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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 14.12.2000

16. Medien

16.1. Pressepapier des Kreisverwaltungsreferenten der LHSt. München zu „Mehmet“

Aufgrund einer Eingabe habe ich das 11-seitige Pressepapier des (ehemaligen) Kreisverwaltungsreferenten der Landeshauptstadt München vom 29.04.1998 zur Ausweisung "Mehmets" datenschutzrechtlich bewertet. Unter dem Pseudonym "Mehmet" wird in diesem Pressepapier mit Einzelangaben u.a. die familiäre Ausgangssituation "Mehmets" geschildert. Gewalt- und Straftaten "Mehmets" im öffentlichen Bereich, z.B. in Schulen und an U-Bahn-Haltestellen werden unterschiedlich detailliert dargestellt. Berichtet wird auch über "Mehmets" Fehlverhalten in der Schule und über sonstige Verfehlungen, verbunden mit im Einzelnen ausgeführten elterlichen Versäumnissen zur Begründung, warum zusammen mit dem Aufenthalt "Mehmets" auch der Aufenthalt seiner Eltern in Deutschland beendet werden sollte. Veröffentlicht werden in diesem Papier auch einzelne Informationen, die dem Kreisverwaltungsreferat (KVR) aus dem Bereich des Stadtjugendamts München zur Verfügung gestellt wurden. Das KVR reagierte mit diesem Pressepapier nicht auf eine Anfrage der Presse, sondern kommentierte damit seine Ausweisungsverfügung vom selben Tage. Im weiteren Verlauf veröffentlichte die Presse Auszüge aus dem KVR-Pressepapier und die Identität des jungen Türken und seiner Familie waren trotz des verwendeten Pseudonyms "Mehmet" nach kurzer Zeit öffentlich bekannt.

Auf dieses Pressepapier finden die Datenschutzvorschriften Anwendung, da der Presse und Öffentlichkeit nicht ausschließlich anonymisierte, sondern lediglich pseudonymisierte Daten übermittelt wurden. Die über die Presse weitergeleiteten Einzelangaben des KVR-Pressepapiers mit einer Vielzahl von Details über Straftaten, den schulischen und sozialen Werdegang und das gesellschaftliche Umfeld "Mehmets" konnten nämlich jeweils durch eine Vielzahl von Personen wie bspw. Freunde, Nachbarn, Lehrer, Mitschüler und Eltern usw. relativ unschwer der tatsächlichen Identität "Mehmets" zugeordnet werden. Wer "Mehmet" anhand eines solchen Einzelvorgangs identifizieren konnte, erfuhr eine ganze Reihe weiterer Informationen über den ihm nunmehr namentlich bekannten Jugendlichen. Einiges spricht auch dafür, dass die Angaben aufgrund ihrer Detailliertheit angesichts der Möglichkeiten der Presse bereits auch für diese personenbeziehbar waren.

Die Datenübermittlung musste für die Aufgabenerfüllung des KVR erforderlich und somit auch verhältnismäßig gewesen sein. Abzuwägen war also zwischen der Eingriffstiefe in Bezug auf den Betroffenen einerseits und dem Nutzen für die Behörde andererseits. Die Eingriffstiefe in Richtung des Betroffenen durfte gegenüber dem Nutzen für die Behörde nicht außer Verhältnis stehen. Weiter war zwischen einem berechtigten Interesse des Empfängerkreises, der "Mehmet" aufgrund der detaillierten Angaben im Pressepapier identifizieren konnte, sowie der Presse an der Datenübermittlung und dem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen am Ausschluss der Übermittlung abzuwägen. Auf der einen Seite war also auf das Behördeninteresse, vermuteten Angriffen wegen ihrer Linie in der Durchführung des Ausländergesetzes entgegenzutreten sowie auf die Frage eines berechtigten Interesses der Presse und Öffentlichkeit an der Berichterstattung abzustellen. Gegenüberzustellen und dabei abzuwägen war das von der Rechtsordnung geschützte Interesse des zum Zeitpunkt der Presseveröffentlichung noch nicht 14-jährigen, also eines Kindes im Rechtssinn, daran, dass detaillierte personenbezogene Angaben über sein Verhalten nicht von einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen werden. Zu bedenken war, dass über Ermittlungsergebnisse der Polizei grundsätzlich nur in anonymisierter Form berichtet werden darf. Das Gleiche gilt für die Pressearbeit der Justiz. Auch ein Straftäter muss es regelmäßig nicht hinnehmen, dass über ihn vor der Hauptverhandlung für einen großen Empfängerkreis personenbeziehbar über sein gesamtes strafrechtlich relevantes Vorleben berichtet wird. Die Abwägung zwischen Aufgaben der Behörde und dem Interesse des Betroffenen verbietet es in der Regel umso mehr, dass personenbeziehbar rein vorsorglich über beabsichtigte Verwaltungsmaßnahmen berichtet wird, insbesondere wenn der Betroffene zu einer solchen Berichterstattung nicht durch Angriffe auf die Behörde Anlass gegeben hat. Angaben aus polizeilichen Ermittlungsergebnissen, noch dazu rein vorsorglich, halte ich deshalb für höchst problematisch. Zu weit gehend und unzulässig ist jedenfalls die detaillierte Berichterstattung über einen zum Veröffentlichungszeitpunkt noch nicht 14-jährigen: Die Rechtsordnung stellt Jugendliche, insbesondere aber Kinder im Rechtssinn unter ihren besonderen Schutz. § 48 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz bestimmt die Nichtöffentlichkeit von Verhandlungen gegen Jugendliche einschließlich der Entscheidungsverkündung. Der BGH führt in seiner Rechtsprechung hierzu aus, die Tendenz des JGG gehe dahin, "im Verfahren vor den Jugendgerichten die Gedanken der Erziehung und des Schutzes der Jugend dem Prinzip der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung überzuordnen [...]. Dem jungen Angeklagten soll die bei öffentlicher Verhandlung und Verurteilung drohende Bloßstellung mit den daraus erwachsenden Nachteilen für seine persönliche, soziale und berufliche Entwicklung erspart bleiben [...]" (NJW 1998, S. 2066).

