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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 01.02.2011
3. Polizei
Im Polizeibereich habe ich auf die datenschutzkonforme Ausgestaltung von Gesetzen und Errichtungsanordnungen zu Dateien hingewirkt. Schwerpunkte waren dabei die Streichung der Möglichkeit zur "nur automatischen Aufzeichnung" bei der polizeilichen Wohnraumüberwachung und die Streichung der Befugnis zur heimlichen Wohnungsdurchsuchung im Polizeiaufgabengesetz (PAG).
Darüber hinaus habe ich insbesondere die Kontrolle von Speicherungen in Dateien überprüft, wie z.B. in der polizeilichen Vorgangsverwaltungsdatei "IGVP" und im Kriminalaktennachweis (KAN). Die datenschutzrechtliche Beurteilung von Datenerhebungsmaßnahmen wie z.B. Videoaufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern und Fußballfans, erkennungsdienstlichen Behandlungen und Speichelprobenentnahmen zum Zwecke der DNA-Analyse und die Überprüfung von Auskunftserteilungen zu Speicherungen waren ebenfalls Schwerpunkte im Berichtszeitraum. Darüber hinaus habe ich auch wieder Datenübermittlungen der Polizei an die Presse überprüft. Neben der Kontrolle von Datenerhebung, -nutzung und -verarbeitung durch die Polizei aufgrund von Bürgereingaben, Pressemitteilungen und sonstigen Meldungen habe ich erneut anlassunabhängige Prüfungen beim Landeskriminalamt und bei drei Präsidien vorgenommen.
Meine datenschutzrechtliche Beratung von Polizeidienststellen umfasste auch Vorträge bei Aus- und Fortbildungsveranstaltungen der Polizei.
Die nachfolgenden Darstellungen enthalten eine Auswahl meiner Feststellungen im Polizeibereich.
3.1. Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes
In meinem letzten Tätigkeitsbericht berichtete ich über umfangreiche Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes (PAG). Diese enthielten - wie die Befugnisse zur "Online-Durchsuchung" und zur "heimlichen Wohnungsdurchsuchung" - neue, zum Teil tiefgreifende Eingriffsbefugnisse, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erheblich einschränkten.
Zum 01.08.2009 wurden einige der am 01.08.2008 in Kraft getretenen Regelungen polizeilichrechtlicher Befugnisse wieder entschärft (siehe hierzu Nr. 3.1.1, 3.1.2, 3.1.3 und 3.1.4).
Die damit eingetretenen Änderungen enthalten nicht unwesentliche datenschutzrechtliche Verbesserungen gegenüber der bisherigen Gesetzeslage.
3.1.1. Verzicht auf eine "nur automatische Aufzeichnung" beim sog. Großen Lauschangriff
Die bisherige Gesetzeslage gestattete es der Polizei, in Privatwohnungen geführte Gespräche im Rahmen einer Wohnraumüberwachung ("Großer Lauschangriff") nur automatisch aufzuzeichnen. Gleiches galt für die Aufzeichnung von Gesprächen mit sog. Berufsgeheimnisträgern (z.B. Geistliche, Ärzte, Rechtsanwälte), wenn diese selbst Zielperson der Maßnahme waren und die Gespräche in den zur Berufsausübung bestimmten Räumlichkeiten stattfanden. Bereits in seinem Urteil vom 03.03.2004 zum "Großen Lauschangriff" hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass "es der Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG erforderlich machen [kann], bei dem Abhören einer Privatwohnung auf eine nur automatische Aufzeichnung der abgehörten Gespräche zu verzichten, um jederzeit die Ermittlungsmaßnahme unterbrechen zu können." Führt ein Polizeibeamter die akustische Wohnraumüberwachung durch, kann er erkennen, wenn sich Gespräche mit höchstpersönlichem Inhalt anbahnen. Gemäß dem Menschenwürdeschutz sind dann Überwachungsmaßnahmen zu unterbrechen. Eine nur automatisierte Aufzeichnung führt dagegen dazu, dass solche menschenwürderelevanten Gespräche erfasst werden. Vor dem Hintergrund dieser Hinweise des Gerichts habe ich deshalb die grundsätzliche Möglichkeit einer nur automatischen Datenerhebung aus Wohnungen für sehr problematisch angesehen. Mit der Streichung dieser Befugnis hat der Gesetzgeber eine langjährige datenschutzrechtliche Forderung von mir erfüllt (siehe hierzu 21. Tätigkeitsbericht, Nr. 7.12.2).
Leider hat der Gesetzgeber die Gesetzesänderung nicht auch dazu genutzt, die im Gesetz vorgesehene Unterscheidung zwischen "weniger" und "mehr" geschützten Berufsgeheimnisträgern aufzugeben. Berufsgeheimnisträger können im Strafprozess unter Berufung auf ihre Schweigepflicht die Aussage verweigern. Das Polizeiaufgabengesetz verbietet der Polizei hingegen nur, in Privatwohnungen geführte Gespräche abzuhören, über die Geistliche, Verteidiger, Rechtsanwälte, Ärzte, Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, psychologische Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten die Aussage verweigern können. Das gilt auch, wenn das Gespräch einen unmittelbaren Bezug zu einer dringenden Gefahr für z.B. Leib, Leben oder Freiheit einer Person aufweisen sollte. Nur wenn solche Berufsgeheimnisträger ebenfalls Zielpersonen der Maßnahme sind, dürfen die Gespräche erfasst werden.
Im Gegensatz dazu dürfen jedoch Gespräche mit anderen Berufsgeheimnisträgern (z.B. Notaren, Zahnärzten, Apothekern, Hebammen und Schwangerenkonfliktberatern) bereits dann abgehört werden, wenn sie einen unmittelbaren Bezug zu einer dringenden Gefahr für z.B. Leib, Leben oder Freiheit einer Person aufweisen. Bei diesen Berufsgruppen ist nicht erforderlich, dass der Berufsgeheimnisträger selbst auch Zielperson der Maßnahme ist.
Aus datenschutzrechtlicher Sicht erkenne ich nach wie vor keinen sachlichen Grund für die konkret getroffene Differenzierung zwischen "mehr" und "weniger" geschützten Berufsgeheimnisträgern. Der Abhörschutz dient dazu, die Vertrauensbeziehung zwischen dem Berufsgeheimnisträger und dem betroffenen Gesprächspartner zu schützen. In diesem Sinne führt beispielsweise eine werdende Mutter bei einer Schwangerschaftskonfliktberatung mindestens mit einer vergleichbar hohen Wahrscheinlichkeit höchstpersönliche Gespräche wie z.B. mit einem Arzt oder einem Berufspsychologen. Ich habe im Gesetzgebungsverfahren deshalb gefordert, auf die Unterscheidung zwischen "privilegierten" und "anderen" Berufsgeheimnisträgern zu verzichten oder zumindest eine nachvollziehbare Differenzierung vorzusehen.
3.1.2. Regelung der Benachrichtigungspflicht bei der "polizeilichen Beobachtung"
Mit der ausdrücklichen Regelung einer grundsätzlichen Benachrichtigungspflicht bei der "polizeilichen Beobachtung" wurde eine langjährige datenschutzrechtliche Forderung von mir erfüllt (siehe hierzu 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 4.1.4). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht den Bürgerinnen und Bürgern bei für sie nicht erkennbaren Grundrechtseingriffen grundsätzlich ein Anspruch auf spätere Kenntnis der staatlichen Maßnahme zu. Ohne eine solche Kenntnis können die Betroffenen weder die Unrechtmäßigkeit der Informationsgewinnung noch etwaige Rechte auf Löschung der gespeicherten Daten geltend machen.
3.1.3. Abschaffung der Befugnis zur heimlichen Wohnungsdurchsuchung
Ebenfalls wieder gestrichen wurde die zum 01.08.2008 in Kraft getretene Befugnis für die Polizei, zur Durchführung einer Wohnraumüberwachung, einer Telekommunikationsüberwachung oder einer Online-Durchsuchung die Wohnung des Betroffenen heimlich zu betreten und zu durchsuchen (zur Streichung der entsprechenden Befugnis des Landesamts für Verfassungsschutz siehe hierzu Nr. 4.1). Auch hier hat der Gesetzgeber mit der Änderung meinen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen, die ich im Gesetzgebungsverfahren vorgetragen hatte.
3.1.4. Kürzere Aufbewahrungsfrist für polizeiliche Bild- und Tonaufnahmen
Seit 01.08.2009 darf die Polizei zur Gefahrenabwehr gefertigte personenbezogene Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen (z.B. von stationären polizeilichen Überwachungskameras) und daraus gefertigte Unterlagen grundsätzlich nur noch drei Wochen statt bisher zwei Monate aufbewahren. Auch diese Gesetzesänderung stellt eine erhebliche datenschutzrechtliche Verbesserung der Rechte der Betroffenen dar. Nicht erfasst von dieser Neuregelung ist allerdings die Speicherung von Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern; diese ist im Bayerischen Versammlungsgesetz speziell geregelt (siehe hierzu Nr. 4.1).
