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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 31.12.2023

6. Soziales und Gesundheit

6.1. Uneingeschränktes Widerspruchsrecht im Bayerischen Krebsregister

Patientinnen und Patienten, die einen Widerspruch gegen ihre Registrierung im Bayerischen Krebsregister eingelegt haben, konnten lange Zeit nur eine Löschung ihrer Identitätsdaten erreichen. Die Daten zur Krankheitsgeschichte blieben im Krebsregister gespeichert. Die einschlägigen Regelungen habe ich stets als unzureichend kritisiert (vgl. etwa meinen 32. Tätigkeitsbericht 2022 unter Nr. 7.3).

Der Gesetzgeber hat meine Kritik nun aufgegriffen und zum 1. August 2023 für das Bayerische Krebsregister ein uneingeschränktes Widerspruchsrecht eingeführt. Art. 5 Abs. 1 Bayerisches Krebsregistergesetz (BayKRegG) lautet nun wie folgt:

"1Jeder kann der dauerhaften Speicherung der Identitätsdaten sowie der nach Art. 4 meldepflichtigen Daten im Bayerischen Krebsregister widersprechen, soweit sie ihn selbst oder eine seiner Personensorge oder Betreuung unterstehende Person betreffen. 2Diese Daten sind unverzüglich aus dem Bayerischen Krebsregister zu löschen, sobald ihre Kenntnis nicht mehr für gesetzliche Abrechnungszwecke erforderlich ist. 3Der Widerspruch ist schriftlich bei der Vertrauensstelle einzulegen. 4Er kann auch über Personen, die gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 3 über das Widerspruchsrecht belehrt haben, bei der Vertrauensstelle eingelegt werden. 5Der Widerspruch betrifft bereits erfasste Daten nach Satz 1 sowie künftig eingehende Meldungen. 6Unbeschadet der Löschung gemäß Satz 2 ist die Vertrauensstelle im Falle eines Widerspruchs befugt, die jeweiligen Identitätsdaten in einer gesondert zu führenden, vertraulichen Liste zu speichern und ausschließlich zu Zwecken eines Datenabgleichs mit zukünftigen Meldungen zu verwenden. 7Wurden Daten zu dieser Person von oder an ein anderes Landeskrebsregister gemeldet, ist dieses Landeskrebsregister über die Erhebung des Widerspruchs zu informieren."

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayKRegG stellt ausdrücklich klar, dass vom Widerspruchsrecht neben den Identitätsdaten auch sämtliche nach Art. 4 BayKRegG meldepflichtigen Daten umfasst sind, also die erstmalige gesicherte Diagnose einer Krebserkrankung, der zu einer Krebserkrankung vorliegende histologische, labortechnische oder zytologische Befund, die Art sowie die Zeitpunkte des Beginns und des Abschlusses einer therapeutischen Maßnahme, die Diagnose von Rezidiven, Metastasen, Zweittumoren und anderen Änderungen im Krankheitsverlauf sowie der Tod einer Person, die eine Krebserkrankung hatte. Nähere Informationen zu den Voraussetzungen zur Einlegung und zu den Folgen eines Widerspruchs habe ich im Rahmen einer Aktuellen Kurz-Information im August 2023 bereitgestellt.

Dass der Gesetzgeber nun eine grundrechtlich ausgewogene Regelung gefunden hat, hat mich sehr gefreut. So steht der Patientenwille endlich im Mittelpunkt. Das stärkt nicht nur das Vertrauen in das Krebsregister, sondern auch in die mit seinen Daten arbeitende Forschung. Es ist zu hoffen, dass das Krebsregister zukünftig beides bietet: eine hochwertige Datenqualität für die medizinische Krebsforschung und zugleich einen hochwertigen Datenschutz für die betroffenen Patientinnen und Patienten.

6.2. Vorangekreuzte Datenschutzformulare in einem Krankenhaus

Eine Beschwerde betraf den Einsatz vorangekreuzter datenschutzrechtlicher Einwilligungsformulare durch ein bayerisches Universitätsklinikum. Der Beschwerdeführer hatte frühmorgens das Universitätsklinikum aufgesucht. In der Patientenaufnahme fügte die diensthabende Pflegekraft dem Behandlungsvertrag ein ausgedrucktes Datenschutzformular bei, in dem zu allen aufgeführten Fragen das jeweilige Antwortfeld mit "Ja" vorbelegt war. Auf Nachfrage erklärte sie dem Patienten, das System ermögliche nur einen Ausdruck mit "Ja". Er könne entsprechende Antworten manuell streichen.

