 4.1.1).

Das Gericht stellt in der Entscheidung zunächst klar, dass die automatisierte Kennzeichenerfassung in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dann nicht eingreift, wenn der Abgleich mit dem Fahndungsbestand unverzüglich vorgenommen wird und negativ ausfällt (sog. Nichttrefferfall) sowie rechtlich und technisch gesichert ist, dass die Daten anonym bleiben und sofort spurenlos gelöscht werden. Demgegenüber werde in das Grundrecht eingegriffen, wenn ein erfasstes Kennzeichen im Speicher festgehalten wird und - wie im sog. Trefferfall - ggf. Grundlage weiterer Maßnahmen werden kann. Das Gericht hebt in seiner Entscheidung den besonderen Eingriffscharakter der automatisierten Kennzeichenerfassung hervor: Die Möglichkeit einer seriellen Erfassung einer Vielzahl von Kennzeichen in kürzester Zeit verleihe der Maßnahme ein besonderes Gepräge. Soll die automatisierte Kennzeichenerfassung dazu dienen, die gewonnenen Informationen für weitere Zwecke zu nutzen (z.B. Zusammenstellung der Informationen über mehrere Einzelfahrten zu einem Bewegungsprofil), besitze diese Maßnahme eine "besondere Schlagkraft und Eingriffsintensität".

Zum Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hat das Gericht insbesondere folgende Anforderungen an eine gesetzliche Eingriffsermächtigung gestellt:

  • Die gesetzliche Regelung muss eine Umgrenzung des Anlasses der Maßnahme und auch des möglichen Verwendungszwecks der betroffenen Informationen sicherstellen (sog. Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit). Verdachtslose Massendatenabgleiche sind als Grundrechtseingriffe "ins Blaue hinein" verfassungsrechtlich unzulässig.
  • Eine gesetzliche Regelung, die die Kennzeichenerfassung generell "zum Zwecke" des Abgleichs mit dem "Fahndungsbestand" gestattet, ist nicht hinreichend bereichsspezifisch und normenklar, weil sie weder den Anlass- noch den Ermittlungszweck benennt. Darüber hinaus ist der Begriff "Fahndungsbestand" zu unbestimmt. Der Umfang der einbezogenen Datenbestände verändert sich laufend und in gegenwärtig nicht vorhersehbarer Weise (vgl. hierzu Nr. 4.1.4 des letzten Tätigkeitsberichts zur Übernahme der in der Datei "Gewalttäter Sport" gespeicherten Personen in den Fahndungsbestand für die Zeit der Fußballweltmeisterschaft 2006). Die Bezugnahme auf den "Fahndungsbestand" hat dem Bundesverfassungsgericht zufolge den "Charakter einer dynamischen Verweisung". Nicht der Gesetzgeber, sondern die Verwaltung bestimmt Inhalt und Umfang des Datenbestandes, mit dem abgeglichen wird.
  • Die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden.
  • Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt, wenn die gesetzliche Ermächtigung die automatisierte Erfassung und Auswertung von Kennzeichen ermöglicht, ohne dass konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken von Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen einen Anlass zur Errichtung der Kennzeichenerfassung geben. Erforderlich ist dazu eine Begrenzung der Maßnahme auf Situationen, in denen Umstände der konkreten Örtlichkeit oder dokumentierte Lageerkenntnisse über Kriminalitätsschwerpunkte einen Anknüpfungspunkt geben, der auf diese Risiken und zugleich auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit hinweist, dass ihnen mit Hilfe der automatisierten Kennzeichenerfassung begegnet werden kann.

Im Hinblick auf die bayerische Regelung der Maßnahme (vgl. Art. 33 Abs. 2, 38 Abs. 3 PAG a.F.) hatte ich das Staatsministerium des Innern auf die Punkte hingewiesen, die vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts in der Gesamtschau verfassungs- und datenschutzrechtlich problematisch sind.

Ich hatte darüber hinaus das Staatsministerium des Innern gebeten, bis zu einer Anpassung der entsprechenden Vorschriften an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts kurzfristig durch geeignete Vollzugshinweise für die Polizei eine verfassungskonforme Einschränkung der automatisierten Kennzeichenerfassung sicherzustellen. Mit Schreiben vom 11.03.2008, das ich trotz mehrfacher Erinnerung an meine datenschutzrechtlichen Forderungen erst nach über vier Monaten erhalten habe, wurde vom Innenministerium eine Reihe von Einschränkungen verfügt. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings entsprachen die Regelungen den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht in vollem Umfang:

  • Die Maßnahme war nicht an "konkrete Gefahrenlagen" oder "dokumentierte Lageerkenntnisse über Kriminalitätsschwerpunkte" gekoppelt.
  • Die Eingrenzung auf die Fahndungsbestände von INPOL und SIS war zu unbestimmt.
  • Eine Einschränkung auf eine stichprobenartige Durchführung war nicht vorgesehen.
  • Eine Verwendung der Daten zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten wurde nicht ausgeschlossen.

Ich habe deshalb das Innenministerium gebeten, meine datenschutzrechtliche Beurteilung bei der evtl. weiteren Datenverarbeitung und -nutzung zu berücksichtigen. Bei einer früheren Unterrichtung durch das Innenministerium hätten die Vollzugshinweise allerdings rechtzeitig ergänzt werden können. Das Innenministerium sollte in Zukunft besser auf eine ausreichende Unterstützung des Landesbeauftragten für den Datenschutz achten.

In der Praxis habe ich insbesondere den Abgleich mit "anderen polizeilichen Dateien" (Art. 33 Abs. 2 Satz 3 PAG) überprüft. Von dieser Möglichkeit wurde im Berichtszeitraum nach Mitteilung des Innenministeriums nur einmal Gebrauch gemacht. Dabei wurden im Rahmen einer Veranstaltung einer Gruppierung, die nach Darstellung der Polizei dem Bereich der Organisierten Kriminalität zuzurechnen ist, an drei Tagen Kennzeichen der Fahrzeuge der anreisenden Teilnehmer mit drei deliktsspezifischen polizeilichen Dateien abgeglichen. Sowohl die Notwendigkeit des Kennzeichenabgleichs als auch die Erforderlichkeit des Abgleichs mit den konkreten Dateien wurden von der Polizei nachvollziehbar begründet.

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (vgl. hierzu Nr. 4.14) hatte ich von der temporären Übernahme (Zeitraum der Fußballweltmeisterschaft 2006) der Kennzeichen von Fahrzeugen der Personen in die Fahndungsdatei, die in der Datei "Gewalttäter Sport" gespeichert waren, berichtet. Ich habe mich davon überzeugt, dass die eingestellten Kennzeichen wieder aus der Fahndungsdatei gelöscht wurden. Bei einem Betroffenen des Kennzeichenabgleichs habe ich festgestellt, dass Informationen über seine Kontrolle an die für die Ausschreibung in der Gewalttäterdatei verantwortliche Polizeidienststelle übermittelt worden waren. Inhalt der Mitteilung war, dass sich der Betroffene auf dem Rückweg von einem Badesee befunden und alleine im Fahrzeug gesessen habe. Zweck der Datenübermittlung war nach Mitteilung der Polizei die "Pflege des Eintrags" in der Gewalttäterdatei sowie eine mögliche Überprüfung durch die speichernde Stelle hinsichtlich der weiteren Notwendigkeit der Speicherung bzw. einer Verkürzung der Speicherungsdauer. Die Datenübermittlung nach einer polizeilichen Kontrolle ohne einen Bezug zu Sportveranstaltungen ist aber nicht zulässig, da sie für den Zweck der Datei, die Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen und sonstiger Straftaten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen, nicht erforderlich ist. Solche Datenübermittlungen bergen aber die Gefahr, dass Bewegungsprofile der Betroffenen erstellt werden, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Ich habe deshalb die Polizei aufgefordert, zukünftig von Datenübermittlungen bei solchen "Trefferfällen" abzusehen. Das Innenministerium hat mir daraufhin mitgeteilt, dass die Polizeipräsidien entsprechend angewiesen wurden.

4.10. Präventive Telekommunikationsüberwachung

Die Regelungen des Polizeiaufgabengesetzes zur präventiven Telekommunikationsüberwachung (vgl. Art. 34 a bis c PAG) ermächtigen die Polizei zu tiefgehenden Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis. So bestehen nicht nur Befugnisse zur Überwachung und Aufzeichnung des Telekommunikationsinhalts, sondern z.B. auch zur Verpflichtung von Diensteanbietern, der Polizei die im Wege der "Vorratsdatenspeicherung" (vgl. dazu Nr. 6.1.3) gespeicherten sog. Telekommunikationsverkehrsdaten (z.B. Standort, Beginn und Ende der Verbindung, anrufende und angerufene Rufnummer) zu übermitteln und zur Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkgeräts. Diese Maßnahmen dürfen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug dürfen die Maßnahmen auch von der Polizei angeordnet werden; in diesem Fall ist nach dem Gesetz unverzüglich eine Bestätigung der Maßnahme durch den Richter einzuholen. Von der Telekommunikationsüberwachung sind die Beteiligten nachträglich grundsätzlich zu benachrichtigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Eilentscheidung zur "Vorratsdatenspeicherung" vom 28.10.2008 ausgeführt, dass die Polizei durch die Verpflichtung des Dienstanbieters, Telekommunikationsverkehrsdaten zu übermitteln, neben der eigentlichen Zielperson möglicherweise auch Personen erfassen könnte, die in keiner Beziehung zu den den Datenabruf rechtfertigenden Gründen stehen und auch sonst keinen Anlass für den damit verbundenen Grundrechtseingriff gegeben hätten. Das Gericht erachtet für die Zeit bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde eine Übermittlung dieser Daten durch den Anbieter an die Polizei nur dann für zulässig, wenn sie - zusätzlich zu den gesetzlichen Voraussetzungen - zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr erforderlich ist. Ich werde prüfen, ob diese Vorgaben des Gerichts in der polizeilichen Praxis beachtet werden.