Werden die Aufzeichnungen der Polizei jedoch zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung oder von Straftaten benötigt, dürfen sie länger gespeichert werden.
3.2. Änderungen des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG)
Bereits in meinem letzten Tätigkeitsbericht (siehe hierzu 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 4.2) hatte ich über die wesentlichen datenschutzrechtlich relevanten Regelungen des neuen Bayerischen Versammlungsgesetzes berichtet. Meine Kritik hatte dabei vor allem die neu geschaffene Befugnis zur Anfertigung polizeilicher "Übersichtsaufzeichnungen" und ihre zeitlich unbefristete Speicherung und Nutzung zum Gegenstand. Mehrere Landesverbände von Gewerkschaften und Parteien sowie andere nichtstaatliche Organisationen haben gegen annähernd das gesamte Bayerische Versammlungsgesetz Verfassungsbeschwerde eingelegt. In seiner Eilanordnung vom 17.02.2009 hat das Bundesverfassungsgericht vor allem die sehr weitgehenden polizeilichen Befugnisse zu Anfertigung und Speicherung sog. Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen beschränkt und zum Teil sogar außer Kraft gesetzt (siehe hierzu Nr. 3.2.1). Eine abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus. Vor dem Hintergrund der vom Gericht gemachten Hinweise hat der Landtag am 14.04.2010 umfangreiche Gesetzesänderungen beschlossen; die Änderungen sind am 01.06.2010 in Kraft getreten (siehe hierzu Nr. 3.2.2).
3.2.1. Bayerisches Versammlungsgesetz teilweise außer Kraft gesetzt - Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.02.2009
Das Bundesverfassungsgericht hat mit deutlichen Worten insbesondere die - inzwischen geänderte (siehe hierzu Nr. 3.2.2) - Befugnis der Polizei zur Anfertigung von sog. Übersichtsaufzeichnungen kritisiert. Sie ermächtige zu einer anlasslosen Aufzeichnung des gesamten Versammlungsgeschehens einschließlich der Ablichtung der einzelnen Versammlungsteilnehmer, die hierzu zurechenbar keinen Anlass gesetzt haben. Folglich musste bei jeder Versammlung jeder Teilnehmer damit rechnen, dass seine Teilnahme unabhängig von der Größe und dem Gefahrenpotential der Versammlung aufgezeichnet wird. Jedenfalls im Hinblick auf den Stand der heutigen Technik sieht das Bundesverfassungsgericht keinen prinzipiellen Unterschied mehr zwischen Übersichtsaufzeichnungen und personenbezogenen Aufzeichnungen. Auch in Übersichtsaufzeichnungen werden die gefilmten Einzelpersonen in der Regel individualisierbar - und damit personenbezogen - erfasst.
Dem Bundesverfassungsgericht zufolge führt eine solche - nach der ursprünglichen Gesetzesfassung sogar zeitlich unbegrenzt mögliche - anlasslose Datenbevorratung, die allein an die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit und damit an das Gebrauchmachen von einem elementaren Grundrecht anknüpft, "zu durchgreifenden Nachteilen". Durch diesen "Datenvorratsspeicher" könne auch nachträglich eine zunächst unauffällige Teilnahme an einer Versammlung aufgegriffen, neu interpretiert und zum Anknüpfungspunkt weiterer Maßnahmen gemacht werden, ohne dass dieses gesetzlich klar und sachhaltig begrenzt würde.
Vor diesem Hintergrund sind bis zur endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Übersichtsaufzeichnungen einstweilen nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von der Versammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen und auch die anschließende Nutzung und Speicherung anlassbezogen begrenzt bleibt. Übersichtsaufzeichnungen sind innerhalb von zwei Monaten zu löschen oder irreversibel zu anonymisieren, soweit die Daten nicht in Bezug auf einzelne Personen zur Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der aufgezeichneten Versammlung oder zur Abwehr künftiger versammlungsspezifischer Gefahren benötigt werden.
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht auch die Befugnis zur Anfertigung von Übersichtsaufnahmen beschränkt. Übersichtsaufnahmen werden live in die Einsatzzentrale übertragen und - anders als Übersichtsaufzeichnungen - nicht aufgezeichnet. Die Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes sind nach der gerichtlichen Anordnung nur zulässig, wenn sie wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich sind.
Die vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Einschränkungen hatte ich bereits bei der Schaffung des Bayerischen Versammlungsgesetzes 2008 gegenüber dem Innenministerium gefordert. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Eilentscheidung wesentliche datenschutz- und verfassungsrechtliche Mängel des Bayerischen Versammlungsgesetzes beseitigt. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen im Einzelfall
- insbesondere zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Übersichtsaufzeichnungen - sind allerdings erst in der noch ausstehenden endgültigen Entscheidung des Gerichts zu erwarten.
3.2.2. Die Änderungen im Einzelnen
Die am 01.06.2010 in Kraft getretenen Änderungen des Bayerischen Versammlungsgesetzes enthalten wesentliche datenschutzrechtliche Verbesserungen, auch wenn meine grundsätzlichen Bedenken gegenüber Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen nicht ausgeräumt werden:
Über die ausdrücklich gemachten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus wurde die Befugnis der Polizei gestrichen, "personenbezogene Daten" von Versammlungsteilnehmern erheben zu dürfen. Ebenfalls gestrichen wurde die Befugnis, heimlich Foto- und Videografien einzelner Versammlungsteilnehmer und heimliche Übersichtsaufnahmen auf versammlungsrechtlicher Grundlage anzufertigen. Nach wie vor darf die Polizei aber unter bestimmen Voraussetzungen Foto- und Videoaufnahmen und -aufzeichnungen einzelner Versammlungsteilnehmer und der Versammlung anfertigen. Sie hat allerdings nunmehr die Gründe dafür zu dokumentieren. Damit kann die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen effektiver überprüft werden.
Darüber hinaus sind insbesondere folgende Gesetzesänderungen hervorzuheben:
- Übersichtsaufnahmen
Übersichtsaufnahmen von Versammlungen unter freiem Himmel darf die Polizei nur offen und nur noch dann vornehmen, wenn dies im Einzelfall wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung erforderlich ist (z.B. um zu erkennen, ob und wo Gefahren drohen und deshalb weitere Einsatzkräfte erforderlich sind).
- Übersichtsaufzeichnungen
Werden die live in die Einsatzzentrale übertragenen Übersichtsaufnahmen auch aufgezeichnet, spricht das Bayerische Versammlungsgesetz von sog. Übersichtsaufzeichnungen. Diese sind nur noch zulässig, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass von Versammlungen, Versammlungsteilen oder ihrem Umfeld erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen (z.B. drohende Pflastersteinwürfe, sich anbahnende Schlägerei zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten). Auch insoweit hat die Polizei die Gründe dafür zu dokumentieren.
- Speicherungsdauer von Aufzeichnungen
Bild-, Ton- und Übersichtsaufzeichnungen sind unverzüglich auszuwerten und
- anders als bisher - grundsätzlich spätestens nach zwei Monaten zu löschen. Die zulässige Speicherfrist kann im Einzelfall deutlich kürzer ausfallen, sie ist insbesondere eine Frage der Erforderlichkeit. Die Aufzeichnungen dürfen nur länger gespeichert werden, soweit sie für die Strafverfolgung oder im Einzelfall zur Abwehr erheblicher Gefahren erforderlich sind. Soweit die Identifizierung von Personen zur Gefahrenabwehr auf diesen Aufzeichnungen nicht erforderlich ist, muss sie technisch unumkehrbar ausgeschlossen werden (z.B. durch Verpixelung). Zur Gefahrenabwehr verwendete Aufzeichnungen müssen spätestens nach sechs Monaten gelöscht werden, wenn sie nicht inzwischen zur Strafverfolgung benötigt werden.
Die bislang vorgesehene unbefristete Speicherung von Übersichtsaufzeichnun-gen zur polizeilichen Aus- und Fortbildung hat der Gesetzgeber zum 01.06.2010 gestrichen. Sollen Übersichtsaufzeichnungen für diesen Zweck verwendet werden, muss die Polizei eine eigene Fassung herstellen, die eine Identifizierung der abgebildeten Personen irreversibel ausschließt.
- Datenschutzrechtliche Änderungen für den Veranstalter
Die zuständige Behörde darf vom Veranstalter seine persönlichen Daten und die Daten des Versammlungsleiters und der Ordner nur noch in geringerem Umfang als bisher anfordern (Familiennamen, Vornamen, Geburtsnamen und Anschrift). Die Pflicht zur Angabe des Geburtsdatums, des Geburtsortes und der telefonischen Erreichbarkeit ist entfallen.