In der Folge wandte sich der Beschwerdeführer an mich. Ich ersuchte das Klinikum um Stellungnahme; dabei wollte ich insbesondere in Erfahrung bringen, ob das eingesetzte IT-System nur dann einen Ausdruck des Formulars ermöglichte, wenn bei allen datenschutzrechtlich relevanten Einwilligungsfeldern die voreingestellte Antwort "Ja" lautete.

Das Klinikum führte aus, es treffe zwar zu, dass die Auswahlfelder systemseitig mit "Ja" vorbelegt gewesen seien, da dies den "in der überwiegenden Zahl der Rückmeldungen erwarteten Antworten" entsprochen habe. Allerdings sei das Personal gehalten, diese Vorbelegung der Auswahlfelder auf Wunsch der betroffenen Person komplett zu entfernen. Dass ein Ausdruck des Formulars nur bei Vorbelegung aller Felder mit "Ja" möglich gewesen wäre, bestätigte das Klinikum jedoch nicht. Im Fall des Beschwerdeführers sei es trotz entsprechender Schulungen zu einem Fehler gekommen. Ursächlich sei möglicherweise, dass die Pflegekräfte in der Nacht neben den pflegerischen Tätigkeiten auch die administrative Aufnahme der Patienten abwickeln müssten.

Das Verwenden vorangekreuzter Einwilligungsformulare im Rahmen der Patien-tenaufnahme im Krankenhaus verstößt gegen den Grundsatz der Verarbeitung auf rechtmäßige Weise und nach Treu und Glauben gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. a DSGVO.

In der Vorbelegung mit "Ja" kommt die Erwartung zum Ausdruck, dass die betroffene Person der Verarbeitung zu verschiedenen, im Formular beschriebenen Zwecken zustimmt; sie wirkt somit suggestiv und hemmt letztlich die freie Willensausübung der betroffenen Person. In Anbetracht des Kräfteungleichgewichts zwischen einem Klinikum einerseits und den auf Hilfe angewiesenen Patientinnen und Patienten andererseits ist ein solches Prozedere im Ergebnis als unfair und treuwidrig zu bewerten. Zudem erscheint die Freiwilligkeit einer unter solchen Umständen erteilten Einwilligung als sehr zweifelhaft.

Offenbar war auch dem Normgeber das Problem der vorbelegten Auswahlfelder in Einwilligungsformularen bereits bekannt, wie EG 32 Satz 3 DSGVO zeigt:

"Stillschweigen, bereits angekreuzte Kästchen oder Untätigkeit der betroffenen Person sollten daher keine Einwilligung darstellen."

Das Klinikum korrigierte aus Anlass der Beschwerde seine datenschutzwidrige Praxis und versicherte mir, in seinem Verantwortungsbereich systemseitig keine Einwilligungsmuster mit vorbelegten Feldern mehr zuzulassen.

Auch unter Berücksichtigung der weiteren Einlassungen des Universitätsklinikums war aus meiner Sicht nicht mit weiteren Vorfällen dieser Art zu rechnen. Wenngleich ich daher von einer förmlichen Beanstandung absah, war der festgestellte Verstoß doch als gravierend zu bewerten. Aus diesem Grund setzte ich das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst als zuständige Rechtsaufsichtsbehörde über die datenschutzrechtliche Problematik in Kenntnis. Ich bat darum, auch den anderen bayerischen Universitätskliniken gegenüber auf die Vermeidung vergleichbarer Defizite hinzuwirken.

Das Wissenschaftsministerium hat daraufhin zeitnah alle bayerischen Universitätskliniken mit ministeriellem Schreiben über die Problematik informiert, auf Maßnahmen im Falle weiterer Verstöße hingewiesen und so einen wesentlichen Beitrag zur Sensibilisierung der Universitätskliniken geleistet.

6.3. Anforderung von Wundverlaufsprotokollen durch Krankenkassen

Die Frage, inwieweit Krankenkassen Gesundheitsdaten verarbeiten dürfen, ist ein wiederkehrendes Prüfungs- und Beratungsthema (siehe etwa im 26. Tätigkeitsbericht 2013/2014 unter Nr. 8.1.2 bis 8.1.6, im 27. Tätigkeitsbericht 2015/2016 unter Nr. 8.1.1 bis 8.1.3 sowie im 28. Tätigkeitsbericht 2017/2018 unter Nr. 9.2.2). Eine mehrfach an mich herangetragene Fragestellung war nun die Anforderung sog. Wundverlaufsprotokolle durch eine bayerische Krankenkasse.

