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Budget der vergebenen Chancen

05. April 2018

Mit dem ersten Budget der neuen Bundesregierung werden nicht nur die Ausgaben für 2018 und 2019 veranschlagt, sondern gleichzeitig bereits die Weichen bis zum voraussichtlichen Ende der Legislaturperiode 2022 gestellt. Unsere Budgetanalyse zeigt, dass die gute wirtschaftliche Ausgangslage und die 2015 abgeschlossene Budgetsanierung Gestaltungsspielräume ermöglichen, wie sie in den letzten Jahrzehnten keine andere Regierung zum Start vorgefunden hat.
Statt diese jedoch für Zukunftsinvestitionen und Verbesserungen der sozialen Dienstleistungen (z. B. Frühförderung, Bildung, Inklusion und Pflege) zu nutzen, verwendet sie diese vor allem für mehr Polizei und einseitige Steuersenkungen, von denen in erster Linie besser Situierte profitieren.

Budgetpolitik – mehr als Ausgaben- und Einnahmenplanung

Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik zielt nicht auf die Erreichung einzelner Ziele wie einen bestimmten Wert für das Budgetdefizit oder die Staatsschuldenquote ab, sondern verfolgt eine möglichst ausgewogene Erreichung aller Ziele in den wichtigsten Handlungsfeldern: Eine nachhaltige wohlstandorientierte gesamtwirtschaftliche Entwicklung besteht dann, wenn Vollbeschäftigung und gute Arbeit, fair verteilter materieller Wohlstand, hohe Lebensqualität sowie eine intakte Umwelt bei gleichzeitig stabilen Preisen, einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht, stabilen Staatsfinanzen sowie stabilen Finanzmärkten gewährleistet werden.

In der Vergangenheit wurde hier einiges erreicht: Seit 2015 gibt es bei der Staatsschuldenquote eine klare Tendenz nach unten, die real verfügbaren Einkommen steigen wieder (nicht zuletzt aufgrund der von ÖGB und AK vorangetriebenen Steuerreform) und die Zahl der Arbeitslosen (inkl. SchulungsteilnehmerInnen) wird bis 2019 gegenüber ihrem Höchststand 2016 um gut 50.000 zurückgehen. Mit rund 370.000 Personen wird sie aber auch dann noch um etwa 100.000 Arbeitslose höher sein als vor Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise. Deshalb sind weitere Anstrengungen zum Abbau der Arbeitslosigkeit dringend geboten, auch weil bereits ab 2020 wieder mit einem leicht steigenden Trend zu rechnen ist.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Nulldefizit als Folge besserer Konjunktur in der Vergangenheit

Entgegen der Darstellung des Finanzministers kommt es nicht zu einer „völlig neue[n] budgetpolitische[n] Zeitrechnung“, sondern im Wesentlichen zu einer Fortsetzung des bisherigen Budgetpfades. So sah die letzte Budgetplanung der alten Regierung vom April 2016 bereits ein strukturelles – also um die konjunkturelle Entwicklung und Einmaleffekte bereinigtes – Budgetdefizit von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für das Jahr 2019 vor.

Budget, Maastricht-Saldo, Budgetdefizit © A&W Blog
© A&W Blog

Dass nunmehr 2019 ein Nulldefizit erreicht werden kann, liegt vor allem an der um 19,3 Mrd. Euro höher angenommen Wirtschaftsleistung bzw. den um 113.600 Personen geringeren Arbeitslosenstand, die zu einem gestiegenen Steuer- und Abgabenaufkommen und niedrigeren Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung führen. Die leicht restriktivere neue Budgetplanung spielt mit einem negativen fiskalischen Impuls von rund 0,2 Prozent des BIP (gemäß Stabilitätsprogramm) im Jahr 2019 nur eine untergeordnete Rolle.

Regierungspläne bringen Kürzungen

Die größte Schwachstelle im neuen Budget ist die Arbeitsmarktpolitik. Vermittlung, Qualifizierung und Integration müssten ausgeweitet werden, um Arbeitslose und prekär Beschäftigte in gute Jobs zu bringen und den positiven Trend seit 2016 auch in der mittleren Frist fortsetzen zu können. Obwohl sich die Situation für ältere arbeitslose Menschen trotz guter Konjunktur kaum verbessert hat, wird die Aktion 20.000 gestrichen. Langfristige negative Auswirkungen werden auch von der Halbierung der Mittel für das Integrationsjahr und der Kürzung von 80 Millionen Euro für Deutschkurse und berufliche Qualifikationen für anerkannte Flüchtlinge ausgehen. Das von der AK vorgeschlagene Qualifizierungsgeld, mit dem sich gerade gering qualifizierte ArbeitnehmerInnen gut auf eine erfolgreiche Bewältigung des digitalen Wandels vorbereiten könnten, wird angesichts der Kürzung des AMS-Budgets um 139 Millionen Euro im Jahr 2018 nicht umgesetzt werden können.

Im Bildungsbereich wird der durch die vorige Regierung initiierte Ausbau der Ganztagesbetreuung in Schulen verzögert. Statt mehr Geld für mehr Chancengerechtigkeit im Bildungswesen in die Hand zu nehmen, werden die Mittel für Integration ab dem Schuljahr 2018/19 ebenso gekürzt wie jene für Maßnahmen in der Erwachsenenbildung und für die Lehre mit Matura.

Als Ausgleich für die Abschaffung des Pflegeregresses wurden 100 Millionen Euro für die Bundesländer budgetiert. Berechnungen des Städtebundes gehen jedoch – aufgrund steigender Nachfrage nach Heimplätzen – von einem tatsächlichen Mehrbedarf von 530 bis 650 Millionen Euro aus. Die Differenz wird entweder zu Kürzungen bei den Pflegeleistungen und/oder einem höheren Defizit führen. Mit der Einführung einer zweckgewidmeten Erbschaftssteuer für die Finanzierung der Pflege könnte beides verhindert werden und auch der mittelfristige weitere Ausbau von Pflegeleistungen finanziert werden.