Wie in meinem letzten Tätigkeitsbericht (vgl. Nr. 4.13.3) angekündigt, habe ich die Entwicklung auf dem Gebiet der präventiven Telekommunikationsüberwachung weiter beobachtet. Ich habe dazu in vier Fällen Eingriffsmaßnahmen überprüft. Gegenstand meiner datenschutzrechtlichen Kontrolle waren insbesondere das Vorliegen einer richterlichen Anordnung und die Einhaltung des durch den Richter vorgegebenen Rahmens. Dabei habe ich in einem sog. Eilfall (Gefahr im Verzug) festgestellt, dass das zuständige Polizeipräsidium den Provider um Übermittlung der Standortdaten eines Handys ersucht hat, ohne dies - wie gesetzlich vorgesehen - schriftlich anzuordnen und die Bestätigung eines Richters einzuholen. Ich habe diesen Verstoß förmlich beanstandet. In den übrigen Fällen habe ich keine wesentlichen datenschutzrechtlichen Defizite festgestellt.

4.11. DNA-Maßnahmen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung

4.11.1. DNA-Maßnahmen wegen mehrerer nicht-erheblicher Straftaten

Seit dem 01.11.2005 besteht die Möglichkeit, DNA-Maßnahmen bei Beschuldigten nicht nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung oder Sexualstraftaten durchzuführen, sondern auch bei der wiederholten Begehung sonstiger Straftaten, wenn diese im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen (§ 81 g Abs. 1 Satz 2 Strafprozessordnung - StPO). Gleiches gilt u.a. auch für verurteilte Straftäter, deren Eintragungen im Bundeszentralregister noch nicht gelöscht sind. Bei einem Polizeipräsidium habe ich die Durchführung solcher sog. retrograder DNA-Maßnahmen überprüft.

Bei DNA-Maßnahmen, die wegen der wiederholten Begehung nicht-erheblicher Straftaten angeordnet werden, müssen die betreffenden Straftaten einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichkommen, künftige Strafverfahren gegen den Betroffenen wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu erwarten und das erhobene DNA-Identifizierungsmuster für die künftige Sachaufklärung grundsätzlich dienlich sein. Soweit das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht vom Gericht geprüft und entschieden wird, sondern die Maßnahme auf der Grundlage der Einwilligung des Betroffenen durchgeführt wird, ist dies von der Polizei zu prüfen.

Straftaten von erheblicher Bedeutung müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu stören. Eine solche Erheblichkeit kann bei Straftaten geringerer Bedeutung nicht schematisch angenommen werden, wenn ein Ersttäter erneut eine Straftat begeht. Ich habe deshalb das Präsidium darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung der Erheblichkeit die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zu beachten sind und nachvollziehbar zu dokumentieren ist, weshalb die begangenen Straftaten im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichkommen.

Die Prognose künftiger Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung durch den Betroffenen wurde aufgrund der beim Präsidium vorliegenden KAN-Unterlagen getroffen. Soweit für die Prognose auch KAN-Speicherungen als relevant angesehen wurden, bei denen keine Verurteilung erfolgt, sondern die Verfahren eingestellt worden waren, waren den Unterlagen in der überwiegenden Zahl der Fälle die Einstellungsbegründungen nicht zu entnehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine tragfähig begründete Entscheidung aber voraus, dass ihr eine zureichende Sachaufklärung, insbesondere durch Beiziehung u.a. der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten vorausgegangen ist und in den Entscheidungsgründen die bedeutsamen Umstände abgewogen wurden. Diese Anforderungen, die für gerichtlich angeordnete DNA-Maßnahmen aufgestellt wurden, gelten nach meiner Auffassung in gleichem Maße für die Prognoseentscheidung der Polizei. Ich habe das Polizeipräsidium aufgefordert, diesen Anforderungen künftig Rechnung zu tragen.

Die Formblätter für die Prognoseentscheidung waren zum Teil nur formelhaft ausgefüllt. So war beispielsweise zur Art und Ausführung der Tat lediglich angemerkt: "A. entwendete eine Geldbörse" oder "B. entwendete Waren im Wert von 9 Euro". Zur Persönlichkeit des Täters waren teilweise nur stichpunktartig pauschale Aussagen getroffen wie "geringe Hemmschwelle", "hohe kriminelle Energie". Auch zur Begründung der in Zukunft zu erwartenden Straftat von erheblicher Bedeutung wurde häufig nur allgemein darauf hingewiesen, dass aufgrund der Anzahl der Straftaten eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Betroffene wieder einschlägig strafrechtlich in Erscheinung treten werde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind im Rahmen der Gefahrenprognose jedoch u.a. Rückfallgeschwindigkeit, Zeitablauf, Verhalten des Betroffenen in der Bewährungszeit oder nach einem Straferlass, Motivationslage bei der früheren Tatbegehung, Lebensumstände und Persönlichkeit zu berücksichtigen. Dabei ist stets eine auf den Einzelfall bezogene Beurteilung erforderlich. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts oder eine bloß formelhafte Begründung reicht nicht aus. Ich habe deshalb das Polizeipräsidium aufgefordert, künftig bei der Prognoseentscheidung die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zu beachten und bei der schriftlichen Prognose nachvollziehbar darzulegen, aus welchen Gründen im konkreten Einzelfall zukünftig die Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung durch den Betroffenen zu erwarten ist.

Unabhängig von den fehlenden Unterlagen und der häufig unzureichenden Begründungen, die - soweit möglich - nachzubessern sind, habe ich in einigen Fällen erhebliche Zweifel, ob die Voraussetzungen für die Durchführung von DNA-Maßnahmen vorliegen. Hier zwei Beispiele:

Über eine Betroffene waren zwei Eintragungen im BZR nachgewiesen, die für die Maßnahme ausschlaggebend gewesen sein sollen. Bei einem Diebstahl im Jahr 2001 soll sie als angestellte Kassiererin eines Einkaufsmarktes Beihilfe zum Diebstahl geleistet haben, indem sie zuließ, dass zwei ihr bekannte Frauen mit Waren im Wert von 545 DM (ca. 275 €) ihren Kassenbereich passieren konnten, ohne dafür zu bezahlen. Sie wurde zu 150 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Bei einem weiteren Diebstahl im Jahr 2006 wurde sie zu 80 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt. Ein Kaufhausdetektiv hatte die Betroffene angezeigt, nachdem sie eine Geldbörse im Warenwert von 25 Euro in ihre Einkaufstasche gesteckt hatte, ohne diese an der Kasse zu bezahlen.

Bei der Beurteilung, ob hier Straftaten vorliegen, die im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen, ist Folgendes zu berücksichtigen: Die Betroffene beging die erste Tat bereits im Jahr 2001. Erst fünf Jahre später erfolgte die nächste Tat. Im ersten Fall wurde sie zwar zu einer nicht geringen Strafe von immerhin 150 Tagessätzen verurteilt. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung lag aber deshalb noch nicht vor. Trotz der Tatsache, dass sie Wiederholungstäterin war, erfolgte im zweiten Fall nur eine Verurteilung zu einer relativ geringen Strafe. In der Gesamtbetrachtung halte ich, insbesondere wegen des relativ geringen Gewichts der zweiten Tat und des zeitlichen Abstands zwischen den beiden Taten, die Annahme, dass die beiden Delikte zusammen im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen, nicht für vertretbar. Auch die Prognoseentscheidung war formelhaft und pauschal. Eine auf den Einzelfall bezogene Bewertung war nicht erkennbar. Wie ohne Beiziehung weiterer Unterlagen, insbesondere der entsprechenden Urteile, beurteilt werden konnte, dass die Täterin aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur in der Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, war für mich nicht erkennbar. Ich habe deshalb die Polizei gebeten, die DNA-Speicherung zu löschen oder nachvollziehbar das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Maßnahme zu begründen.

Gleiches habe ich auch im Hinblick auf einen Betroffenen gefordert, der im Jahr 2001 wegen Beleidigung und Bedrohung zu 60 Tagessätzen zu je 15 DM und 2006 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu 20 Tagessätzen zu je 5 € verurteilt worden war. Im ersten Fall hatte er den Personalchef eines Amtes und dessen Mitarbeiterin beleidigt und bedroht, im zweiten Fall in einem Einkaufsmarkt eine Schachtel Zigaretten entwendet.