Den krankenversicherungsrechtlichen Hintergrund bildet § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Vorschrift regelt den Anspruch der gesetzlich Versicherten auf häusliche Krankenpflege. Zu den Leistungen der häuslichen Krankenpflege gehört unter anderem auch die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden, die - aufgrund ärztlicher Verordnung und nach Genehmigung durch die Krankenkasse - von Pflegedienstleistern erbracht und gegenüber der Krankenkasse abgerechnet wird. Die Wundversorgung wird von den Pflegefachkräften durch Wundverlaufsprotokolle dokumentiert, die auch Gesundheitsdaten der Versicherten enthalten.

Die betroffene Krankenkasse hatte bei Pflegediensten die Vorlage von Wundverlaufsprotokollen angefordert, um damit ihre Leistungspflicht für die abgerechneten Pflegeleistungen zu prüfen. Hiergegen erhoben Pflegedienste und Pflegeverbände datenschutzrechtliche Bedenken. Sie waren der Auffassung, die Krankenkasse dürfe die Wundverlaufsprotokolle nichts selbst einsehen, sondern könne aufgrund der Regelung des § 276 Abs. 2 Satz 2 SGB V nur eine unmittelbare Übermittlung an den Medizinischen Dienst zur Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme verlangen.

Im Ausgangspunkt konnte ich diese Bedenken nachvollziehen. Innerhalb des Anwendungsbereichs von § 276 Abs. 2 Satz 2 SGB V sind die Leistungserbringer verpflichtet, die für eine Begutachtung erforderlichen Daten unmittelbar an den Medizinischen Dienst, und nicht etwa an die Krankenkasse, zu übermitteln.

Allerdings setzt die Vorschrift tatbestandlich einen Sachverhalt voraus, der die Krankenkasse bei der Erbringung von Leistungen verpflichtet (oder berechtigt), eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen. Wann ein solcher Sachverhalt vorliegt, lässt sich § 276 Abs. 2 Satz 2 SGB V nicht entnehmen. Dies ist vielmehr nach § 275 SGB V zu bestimmen. Im Übrigen gilt der Grundsatz, wonach Krankenkassen Sozialdaten für Zwecke der Krankenversicherung erheben und speichern dürfen, soweit diese zur Prüfung der Leistungspflicht und der Erbringung von Leistungen an Versicherte - hier häusliche Krankenpflege - erforderlich sind (§ 284 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V).

Eine ausdrückliche Pflicht zur Beauftragung des Medizinischen Dienstes besteht bei häuslicher Krankenpflege nur für die Frage, ob und für welchen Zeitraum diese länger als vier Wochen erforderlich ist (vgl. § 275 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V). Für die Erbringung sonstiger Leistungen der häuslichen Krankenpflege - wie der Wundversorgung - kommt es darauf an, ob es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen (§ 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V). Ob die Beauftragung des Medizinischen Dienstes erforderlich ist, hat die Krankenkasse jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. An der Erforderlichkeit einer gutachtlichen Stellungnahme durch den Medizinischen Dienst kann es insbesondere dann fehlen, wenn die Krankenkasse selbst über zur Prüfung der abgerechneten Leistungen medizinisch qualifiziertes Personal verfügt.

So lag der Fall bei der betroffenen Krankenkasse. Aufgrund einer ähnlich gelagerten Kontrollanregung befand ich mich bereits in der Vergangenheit mit dieser Krankenkasse in Bezug auf die Verarbeitung von Wundprotokollen im Austausch. Seinerzeit hatte die Krankenkasse mitgeteilt, sie verfüge über ein besonders qualifiziertes Team an examinierten Pflegefachkräften. Diese Beschäftigten besäßen - wohl im Gegensatz zu anderen Krankenkassen - eine medizinisch-pflegerische Qualifikation, die auch die Ausbildung zur Wundmanagerin oder zum Wundmanager beziehungsweise als Wundtherapeutin oder als Wundtherapeut umfasse.

Vor diesem besonderen Hintergrund konnte ich anhand der mir geschilderten Sachverhalte keinen datenschutzrechtlichen Verstoß der betroffenen Krankenkasse feststellen.

6.4. Datenübermittlung des Jugendamtes im Rahmen der Mitwirkung im Verfahren vor dem Familiengericht

Zu den gesetzlichen Aufgaben der Jugendämter zählt die Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten. Insbesondere unterstützt das Jugendamt das Familiengericht bei allen Maßnahmen, welche die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII). Regelmäßig wirkt das Jugendamt im Wege von schriftlichen Stellungnahmen an das Gericht mit. Eine im Berichtszeitraum eingegangene Beschwerde verdeutlicht exemplarisch, wie leicht mangelnde Sorgfalt bei der Verarbeitung sensibler Sozialdaten auch in vermeintlich unkritischen Verarbeitungskonstellationen erhebliche Risiken für betroffene Personen bewirken kann.

Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar, hatten auf Vermittlung des Jugendamtes ein Pflegekind aufgenommen. Mit dem Jugendamt bestand die Absprache, dass die persönliche Wohnanschrift der Pflegeltern den leiblichen Eltern des Kindes, welche sich zur gleichen Zeit in einem laufenden Familiengerichtsverfahren um das Sorgerecht bemühten, nicht mitgeteilt wird. Umso erstaunter waren die Eingabeführer, als ihnen die leiblichen Eltern anlässlich eines Umgangstermins eröffneten, ihre Wohnanschrift aus einem Schreiben des Jugendamtes erfahren zu haben.

Im Zuge des daraufhin eingeleiteten Beschwerdeverfahrens teilte mir das Jugendamt mit, dass es gemäß § 50 SGB VIII an dem familiengerichtlichen Verfahren über die elterliche Sorge mitwirke. Eine in diesem Zusammenhang an das Familiengericht übermittelte Stellungnahme des Jugendamtes habe auch die Adressdaten der Pflegeltern enthalten. Auf die Vertraulichkeit dieser Daten sei das Gericht nicht hingewiesen worden. Durch das Familiengericht sei die Stellungnahme des Jugendamtes dann ungeschwärzt den leiblichen Eltern zugeleitet worden.

Datenschutzrechtlich war die Übermittlung der Adressdaten durch das Jugendamt an das Familiengericht als Verletzung des Sozialgeheimnisses nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu bewerten. Nach der Vorschrift hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt verarbeitet werden. Die Übermittlung der Adressdaten an das Familiengericht war unbefugt, weil sie nicht auf eine Rechtsgrundlage gestützt werden konnte.

Zwar kommt im Rahmen der Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten zur Rechtfertigung der Übermittlung von Adressdaten einer Pflegefamilie grundsätzlich § 69 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht. Hiernach ist die Übermittlung von Sozialdaten erlaubt, sofern sie für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe der übermittelnden Stelle erforderlich ist. Sie kann erforderlich sein, wenn zu erwarten ist, dass das Familiengericht - welches den Sachverhalt regelmäßig von Amts wegen zu ermitteln hat (vgl. § 26 FamFG) - für seine Entscheidung eine Stellungnahme der Pflegeltern benötigen oder die Pflegekinder selbst anhören wird. Hierzu benötigt das Familiengericht Kenntnis der Adressdaten, welche es nur vom Jugendamt erhalten kann.

Aufgrund der Sachverhaltsschilderung konnte ich aber nicht feststellen, dass das Familiengericht im Beschwerdefall zu diesen Zwecken der Adressdaten der Eingabeführer bedurft hätte. Vielmehr hat das Jugendamt selbst eingeräumt, dass die Übermittlung der Adressdaten der Eingabeführer an das Familiengericht für das betreffende Verfahren, welches die Erziehungsfähigkeit der leiblichen Eltern zum Gegenstand hatte, nicht zwingend erforderlich war.

Zwar hat das Jugendamt durch die Übermittlung der Adressdaten die Ursache für die spätere Weitergabe der Daten an die leiblichen Eltern gesetzt. Die eigentlich kritische Weitergabe der Adressdaten erfolgte aber erst durch das Familiengericht.

Zudem hat sich das Jugendamt im Nachgang zu dem Vorfall um Aufklärung bemüht und - insbesondere durch Ansprache der leiblichen Eltern - Maßnahmen ergriffen, um das Gefährdungsrisiko einzuschätzen und möglichst zu minimieren. Demnach waren wohl bislang auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass von den leiblichen Eltern eine Gefährdung ausgehen könnte.

Das Jugendamt hat die Datenschutzverletzung zudem unmittelbar eingeräumt und angekündigt, künftig sorgsamer zu prüfen, dass nur zwingend notwendige personenbezogene Angaben Dritter in Stellungnahmen an das Familiengericht genannt werden. Vor diesem Hintergrund war anzunehmen, dass vergleichbare Datenschutzverstöße künftig nicht mehr zu erwarten sind. Von einer förmlichen Beanstandung habe ich daher abgesehen.

6.5. Weitere Entwicklungen zum Masernschutzgesetz

Das zum 1. März 2020 in Kraft getretene Masernschutzgesetz beschäftigte nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch mich als Datenschutz-Aufsichtsbehörde weiterhin (vgl. bereits den 30. Tätigkeitsbericht 2020 unter Nr. 10.2.1 und den 31. Tätigkeitsbericht 2021 unter Nr. 7.1).