Bei Anforderung der Daten muss die Behörde folgende Voraussetzungen beachten:
Bei Versammlungen in geschlossenen Räumen darf die Behörde die genannten Daten über Versammlungsleiter und Ordner nur verlangen, wenn sie die Friedlichkeit der Versammlung mutmaßlich gefährden. Bei Versammlungen unter freiem Himmel müssen zwar die persönlichen Daten des Veranstalters und des Leiters der Behörde in der Anzeige mitgeteilt werden. Die Behörde darf die Daten von Ordnern aber nur anfordern, wenn diese die Friedlichkeit der Versammlung mutmaßlich gefährden.
Mit diesen Änderungen wurden durchaus auch wesentliche datenschutzrechtliche Anregungen von mir aufgegriffen. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen im Einzelfall - insbesondere zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Übersichtsaufzeichnungen - sind allerdings erst in der noch ausstehenden endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten. Ich kann nicht ausschließen, dass das Gesetz dann erneut nachgebessert werden muss. Vor dem Hintergrund, dass das Gericht in seiner Eilanordnung die problematischen Teile des Bayerischen Versammlungsgesetzes bereits selbst außer Kraft gesetzt hatte, wäre es deshalb wohl sinnvoller gewesen, die endgültige Entscheidung des Gerichts vor einer gesetzlichen Neuregelung abzuwarten.
Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es derzeit beispielsweise nach wie vor unbefriedigend, dass Versammlungsteilnehmer nicht erkennen können, ob eine polizeiliche Kamera außer Betrieb ist oder ob sie einzeln oder im Rahmen von Übersichtsaufnahmen gefilmt werden. Wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten (Bundesverfassungsgericht, Volkszählungsurteil vom 15.12.1983). Betroffene können auch nach jetziger Gesetzeslage kaum in Erfahrung bringen, ob und ggf. wie sie gefilmt wurden. Allerdings können sie theoretisch von ihrem allgemeinen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch Gebrauch machen. Damit können sie allerdings nur erfahren, ob die Polizei ihre Teilnahme an einer Versammlung in Akten und in polizeilichen Dateien gespeichert hat. Aus datenschutzrechtlicher Sicht wäre eine vollständige Streichung der Befugnis zu Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen wünschenswert gewesen.
Die Einhaltung der zum Schutz der Versammlungsteilnehmer geschaffenen Einschränkungen werde ich in der Praxis sorgfältig überprüfen.
3.3. Ausgestaltung der "Vorratsdatenspeicherung" verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 02.03.2010 die gesetzlichen Regelungen zur Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten auf Vorrat ("Vorratsdatenspeicherung") durch die Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikations-, E-Mail- und Internetzugangsdiensten für nichtig erklärt. Es hat die Diensteanbieter darüber hinaus verpflichtet, die bisher gespeicherten Vorratsdaten unverzüglich zu löschen; die Daten dürfen auch nicht an die ersuchenden Stellen (z.B. Polizei, Verfassungsschutz) übermittelt werden. Telekommunikationsverkehrsdaten, die die Diensteanbieter für die Dauer von sechs Monaten auf Vorrat speichern mussten, sind z.B.: Rufnummern des anrufenden und des angerufenen Anschlusses, Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, IP-Adresse, beim Beginn von Mobilfunkgesprächen genutzte Funkzellen. Die Speicherpflicht galt nicht für die Inhalte von Telefongesprächen, E-Mails und die aufgerufenen Internetseiten. Darüber hinaus für nichtig erklärt hat das Bundesverfassungsgericht auch die gesetzliche Befugnis der Strafverfolgungsbehörden, auf die vorsorglich gespeicherten Daten für die Strafverfolgung zuzugreifen. Es bewertet die Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten auf Vorrat als "einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt".
Das Gericht stellt in seinem Urteil allerdings auch fest, dass eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter nicht generell gegen das Fernmeldegeheimnis des Grundgesetzes (Art. 10 GG) verstößt. Sie unterliege jedoch besonders strengen Anforderungen im Hinblick auf Begründung und Ausgestaltung - insbesondere auch bezüglich der vorgesehenen Verwendungszwecke. Strikt verboten sei lediglich die Speicherung von personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten und noch nicht bestimmbaren Zwecken. Das Gericht betont aber, dass eine vorsorglich anlasslose Speicherung eine Ausnahme bleiben muss und die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf.
Die gesetzlichen Regelungen, die die Vorratsdatenspeicherung und den Zugriff von Strafverfolgungsbehörden auf Vorratsdaten ausgestalten sollten, wurden deshalb für verfassungswidrig erklärt, weil sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Datensicherheit, Verwendungszwecke, Transparenz und Rechtschutz nicht genügen: Die Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung entspricht nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Ein Abruf der Vorratsdaten zu Strafverfolgungszwecken kann nur zulässig sein, wenn mindestens ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer auch im Einzelfall schwerwiegenden Straftat besteht. Die nichtige Regelung hatte dagegen den Zugriff auf Vorratsdaten zur Verfolgung jedweder - und damit auch wenig gewichtiger - Straftaten gestattet, die mittels Telekommunikation begangen wurden.
Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann ein Abruf der Vorratsdaten zur Gefahrenabwehr - z.B. durch die Polizei - nur zulässig sein, wenn bestimmte Tatsachen eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes hinreichend belegen oder der Abruf zur Abwehr einer gemeinen Gefahr dienen soll. Dies gelte auch für die Verwendung der Daten durch die Nachrichtendienste.
Darüber hinaus fordert das Gericht - zumindest für einen engen Kreis von auf besondere Vertraulichkeit angewiesenen Telekommunikationsverbindungen - ein grundsätzliches Übermittlungsverbot. Dazu sollen etwa Verbindungen zu Anschlüssen von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen zählen, die den grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und dabei selbst Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegen.
Im Hinblick auf die "diffuse Bedrohlichkeit", die von einer Vorratsdatenspeicherung ausgehen kann, kann eine heimliche Verwendung der Daten verfassungsrechtlich nur dann zulässig sein, wenn sonst - wie grundsätzlich im Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Nachrichtendienste - der Zweck der Untersuchung vereitelt wird. Im Bereich der Strafverfolgung kommt dagegen auch eine offene Erhebung und Nutzung der Daten in Betracht. Eine heimliche Verwendung der Daten kann hier nur zulässig sein, wenn sie im Einzelfall erforderlich und richterlich angeordnet ist. Bei einer heimlichen Datenverwendung muss der Gesetzgeber die Behörde zu einer zumindest nachträglichen Benachrichtigung verpflichten. Um dem Betroffenen einen möglichst effektiven Rechtschutz gewährleisten zu können, muss jede - sowohl heimliche als auch offene - Abfrage oder Übermittlung von Vorratsdaten grundsätzlich unter Richtervorbehalt gestellt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat auch verfassungsrechtliche Vorgaben für die Nutzung von Vorratsdaten festgestellt, um den Inhaber bestimmter, bereits bekannter IP-Adressen identifizieren zu können. Damit kann eine Strafverfolgungsbehörde ermitteln, welcher Person ein bestimmter Anschluss zu einer bestimmten Zeit zugeordnet war, von dem aus z.B. im Internet eine Straftat begangen wurde. Die Behörde darf vom Diensteanbieter eine solche Auskunft über den Inhaber einer IP-Adresse nicht ins Blaue hinein einholen. Das Gericht fordert vielmehr einen hinreichender Anfangsverdacht oder eine konkrete Gefahr auf einzelfallbezogener Tatsachenbasis. Ein Richtervorbehalt sei nicht erforderlich; die Betroffenen müssten von der Einholung der Auskunft aber benachrichtigt werden. Der Gesetzgeber dürfe Auskünfte über den Inhaber einer IP-Adresse für die Verfolgung aller Straftaten, für die Gefahrenabwehr und die Aufgabenwahrnehmung der Nachrichtendienste vorsehen.
Im Gegensatz dazu dürfen solche Auskünfte im Hinblick auf das erhebliche Gewicht des Eingriffs jedoch nicht allgemein und uneingeschränkt zur Verfolgung oder Verhinderung jedweder Ordnungswidrigkeit zugelassen werden. Es muss sich vielmehr um
- auch im Einzelfall - besondere gewichtige Ordnungswidrigkeiten handeln, die der Gesetzgeber ausdrücklich benennen muss.
Die Landesbeauftragten für den Datenschutz hatten gegenüber dem Bundesverfassungsgericht eine gemeinsame Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgegeben. Wesentliche Argumente hieraus finden sich in den Entscheidungsgründen wieder.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben vor dem Hintergrund des Urteils die Bundesregierung aufgefordert, sich für eine Abschaffung der Europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen:
Entschließung
79. Konferenz der Datenschutzbeauftragten
des Bundes und der Länder
am 17./18.03.2010 in Stuttgart
Keine Vorratsdatenspeicherung!
Das Bundesverfassungsgericht bewertet in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 02.03.2010 (1 BvR 256/08) die anlass- und verdachtslose vorsorgliche Speicherung von Telekommunikationsdaten als einen "besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt". Weil diese Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch aller Bürgerinnen und Bürger ermöglicht, lehnt die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ab. Das Verbot der Totalerfassung gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, die auch in europäischen und internationalen Zusammenhängen zu wahren ist. Die Konferenz fordert deshalb die Bundesregierung auf, sich für eine Aufhebung der Europäischen Richtlinie 2006/24/EG einzusetzen.