Der Prognoseentscheidung der Polizei war zu entnehmen, dass aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Täters von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Eine Verurteilung aus dem Jahr 2000 habe ihn nicht gehindert, weitere Straftaten zu begehen. Als Grund für die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten wurde lediglich angeführt, dass er eine geringe Hemmschwelle besitze, ein aggressives Wesen habe, gewalttätig sei und insbesondere noch weitere Diebstähle vorliegen würden.

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die DNA-Maßnahme sehe ich hier nicht: Der Betroffene war wegen der Straftaten, die im Abstand von sechs Jahren begangen wurden und unterschiedliche Deliktsbereiche betreffen, zum Teil erheblich unter 100 Tagessätzen verurteilt worden. Auch eine Staatsanwaltschaft ist in einem anderen (nicht geprüften) Fall bei Verurteilungen jeweils unter 100 Tagessätzen (Erwerb von Betäubungsmitteln, Nötigung mit Beleidigung) nicht von der Erheblichkeit der Straftaten ausgegangen. Darüber hinaus war die Prognoseentscheidung formelhaft und berief sich auf "mehrere Diebstähle", obwohl diese trotz ihres angeblichen Zusammenhangs mit der ersten Tat neben der Verurteilung wegen Beleidigung und Bedrohung keinerlei Erwähnung in der gerichtlichen Entscheidung gefunden hatten.

4.11.2. Formblätter bei DNA-Maßnahmen

Das Staatsministerium des Innern hatte ich gebeten, die Formblätter, die zur Dokumentation der Einwilligung in molekulargenetische Untersuchungen von Körperzellen zu Vergleichszwecken (§ 81 e Abs. 1 StPO) und zur Identitätsfeststellung bei Beschuldigten und Verurteilten in künftigen Strafverfahren (§ 81 g StPO) verwendet werden sollen, entsprechend meinen Forderungen zu ändern (vgl. dazu Nr. 4.10 meines letzten Tätigkeitsberichts). Das Staatsministerium des Innern hat in der Folge einen Hinweis auf den Umfang der Untersuchungen aufgenommen und zwei getrennte Formblätter für Beschuldigte und Zeugen/Dritte eingeführt.

Nach wie vor fehlt aber

  • ein Hinweis auf die erforderliche Einwilligung und Unterschrift auch des Erziehungsberechtigten, wenn Jugendliche von einer DNA-Maßnahme betroffen sind.

Die Beurteilung, ob im jeweiligen Einzelfall der Jugendliche über eine genügende Verstandesreife verfügt, um die Tragweite seiner Entscheidung verstehen zu können, ist schwierig. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die Einwilligung wegen des Fehlens der erforderlichen Verstandesreife unwirksam ist, weil auf die Einwilligung des Erziehungsberechtigten verzichtet wird. Diese Unsicherheit kann mit Hilfe der gemeinsamen Einwilligung von Betroffenem und Erziehungsberechtigtem ausgeräumt werden. Wie notwendig der von mir geforderte Hinweis ist, zeigen die Vorgaben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Einwilligung in die - im Vergleich zu einer DNA-Maßnahme - weniger eingriffsintensive Speicherung von Schülerdaten in der "passwortgeschützten Lernplattform": Dort müssen die Jugendlichen selbst und ihre Erziehungsberechtigten in die Speicherung einwilligen.

Ich beabsichtige deshalb zu prüfen, ob das Vorliegen der genügenden Verstandesreife der betroffenen Jugendlichen ausreichend geprüft und aussagekräftig dokumentiert wird.

  • eine Information über die regelmäßige Dauer der Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters in der DNA-Analyse-Datei.
  • ein Hinweis, dass der Betroffene seine Einwilligung widerrufen kann und Ausführungen über die Rechtsfolgen eines Widerrufs (zu Einzelheiten vgl. meinen letzten Tätigkeitsbericht unter Nr. 4.10).

Ich bedaure die ablehnende Haltung des Staatsministeriums des Innern gerade deshalb besonders, weil eine ausreichende Information eine wesentliche Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung ist.

4.12. Erkennungsdienstliche Behandlung

Überprüft habe ich in diesem Berichtszeitraum auch erkennungsdienstliche Behandlungen, bei denen sich die Betroffenen an mich gewandt hatten, nachdem sie sich durch die Maßnahme in ihren Datenschutzrechten verletzt sahen. Einen Fall halte ich wegen der Unverhältnismäßigkeit der Mittel für besonders erwähnenswert:

Der Petent war bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit festgestellt worden, weil er die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 8 km/h überschritten hatte. Der an ihn als Halter des betreffenden Fahrzeugs übersandte Anhörungsbogen kam u.a. mit der Bemerkung "Strohköpfe" an die Polizei zurück. Wegen des Verdachts der Beleidigung wurde der Anhörungsbogen an die zuständige Kriminalpolizeiinspektion übersandt, wo Fingerspuren gesichert werden konnten. Der Petent wurde daraufhin als Beschuldigter vorgeladen und für einen möglichen Spurenvergleich erkennungsdienstlich behandelt. Ein Spurenvergleich mit den Fingerabdrücken des Petenten wurde beim Landeskriminalamt veranlasst. Das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren wurde - ohne dass das Ergebnis des Spurenabgleichs bei der Staatsanwaltschaft vorlag - nach § 153 a StPO eingestellt.

Gemäß § 81 b 1. Alternative StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens notwendig ist. Solche Maßnahmen dienen der Strafverfolgung (Identifizierung), wenn sie Schuld oder Unschuld des Beschuldigten in einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren beweisen sollen, insbesondere, wenn die Identifizierung notwendig ist, weil seine Person unbekannt ist oder von Zeugen wiedererkannt werden soll oder wenn Fingerabdrücke mit Tatortspuren verglichen werden sollen. Dabei ist aber auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Demnach dürfen Maßnahmen nur getroffen werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis stehen.

Ich habe der Polizei mitgeteilt, dass ich unter Gesamtwürdigung des Sachverhalts erhebliche Bedenken habe, dass die Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung in einem angemessenen Verhältnis zur Straftat gestanden hat. Zudem war für mich nicht erkennbar, wie die durch die Maßnahme erhobenen Fingerabdrücke, Lichtbilder und körperlichen Merkmale des Petenten zur Aufklärung der gegenständlichen Straftat beitragen hätten können.

Das für die betreffende Inspektion zuständige Polizeipräsidium hat meine Bedenken geteilt. Zwar müsse die Maßnahme im Zusammenhang mit dem zunehmenden Phänomen betrachtet werden, dass immer mehr Betroffene strafrechtlich relevante Kommentare schriftlich versenden und dann ihre Urheberschaft bestreiten. Der betreffende Beamte sei belehrt, die erkennungsdienstlichen Unterlagen seien vernichtet und die entsprechenden Speicherungen gelöscht worden. Der Vorgang werde nicht mehr im Kriminalaktennachweis, sondern nur noch in der polizeilichen Vorgangsverwaltung nachgewiesen.

4.13. Video- und Bildaufzeichnungen

4.13.1. Videoüberwachung in Innenstadtbereichen

Die bayerische Polizei nutzt die Möglichkeit der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze auf der Grundlage von Art. 32 Abs. 2 PAG in den Städten München, Nürnberg, Regensburg, Schweinfurt, Ingolstadt und in Straubing während des Gäubodenvolksfestes. In München sind Kameras am Bahnhofsvorplatz, am Stachusrondell, am Orleansplatz, am Marienplatz zur Zeit des Christkindlmarkts und auf der Theresienwiese während der Zeit des Oktoberfestes installiert.

Der Orleansplatz wird seit April 2007 mit drei Kameras videoüberwacht. Die Polizei hat mir mit der Übermittlung der entsprechenden Konzeption und den festgestellten Kriminalitätsbelastungszahlen die Erforderlichkeit der Videoüberwachung dargelegt. Im Rahmen einer gemeinsamen Ortsbegehung wurden die Standorte der insgesamt 18 Hinweisschilder abgesprochen. Keine Übereinstimmung konnte hinsichtlich der Speicherungsdauer für die Aufzeichnungen erzielt werden. In der ursprünglichen Konzeption wollte die Polizei die gesetzliche Höchstfrist von zwei Monaten ausschöpfen. Auf meine Intervention hin hat sie die Speicherungsdauer auf 30 Tage beschränkt. Die von mir geforderte Verkürzung auf sieben Tage hält die Polizei nicht für ausreichend. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass aufgrund einer Auswertung von Anzeigen nach Straftaten der Straßenkriminalität festgestellt wurde, dass nach mehr als 20 Tagen 13,3 % der Geschädigten noch keine Anzeige erstattet hatten.

Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Speicherfrist kommt es jedoch nicht primär auf das Anzeigeverhalten der Geschädigten an, da die Videoüberwachung kriminalitätsbelasteter Orte eine Maßnahme der Gefahrenabwehr darstellt. Die Beobachtung der Videoübertragung sollte live durch Polizeibeamte erfolgen, damit unverzüglich auf Gefahren reagiert werden kann. Darüber hinaus ist die Vorsorge für die spätere Verfolgung von Straftaten dem "gerichtlichen Verfahren" i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzuordnen, so dass dafür keine Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum niedersächsischen Gesetz zur präventiven Telekommunikationsüberwachung vom 27.07.2005 ausgeführt, dass die Beweisbeschaffung zur Verwendung in künftigen Strafverfahren keine präventive Datenerhebung zur Verhütung von Straftaten darstellt und damit als Verfolgungsvorsorge in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 23.02.2007 anlässlich einer geplanten kommunalen Videoüberwachung eines öffentlichen Kunstwerks hervorgehoben, dass diese Maßnahme einen intensiven Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der den öffentlichen Raum nutzenden Personen darstellt. Das Gewicht dieser Maßnahme werde noch dadurch erhöht, dass infolge der Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden könne. Dabei würden durch die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials überwiegend Personen erfasst, die selbst keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird. Das Bundesverfassungsgericht weist außerdem darauf hin, dass auch in zeitlicher Hinsicht (also hinsichtlich der Speicherungsdauer der Aufzeichnungen) das Übermaßverbot zu beachten ist.

Dies ist hier - trotz der von der Polizei angeführten Zahlen zum Anzeigeverhalten von Geschädigten - nicht in ausreichendem Maße geschehen. Im Umkehrschluss haben nämlich 86,7 % der Geschädigten und damit ein weit überwiegender Teil bereits innerhalb von 20 Tagen Strafanzeige erstattet. Der Rechercheliste der Polizei zur Videoüberwachung war über dies zu entnehmen, dass in keinem Fall ein Zugriff auf Aufzeichnungen erforderlich war, die älter als sieben Tage waren. Nur in einem Fall war die Auswertung genau sieben Tage nach dem Ereignis erfolgt. In allen anderen Fällen ist eine polizeiliche Recherche spätestens drei Tage nach dem Ereignis vorgenommen worden.

Bei der Planung der polizeilichen Videoüberwachung des Zentralen Omnibusbahnhofs (ZOB) in Ingolstadt hätte ich mir eine frühere Unterrichtung durch die Polizei gewünscht. Dies gerade deshalb, weil ich grundsätzliche datenschutzrechtliche Bedenken gegen den dortigen Einsatz der Videoüberwachung habe. Die Kriminalitätsbelastung am ZOB liegt im Vergleich zu entsprechenden polizeilich überwachten Plätzen in einem relativ niedrigen Bereich (73 Straftaten pro Jahr). So wurden beispielsweise in Nürnberg am Plärrer 133 Straftaten festgestellt. Selbst am Rossmarkt in Schweinfurt (etwa 55 000 Einwohner im Vergleich zu etwa 125 000 in Ingolstadt) wurden über 250 Straftaten (Ladendiebstähle nicht berücksichtigt) registriert. Hinzu kommt, dass in Ingolstadt bei den 73 Straftaten auch 17 Leistungserschleichungen mitgezählt sind, bei denen eine künftige Verhinderung durch die polizeiliche Videoüberwachung nicht zu erwarten ist.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 21.07.2003 ausgeführt, dass ein Kriminalitätsschwerpunkt, der die Videoüberwachung rechtfertigt, eine besondere Kriminalitätsbelastung aufweisen müsse. Eine solche besondere Kriminalitätsbelastung sehe ich aufgrund der mir übermittelten Kriminalitätszahlen nicht. Die Polizei hat diese Sichtweise leider nicht geteilt und die Videoüberwachung Anfang September 2007 gestartet. Zumindest hat die Polizei die Aufbewahrungsfrist für die Videoaufzeichnungen auf sieben Tage beschränkt und die Schilder, mit denen auf eine Videoüberwachung hingewiesen wird, auf meine Anregung hin auf DIN-A3-Format vergrößert.

Während des Gäubodenvolksfestes 2008 in Straubing hat die zuständige Polizeidienststelle erstmals einen Teil der Straubinger Innenstadt videoüberwacht. Betroffen waren die Bereiche Theresien-/Ludwigsplatz, April- und Steinergasse, Am Platzl und Rosengasse. Die Überwachung fand im Zeitraum vom 08.08. bis 18.08.2008, jeweils zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr statt. Es wurden nur Bildaufnahmen und -aufzeichnungen und keine Tonaufnahmen gefertigt.

Das Polizeipräsidium hat mich wenige Wochen vor Beginn der Videoüberwachung über das Vorhaben informiert. Es hat mir dazu eine nach einzelnen Straßen der Innenstadt aufgeschlüsselte Statistik vorgelegt über Delikte, die während des Gäubodenvolksfestes 2007 in der Zeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr begangen worden waren. Die Statistik weist für den videoüberwachten Bereich im Vergleich zu anderen Gebieten der Stadt eine deutlich höhere Kriminalität aus. Ich habe die zeitlich begrenzte Videoüberwachung deshalb für grundsätzlich vertretbar erachtet.

Allerdings waren insbesondere die Hinweise der Polizei auf die Videoüberwachung verbesserungsbedürftig. Nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 PAG soll der Bürger in geeigneter Weise auf die Bildaufnahmen hingewiesen werden. Dieser Hinweispflicht kann durch das Anbringen geeigneter Schilder nachgekommen werden, die auf die Überwachung in ausreichendem Maß aufmerksam machen. Dabei müssen die Schilder so angebracht werden, dass sie vor Eintritt in den Beobachtungsraum zur Kenntnis genommen werden können. Der mir übersandte Beschilderungsplan sah ursprünglich nur für einen Teil der Seitenstraßen zum überwachten Bereich Hinweisschilder vor. Ich habe deshalb das Polizeipräsidium gebeten, an allen Zugangswegen Hinweisschilder so anzubringen, dass die Passanten vor Eintritt in den Erfassungsbereich der Kamera entscheiden können, ob sie sich der Videoüberwachung aussetzen wollen. Das Polizeipräsidium hat mir mitgeteilt, dass es die Beschilderung entsprechend erweitert habe.

Die Videoaufnahmen sollen nach den Vorstellungen der Polizei für längstens zwei Monate gespeichert werden. Ich habe das Polizeipräsidium darauf hingewiesen, dass diese nach dem Polizeiaufgabengesetz vorgesehene Frist als Höchstfrist zu verstehen ist und nicht als Regelfrist missverstanden werden darf. Deshalb ist im konkreten Fall zu prüfen, welche Aufbewahrungsfrist für die Videoaufzeichnungen im Rahmen der Zweimonatsfrist erforderlich und verhältnismäßig ist. Das Polizeipräsidium hat eingewandt, dass das Gäubodenvolksfest als zweitgrößtes Volksfest in Bayern auch von vielen auswärtigen Besuchern besucht werde; es sei daher vielfach mit einem zeitlich erheblich verzögerten Anzeigeverhalten auswärtiger Geschädigter zu rechnen. Inzwischen hat mir das zuständige Polizeipräsidium mitgeteilt, dass die Löschung der Videoaufzeichnungen am 15.09.2008 abgeschlossen war.

Ich habe aber für Zugriffe auf die gespeicherten Aufnahmen weitere datenschutzrechtliche Vorkehrungen gefordert: So sollten zumindest der Name der zugreifenden Person, ggf. der Name des Veranlassers, aussagekräftige Angaben zum Anlass des Zugriffs sowie Zeit und Umfang des Zugriffs protokolliert werden. Das Polizeipräsidium hat diese Forderungen berücksichtigt.

Datenschutzrechtlich bedeutsam für die polizeiliche Videoüberwachung ist auch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg: Darin wird der Polizei untersagt, eine für den Bereich einer Privatwohnung installierte automatische Schwarzschaltung der polizeilichen Videokamera aufzuheben. Art. 13 Abs. 1 GG erfordere, dass eine Videoüberwachung der Wohnung der Klägerin zuverlässig und dauerhaft unterbleibe. Dies sei durch die Schwarzschaltung gewährleistet.

Im Rahmen der Prüfung einer Polizeidienststelle habe ich mir die Schwenkbereiche der dort nach Art. 32 Abs. 2 PAG angebrachten Videokameras angesehen. Dabei habe ich festgestellt, dass Fenster von Büroräumen, aber auch Fenster, bei denen nicht erkennbar war, ob es sich um Privat- oder Büroräume handelt, angezoomt werden konnten. In einem Fenster waren Personen zu sehen, die an einem Tisch saßen, ohne dass die Personen oder deren Verhalten wegen der bestehenden Lichtverhältnisse im Detail zu erkennen waren. Unter anderen Bedingungen (z.B. bei beleuchtetem Raum, bei offenem Fenster) oder bei entlaubten Bäumen besteht aber durchaus die Möglichkeit, mit den polizeilichen Videokameras in Räume Einsicht zu nehmen und personenbezogene Aufzeichnungen zu fertigen. Eine Rechtsgrundlage für diese Datenerhebung in dem durch das Grundgesetz besonders geschützten Bereich besteht nicht.

Ich habe deshalb das Staatsministerium des Innern um Prüfung gebeten, mit welchen Maßnahmen eine Einsichtnahme in diese Bereiche ausgeschlossen werden kann. Eine Überprüfung der Schwenkbereiche polizeilicher Videokameras unter diesem Gesichtspunkt halte ich auch bei anderen Dienststellen für notwendig.