Im Verkehrsbereich wird der Ausbau der Bahn im Zeitraum 2018 bis 2022 um rund zwei Milliarden Euro gekürzt. Viele kleinere, aber für PendlerInnen wichtige Projekte sind davon betroffen. Zudem kann so das nach wie vor wachsende Verkehrsaufkommen in städtischen Ballungsräumen schlechter bewältigt werden, obwohl bereits jetzt zu Stoßzeiten die öffentlichen Verkehrsmittel „voll“ und zahlreiche Straßen überlastet sind. Mit den knappen Auszahlungsobergrenzen bis 2022 droht zudem ein ausgedünntes Angebot an leistbaren Verbindungen für PendlerInnen. Hier ist es wichtig, dass für die nächste 10-Jahres-Periode bis Herbst mehr gemeinwirtschaftliche Leistungen im Rahmen der Verkehrsdiensteverträge bestellt bzw. vorangekündigt werden.

Einseitige Steuersenkungen, kaum Fortschritt in der Betrugsbekämpfung

Der Familienbonus stellt mit deutlich über einer Milliarde Euro Mindereinnahmen pro Jahr die bedeutendste neue Budgetmaßnahme dar. Laut Schätzung werden rund zehn Prozent der Haushalte nicht vom Familienbonus profitieren – dies betrifft rund 150.000 Kinder – und weitere 26 Prozent der Haushalte können die Maßnahme nicht zur Gänze ausschöpfen – dies betrifft rund 550.000 Kinder. Eine äquivalente Steigerung der Ausgaben für die Kinderbetreuung hätte etwa die Finanzierung von 37.000 neuen Plätzen für die Frühförderung, flächendeckend ganztägig und ganzjährig geöffneten Kindergärten sowie das zweite kostenlose Kindergartenjahr für alle möglich gemacht.

Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes im Tourismus von 13 auf zehn Prozent führt zu budgetären Mindereinnahmen von rund 120 Millionen Euro. Angesichts immer neuer Nächtigungsrekorde und steigender Preise sind beträchtliche Gewinnsteigerungen der Hoteliers zu erwarten, die jedoch nicht mit zusätzlichen Investitionen oder der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten verknüpft sind.

Entgegen den Ankündigungen im Regierungsprogramm sind für die Bekämpfung von Steuerbetrug und -umgehung keine großen Maßnahmen geplant. Dies wird durch die geplante Reduktion der Zahl der FinanzprüferInnen sowie das Ablehnen der Veröffentlichung der Berichte im Rahmen des Country-by-Country-Reportings seitens des Finanzministers noch verschärft. Damit bleiben die Verteilung der Erträge, die Geschäftstätigkeit und die Steuern international tätiger Konzerne weiter unter Verschluss. Die Bundesregierung bekennt sich allerdings zur Notwendigkeit einer raschen Umsetzung der digitalen Betriebsstätte – insofern sollte sie gleichzeitig ihr Engagement auf EU-Ebene intensivieren.

Das Abgabensystem ist weiterhin von einer Schieflage zwischen den Abgaben auf Arbeit und jenen auf Kapital bzw. Vermögen geprägt. Die angekündigten Steuersenkungen, insbesondere die in den Budgetunterlagen angestrebte milliardenschwere Senkung der Körperschaftssteuer im Jahr 2020, werden jedenfalls keinen Beitrag zur Behebung dieses Ungleichgewichts leisten. Unklar ist außerdem, wie tief das dadurch entstehende Abgabenloch sein wird und inwiefern der geplante Budgetpfad gefährdet wird.

Wohlstandsorientierte Alternativen im Budget

Letztendlich bedeutet Budgetpolitik Prioritäten zu setzen. Von den neuen Maßnahmen im Budgetentwurf profitieren nun insbesondere Tourismusbetriebe, aber auch jene Unternehmen, die sich nicht an Gesetze halten. Insgesamt werden den Unternehmen weniger Kontrollen in Aussicht gestellt, wobei gleichzeitig auch die Zahl der FinanzprüferInnen reduziert werden soll. Der Familienbonus kann von einem Drittel der Familien nicht bzw. nicht im vollen Ausmaß in Anspruch genommen werden. Auf der anderen Seite wird bei Job-, Mobilitäts- und Bildungschancen gekürzt, auch wenn dies zum Teil mittelfristige budgetäre Kosten verursachen wird. Der darüber hinaus angekündigte mittelfristige Staatsabbau ist kritisch zu betrachten, da sieben von zehn öffentlichen Euro in die Bereiche Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung fließen. Größere Kürzungen führen deshalb stets zu spürbaren Leistungseinschränkungen.

Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik zielt nicht auf die Erreichung einzelner Ziele wie einen bestimmten Wert für das Budgetdefizit oder die Staatsschuldenquote ab, sondern verfolgt eine möglichst aus­gewogene Erreichung ökonomischer, sozialer und ökologischer Ziele. Das ist auch der Grund, warum die angekündigte Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung mehr Probleme bringen als lösen würde. Stattdessen bräuchte es mehr Investitionen für leistbares Wohnen, eine nachhaltige (Verkehrs-)Infrastruktur und Verbesserungen bei den sozialen Dienstleistungen: Frühförderung, Bildung, Inklusion und Pflege. Die Budgetpläne der Bundesregierung vergeben hier Chancen, die die stärkere wirtschaftliche Erholung geboten hätte.

Dieser Beitrag basiert auf unserer deutlich ausführlicheren Budgetanalyse 2018-2022.