Darüber hinaus betont das Bundesverfassungsgericht, dass die Freiheitswahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf. Daher strahlt die Entscheidung über den eigentlichen Entscheidungsgegenstand hinaus und muss auch in anderen Bereichen, etwa bei der diskutierten Speicherung der Daten von Flugpassagieren oder bei der Konzeption von Mautsystemen beachtet werden. Auch die zentrale ELENA-Datenbank muss jetzt auf den Prüfstand. Der Gesetzgeber ist bei der Erwägung neuer Speicherungspflichten oder -berechtigungen im Hinblick auf die Gesamtheit der verschiedenen Datensammlungen zu größerer Zurückhaltung aufgerufen.
Die Sicherheitsbehörden tragen zwar immer wieder die Notwendigkeit einer Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten vor. Abgesehen von einigen wenigen Einzelfällen bleiben sie aber den konkreten Nachweis schuldig, dass die Sicherheitslage ohne Vorratsspeicherung nachhaltig verschlechtert wird. Vor diesem Hintergrund ist es nicht einzusehen, warum eine flächendeckende Erfassung der Telekommunikation in Deutschland geboten sein soll.
3.4. Datenschutz und Versammlungsrecht
3.4.1. Polizeiliche Speicherung von Versammlungsanmeldern und -leitern
Im Zusammenhang mit den Demonstrationen unter dem Motto "Bildungsstreik 2009" habe ich bei verschiedenen Polizeipräsidien Datenspeicherungen überprüft. Hierbei musste ich mehrfach feststellen, dass - auch bei störungsfreiem Verlauf - die personenbezogenen Daten von Versammlungsanmeldern oder Versammlungsleitern im Vorgangsverwaltungs- und Dokumentationsverfahren (Integrationsverfahren - IGVP) der Polizei erfasst worden sind. Die gespeicherten Personendaten sollten somit lediglich aufgrund der Ausübung eines verfassungsrechtlich geschützten Grundrechts für mehrere Jahre in einer polizeilichen Datei gespeichert werden, auf die jede Polizeidienststelle zugreifen kann. Ich habe die betreffenden Polizeipräsidien umgehend zur Löschung dieser Daten aufgefordert und darauf hingewiesen, zukünftig die diesbezüglichen Speicherungsverbote einzuhalten. Alle betroffenen Polizeipräsidien sind der Aufforderung gefolgt und haben diese Daten gelöscht.
3.4.2. Videoüberwachung durch fest installierte Kameras
Schon in meinem 21. Tätigkeitsbericht, Nr. 7.13.1, habe ich darauf hingewiesen, im Falle von Versammlungen oder Aufzügen die Kameras der fest installierten Videoüberwachungsanlagen für öffentliche Straßen und Plätze abzuschwenken oder auszuschalten. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (siehe hierzu Nr. 3.2.1) sind gerade solche anlasslosen Aufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern unzulässig. Auch bei meinen Prüfungen polizeilicher Videoüberwachungskonzepte habe ich jeweils darauf hingewirkt, entsprechende Regelungen aufzunehmen. Die betroffenen Polizeipräsidien sind diesen Anregungen gefolgt. Ob die Regelung in der Praxis tatsächlich auch Anwendung findet, habe ich durch die Einsichtnahme in Aufzeichnungen von Überwachungsanlagen während des Zeitraums einer Versammlung geprüft. Im Gegensatz zu einer früheren Prüfung waren dieses Mal alle Kameras abgeschwenkt. Versammlungsteilnehmer wurden nicht aufgezeichnet.
3.4.3. Datenschutzrechtliche Kontrolle von Übersichtsaufzeichnungen
Gerade die anlasslose Aufzeichnung von Versammlungsteilnehmern durch Einsatzkräfte der Polizei bot in der Vergangenheit immer wieder Anlass zu datenschutzrechtlicher Kritik. Nach der Eilanordnung des Bundesverfassungsgerichts (siehe hierzu Nr. 3.2.1) stellte daher die Kontrolle polizeilicher Aufzeichnungen bei Versammlungen einen Schwerpunkt meiner Tätigkeit im Berichtszeitraum dar. Ich habe zu diesem Zweck mehrmals von verschiedenen Polizeipräsidien die Bildaufzeichnungen von Versammlungen zur Kontrolle angefordert und überprüft.
Leider wurde ich bei der Erfüllung meines Kontrollauftrages durch ein Polizeipräsidium erneut nur sehr zögerlich unterstützt. Erst nachdem ich den Verstoß des Polizeipräsidiums gegen die gesetzliche Verpflichtung, den Landesbeauftragten für den Datenschutz in der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen, beanstandet habe, wurden mir die angeforderten Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt. Dies geschah aber erst mehr als acht Monate nach der Versammlung. Ein solch langer Zeitraum ist für die Durchführung einer zeitnahen datenschutzrechtlichen Kontrolle nicht akzeptabel. Darüber hinaus könnten durch die verspätete Übersendung gegebenenfalls erforderliche Anschlussermittlungen, z.B. durch die auf ein Jahr begrenzte Auswertemöglichkeit der Protokolldatei, verhindert werden. Wie schließlich die Einsichtnahme in die Aufzeichnungen ergab, befanden sich darunter auch Sequenzen mit Aufnahmen von Versammlungsteilnehmern, die laut Polizei keine Relevanz für Strafverfahren gehabt hätten und zu löschen waren.
Schon rund ein halbes Jahr zuvor hatte ich die Behördenleitung des gleichen Polizeipräsidiums auf die lange Bearbeitungszeit für die Übersendung von Aufzeichnungen hingewiesen. Auch in diesem Fall hatte es sechs Monate gedauert, bis ich die Aufzeichnungen einsehen konnte. Unter den übersandten Aufzeichnungen waren einige Sequenzen, die Versammlungsteilnehmer in Großaufnahme zeigten und für die, auch nach Auffassung der Polizei, keine rechtfertigenden Voraussetzungen erkennbar waren. Ich habe das Polizeipräsidium daher aufgefordert, die Aufzeichnungen zu löschen und die betreffenden Einsatzkräfte nochmals über die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu belehren. Darüber hinaus wurden mit der Polizei weitere Schulungen für Videobeamte und entsprechende rechtliche Hinweise in den polizeilichen Einsatzbefehlen vereinbart. Meine Feststellungen im Berichtszeitraum lassen auch für die Zukunft verstärkt Kontrollen in diesem Bereich erforderlich erscheinen.
3.5. Speicherungen in polizeilichen Dateien
3.5.1. Auskunftsablehnungen bei Speicherungen
Art. 48 Polizeiaufgabengesetz legt den grundsätzlichen gesetzlichen Anspruch des Betroffenen gegenüber der Polizei auf Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten fest. Darüber hinaus regelt Art. 48 auch, unter welchen Voraussetzungen die Polizei von einer Auskunftserteilung absehen kann. In solchen Fällen sieht das Polizeiaufgabengesetz vor, dass sich der Betroffene an mich wenden kann und die Polizei im Regelfall mir gegenüber die Auskunft erteilt. Im Zuge solcher Verfahren wurde ich immer wieder mit Auskunftsablehnungen konfrontiert, deren Gründe für mich aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht nachvollziehbar erschienen. Insbesondere war dies der Fall bei Speicherungen, die polizeiliche Maßnahmen dokumentieren, die der Bürger ohnehin selbst miterlebte und deren polizeiliche Registrierung er daher vermuten konnte. Durch meine Interventionen konnte ich die Polizei in der Vergangenheit immer wieder davon überzeugen, im Einzelfall doch die Auskunft an die Betroffenen zu erteilen. Die vorgetragenen Gründe für Auskunftsverweigerungen werde ich auch weiterhin mit strengem Maßstab prüfen.
Ablehnungen von Auskunftsersuchen aus der Verbunddatei Gewalttäter Sport habe ich zum Anlass genommen, die diesbezügliche Auskunftspraxis in anderen Bundesländern abzufragen. Das Bayerische Landeskriminalamt hatte mir zuvor mitgeteilt, Auskünfte aus dieser Datei aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zu erteilen. Hierdurch könnte vorgeblich die polizeitaktische Bedeutung solcher Speicherungen gefährdet werden. Eine ähnlich restriktive Handhabung bei Auskunftserteilungen war in keinem anderen Bundesland in Erfahrung zu bringen. Laut Rückmeldung erteilen die zuständigen Dienststellen in 14 Bundesländern grundsätzlich die Auskunft, ob der Antragsteller in ihrem Zuständigkeitsbereich in der Datei Gewalttäter Sport erfasst worden ist. Ich habe dem Bayerischen Landeskriminalamt das Ergebnis meiner Anfrage mitgeteilt und darum gebeten, die diesbezügliche Auskunftspraxis nochmals zu überdenken. Inzwischen wurde mir seitens der Polizei mitgeteilt, dass nunmehr auch bezüglich der Speicherungen in der Datei Gewalttäter Sport jeweils im Einzelfall über die Auskunftserteilung entschieden wird.