4.13.2. Videoüberwachung von Versammlungsteilnehmern durch Überwachungskameras

In den letzten Jahren hatte ich eine Vielzahl von Videoaufnahmen datenschutzrechtlich geprüft, die Polizeibeamte von Versammlungsteilnehmern angefertigt hatten, wie zum Beispiel anlässlich der Sicherheitskonferenz 2005 oder der Gegendemonstration zur "Nazi-Mahnwache" (vgl. hierzu Nr. 4.15.4, 22. Tätigkeitsbericht). In diesem Berichtszeitraum habe ich Videoaufzeichnungen von Versammlungen kontrolliert, die mit Kameras angefertigt wurden, die zur Überwachung öffentlicher Straßen und Plätzen nach Art. 32 Abs. 2 PAG fest installiert sind.

Ich hatte die Polizei bereits im Vorfeld darauf hingewiesen, dass dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14.05.1985, Az. 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81) ein besonderer Rang gebührt, da es als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers in einem freiheitlichen Staatswesen anzusehen ist. Art. 8 Abs. 1 GG garantiert die möglichst unbeeinflusste Teilnahme des Einzelnen vor und bei Versammlungen und schützt damit auch davor, das Grundrecht im Visier von Polizei oder Verfassungsschutz wahrnehmen zu müssen.

Schon die Kenntnis von Versammlungsteilnehmern, dass die polizeilichen Videokameras, wie z.B. am Hauptbahnhof und Stachus in München oder am Plärrer in Nürnberg, während der Versammlung eingeschaltet bleiben, könnte Auswirkungen auf die Unbefangenheit der Teilnehmer haben und damit ihre grundrechtlich geschützten Rechte beeinträchtigen. Wer damit rechnen muss, dass seine Versammlungsteilnahme behördlich registriert wird und ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit verzichten, wodurch die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigt werden. Ich halte es daher entgegen der Auffassung der Polizei für verfassungsrechtlich grundsätzlich geboten, die zur Überwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen installierten polizeilichen Kameras während Versammlungen und Aufzügen entweder abzuschalten oder von der Versammlung wegzudrehen.

Für eine datenschutzrechtliche Prüfung habe ich Videoaufzeichnungen der Versammlung "Für das ganze Bleiberecht - dauerhaft und echt" angefordert. Dabei habe ich festgestellt, dass auch Versammlungsteilnehmer gefilmt und teilweise sehr deutlich erkenn- und identifizierbar herangezoomt worden waren, ohne dass die Voraussetzungen der §§ 12 a, 19 a Versammlungsgesetz dafür vorlagen. Die Polizei hatte ausgeführt, dass der filmende Beamte zunächst keine Kenntnis von der Versammlung gehabt habe. Die Nahaufnahmen sollten dazu dienen, den Grund der Verkehrsstörung und die Schriftzüge auf den Transparenten zu erkennen. Dazu hätten aber Versammlungsteilnehmer nicht über einen längeren Zeitraum personenbezogen gefilmt werden müssen. Diese Bildaufnahmen waren deshalb unzulässig und sind zwischenzeitlich gelöscht worden. In einem weiteren Fall waren nur sog. Übersichtsaufzeichnungen angefertigt worden.

Ich halte an meiner Auffassung fest, dass nur durch ein grundsätzliches Abschalten oder Wegschwenken der Kameras während Versammlungen ein ausreichender Schutz der Versammlungsteilnehmer gewährleistet ist. Das betreffende Polizeipräsidium hat mir zwar mitgeteilt, dass alle polizeilichen Monitorbeobachter über die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen für Bildaufnahmen von Versammlungen hingewiesen worden seien, das bisherige Verfahren aber beibehalten werde. Sollte ich bei meinen Prüfungen in Zukunft wieder unzulässige Videoaufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern feststellen, werde ich diese datenschutzrechtlichen Verstöße förmlich beanstanden und das Innenministerium um Abhilfe bitten.

4.13.3. Auskunft der Polizei über Videoaufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern

Ein Petent hat mir mitgeteilt, dass zwei Polizeibeamte eine angemeldete Versammlung von maximal sechs Teilnehmern vom Dach eines VW-Busses mit einer Videokamera durchgehend gefilmt hätten. Versammlungsteilnehmern, die sich kurzzeitig von der Versammlung entfernt hätten, sei gezielt "hinterher gefilmt" worden. Der Bürger hat mich um datenschutzrechtliche Überprüfung gebeten.

Daraufhin habe ich das zuständige Polizeipräsidium zu diesem Sachverhalt um Stellungnahme und um Zusendung vorhandener Filme in Kopie gebeten. Das Polizeipräsidium hat mir geantwortet, dass der Versammlungsverlauf nicht "erforderte…, dass diese Beamten von der Versammlung Videoaufzeichnungen fertigten". Die Beamten hätten das Objektiv "immer von der Versammlung weg gerichtet".

Im Zusammenhang mit besagter Versammlung berichtete die Süddeutsche Zeitung (vgl. Ausgabe vom 29./30.03.2008, Seite 54), dass vom Polizeipräsidium im Zusammenhang mit der Versammlung die Durchsuchung von "Aktivisten" und die Beschlagnahme von Flugblättern gefilmt worden seien. Dies sei dem Landesbeauftragten für den Datenschutz nicht mitgeteilt worden. Er "habe ja nur wissen wollen, ob man die Versammlung gefilmt habe".

Daraufhin habe ich mich erneut an das Polizeipräsidium gewandt. Es hat mir in seiner Antwort mitgeteilt, es sei auf Grund des geschilderten Sachverhalts davon ausgegangen, dass lediglich zielgerichtete Videoaufnahmen der betreffenden Versammlung geprüft werden sollten. Es sei nicht davon ausgegangen, dass andere Geschehnisse, die "zwar in räumlicher und zeitlicher Nähe zu, jedoch außerhalb des … geschilderten Sachverhalts … [stattgefunden haben]", von der Fragestellung umfasst waren. Weder Versammlung noch Versammlungsteilnehmer seien personenbezogen gefilmt worden. Es seien vielmehr polizeiliche Maßnahmen gegen zwei Beschuldigte aufgezeichnet worden. Die beiden hätten zum Aufnahmezeitpunkt nicht an der Versammlung teilgenommen. Dies hätten sie den Polizeibeamten auch erklärt.

Die Differenzierung des Polizeipräsidiums bezüglich meiner Anfrage danach, ob eine Person gerade zum Aufnahmezeitpunkt versammlungsrechtlich an der Versammlung "teilgenommen" hat oder nicht, halte ich für nicht nachvollziehbar. Aus Sicht eines objektiven Empfängers konnte meine erste Anfrage an das Polizeipräsidium nur so verstanden werden, dass ich alle im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Versammlung gefertigten Videoaufzeichnungen datenschutzrechtlich beurteilen wollte. Ob die abgebildeten Personen dabei "Versammlungsteilnehmer" im Rechtssinne waren, war in diesem Zusammenhang deshalb nicht relevant. Ich hatte mich erkennbar auf einen bestimmten Lebenssachverhalt bezogen, ohne die Beantwortung meiner Anfrage von der Klärung versammlungsrechtlicher Statusfragen abhängig zu machen.

Die ursprüngliche Antwort des Polizeipräsidiums auf meine Anfrage ist deshalb unvollständig. Zumindest hätte es im Interesse meiner unfassenden datenschutzrechtlichen Prüfungsmöglichkeit auf die Existenz der Videoaufzeichnungen hinweisen müssen. Mit der unvollständigen Beantwortung meiner Anfrage hat es gegen die gesetzliche Pflicht, den Landesbeauftragten für den Datenschutz in der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen, verstoßen. Diesen Verstoß habe ich förmlich beanstandet.

4.13.4. Bildaufnahmen bei polizeilichen Gewahrsamnahmen

Bei der datenschutzrechtlichen Prüfung eines Polizeipräsidiums hatte ich festgestellt, dass Kriminalakten Polaroidfotos beigegeben waren, die die Betroffenen von Gewahrsamnahmen und den festnehmenden Polizeibeamten zeigen. Die Polizei hat zunächst als Rechtsgrundlage für das Anfertigen der Fotos Art. 19 Abs. 3 Satz 3 PAG angegeben, wonach der festgehaltenen Person nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die der Zweck der Freiheitsentziehung oder die Ordnung im Gewahrsam erfordert. Die betreffenden Aufnahmen sollen nach Angaben der Polizei grundsätzlich nur im Zusammenhang mit sog. Massenfestnahmen angefertigt werden. Das jeweilige Foto diene dazu, die Gefahr von Verwechslungen auszuschließen, die schnelle Zuordnung des Festgehaltenen zum jeweiligen Vorgang zu ermöglichen, die Abwicklung des Verfahrens zu beschleunigen und somit einen ordnungsgemäßen Funktionsablauf zu gewährleisten. Darüber hinaus sei es den festnehmenden Beamten dadurch möglich, zeitnah an den jeweiligen Einsatzort zurückzukehren und weitere Festnahmen zu tätigen.