6.5.1. Inhalt eines Kontraindikationsattests

Besonders umstritten war insbesondere die Frage, welche Angaben ein sog. Kontraindikationsattest beinhalten muss (§ 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 Infektionsschutzgesetz - IfSG). Ein Kontraindikationsattest ist ein ärztliches Zeugnis darüber, dass eine Person aufgrund einer dauerhaften medizinischen Kontraindikation/Gegenanzeige nicht gegen Masern geimpft werden kann oder sollte.

Welche medizinischen Angaben bei einem solchen ärztlichen Attest über die Impfunfähigkeit gegenüber dem Gesundheitsamt erforderlich sind, ist zunächst eine fachliche Frage, die aus (amts-) ärztlicher Sicht zu beantworten ist.

Aus diesem Grund hatte ich im 31. Tätigkeitsbericht 2021 unter Nr. 7.1.1 darauf Bezug genommen, wie sich das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mir gegenüber positioniert hatte. Zum damaligen Zeitpunkt war das Gesundheitsministerium zu dem Schluss gekommen, dass im Kontraindikationsattest keine Angaben zum medizinischen Grund der Kontraindikation gemacht werden müssten. Mittlerweile liegt zu dieser Frage auch obergerichtliche Rechtsprechung vor. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt:

"Das ärztliche Zeugnis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG darf sich nicht damit begnügen, den Gesetzeswortlaut zum Bestehen einer medizinischen Kontraindikation zu wiederholen. Es muss vielmehr wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen [...]. Hierfür sprechen neben dem Zweck der Regelung, eine ausreichend hohe Impfquote zu erreichen und hierfür u.a. dem Gesundheitsamt eine Grundlage für das weitere Vorgehen (z. B. in einem Beratungsgespräch nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG) zu geben, auch systematische Erwägungen, denn das IfSG unterscheidet auch an anderer Stelle die schlichte Bescheinigung vom Nachweis durch ein ärztliches Zeugnis (vgl. etwa § 43 Abs. 1 Satz 2 IfSG). Die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt diese Annahme."

Bei der Beurteilung des Vorgehens von Gesundheitsämtern, die Nachfragen zum Kontraindikationsattest bei betroffenen Personen stellen und weitere Nachweise verlangen, ist diese Rechtsprechung zu berücksichtigen. Daher habe ich das Vorgehen von Gesundheitsämtern, sich Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation vorlegen zu lassen, in den mir vorgetragenen Einzelfällen nicht als Datenschutzverstoß bewertet.

6.5.2. Zweifel des Gesundheitsamtes im Zusammenhang mit dem Kontraindikationsattest

Beschäftigt habe ich mich zudem mit dem Sachverhalt, dass das Gesundheitsamt Kontraindikationsatteste auch mit Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation nicht akzeptiert und weitere Nachweise anfordert.

Aufgabe des Gesundheitsamtes ist nach § 20 Abs. 12 IfSG die Prüfung des Nachweises gemäß Masernschutzgesetz. Dies umfasst nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG auch die Prüfung des ärztlichen Zeugnisses darüber, dass die zum Nachweis verpflichteten Personen aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können.

Im Rahmen dieser Regelung wurde dem Gesundheitsamt in § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG (zuletzt geändert mit Wirkung zum 17. September 2022) folgende Befugnis übertragen:

"Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises, so kann das Gesundheitsamt eine ärztliche Untersuchung dazu anordnen, ob die betroffene Person auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen Masern geimpft werden kann; Personen, die über die Echtheit oder inhaltliche Richtigkeit des vorgelegten Nachweises Auskunft geben können, sind verpflichtet, auf Verlangen des Gesundheitsamtes die erforderlichen Auskünfte insbesondere über die dem Nachweis zugrundeliegenden Tatsachen zu erteilen, Unterlagen vorzulegen und Einsicht zu gewähren; § 15a Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend."

Soweit das Gesundheitsamt plausibel darlegt, dass Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Nachweise für eine medizinische Kontraindikation einer Masernimpfung bestehen, darf es daher insbesondere weitere aus Sicht des Gesundheitsamtes erforderliche Auskünfte über die dem Nachweis zugrundeliegenden Tatsachen verlangen.

  1. Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, Bayerisches Krebsregistergesetz jetzt mit uneingeschränktem Widerspruchsrecht, Aktuelle Kurz-Information 52, Stand 8/2023, Internet: https://www.datenschutz-bayern.de, Rubrik "Datenschutzreform 2018". [Zurück]
  2. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 7. Juli 2021, 25 CS 21.1651, BeckRS 2021, 18528, Rn. 14. [Zurück]