3.5.2. Integrationsverfahren der Bayerischen Polizei - IGVP
In meinen zurückliegenden Tätigkeitsberichten sah ich mich regelmäßig veranlasst, über die datenschutzrechtlichen Verschlechterungen, die mit der zunehmenden Erweiterung des Integrationsverfahrens - IGVP einhergingen, zu berichten. Das System wird nunmehr von allen bayerischen Polizeipräsidien gemeinsam zur Erfassung und Verarbeitung der erhobenen Personen und Falldaten, zur Vorgangsverwaltung und Dokumentation polizeilicher Maßnahmen aber auch im Rahmen der Informationsgewinnung für die polizeiliche Aufgabenerfüllung genutzt. Eben diese zweckübergreifende Verwendung des Systems bedingt nicht nur eine enorme Fülle dort gespeicherter Daten, sondern auch vielfältige Auswertungsmöglichkeiten. Beispiele für meine Kritik in der Vergangenheit waren die langen Aussonderungsprüffristen, die erheblichen Erweiterungen der landesweiten Zugriffsberechtigungen oder zuletzt die Realisierung der Freitextrecherche über sämtliche Datenfelder. Leider hat das Bayerische Staatsministerium des Innern in den vergangenen Jahren meine Vorschläge für datenschutzrechtliche Verbesserungen des Systems nicht aufgegriffen (siehe hierzu 22. Tätigkeitsbericht, Nr. 4.2 und 21. Tätigkeitsbericht, Nr. 7.2).
Zweifellos stellt die Möglichkeit, personenbezogene Daten nunmehr nicht nur in den hierfür vorgesehenen Datenfeldern, sondern auch in den gespeicherten Texten (z.B. Sachverhaltsschilderungen) zu recherchieren eine erhebliche Veränderung dar, der auch aus datenschutzrechtlicher Sicht Rechnung getragen werden muss. Dabei geht es mir nicht darum, den verantwortungsbewussten Umgang der Polizeibeamten mit einer solchen verbesserten Recherchemöglichkeit in Frage zu stellen, sondern um die Beachtung gesetzlicher Vorgaben. Art. 37 Abs. 3 Polizeiaufgabengesetz fordert die Festlegung von Prüfungsterminen für die suchfähige Speicherung personenbezogener Daten. Werden diese Personendaten durch die Einführung der Freitextrecherche in IGVP suchbar, besteht Regelungsbedarf. Ich habe das Bayerische Staatsministerium des Innern daher gebeten, darzulegen, wie in solchen Fällen die Prüfungs- und Löschungsfristen eingehalten werden können oder welche Möglichkeiten es zur Vermeidung der Speicherung von Personendaten außerhalb der vorgesehenen Datenfelder sieht. Eine Einigung konnte noch nicht erreicht werden.
3.5.3. Speicherungen im Kriminalaktennachweis
Auch wenn die bayernweite Nutzung von IGVP mitsamt dessen zunehmenden Auswertungsmöglichkeiten die datenschutzrechtliche Brisanz dieses Systems in der Vergangenheit wesentlich erhöhte, bleiben die Überprüfungen von Speicherungen im Kriminalaktennachweis (KAN) nach wie vor ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit im Polizeibereich. Dabei sind es besonders oft Bürgereingaben, die hier Anlass zu datenschutzrechtlicher Kritik geben. Ein Beispiel:
Eine Frau hatte sich an mich gewandt, da sie im Rahmen einer beruflich veranlassten Sicherheitsüberprüfung mit ihren polizeilichen Speicherungen konfrontiert wurde. Laut diesen sei sie Betäubungsmittelkonsumentin und in zwei Fällen aufgrund von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz im Kriminalaktennachweis gespeichert. Ein Blick in die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte erbrachte dazu Näheres. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit hatte die Frau - neben anderen Beschäftigten - Zugriff auf Medikamente, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Als solche Medikamente abhanden kamen und sie zu den möglichen Tatzeiten Dienst hatte, kam sie in den Kreis der Verdächtigen. Eine - wenn auch später widerlegte - Aussage einer Kollegin ließ dann sogar vorübergehend den Tatverdacht weiter ansteigen. Zu ihrer Entlastung willigte sie in die toxikologische Untersuchung einer Haarprobe ein und ihre Wohnung wurde durchsucht. Der Tatverdacht konnte durch keine der beiden Maßnahmen erhärtet werden. Schließlich stellte sich auch die belastende Aussage der Kollegin nachweislich als falsch heraus. Das zuständige Amtsgericht sprach die Frau daraufhin von der Anklage frei und kam zu dem Schluss, ein bislang unbekannter Dritter sei für die Taten verantwortlich. Trotz des gerichtlichen Freispruchs und keinerlei sonstiger Hinweise auf einen Drogenkonsum wurden die personenbezogenen Daten der Betroffenen, einschließlich der erkennungsdienstlichen Unterlagen und dem Hinweis "Betäubungsmittelkonsument" weiterhin im Kriminalaktennachweis gespeichert. Erst auf meine Nachfrage hin erfolgte umgehend die Löschung der Daten.
3.6. Pressearbeit der Polizei
Im Berichtszeitraum habe ich festgestellt, dass die Polizei im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit personenbezogene Daten an die Medien übermittelt hat (siehe hierzu auch 21. Tätigkeitsbericht, Nr. 7.16). Solche Datenübermittlungen liegen nicht erst dann vor, wenn die Polizei Daten herausgibt, sondern schon dann, wenn sie auf Anfrage der Presse bekannte Informationen bestätigt. Dadurch erhalten diese Informationen eine amtliche Autorisierung, die ihren Wahrheitsgehalt und damit ihre Qualität steigert. Die Frage, ob es sich um die Weitergabe personenbezogener Daten handelt, hängt dabei davon ab, ob das soziale Umfeld (Nachbarn, Kollegen, Bekannte, Geschäftspartner, etc.) den Betroffenen aufgrund der bekanntgegebenen Daten identifizieren kann. Maßgeblich hierfür sind wiederum Menge und Qualität dieser Daten.
Die Übermittlung personenbezogener Daten durch die Polizei an die Presse ist nur aufgrund einer Rechtsgrundlage möglich. Als solche kann nur Art. 41 PAG in Betracht kommen, der insoweit jedoch keine genaueren Vorgaben enthält. Hinweise können aber bundesgesetzliche Regelungen wie z.B. §§ 169 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) geben, auch wenn sie nicht unmittelbar auf Verlautbarungen der Polizei anwendbar sind. Kriterien zur Zulässigkeit von Presseauskünften sind des Weiteren dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.06.2009 (Az. 1 BvR 1107/09) zu entnehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Adressat dieser Entscheidung nicht eine öffentliche Stelle, sondern die Presse ist, die durch das Medienprivileg besonders begünstigt ist.
Aus all dem ergibt sich, dass in bestimmten Fällen eine personenbezogene Pressearbeit von vorneherein grundsätzlich unzulässig ist. In den Fällen, in denen etwa das GVG einen Ausschluss der Öffentlichkeit von der Verhandlung vorsieht, ist diese Vorgabe auch im Rahmen der polizeilichen Pressearbeit regelmäßig zu beachten. In diesem Sinne unterliegen z.B. Minderjährige und geistig Erkrankte, aber auch Zeugen und insbesondere Opfer einem gesteigerten Schutz (vgl. §§ 171 a, 172 Nr. 1 a GVG, § 48 JGG).
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10.06.2009 hinsichtlich der Zulässigkeit der Berichterstattung nach Fällen der schweren Gewaltkriminalität und Fällen sonstiger Kriminalität unterschieden.
Demnach ist in den Fällen der nicht schweren Gewaltkriminalität regelmäßig die Veröffentlichung von Namen, Abbildungen oder sonstiger identifizierender Merkmale des Tatverdächtigen unzulässig.
Meines Erachtens kann eine personenidentifizierende Pressearbeit der Polizei somit regelmäßig nur bei Verbrechen, und hierbei insbesondere bei Fällen der Gewaltkriminalität, in Betracht kommen.
In Fällen sonstiger Kriminalität ist eine personenidentifizierende Pressearbeit datenschutzrechtlich allenfalls dann vertretbar, wenn besondere Kriterien hinzukommen, die ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung begründen. Solche Kriterien können sich u.U. aus Besonderheiten bezüglich der Person des Täters oder des Tathergangs ergeben. Gleichwohl ist aber, gerade am Anfang eines Ermittlungsverfahrens, die Unschuldsvermutung zu berücksichtigten und eine nicht personenbezogene gegenüber einer rein sachverhaltsbezogenen Berichterstattung regelmäßig zu bevorzugen. Zu berücksichtigen ist überdies, dass eine Identifizierung des Täters oft auch einen Personenbezug der betroffenen Opfer zur Folge haben kann.