Das Fertigen von Polaroidfotos der festgenommenen Personen im Rahmen der Gewahrsamsannahme stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Sinn und Zweck des Art. 19 Abs. 3 Satz 3 PAG ist es, der Polizei, die auch für die Sicherheit im Gewahrsam zuständig ist, eine ordnungsgemäße Durchführung der Freiheitsentziehung zu ermöglichen. Die Vorschrift ist im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz der über die Freiheitsentziehung hinaus gehenden Eingriffe eng auszulegen. Nach Nr. 19.3 der Vollzugsbekanntmachung zum PAG sind Beschränkungen i.S.d. Art. 19 Abs. 3 Satz 3 PAG beispielsweise Fesselung, Verbot des Schreibens, Entzug mitgeführter Sachen. Zwar ist diese Aufzählung nur beispielhaft, jedoch stellt sie eine Auslegungshilfe dar, die zeigt, dass Maßnahmen, die über die Sicherung des Gewahrsams hinausgehen, nicht zulässig sind.

Polaroidfotos von Betroffenen und den festnehmenden Beamten dienen dagegen dazu, die Situation der Gewahrsamnahme festzuhalten. Sie werden zu Dokumentationszwecken gefertigt und nicht in erster Linie zu Zwecken, die die Freiheitsentziehung als solche oder die Ordnung im Gewahrsam erfordert.

Ich habe deshalb bei einem Polizeipräsidium eine datenschutzrechtliche Überprüfung der Praxis vorgenommen. Für die Bildaufnahmen von 18 betroffenen Personen wurde von der Polizei zusätzlich § 81 b 1. Alternative StPO als Rechtsgrundlage angeführt, wonach zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens (z.B. Erleichterung der Identifizierung) auch Lichtbilder vom Beschuldigten angefertigt werden können. Im vorliegenden Fall war gegen alle 18 Betroffenen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden und die Sachaufklärung erschien ohne Bildaufnahmen gefährdet. Die Lichtbilder wurden - nachdem sie nicht mehr als Beweismittel erforderlich waren - gelöscht.

Auch bei Massengewahrsamnahmen kommt die Anfertigung von Bildaufnahmen ausnahmsweise in Betracht, wenn die Ordnung im Gewahrsam (z.B. Zuordnung der Betroffenen zu einem bestimmten Vorgang) dies erfordert. Solche Aufnahmen dürfen jedoch nicht zum Standardinstrumentarium bei polizeilichen Festnahmen oder Gewahrsamnahmen werden.

4.13.5. Präventive Bildaufnahmen von Jugendlichen

Durch mehrere Bürgereingaben und durch Presseveröffentlichungen wurde ich darüber informiert, dass eine Polizeiinspektion in ihrem Zuständigkeitsbereich gezielt Bildaufnahmen von Kindern und Jugendlichen fertigt. Auf meine Nachfrage hin teilte mir die Polizei mit, dass in der betreffenden Gemeinde ein signifikanter Anstieg von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu verzeichnen sei, der zum Teil auf Alkohol konsumierende Jugendliche und Heranwachsende zurückzuführen sei. Dadurch sei das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zunehmend beeinträchtigt worden. Die Polizeiinspektion habe deshalb ein Konzept zur Bekämpfung der Straßenkriminalität umgesetzt. Im Rahmen dieses Konzepts seien von potentiellen Störern offen Lichtbildaufnahmen gefertigt und die Identität der Betroffenen festgestellt worden. Dabei soll es sich nach Auffassung der Polizei aber nicht um eine erkennungsdienstliche Maßnahme gehandelt haben. Ziel der Maßnahmen sei eine präventivpolizeilich motivierte Verunsicherung und Abschreckung der erfassten Personen.

Nach dem Polizeiaufgabengesetz (vgl. Art. 32 Abs. 2 PAG) kann die Polizei unter den dort genannten Voraussetzungen offen Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen von Personen anfertigen. In Betracht kommt die Bildaufzeichnung eines Geschehensablaufs, bei dem sich nach vorliegenden und dokumentierten polizeilichen Erkenntnissen und Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit Sicherheitsstörungen im öffentlichen Bereich entwickeln können. Wenn es im weiteren Verlauf zu Sicherheitsstörungen kommen sollte, dienen die Aufzeichnungen als Beweismaterial zur Dokumentation der Situation und ermöglichen der Polizei, anhand der Aufnahmen Störer ausfindig zu machen und zu identifizieren.

Im vorliegenden Fall hatte die Polizei aber nicht eine gefahrenträchtige Situation in einem bestimmten öffentlichen Bereich gefilmt, sondern gezielt die Identität einzelner Personen ohne konkreten, durch Handlungen des Betroffenen begründeten Anlass festgestellt und diese fotografiert, um sie zu verunsichern und abzuschrecken. Bei dieser Sachlage können die Bildaufnahmen nicht auf Art. 32 Abs. 2 PAG gestützt werden, sondern sind als (teilweise) erkennungsdienstliche Behandlung zu bewerten. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richtet sich daher nach § 81 b StPO. Nach den vorliegenden Erkenntnissen handelte es sich bei den Betroffenen zum Zeitpunkt der Maßnahme aber nicht um Beschuldigte, was eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81 b StPO evtl. gerechtfertigt hätte.

Ich habe deshalb die Polizei aufgefordert, künftig von solchen Bildaufnahmen abzusehen und insbesondere die betreffende Dienststelle auf meine Rechtsauffassung hinzuweisen. Das zuständige Polizeipräsidium hat mir daraufhin mitgeteilt, dass die Bildaufzeichnungen gelöscht wurden und es die Angelegenheit - unabhängig der unterschiedlichen Rechtsauffassungen - zum Anlass genommen hat, die betroffene Polizeidienststelle hinsichtlich der Belange des Datenschutzes im Allgemeinen und der Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Besonderen umfänglich zu sensibilisieren.

4.14. Akkreditierungsverfahren und Zuverlässigkeitsüberprüfungen

4.14.1. Akkreditierungsverfahren bei Großereignissen

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (Nr. 4.4.1) habe ich mich zu sog. Zuverlässigkeitsüberprüfungen unter Einbindung von Sicherheitsbehörden geäußert, die anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 und des Papstbesuchs in Bayern durchgeführt worden waren. Eine bereichsspezifische gesetzliche Grundlage für diese Überprüfungen bestand und besteht weiterhin nicht. Aufgrund der Sicherheitslage bei solchen Großereignissen, der besonderen Bedeutung der Veranstaltungen, ihrer Einmaligkeit für längere Zeit und der Einwilligung der Betroffenen habe ich gegen die mit der Durchführung des Akkreditierungsverfahrens verbundene Beteiligung des Landeskriminalamts und - anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 auch des Landesamts für Verfassungsschutz - keine grundsätzlichen Bedenken erhoben.

Allerdings halte ich eine Entscheidung des Gesetzgebers über das "Ob" und das "Wie" solcher Zuverlässigkeitsüberprüfungen für notwendig, falls das Verfahren auf Dauer angelegt sein sollte. Ich sehe mit Sorge, dass Zuverlässigkeitsüberprüfungen bei Großveranstaltungen auf der Grundlage "informierter Einwilligungen" inzwischen offenbar als Regelverfahren durchgeführt werden. So wurden anlässlich des G 8-Gipfels 2007 sowie der EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland im ersten Halbjahr 2007 im Rahmen eines bundesweiten Akkreditierungsverfahrens unter Einbindung von Polizei und Verfassungsschutz Überprüfungen von Personen vorgenommen, die Zutritt zu den jeweiligen Veranstaltungsorten erhalten wollten (z.B. Pressevertreter, Hotelmitarbeiter, Wachschutz, Fahrdienst).

Bürgereingaben im Zusammenhang mit den o.g. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sind in meiner Geschäftsstelle nicht eingegangen. Das Landeskriminalamt und das Landesamt für Verfassungsschutz haben mir auf Anfrage mitgeteilt, dass alle im Rahmen dieser Akkreditierungsverfahren gespeicherten personenbezogenen Daten gelöscht wurden.

Zuverlässigkeitsüberprüfungen bei Großveranstaltungen führen aufgrund ihrer Bedeutung und ihres Umfangs zu schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einer Vielzahl Betroffener. An der Freiwilligkeit einer Einwilligung in solche Eingriffe bestehen erhebliche Zweifel, weil Betroffene oft Nachteile befürchten müssen, wenn sie die Einwilligung verweigern. Darüber hinaus ist eine Einwilligung auch im Hinblick auf den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes problematisch. Gemäß der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitslehre muss der Gesetzgeber "in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung … alle wesentlichen Entscheidungen selbst … treffen" (BVerfGE 61, 260, 275; E 88, 103, 116). Dies gilt für die wesentlichen Entscheidungen über die Voraussetzungen, Umstände und Folgen von Eingriffen, die er nicht an die Verwaltung delegieren darf.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben sich am 25./26.10.2007 in einer Entschließung gegen die bisherige Praxis ausgesprochen, umfassende Zuverlässigkeitsüberprüfungen vor Großveranstaltungen standardmäßig unter Einbeziehung der Datenbestände von Polizei und Verfassungsschutzbehörden nur auf der Grundlage einer Einwilligung der Betroffenen durchzuführen (vgl. Anlage Nr. 11). Wenn Akkreditierungsverfahren als Regelüberprüfungsverfahren institutionalisiert werden, reichen - wie die bereichsspezifischen Regelungen des Atomgesetzes und des Luftsicherheitsgesetzes zeigen - auch die gesetzlichen Vorschriften z.B. über Datenabgleich und Datenübermittlung nicht aus, um die Mitwirkung von Polizei und Verfassungsschutz an solchen Verfahren zu rechtfertigen. Solche Eingriffe sollten nur durchgeführt werden, wenn sie durch ein Gesetz, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen - insbesondere den Grundsätzen der Normenklarheit und Verhältnismäßigkeit - genügt, erlaubt sind.

