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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 27.01.2005

8. Verfassungsschutz

Beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) habe ich im Berichtszeitraum wieder Überprüfungen von Datenerhebungen, -speicherungen und -übermittlungen sowie Auskunftserteilungen bzw. -ablehnungen durchgeführt. Die Prüfungen erfolgten anlassunabhängig (2 Prüfungen vor Ort) oder aufgrund von Bürgereingaben.

Des Weiteren habe ich die Änderung von Errichtungsanordnungen überprüft. Das Landesamt hat mich stets rechtzeitig beteiligt und meine datenschutzrechtlichen Hinweise weitgehend berücksichtigt. Zu weiteren für die nächste Zeit geplanten Vorhaben, die Auswirkungen auf den Datenschutz haben, wie bspw. die Modifizierung des Informationssystems IBA oder die Errichtung einer gemeinsamen bundesweiten Datei von Verfassungsschutz und Sicherheitsbehörden für den Bereich des islamistischen Terrorismus habe ich mich bereits geäußert (vgl. Nr. 8.6) und werde die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen.

8.1. Wohnraumüberwachung durch das Landesamt für Verfassungsschutz

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.03.2004 zum Großen Lauschangriff ist auch für die verdeckte Datenerhebung durch das Landesamt für Verfassungsschutz von Bedeutung (vgl. auch Nr. 7.11), insbesondere für den Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung in Wohnungen. Notwendig ist deshalb eine Neufassung des Art. 6 a Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG), die die vom Bundesverfassungsgericht zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung aufgestellten Grundsätze beachtet. Diese gelten auch und gerade bei der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz, dessen Aufgabe es ist, bereits im Vorfeld konkreter Straftaten beobachtend tätig zu werden.

Wenn schon das Landesamt für Verfassungsschutz aus übergeordneten Gründen des Allgemeinwohls im Vorfeld tätig werden darf, ist es umso wichtiger, den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Grundrechtschutz zu gewährleisten, da Vorfeldtätigkeit auch einer erhöhten Gefahr der Fehlbeurteilung ausgesetzt ist. Dieser Schutz gilt grundsätzlich absolut und darf nicht durch Abwägung mit den staatlichen Interessen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden. Jeder Mensch muss zur Entfaltung seiner Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung die Möglichkeit eines von staatlichen Stellen unbewachten Bereichs haben.

In diesem Sinne habe ich dem Staatsministerium des Innern die Grundzüge für eine Anpassung des Art. 6 a Abs. 1 BayVSG an die verfassungsrechtlichen Erfordernisse dargelegt. Im Einzelnen habe ich dabei auf Folgendes hingewiesen:

  • Die Eingriffsvoraussetzungen des Art. 6 a Abs. 1 BayVSG mit ihren Verweisungen auf andere Gesetze und Strafvorschriften sind so zu fassen, dass sie dem Grundsatz der Normenklarheit entsprechen. Bei Ermächtigungen für Überwachungsmaßnahmen verlangt das Bestimmtheitsgebot, dass die betroffene Person erkennen kann, bei welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten mit dem Risiko der Überwachung verbunden ist.
  • Als Anknüpfungspunkt für den Eingriff sollte ein eigener, geschlossener und enger Straftatenkatalog entworfen werden. Eine pauschale Verweisung auf § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) und auf § 100 a Strafprozessordnung (StPO), die Straftaten mit unterschiedlichem Unrechtsgehalt aufweisen, halte ich nicht für ausreichend.
  • Art. 6 a Abs. 1 BayVSG ist um eine Schutzvorschrift zugunsten von Gesprächen mit besonderen Vertrauenspersonen zu ergänzen, worunter auch Berufsgeheimnisträger nach § 53 StPO fallen.
  • Die Übermittlungsmöglichkeit personenbezogener Daten an andere öffentliche Stellen ist einzuschränken. Sie darf nur zur Abwehr dringender Gefahren erfolgen, wie es Art. 13 Abs. 4 GG vorsieht. Außerdem darf eine Übermittlung nur zur Verfolgung solcher Straftaten gestattet werden, die besonders schwer sind.
  • Die von der Maßnahme Betroffenen sind grundsätzlich nach Abschluss der Maßnahme zu benachrichtigen. Eine Zurückstellung der Benachrichtigung muss in angemessenen Zeitabständen gerichtlich überprüft werden.
  • Die erlangten Daten müssen zur Sicherstellung der besonderen Zweckbindung gekennzeichnet werden.
  • Die Anordnung sollte auf höchstens vier Wochen befristet werden.