Bei meiner datenschutzrechtlichen Prüfung bin ich in einigen Fällen zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der polizeilichen Pressearbeit die oben angeführten Grundsätze nicht ausreichend berücksichtigt wurden:
So hatte z.B. ein Polizeipräsidium bei der Berichterstattung über einen Verkehrsunfall über den genauen Unfallzeitpunkt und -ort hinaus personenbezogene Daten des Unfallverursachers an die Presse weitergegeben (Alter, Beruf, Alkoholisierung, genaue Modellbezeichnung des gefahrenen Fortbewegungsmittels). Auf Anfragen der Presse hat das Polizeipräsidium die Alkoholbeeinflussung und den Namen des Ortsteils, aus dem der Betroffene stammt, bestätigt.
In einem weiteren Fall hatte sich die betroffene Person bei mir über die individualisierende Berichterstattung der Polizei beschwert und mitgeteilt, dass bereits zwei Journalisten vor ihrer Tür gestanden hätten. Bei meiner datenschutzrechtlichen Prüfung habe ich ein überwiegendes legitimes Interesse der Öffentlichkeit gerade an der vorgenommenen personenbezogenen Information (Alter, Geschlecht, Beruf, Familienstand, Staatsangehörigkeit, Wohnort mit Ortsteil, Geschlecht und Alter des Kindes) nicht erkennen können. Neugierde und Sensationslust begründen jedenfalls kein solches Informationsinteresse. Ich habe deshalb die Übermittlung der personenbezogenen Daten an die Presse in diesem Fall förmlich beanstandet.
Für den Betroffenen kann eine derartige personenbezogene Berichterstattung zu bleibenden Nachteilen führen, weil die Frage, ob er später verurteilt oder freigesprochen wird, in der öffentlichen Wahrnehmung nur noch von untergeordneter Bedeutung ist.
Aufgrund weiterer, datenschutzrechtlich problematischer Fälle, habe ich deshalb die Thematik gemeinsam mit dem Präsidenten eines Polizeipräsidiums in einem Gespräch ausführlich erörtert. Im Sinne der dargestellten Maßstäbe werde ich auf eine landesweit einheitliche Handhabung der polizeilichen Berichterstattung hinwirken.
3.7. Quellen-Telekommunikationsüberwachung
Die Benutzung eines Computers hat im täglichen Leben der meisten Menschen eine zentrale Bedeutung, nicht nur für die Aufbewahrung und Gestaltung privatester Informationen, wie Fotografien, Reiseberichte und Tagebuchaufzeichnungen, sondern zunehmend auch für das Führen von Telefongesprächen über das Internet ("Voice over IP" - VoIP). Eine etwaige Überwachung und Aufzeichnung der über das Internet geführten Telefongespräche durch Polizei und Strafverfolgungsbehörden geschieht im Wege der sog. Quellen-Telekommunikationsüberwachung ("Quellen-TKÜ"). Die überwachende Behörde bringt dazu auf dem Computer des Betroffenen (Zielrechner) eine Software an, die die Daten aus dem laufenden Kommunikationsvorgang (Internettelefonie, aber auch E-Mail-Verkehr) vor ihrer Verschlüsselung erfasst und in Kopie an die Behörde weiterleitet. Die Technik der Vorgehensweise zur Vorbereitung der Maßnahme bei der sog. Quellen-TKÜ entspricht der der sog. Online-Durchsuchung.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Urteil zur "Online-Durchsuchung" vom 27.02.2008 (siehe hierzu 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 4.1.2) darauf hingewiesen, dass mit der Infiltration des Zielrechners zum Zweck der "Quellen-TKÜ" die entscheidende Hürde genommen sei, um das System insgesamt auszuspähen. Die dadurch bedingte Gefährdung gehe weit über die hinaus, die mit einer bloßen Überwachung der laufenden Telekommunikation verbunden ist. Insbesondere könnten auch die auf dem Personalcomputer abgelegten Daten zur Kenntnis genommen werden, die keinen Bezug zu einer telekommunikativen Nutzung des Systems aufweisen. Im Hinblick auf diese Gefährdung genüge das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) nur dann als alleiniger grundrechtlicher Maßstab für die Beurteilung einer "Ermächtigung" zu einer "Quellen-Telekommunikationsüberwachung", wenn sich die Überwachung ausschließlich auf Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang beschränkt. Dazu stellt das Gericht fest: "Dies muss durch technische Vorkehrungen und rechtliche Vorgaben sichergestellt sein".
Ich bin der Auffassung, dass eine "Quellen-TKÜ" auf die polizeirechtliche Ermächtigung zur - herkömmlichen - Telekommunikationsüberwachung (vgl. Art. 34 a PAG) nicht gestützt werden kann, weil Art. 34 a PAG die vom Bundesverfassungsgericht geforderten rechtlichen Vorgaben nicht enthält. Eine spezielle Befugnis für die "Quellen-TKÜ" enthält das Polizeiaufgabengesetz nicht. Das Staatsministerium des Innern sieht dagegen Art. 34 a PAG als bereichsspezifische Rechtsgrundlage auch für diese neue Art der Telekommunikationsüberwachung an. Es könne durch entsprechende Vorgaben in der gerichtlichen Anordnung der Überwachung rechtlich sichergestellt werden, dass die Überwachung auf Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang beschränkt ist. Zugriffe auf Festplatten seien technisch ausgeschlossen. Die Notwendigkeit solcher Vorgaben ergebe sich, so das Staatsministerium des Innern, bereits unmittelbar und hinreichend bestimmt aus Art. 34 a PAG, der nur die Erhebung von Daten aus einer laufenden Telekommunikation erlaube und nicht etwa auch den Zugriff auf gespeicherte Daten.
Die Auffassung des Staatsministeriums teile ich nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Ausführungen zu technischen Vorkehrungen und rechtlichen Vorgaben ausdrücklich auf die Beurteilung einer "Ermächtigung" - und damit einer Befugnisnorm - bezogen. Eine Anordnung des Gerichts oder - bei Gefahr im Verzug - der Polizei kann eine gesetzliche Regelung nicht ersetzen, wenn es um Eingriffe in grundlegende Bereiche geht. Dies folgt aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Gemäß der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitslehre muss der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen (vgl. BVerfGE 61, 260, 275; E 88, 103, 116). Ich halte vor diesem Hintergrund eine präventive "Quellen-TKÜ" ohne entsprechende gesetzliche Grundlage, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, für unzulässig.
Der Bundesgesetzgeber sowie die Länder Thüringen und Hessen haben bei vergleichbarer Rechtslage das Erfordernis einer speziellen "Ermächtigung" anerkannt und im Bundeskriminalamtgesetz (§ 20 l Abs. 2 BKAG) bzw. in den entsprechenden Landespolizeigesetzen eine entsprechende Befugnisnorm geschaffen. Die Ermächtigung schreibt technische Schutzvorkehrungen zugunsten des betroffenen Bürgers vor, um den Eingriff in das infiltrierte System auf das unbedingt erforderliche Mindestmaß zu begrenzen und die Datensicherheit zu gewährleisten. Derartige Schutzvorkehrungen fehlen im bayerischen Polizeirecht.
§ 20 l Abs. 2 BKAG
Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf ohne Wissen des Betroffenen in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in vom Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn
- durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird, und
- der Eingriff in das informationstechnische System notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation insbesondere auch in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.
§ 20 k Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. § 20 k bleibt im Übrigen unberührt.
3.8. Videoüberwachung
3.8.1. Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze
In meinen vorangegangenen Tätigkeitsberichten habe ich regelmäßig über die Zunahme der polizeilichen Videoüberwachung auf öffentlichen Straßen und Plätzen in Bayern berichtet. Auch in diesem Berichtszeitraum hat die Polizei in verschiedenen Städten weitere Überwachungskameras installiert. Ich kam daher erneut meiner Ankündigung nach, jede geplante polizeiliche Videoüberwachung daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Vorschriften erfüllt sind (siehe hierzu 21. Tätigkeitsbericht, Nr. 7.13.1). Grund für diese Ankündigung war die Nichtbeachtung meiner Bedenken und Anregungen in der Vollzugsbekanntmachung zum Polizeiaufgabengesetz für die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze. Es ist deshalb notwendig gewesen, die datenschutzrechtlichen Erfordernisse für die praktische Umsetzung der Videoüberwachung im Einzelfall jeweils im Dialog mit den betreffenden Polizeipräsidien zu verdeutlichen. Die Polizeipräsidien sind in ihren Planungen größtenteils meinen Anregungen gefolgt - sowohl hinsichtlich der Darlegung der besonderen Kriminalitätsbelastung der überwachten Örtlichkeiten, der Zugriffsregelungen, der Protokollierungen, als auch der zusätzlichen Anbringung von Hinweisschildern. Mit der Verkürzung der gesetzlichen Höchstspeicherungsfrist in Art. 32 Abs. 4 Polizeiaufgabengesetz (siehe hierzu Nr. 3.2.2) auf drei Wochen, haben sich nunmehr auch meine immer wieder gegenüber der Polizei vorgetragenen Forderungen einer kürzeren Speicherungsdauer weitgehend erübrigt.