Das Staatsministerium des Innern, dem ich meine rechtliche Einschätzung zur Kenntnis gegeben habe, hat mir mitgeteilt, dass auch in Zukunft bei Großveranstaltungen mit einer entsprechend hohen Gefährdungseinschätzung Zuverlässigkeitsüberprüfungen (nur) auf die Einwilligung der Betroffenen gestützt werden. Ich bedaure, dass das Staatsministerium des Innern an diesem Verfahren festhalten will, ohne sich mit der verfassungsrechtlichen Problematik erkennbar auseinandergesetzt zu haben.

In einem Fall habe ich mich zusammen mit dem Bayerischen Journalisten-Verband e.V. gegen eine geplante Zuverlässigkeitsüberprüfung durch einen privaten Veranstalter - unter Beteiligung der Polizei - ausgesprochen und auf eine Änderung des Akkreditierungsverfahrens hingewirkt. Nach einer intensiven Überzeugungsarbeit hat der Veranstalter an der vorgesehenen Beteiligung der Polizei nicht mehr festgehalten. Statt dessen wurde ein Verfahren durchgeführt, in dessen Rahmen Journalisten lediglich ihren Personal- und Presseausweis vorlegen mussten.

4.14.2. Zuverlässigkeitsüberprüfungen durch Arbeitgeber und Polizei

Zuverlässigkeitsüberprüfungen auf der Grundlage von Einwilligungen unter Einbindung der Polizei werden nicht nur anlässlich von Großveranstaltungen durch öffentliche Stellen durchgeführt. Auch einzelne Arbeitgeber fordern Bewerber, Beschäftigte und Fremdpersonal (z.B. Reinigungskräfte) auf, in eine Anfrage des Arbeitgebers bei der Polizei zu etwaigen dort vorliegenden Erkenntnissen zu ihrer Person einzuwilligen. In anderen Fällen sollen die Betroffenen eine solche Auskunft ("fremdbestimmte Selbstauskunft") selbst einholen und ihrem Arbeitgeber vorlegen.

Die dem Arbeitgeber so zugänglich gemachten Informationen können über den zulässigen Inhalt eines "Führungszeugnisses" hinausgehen. Die Polizei speichert - neben den in ein "Führungszeugnis" aufzunehmenden Daten - auch personenbezogene Daten, die in das Bundeszentralregister gar nicht erst eingetragen werden, bereits getilgt sind oder Arbeitgebern in einem "Führungszeugnis" nicht übermittelt werden dürfen.

Soweit die bestehenden Regelungen z.B. des Luftsicherheitsgesetzes und des Atomgesetzes auf diese Zuverlässigkeitsüberprüfungen nicht anwendbar sind, fehlt dafür eine bereichsspezifische gesetzliche Regelung. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es höchst problematisch, die polizeiliche Datenübermittlung allein auf die Einwilligung des Betroffenen zu stützen. Bei Bewerbungen und Arbeitsverhältnissen ist die Freiwilligkeit der Einwilligung des Betroffenen zumindest zweifelhaft. Die Betroffenen sehen sich oftmals dem faktischen Druck des Wohlverhaltens im Hinblick auf den Erhalt oder die Sicherung des Arbeitsplatzes ausgesetzt (vgl. dazu Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 03./04.04.2008, Anlage Nr. 19).

Ich bin der Ansicht, dass derartige polizeiliche Auskünfte an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs grundsätzlich nur zur polizeilichen Gefahrenabwehr in Betracht kommen, da der Arbeitgeber mit Hilfe eines "Führungszeugnisses" die "Zuverlässigkeit" des Betroffenen überprüfen kann. Vom Staatsministerium des Innern wird diese Auffassung grundsätzlich geteilt. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Datenübermittlung an Arbeitgeber vorliegen, komme der Art der künftigen Tätigkeit des Betroffenen und dem vorgesehenen Einsatzbereich im Unternehmen eine besondere Bedeutung zu. Das Staatsministerium des Innern hat angekündigt, die Polizei im Hinblick auf die bestehende Rechtslage zu sensibilisieren.

4.15. Datenabfragen und Datenübermittlungen

Auch in diesem Berichtszeitraum haben mich wieder Übermittlungen personenbezogener Daten durch die Polizei beschäftigt. Dabei habe ich erneut in einigen Fällen feststellen müssen, dass das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen verletzt wurde. In einem gravierenden Fall habe ich die betreffende Polizeidienststelle förmlich beanstandet:

Während eines Urlaubsaufenthalts eines Petenten in einer Pension war es zu einem Vorfall gekommen, aufgrund dessen der Gastwirt zivilrechtliche Ansprüche gegenüber dem Betroffenen geltend machen wollte. In der Folge soll es zu Problemen bei der postalischen Zustellung von Schreiben an den außerhalb Bayerns wohnenden Petenten gekommen sein. Deswegen soll der dem Wirtsehepaar bekannte bayerische Polizeibeamte die von ihm mit Hilfe einer außerbayerischen Polizeidienststelle ermittelte Telefonnummer zum Zwecke der Kontaktaufnahme an den Gastwirt weitergegeben haben. Zur Ermittlung der Telefonnummer hatte der Polizeibeamte die außerbayerische Dienststelle um Vorsprache bei dem Petenten gebeten. Beim ersten Besuch sollen die uniformierten Polizeibeamten zwar festgestellt haben, dass der Petent tatsächlich unter der angegebenen Adresse wohnhaft war, die Telefonnummer konnten sie jedoch nicht in Erfahrung bringen. Dies war erst bei der zweiten Vorsprache der Polizei gelungen. Kurze Zeit später hat die Ehefrau des Gastwirts beim Petenten angerufen.

Die Polizei hat die Übermittlung der Telefonnummer an den Gastwirt zunächst auf Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 PAG gestützt. Dies hätte allerdings vorausgesetzt, dass die Datenübermittlung offensichtlich im Interesse des Petenten lag. Ein solches Interesse war aber weder dargetan noch ersichtlich. Auch die Voraussetzungen des Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 PAG waren nicht erfüllt, da neben der Kenntnis der Anschrift des Petenten ein rechtliches Interesse gerade an der Kenntnis der Telefonnummer nicht bestand. Vielmehr hatte er ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss der Übermittlung der Telefonnummer, zumal diese bewusst nicht in frei zugänglichen Verzeichnissen gespeichert war.

Die Polizei hat mir gegenüber weiter angeführt, dass der Vorgang wegen des Verdachts einer Straftat der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden sei, nachdem aufgrund der Unzustellbarkeit des Forderungsschreibens der Gastwirtsfamilie von der Angabe einer falschen Adresse durch den Petenten ausgegangen worden sei. Gleichzeitig wurde aber auch eingeräumt, dass die Erhebung der Telefonnummer sowie deren Weitergabe an den Gastwirt nicht erforderlich waren, insbesondere nachdem die Staatsanwaltschaft die Anzeige nicht weiter verfolgt hatte.

Die Datenübermittlung war auch nicht zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erforderlich. Sie diente offensichtlich der Möglichkeit der telefonischen Kontaktaufnahme des Wirtsehepaars mit dem Petenten, um damit den finanziellen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Polizeibeamte eine außerbayerische Polizeidienststelle veranlasst hatte, den Petenten deswegen zweimal aufzusuchen. Diesen Datenschutzverstoß habe ich nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 BayDSG förmlich beanstandet.

In einem weiteren Fall war es zwischen dem Hund des Petenten und dem Hund der Lebensgefährtin eines Polizeibeamten zu einer Beißerei gekommen. Dabei soll nach Darstellung der Polizei der nicht angeleinte Hund des Petenten zum zweiten Mal einen anderen Hund gebissen haben. Der Polizeibeamte habe den Petenten zur Rede gestellt und sich als Kriminalbeamter zu erkennen gegeben, da er eine Gefahr für die Allgemeinheit erkannt habe und die Umstände dem zuständigen Ordnungsamt mitteilen wollte. Um zu diesem Zweck die vollständigen Personalien des Hundehalters festzustellen, hat der Beamte eine Abfrage über das Einwohnermeldeverfahren (EWO) veranlasst. Systembedingt hat er dabei neben den Personalien auch Erkenntnis über die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Petenten erlangt. Aufgrund der wiederholten Beißattacken des Hundes und des Verhaltens des Petenten hat der Polizeibeamte eine Anzeige an das Ordnungsamt mit dem Ziel übermittelt, die Zuverlässigkeit des Petenten bei der Hundehaltung überprüfen zu lassen sowie ggf. Gefahren abwehrende Maßnahmen (Leinenzwang) zu veranlassen.