Das Staatsministerium des Innern zeigte sich in der Sache grundsätzlich aufgeschlossen. Es teilte mit, dass es in vielen Punkten mit dem Ergebnis meiner vorläufigen Prüfung übereinstimme und hat gemäß Beschluss des Landtags vom 17.06.2004 diesem über die Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff auf die präventive Wohnraumüberwachung auch im Hinblick auf die Notwendigkeit von Änderungen des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes berichtet. Dabei vertritt es allerdings auch die Auffassung, dass dieses Urteil nicht voll inhaltlich auf das Gefahrenabwehrrecht zu übertragen sei. Dies halte ich, insbesondere bei Abweichungen von den Beschränkungen bezüglich des Deliktskatalogs, für bedenklich.

Ergänzend habe ich darauf hingewiesen, dass sich aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 03.03.2004 auch eine Prüfungs- und ggf. Anpassungsverpflichtung für die sonstigen verdeckten Datenerhebungsmaßnahmen nach dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz ergeben kann. Das Innenministerium teilt diese Auffassung offenbar nicht, da es auf die Eingriffsintensität der Maßnahme als solche, nicht auf den notwendigen Schutz des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung abstellt.

8.2. Datenschutzrechtliche Prüfungen beim Verfassungsschutz

Schwerpunkte meiner Prüfungen im Bereich des Verfassungsschutzes waren:

  • Allgemeine Kontrolle von Dateien, Karteien und Akten
  • Prüfung von Errichtungsanordnungen und internen Arbeitsanweisungen
  • Prüfung von Datenerhebungen
  • Bürgereingaben

Dabei habe ich festgestellt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz die datenschutzrechtlichen Bestimmungen bei der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten grundsätzlich beachtet. Einzelne Fehler habe ich z.B. bei der Festsetzung von Speicherfristen und bei der Speicherung von Daten in Sachakten, die von der Polizei an das Landesamt übermittelt worden waren, festgestellt.

8.3. Speicherungen von „einfachen“ Mitgliedern

Unabhängig von meinen datenschutzrechtlichen Bedenken hinsichtlich der generellen Speicherung der Daten "einfacher" Mitglieder extremistischer Gruppierungen in den Informationssystemen IBA bzw. NADIS, die ich bereits im Rahmen der Überarbeitung der hierfür geltenden Arbeitsanweisung im Jahre 1998 geltend gemacht habe, habe ich eine Überprüfung der Speicherungsgrundlagen für diesen Personenkreis vorgenommen. Durchgreifende Zweifel an der Mitgliedschaft der Betroffenen bei einer extremistischen Gruppierung hatte ich - abgesehen von einzelnen Ausnahmefällen - nicht. Jedoch habe ich das Landesamt für Verfassungsschutz aufgefordert, im Interesse einer besseren Überprüfungs- und Bewertungsmöglichkeit der Authentizität der Speicherungsgrundlage verstärkt dafür Sorge zu tragen, dass bei Mitgliederlisten Herkunft, Beschaffungsweise und Quelleneinstufung dokumentiert werden. Das Landesamt will dies für die Zukunft berücksichtigen.

Soweit der erforderliche Aktenrückhalt nicht (mehr) vorhanden war bzw. die Speichervoraussetzungen aus meiner Sicht nicht vorlagen, habe ich das Landesamt zur Löschung der Speicherungen aufgefordert. Diesen Forderungen ist das Landesamt umgehend nachgekommen.

8.4. Erforderlichkeitsprüfung bei Wiedervorlageterminen

Nach den Arbeitsanweisungen für die Speicherung und Löschung personenbezogener Daten zur Extremismusbeobachtung und zur Spionageabwehr muss grundsätzlich bei allen Speicherungen in den Auskunftssystemen IBA und NADIS nach Ablauf einer Wiedervorlagefrist die Erforderlichkeit erneut geprüft werden. Diese Wiedervorlagefrist wird ausgehend von dem letzten materiellen Erkenntnisdatum zur Person berechnet und beträgt in der Regel höchstens die Hälfte der zulässigen Speicherfrist.

Ich habe deshalb sowohl die Festsetzung der Wiedervorlagetermine, als auch die Durchführung der Erforderlichkeitsprüfung kontrolliert. Eine unzutreffende Festsetzung des Wiedervorlagetermins habe ich dabei nur bei sehr wenigen Speicherungen festgestellt. Nahezu ein Drittel der geprüften Speicherungen war nach Wiedervorlage gelöscht worden, was den Schluss rechtfertigt, dass die notwendige Erforderlichkeitsprüfung vom Landesamt durchgeführt wird. Bei wenigen Speicherungen habe ich das Landesamt wegen fehlenden Aktenrückhalts zur Löschung aufgefordert. Diesen Forderungen ist das Landratsamt ungehend nachgekommen.