Mit der detaillierten Angabe der polizeilichen Ermittlungsergebnisse über "Mehmet" erfolgte eine derartige Bloßstellung. Diese ins Einzelne gehende Darstellung hätte wegen ihrer Vergleichbarkeit mit der Erörterung der Einzelheiten der Tatbegehungen in einer mündlichen Verhandlung gegen einen Jugendlichen nicht veröffentlicht werden dürfen.

Damit wurde durch diese detaillierte Darstellung das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzt. Auch ein "berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit" an einer personenbeziehbaren Darstellung aller Einzelheiten des Vorlebens "Mehmets" in strafrechtlicher, familiärer und sozialer Hinsicht vor Erlass einer Verwaltungsmaßnahme war bei Abwägung mit den o.a. Interessen des unter 14-jährigen nicht gegeben. Dies gilt trotz der Erwägung, dass "Mehmet" im Hinblick auf seine Verhaltensweisen und die darüber bereits erfolgte Berichterstattung in den Medien inzwischen zu einer "relativen Person der Zeitgeschichte" geworden war, für die grundsätzlich ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit anzuerkennen ist. Da es aber selbst bei einem Erwachsenen fraglich wäre, ob ein solches erhöhtes Interesse eine rein vorsorgliche Informationsübermittlung an die Presse in diesem Umfang rechtfertigen würde, kann dieses Interesse der Öffentlichkeit bei einem Kind nicht dem durch die Rechtsordnung anerkannten erhöhten Schutz vor Bloßstellung vorgehen, da dieser Schutz sonst obsolet würde. Das Pressepapier des KVR verstieß deshalb gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit und der sachgerechten Abwägung.

Des Weiteren enthielt das KVR-Pressepapier auch personenbeziehbare Informationen aus dem Bereich des Stadtjugendamts der LHSt. München, u.a. zur Darstellung (fehlgeschlagener) Versuche verschiedener Personen und Stellen, "Mehmet" positiv zu beeinflussen. Solche Angaben unterliegen deshalb gem. § 78 Abs. 1 SGB X weiterhin dem Schutz des Sozialgeheimnisses, weshalb das KVR diese Informationen nur zu dem Zweck weitergeben durfte, zu dem sie ihm befugt übermittelt worden waren. Das KVR hatte im Pressepapier verwendete Sozialdaten aus dem Bereich des Jugendamts zur Bearbeitung und Entscheidung des ausländerrechtlichen Verwaltungsvorgangs betreffend "Mehmet" bzw. zur Erfüllung der Aufgaben der Ausländerbehörde erhalten. Nun darf man zwar grundsätzlich auch die Öffentlichkeitsarbeit des KVR als Aufgabe der Ausländerbehörde ansehen. Eine Nicht-SGB-Stelle wie das KVR ist dabei aber gem. § 78 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB X zur Veröffentlichung von Sozialdaten nur insoweit befugt, als auch die Sozialbehörde, aus deren Bereich die Sozialdaten stammen, selbst Öffentlichkeitsarbeit damit betreiben dürfte. Das Stadtjugendamt wäre hierzu nicht berechtigt gewesen. Nach § 69 Abs. 1 Nr. 3 SGB X ist die Übermittlung von Sozialdaten nämlich nur zulässig, soweit sie erforderlich ist für die Richtigstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen des Betroffenen im Zusammenhang mit einem Verfahren über die Erbringung von Sozialleistungen; die Übermittlung bedarf der vorherigen Genehmigung der zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörde. Der Gesetzgeber hat in § 69 Abs. 1 Nr. 3 SGB X die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit mit Sozialdaten über die Erbringung von Sozialleistungen konkret und abschließend geregelt. Er hat dabei eine einschränkende Sonderregelung zu der allgemein gefassten Übermittlungsbefugnis nach § 69 Abs. 1. Nr. 1 SGB X ("zur Aufgabenerfüllung der SGB-Stelle") getroffen und hat die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit mit Sozialdaten an die vorherige Genehmigung durch die zuständige oberste Bundes- oder Landesbehörde gekoppelt, obwohl diese Befugnis ohnehin nur eingreift, wenn der Betroffene die öffentliche Richtigstellung seiner unwahren Tatsachenbehauptungen verursacht hat. Keine der Voraussetzungen nach § 69 Abs. 1 Nr. 3 SGB X lag im Fall "Mehmets" vor. Da auch eine sonstige Übermittlungsbefugnis nach dem SGB nicht in Betracht kam und sich auch und gerade eine Nicht-SGB-Stelle wie das KVR wegen § 78 Abs. 1 SGB X an die Beschränkungen durch das Sozialgeheimnis zu halten hat, konnte es auch unter ausländerrechtlichen Gesichtspunkten keinesfalls befugt sein, von sich aus im Vorfeld einer Medienberichterstattung über die Ausweisung "Mehmets" und seiner Eltern Öffentlichkeitsarbeit unter Verwendung von Sozialdaten zu betreiben.

Ich habe von einer Beanstandung der LHSt. München im Rahmen des mir eingeräumten Ermessens gem. Art. 31 Abs. 3 BayDSG abgesehen. Die Stadtspitze hatte das Vorgehen des KVR nicht gebilligt, so dass keine Wiederholungsgefahr hinsichtlich eines derart detaillierten und vorsorglichen behördlichen Pressepapiers über ein Kind zu befürchten ist.