Ich habe dem Polizeipräsidium mitgeteilt, dass die mir vorliegende Anzeige nicht als polizeiliche Anzeige, sondern im Hinblick auf die Gesamtumstände als Privatanzeige des Polizeibeamten anzusehen ist. Die Anzeige war nicht als polizeiliches Schreiben erkennbar. So war weder dienstliches Briefpapier verwendet worden, noch war als Absender eine Polizeidienststelle oder die Absicht des Anzeigeerstatters als Polizeibeamter handeln zu wollen, erkennbar. Auch lag kein entsprechender polizeilicher Anzeigenvorgang vor. Lediglich der von der Polizei mitgeteilte Hinweis des Polizeibeamten beim Ordnungsamt auf seine berufliche Tätigkeit lässt eine andere Beurteilung nicht zu. Eher ist davon auszugehen, dass er damit seiner privaten Anzeige Nachdruck verleihen wollte. Demnach hatte der Polizeibeamte die im Dienst erlangten Informationen - insbesondere die Kenntnis waffenrechtlicher Erlaubnisse - privat genutzt und an das Ordnungsamt übermittelt. Bereits die Datenabfrage wäre - unabhängig vom Tätigwerden des Beamten im eigenen sozialen Nahbereich - unzulässig gewesen, wenn sie zu diesem Zweck (private Nutzung) stattgefunden hätte.

Ein weiterer Bürger hatte sich mit der Bitte an mich gewandt, eine von der Polizei auf Verlangen einer Gemeinde durchgeführte Abfrage seiner Kfz-Halterdaten und die Übermittlung dieser Daten an die Gemeinde zu überprüfen. Hintergrund war eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Petenten und einem Gemeindebediensteten, ob der Petent ihn bei der Dienstausübung fotografiert habe. Der Gemeinde war zu diesem Zeitpunkt nur das Kennzeichen des von dem Petenten gefahrenen Kraftfahrzeugs bekannt. Die Gemeinde befürchtete eine Veröffentlichung der - streitigen - Fotografien und hat deshalb die Polizei gebeten, über das Kfz-Kennzeichen des Bürgers seinen Namen und seine Anschrift zu ermitteln (sog. Kfz-Halterabfrage) und ihr mitzuteilen. Der Dienstvorgesetzte des Gemeindebediensteten hat nach Erhalt dieser Daten die Telefonnummer des Bürgers aus dem Telefonbuch ermittelt und ihm telefonisch eine etwaige Veröffentlichung der streitigen Fotografien untersagt.

Ich halte die von der Gemeinde an die Polizei herangetragene Bitte, die Kfz-Halterdaten abzufragen und an sie zu übermitteln, für eine unzulässige Datenerhebung. Art. 16 BayDSG gestattet die Erhebung personenbezogener Daten nur unter der Voraussetzung, dass sie zur "Aufgabenerfüllung" erforderlich ist.

Aufgabe einer Gemeinde ist u.a. die Abwehr von Gefahren z.B. durch die Verhütung von Straftaten (vgl. Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz). Zwar ist die Veröffentlichung von Fotografien ohne Einwilligung der abgebildeten Person grundsätzlich strafbar gemäß § 33 Kunsturhebergesetz. Allerdings konnte ich im vorliegenden Fall keine sicherheitsrechtlich relevante Gefahr einer drohenden Veröffentlichung und damit einer Straftat erkennen. Der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zufolge existiert kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Personen, die im Verlauf eines Einsatzes (auch) Polizeibeamte fotografieren, die Aufnahme anschließend verbreiten oder öffentlich zur Schau stellen. Selbst bei Pressefotografen müsse im Hinblick auf die zivil- und strafrechtlichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröffentlichung grundsätzlich von der Rechtstreue des Fotografen ausgegangen werden. Es dürfe nicht von vornherein und ohne weitere Anhaltspunkte zukünftiges rechtswidriges Verhalten unterstellt werden. Anhaltspunkte dafür, die Fotos könnten gegen den Willen des Abgebildeten veröffentlicht werden (insbesondere durch die Medien), bestanden vorliegend nicht.

Die von der Polizei durchgeführte Kfz-Halterdatenabfrage wäre nur zur Abwehr einer Gefahr zulässig gewesen. Ich halte sie aus den o.g. Gründen, wegen des Fehlens einer Gefahr, ebenfalls für rechtswidrig. Darüber hinaus waren die Datenübermittlung der Polizei an die Gemeinde und die anschließende Datenverwendung durch die Gemeinde rechtswidrig, weil die Übermittlung und Verwendung rechtswidrig erhobener Daten datenschutzrechtlich nicht "erforderlich" ist (vgl. Art. 40 Abs. 4 Nrn. 1 und 3 PAG, Art. 17 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BayDSG).

Ich habe deshalb die Gemeinde aufgefordert, künftig die Erhebung und Nutzung personenbezogener Daten ohne gesetzliche Grundlage zu unterlassen. Das Polizeipräsidium habe ich aufgefordert, durch geeignete Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass künftig solche Kfz-Halterabfragen und Datenübermittlungen ohne gesetzliche Grundlage unterbleiben.

In den vorangegangenen Berichtszeiträumen hatte ich Datenabfragen aus dem polizeilichen Informationssystem im sozialen Nahfeld der abfragenden Polizeibeamten und die Protokollierung eines Abfragegrundes thematisiert. Auch in diesem Berichtszeitraum habe ich wieder in einigen Fällen feststellen müssen, dass sich die Abfragenden bei entsprechenden Nachfragen im Rahmen von Datenschutzkontrollen zum Teil nicht mehr an den Grund der Datenabfrage erinnern konnten. Dies zeigt deutlich die Berechtigung meiner Forderung nach Protokollierung des Abfragegrundes, wie sie beispielsweise im Zentralen Verkehrsinformationssystem (ZEVIS) vorgenommen wird. Ich habe eine solche Protokollierung erneut im Zusammenhang mit der Änderung der Errichtungsanordnung für die Protokolldatei gefordert. Leider lehnt das Staatsministerium des Innern die Umsetzung dieser Forderung aus nicht nachvollziehbaren Gründen nach wie vor ab.

4.16. Auskunftserteilung über polizeiliche Speicherungen

Auf der Grundlage des Art. 48 PAG geben bayerische Polizeidienststellen grundsätzlich Auskunft über die Speicherung personenbezogener Daten des Betroffenen im "Bayerischen Kriminalaktennachweis" (KAN) und in der polizeilichen Vorgangsverwaltung. Eine Mitteilung, ob und ggf. welche Speicherungen nicht nur im Landes-KAN, sondern auch im Bundes-KAN gespeichert sind, ist damit nicht verbunden. Dadurch kann beim Empfänger der Auskunft der Eindruck entstehen, dass eine bundesweite Speicherung und damit die Möglichkeit einer bundesweiten Nutzung nicht gegeben ist. Nach § 12 Abs. 5 Satz 3 Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) kann das Landeskriminalamt - sofern es aus seinem Landesbestand Auskunft erteilt - damit einen Hinweis auf einen von seinem Land im polizeilichen Informationssystem (INPOL-Bund) eingegebenen Datensatz verbinden. Ich habe deshalb das Innenministerium aufgefordert, von dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen und Auskünfte aus dem Landes-KAN mit einem Hinweis auf Speicherungen bayerischer Daten im Bundes-KAN zu verbinden. Dadurch würde der Betroffene auch darüber informiert werden, welche Daten bundesweit verfügbar sind.

Das Innenministerium hat die Auffassung vertreten, dass das Bundeskriminalamt (BKA) speichernde Stelle für die im Bundes-KAN nachgewiesenen Daten sei und deshalb dem Betroffenen Auskünfte über solche Speicherungen nach § 12 Abs. 5 Satz 2 BKAG vom BKA erteilt werden sollten. Danach seien Auskünfte aus dem Bundes-KAN grundsätzlich vom BKA im Einvernehmen mit der Stelle zu erteilen, die die datenschutzrechtliche Verantwortung für die gespeicherten Daten trägt. Einen konkreten Hinweis auf die Speicherung bayerischer Datensätze im Bundes-KAN hält das Innenministerium nicht für erforderlich.

Eine Umfrage bei den Landesbeauftragten für den Datenschutz der anderen Bundesländer hat ergeben, dass in mindestens sieben Bundesländern ein entsprechender Hinweis erteilt wird. So werden beispielsweise in einem Bundesland Auskünfte über Speicherungen im Landes-KAN bezüglich der Speicherung eigener Daten im Bundes-KAN wie folgt ergänzt:

"Im Kriminalaktennachweis Bund, der allen Polizeidienststellen bundesweit auf Abruf zur Verfügung steht, sind folgende Informationen über Sie gespeichert:…"

Einen solchen ergänzenden Hinweis auf die bundesweite Speicherung polizeilicher Landes-KAN-Daten würde ich auch bei der Bayerischen Polizei begrüßen. Leider ist das Staatsministerium des Innern auch meiner erneuten Aufforderung zur Umsetzung einer bürger- und datenschutzfreundlichen Auskunftspraxis in diesem Punkt nicht gefolgt.