Aus datenschutzrechtlicher Sicht positiv zu bewerten war die Rücknahme der polizeilichen Videoüberwachung am Münchner Orleansplatz. Man kann daraus auch das Bestreben der Polizei ableiten, nur tatsächliche Kriminalitätsschwerpunkte zu überwachen. Da mit dem Rückgang der Kriminalitätszahlen die gesetzlich geforderten Voraussetzungen entfielen, war der Rückbau der Anlage - trotz der Proteste mancher Anwohner - geboten. Ich begrüße diese Entscheidung ausdrücklich.
Hingegen stellt die Verhinderung der Einsichtnahme in Privaträume umliegender Gebäude durch polizeiliche Videoüberwachungsanlagen weiterhin ein Problem dar, bei dem ich bislang mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern noch keinen Konsens erzielen konnte. Das Verwaltungsgericht Hamburg (Az. 4 K 2800/06) und das Oberverwaltungsgericht Hamburg (Az. 4 Bs 244/06) haben einer Wohnungsinhaberin einen Anspruch auf Schwarzschaltung der polizeilichen Überwachungskamera zuerkannt, sobald diese ihre Wohnung erfasst. Zur Begründung führten die Gerichte aus, dass für eine solche Art der Wohnungsüberwachung keine Rechtsgrundlage existiere, die den Anforderungen des Grundgesetzes genüge. Ich hatte vor diesem Hintergrund das Staatsministerium des Innern um Prüfung gebeten, mit welchen Maßnahmen (z.B. mechanische Schwenksperre oder Schwarzschaltung) in Bayern eine Einsichtnahme in die grundrechtlich geschützten Bereiche ausgeschlossen werden kann. Zunächst sah das Staatsministerium des Innern wegen der bestehenden dienstlichen Weisungen und des polizeilichen Überwachungskonzeptes keinen Bedarf für zusätzliche Schutzmechanismen. Auf mein Drängen hin wurde nun doch ein Polizeipräsidium beauftragt, die Möglichkeiten und Auswirkungen einer technischen Begrenzung im Rahmen eines Pilotversuchs zu testen. Das Ergebnis des Pilotversuchs und die Entscheidung des Staatsministeriums des Innern liegen mir dazu bislang noch nicht vor.
3.8.2. Videoaufzeichnungen von Fußballfans
Art. 32 Abs. 1 Polizeiaufgabengesetz erlaubt es der Polizei im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen personenbezogene Daten durch den Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen zu erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dabei Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung oder Straftaten begangen werden. Die Vollzugsbekanntmachung zum Polizeiaufgabengesetz (Ziffer 32.2) nennt dafür als Beispiel Fankurven der Sportstadien oder deren Zugänge. Der Polizei soll damit die rechtliche Möglichkeit eingeräumt werden, einen Geschehensablauf aufzuzeichnen, der sich nach den polizeilichen Erkenntnissen zu einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entwickeln könnte. Kommt es dann im Verlauf einer Veranstaltung zu Ausschreitungen, dienen die Aufzeichnungen als Beweismaterial zur Dokumentation der Situation und ermöglichen der Polizei, anhand der Aufnahmen Störer ausfindig zu machen. Hat die Polizei die Störer festgestellt, kann deren Identität (ggf. auch mit Hilfe vorhandener erkennungsdienstlicher Unterlagen) ermittelt werden.
Durch eine Petition erlangte ich Kenntnis von einem Sachverhalt, bei dem Polizeibeamte vor einem Fußballspiel einen Fanbus kontrollierten, da sie darin als gewaltbereit bekannte Fans vermutetet hatte. Die Prognose sei dabei auf Erkenntnisse aus vorausgegangenen Ausschreitungen dieser Fangruppe gestützt worden. Laut Schilderung des Petenten begnügten sich die Beamten aber nicht damit, die Anreise der Gruppe oder den Verlauf der Kontrolle auf Video festzuhalten, sondern erhoben von jeder einzelnen Person die Personalien, versahen die Personen mit einer Nummer und fotografierten sie einzeln ab. Ich habe mich daher an das zuständige Polizeipräsidium gewandt und um Stellungnahme zu den Gründen und zu der Rechtsgrundlage für diese Maßnahmen gebeten. Wie mir das Polizeipräsidium antwortete, sehe es auch die oben geschilderten Aufzeichnungen durch die Befugnis des Art. 32 Abs. 1 PAG gedeckt. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass potentielle Störer durch präventive Feststellungen ihrer Personalien und Fertigung von Lichtbildern vielfach deshalb keine Ordnungsstörungen oder Straftaten begingen, weil sie damit aus ihrer Anonymität herausgerissen worden seien und sich das Entdeckungsrisiko bei Straftaten erhöhe. Auch wenn die Wirkung solcher Maßnahmen auf Fußballfans aus polizeilicher Sicht nachvollziehbar erscheint, kann ich dieser Rechtsauffassung nicht zustimmen. Im vorliegenden Fall hatte die Polizei nicht Aufzeichnungen einer gefahrenträchtigen Situation angefertigt, sondern gezielt einzelne Personen aufgezeichnet und gleichzeitig, auf einer Liste zuordenbar, deren Personalien festgehalten. Bei dieser Sachlage werte ich die Aufzeichnungen nicht als Datenerhebung nach Art. 32 Abs. 1 PAG, sondern als erkennungsdienstliche Behandlung. Ich habe dem Polizeipräsidium diese Einschätzung mitgeteilt und gebeten, dies bei künftigen Kontrollen zu beachten.
3.9. Erkennungsdienstliche Behandlungen
Nachfolgender Sachverhalt, auf den ich durch eine Petition aufmerksam gemacht wurde, bot mir Anlass, die bestehenden Regelungen für erkennungsdienstliche Maßnahmen näher zu hinterfragen. Als in einem Pausenhof einer Schule ein Schüler von mehreren Mitschülern geschubst und geschlagen wurde, geriet zunächst auch der Petent in Tatverdacht. Die tatsächlichen Täter konnten jedoch ermittelt werden und das Gericht sprach den Jugendlichen frei. Die Sache schien für ihn damit erledigt. Was er zunächst nicht beachtete, im Zuge des Ermittlungsverfahrens wurde er erkennungsdienstlich behandelt und die Daten gespeichert. Sein Bild war neben dem der anderen Verdächtigen, dem Geschädigten zur Identifizierung vorgelegt worden. Die Abwicklung solcher erkennungsdienstlichen Behandlungen wird landesweit im sogenannten Täterbildverfahren (TBV) vorgenommen. Die Bilddaten werden dabei auf einem Zentralserver gespeichert.
Als es nun parallel zu dem oben geschilderten Fall in einer anderen Stadt, in einer anderen Schule ebenfalls zu einer Körperverletzung zwischen Schülern kam, sollten auch hier dem Opfer Bilder zur Identifizierung des Täters vorgelegt werden. Die Richtlinien für Strafverfahren sehen für solche Fälle eine Wahllichtbildvorlage vor (vgl. Nr. 18 RiStBV). Dabei werden zugleich, neben dem Bild des Verdächtigen, auch noch Bilder Nichtverdächtiger - die aber dem Verdächtigen ähneln - zur Auswahl herangezogen. Bei der Zusammenstellung unterstützt das o.g. TBV den Polizeibeamten. Im vorliegenden Fall wurde vom System aus den gespeicherten Datensätzen u.a. das Bild des 15-jährigen Schülers als Vergleichsbild angeboten und dann auch eingearbeitet. Wie sich herausstellte, sah er dem Täter in diesem Fall so sehr ähnlich, dass der Geschädigte ihn und nicht den tatsächlichen Täter zu erkennen glaubte. Für solche Fälle erlaubt das TBV dann, dem zunächst anonymen Vergleichsbild wieder die Personendaten zuzuordnen. So geschehen und unser Petent sah sich plötzlich mit einem zweiten Tatvorwurf
- in einer anderen Stadt, in einer anderen Schule - konfrontiert. Hierbei half es ihm nicht, dass er auch in diesem Fall seine Unschuld beteuerte. Obwohl keinerlei Verbindungen zwischen ihm und der Tat bzw. der handelnden Tätergruppe hergestellt werden konnte, musste sich der 15-jährige innerhalb kurzer Zeit ein zweites Mal vor einem anderen Gericht für eine Straftat, die er nicht begangen hatte, als Angeklagter rechtfertigen. Ich habe mich mit dieser Eingabe sofort an das zuständige Polizeipräsidium gewandt. Die Löschung des Schülers aus dem Kriminalaktennachweis, einschließlich der Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen wurde mir inzwischen bestätigt. Darüber hinaus habe ich diesen Fall zum Anlass genommen, dass Verfahren Erkennungsdienst Digital (ED-DI), welches die Bayerische Polizei derzeit zur Ablösung von TBV einführt, hinsichtlich der detaillierten Ausführungsregelungen genau auf den Prüfstand zu stellen.