8.5. Errichtungsanordnung für das Dokumentenmanagementsystem DOMEA

Seit dem 01.01.2003 darf das Landesamt für Verfassungsschutz nach dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (Art. 4 Abs. 1 Satz 2, Art. 7 Abs. 1 Satz 3) personenbezogene Daten auch für die Vorgangsverwaltung nutzen und verarbeiten. Im Hinblick darauf wurde mir vom LfV die geplante Änderung der Errichtungsanordnung für das Dokumentenmanagementsystem DOMEA vorgelegt, in dem solche Daten gespeichert werden. Ich habe dem LfV hierzu meine datenschutzrechtlichen Forderungen übermittelt. Diesen hat das LfV weitgehend Rechnung getragen.

8.6. Gemeinsame Datei von Verfassungsschutz und Polizei im Bereich des islamistischen Terrorismus

Besonders seit den Anschlägen des 11. September 2001 wurde der Ruf nach engerer Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden und der Polizei laut. Zwar bestehen schon bisher gesetzliche Grundlagen für eine begrenzte Zusammenarbeit, die insbesondere den gegenseitigen Austausch personenbezogener Daten ermöglichen. Bisher gibt es jedoch keinen Informationsverbund zwischen Polizei und Verfassungsschutz. § 6 Bundesverfassungsschutzgesetz sieht im Gegenteil ausdrücklich vor, dass der Abruf im automatisierten Verfahren aus den gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden durch andere Stellen nicht zulässig ist. Der Datenaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei erfolgt deshalb im Wege konventioneller Datenübermittlung.

Besonders im Hinblick auf die Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terror wird nunmehr eine gemeinsame Datei zwischen Polizei und Verfassungsschutz gefordert, auf die alle Verbundteilnehmer im Interesse einer zentralen Informationsmöglichkeit zugreifen können. Das Land Niedersachsen hat bereits den Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer gemeinsamen Datei der deutschen Sicherheitsbehörden zur Beobachtung und Bekämpfung des islamistischen Extremismus und Terrorismus vorgelegt.

Ich halte diese Forderung im Grundsatz für gerechtfertigt und habe diese Problematik u.a. auf der diesjährigen Frühjahrskonferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zur Sprache gebracht. Meiner Auffassung nach verstößt ein sachlich begrenzter gemeinsamer Informationsbestand von Polizei und Verfassungsschutz grundsätzlich nicht gegen das sog. Trennungsgebot aus dem Jahre 1949, wonach der Verfassungsschutz keine polizeilichen Befugnisse erhalten soll. Bei Einhaltung entsprechender Rahmenbedingungen (s.u.) erhält er solche Befugnisse nicht. Notwendig sind bereichsspezifische, präzise und normenklare gesetzliche Regelungen, die auch im Hinblick auf das Prinzip der informationellen Gewaltenteilung die Möglichkeiten und Grenzen einer gemeinsamen Datei festlegen. Dabei sind insbesondere folgende restriktiven Vorgaben für eine gezielte projektbezogene Zusammenarbeit einzuhalten:

  • Keine allgemeine gemeinsame Datei aller Informationsbestände von Polizei und Verfassungsschutz
  • Keine unterschiedslose Zusammenlegung sämtlicher Informationsbestände von Polizei und Verfassungsschutz. Es dürfen nur die Informationen in die Datei aufgenommen werden, die zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus erforderlich sind und die bereits im Rahmen des geltenden Rechts erhoben und übermittelt werden könnten.
  • Strikte Zweckbindung der Daten für die Bekämpfung des Terrorismus
  • Lückenlose Protokollierung des Abrufs von Daten
  • Ausreichende Auskunftsregelung
  • Gewährleistung einer effektiven Kontrolle durch die zuständigen Datenschutzbeauftragten
  • Zeitliche Begrenzung der gemeinsamen Datei (z.B. auf 2 Jahre)

Der niedersächsische Entwurf erfüllt diese Voraussetzungen insbesondere deshalb nicht, weil er nicht auf den islamistischen Terrorismus beschränkt ist, sondern den Bereich des islamistischen Extremismus mit einbezieht. Mit "Extremismus" würde ein Gefahrenbereich mit einbezogen, für dessen Bekämpfung/Beobachtung nicht alle an der gemeinsamen Datei beteiligten Sicherheitsbehörden zuständig sind. Dafür ist - soweit ohne polizeirelevantes Verhalten - ausschließlich der Verfassungsschutz zuständig. Die Polizei hat insoweit keine Befugnis, Daten zu erheben.