Nicht die gespeicherten Bilddaten, sondern die gespeicherten Fingerabdrücke wurden in einem anderen Fall einem unschuldigen jungen Mann, der sich ebenfalls mittels einer Petition an mich wandte, zum Verhängnis.
Nachdem ein zuvor gestohlenes Fahrzeug wieder aufgefunden wurde, erfolgte darin routinemäßig die Spurensuche durch die Kriminalpolizei. Dabei wurden im Fahrzeug Fingerspuren auf einer Plastiktüte festgestellt und mittels des Automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungssystems (AFIS) mit dem polizeilichen Datenbestand abgeglichen. Darin befanden sich wegen eines zurückliegenden Tatverdachts auch die Fingerabdrücke des o.g. jungen Mannes und AFIS stellte folglich eine Übereinstimmung fest.
Neun Monate nach der Tat wurde der Petent daher von der Polizei zur Beschuldigtenvernehmung vorgeladen. Wie seine Fingerabdrücke auf eine Plastiktüte in einem gestohlenen Auto kamen, konnte er sich nicht vorstellen. Gleichwohl musste er aber das laufende Ermittlungsverfahren wegen schweren Diebstahls seinem Arbeitgeber erklären. Da sich der junge Mann noch in der Probezeit in einem Betrieb des Sicherheitsgewerbes befand, kündigte ihm sein Arbeitgeber rund zwei Wochen, nachdem er von der Polizei als Beschuldigter vernommen worden war. Durch die weitere Ermittlungsarbeit der Polizei ließ sich schließlich dann doch eine Verbindung zwischen der aufgefundenen Plastiktüte und dem Petenten herstellen. Er war früher als Sicherheitskraft in einem Drogeriemarkt tätig und der Autobesitzer erinnerte sich, am Abend des Diebstahls wegen eines Sicherheitsetiketts am Ausgang genau dieses Marktes kontrolliert worden zu sein. Die alten Dienstpläne konnten schließlich belegen, dass an dem Abend der junge Mann dort die Kontrollen durchführte und seine Fingerabdrücke auf der Plastiktüte wohl von dieser Kontrolle stammten. Obwohl sich der einzige Grund für den Tatverdacht damit aufgelöst hatte, wollte die Polizei an der Speicherung der Daten des jungen Mannes weiter festhalten. Zudem waren im Laufe der Ermittlungen auch noch dessen DNA-Daten gespeichert worden. Erst als ich das zuständige Polizeipräsidium aufgefordert habe, mir die Gründe für eine weitere Speicherung darzulegen, wurden die Speicherungen zu diesem Fall, die erkennungsdienstlichen Unterlagen und die DNA-Daten gelöscht.
Vorübergehender Verlust des Arbeitsplatzes oder als 15jähriger unschuldig angeklagt vor Gericht. Diese zwei sehr drastischen Fälle aus meinem Prüfungsalltag sollen zeigen, welche tief einschneidenden Auswirkungen Datenspeicherungen - hier erkennungsdienstlicher Unterlagen - haben können. In beiden Fällen hatten die Betroffenen nichts zu ihrem Tatverdacht beigetragen.
Vor diesem Hintergrund werde ich auch weiterhin die Gründe für die Speicherung erkennungsdienstlicher Daten genau überprüfen. Insbesondere werde ich im Rahmen meiner Prüfungen darauf achten, ob dabei die vom Bundesverwaltungsgericht bereits im Jahr 1982 (Urteil vom 19.10.1982, Az: 1 C 114/79) umrissenen Anhaltspunkte für rechtmäßige ED-Erfassungen beachtet wurden.
3.10. DNA-Maßnahmen
Der Erhebung und Speicherung von DNA-Daten habe ich bereits in meinem vorangegangenen Tätigkeitsbericht eine große Bedeutung zugemessen. Dabei bin ich insbesondere auf die Voraussetzungen für DNA-Maßnahmen eingegangen, die wegen der wiederholten Begehung nicht-erheblicher Straftaten angeordnet wurden (siehe hierzu 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 4.11.1). Auch im Berichtszeitraum wurde ich durch Bürgereingaben immer wieder mit polizeilichen Anordnungen konfrontiert, die hinsichtlich der Erheblichkeit der Anlasstat oder ihrer Prognoseentscheidungen nicht den gestellten Anforderungen entsprachen. Ein Beispiel dafür zeigt die Entnahme einer DNA-Probe nach einem vermeintlichen Fahrraddiebstahl.
Ein Mann hatte sich in der Nacht an einem Bahnhof im angetrunkenen Zustand ein unversperrtes Fahrrad genommen, um damit nach Hause zu fahren. Er wurde dabei beobachtet und angezeigt. Als er vereinbarungsgemäß drei Tage nach der Tat zur Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei erschien, entnahmen ihm die Beamten auch eine DNA-Probe. Auf Rückfrage erklärt das zuständige Polizeipräsidium mir gegenüber, die DNA-Maßnahme sei zur Identifizierung in künftigen Strafverfahren gerechtfertigt, erforderlich und auch verhältnismäßig. Der Betroffene habe neben dem versuchten Diebstahl des Fahrrades (das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft nach § 153 a StPO eingestellt) in der Vergangenheit noch weitere Straftaten begangen, die einer Straftat erheblicher Bedeutung gleichstünden. Dazu führte die Polizei ein mehr als sechs Jahre zurückliegendes Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen wegen des Verdachts einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung an. In diesem Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft bei der Verfahrenseinstellung jedoch gerade betont, dass durch die Tat der Rechtsfriede über den Lebenskreis der Verletzten hinaus nicht gestört worden sei und die Strafverfolgung kein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit sei. Des Weiteren führte die Polizei noch ein sieben Jahre zurückliegendes Verfahren wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung an. Damals habe der Betroffene zusammen mit anderen betrunken ein Verkehrsschild beschädigt.
Ich entgegnete dem Polizeipräsidium, dass ich bei der vorliegenden Sachlage weder in der Anlasstat eine Straftat von erheblicher Bedeutung, noch in der Summe der früheren Verfahren eine Gleichbedeutung mit einer erheblichen Straftat von erkennen könne. Zudem entspräche auch die Prognose, ob gegen den Betroffenen künftig Verfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind, nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.12.2000, 2 BvR 1741/99). Die Polizei teilte mir daraufhin die Löschung der DNA-Daten mit.
3.11. Akkreditierungsverfahren bei Großereignissen
Meine im 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 4.14.1, geäußerte Befürchtung, dass Zuverlässigkeitsüberprüfungen bei einzelnen Großveranstaltungen auf der Grundlage "informierter Einwilligungen" inzwischen offenbar als Regelverfahren durchgeführt werden, hat sich inzwischen bestätigt. Das Bayerische Landeskriminalamt und das Landesamt für Verfassungsschutz waren beteiligt an Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Zusammenhang mit der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 und der FIFA U 20-Frauen-Weltmeisterschaft 2010 in Deutschland. Darüber hinaus werden diese Behörden bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen anlässlich der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland sowie der Alpinen Ski-Weltmeisterschaft 2011 in Garmisch-Partenkirchen beteiligt sein.
Eine bereichsspezifische gesetzliche Grundlage für Zuverlässigkeitsüberprüfungen bei Großveranstaltungen auf der Grundlage "informierter Einwilligungen" bestand und besteht weiterhin nicht. Ich bedaure, dass das Staatsministerium des Innern meiner Rechtsauffassung, die ich anlässlich der Akkreditierungsverfahren im Rahmen der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 erneut mitgeteilt habe, nicht beigetreten ist. Ich bin weiterhin der Ansicht, dass Zuverlässigkeitsüberprüfungen bei Großveranstaltungen aufgrund ihrer Bedeutung und ihres Umfangs zu erheblichen Eingriffen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einer Vielzahl Betroffener führen. An der Freiwilligkeit einer Einwilligung in solche Eingriffe habe ich erhebliche Zweifel, weil Betroffene oft unzumutbare Nachteile befürchten müssen, wenn sie ihre Einwilligung verweigern. Auch im Hinblick auf den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes halte ich eine Einwilligung für problematisch. Gemäß der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitslehre darf der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Voraussetzungen, Umstände und Folgen von Eingriffen nicht an die Verwaltung delegieren, sondern muss sie selbst treffen.
Das Landeskriminalamt und das Landesamt für Verfassungsschutz haben die anlässlich der Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens zur Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 erhobenen personenbezogenen Daten nach dem offiziellen Ende der Weltmeisterschaft gelöscht. Bürgereingaben oder Beschwerden im Zusammenhang mit den Zuverlässigkeitsüberprüfungen sind im meiner Geschäftsstelle bisher nicht eingegangen. Dieser Umstand ändert jedoch nichts an meinen grundsätzlichen Bedenken gegenüber der beschriebenen Vorgehensweise.