MEDIZIN: Originalarbeit
Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
Eine clusterrandomisierte Studie zur Verbesserung der leitliniengerechten Behandlung auf Basis des Patientenregisters CEDATA-GPGE
The care of children and adolescents with chronic inflammatory bowel disease: A cluster-randomized trial on improving the guideline conformity of treatment by the use of the CEDATA-GPGE patient registry
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Hintergrund: Defizite in der leitliniengerechten Versorgung können den Verlauf der Erkrankung und die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) negativ beeinflussen. Die gezielte Nutzung digitaler Patientenregister könnte die reale Adhärenz im Hinblick auf Empfehlungen evidenzbasierter Leitlinien verbessern.
Methode: In einer clusterrandomisierten kontrollierten Studie (DRKS00015505) dokumentierten Behandelnde der Interventionsgruppe (IG) die Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit CED im Patientenregister CEDATA-GPGE und erhielten automatisierte Rückmeldungen zu den eingegebenen Daten und möglichen Abweichungen der Behandlung von den Empfehlungen der Leitlinien (Versorgungsdefizite). Behandelnde der Kontrollgruppe (KG) dokumentierten wie bisher nur in den Patientenakten. Nach dem Beobachtungszeitraum von zwölf Monaten wurden die Daten beider Gruppen zu Baseline und zum Follow-up im Gruppenvergleich analysiert. Primärer Endpunkt war die Anzahl der Versorgungsdefizite nach zwölf Monaten.
Ergebnisse: In 47 kindergastroenterologischen Zentren in Deutschland wurden insgesamt 319 Patientinnen und Patienten rekrutiert (IG: 21 Zentren und 160 Teilnehmende; KG: 26 Zentren und 159 Teilnehmende). In der IG wurden bei 146 Teilnehmenden im 12-Monats-Follow-up durchschnittlich 0,17 (95-%-Konfidenzintervall: [0,10; 0,24]) Defizite pro Patientin/Patient ermittelt. In der KG wurden bei 134 Patientinnen und Patienten im Durchschnitt 0,55 [0,43; 0,66] identifizierte Versorgungsdefizite pro Patientin/Patient (p < 0,0001) gefunden.
Schlussfolgerung: Registerbasierte Rückmeldungen können helfen, die leitliniengerechte Dokumentation zu erhöhen und Versorgungsdefizite bei pädiatrischen Patientinnen und Patienten mit CED zu vermeiden oder zu verringern.
Zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) zählen Morbus Crohn (MC), Colitis ulcerosa (CU) und indeterminierte Colitis (UCED) (1). Weltweit wird seit mehreren Jahrzehnten eine Zunahme der Inzidenz und Prävalenz der CED beobachtet (2, 3). Von diesem Anstieg ist die Gruppe der Kinder und Jugendlichen überproportional stark betroffen (4).
Eine diagnostizierte CED im Kindes- oder Jugendalter ist im Vergleich zur CED bei erwachsenen Patientinnen und Patienten häufig ausgedehnter, verläuft aggressiver und erfordert daher ein intensives Monitoring mit zeitnaher Anpassung der Therapie (5, 6, 7). Zusätzlich ist bei jungen Patientinnen und Patienten der Einfluss der Erkrankung und der Medikamente auf das Wachstum, die Pubertät und die psychosoziale Entwicklung zu beachten (4, 8). Im Versorgungsalltag von Kindern und Jugendlichen mit CED bilden die Leitlinien der folgenden Institutionen den Standard evidenzbasierter Diagnostik und Therapie ab (1, 9, 10, 11):
- Europäische Gesellschaft für Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPGHAN)
- Europäische Crohn und Colitis Organisation (ECCO)
- Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE)
- Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).
Studien aus der Versorgungsforschung zeigen, dass nicht immer eine leitliniengerechte Therapie durchgeführt wird (12, 13). Die regelmäßige Dokumentation von Diagnostik und Therapie in Patientenregistern kann die Einhaltung von Leitlinien verbessern. Seit 2004 können deutsche und österreichische Kinder-Gastroenterologinnen und -Gastroenterologen die Diagnose- und Behandlungsdaten ihrer pädiatrischen Patientinnen und Patienten mit CED in dem Patientenregister CEDATA-GPGE, dem weltweit zweitgrößten Register für Kinder und Jugendliche mit CED, dokumentieren. In einer Analyse von Registerdaten für den Zeitraum von 2013–2018 konnte nachgewiesen werden, dass die weltweit geltenden Diagnosekriterien für die Therapie von pädiatrischen Patientinnen und Patienten mit CED (Porto Kriterien) im Register vollständig abgebildet sind (14). Eine frühere Studie mit Daten aus dem Register zeigt, dass die Häufigkeit relevanter instrumenteller Diagnostik über einen Zeitraum von sechs Jahren (2004–2010) zugenommen hat (15).
Automatisierte Plausibilitätskontrollen beziehungsweise Vollständigkeitsprüfungen unterstützen inzwischen die manuelle Dateneingabe und minimieren Lücken in der Eingabe. Sie stellen nicht nur eine Handlungsempfehlung im aktuellen Registergutachten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) dar (16), sondern sind bereits seit 2018 im Register CEDATA-GPGE berücksichtigt. Die verbesserte Leitlinienadhärenz ist perspektivisch Teil eines kontinuierlichen Qualitätsverbesserungsprozesses (Learning Health System).
Zielsetzung
Im Rahmen der CLARA-Studie (CLARA, clusterrandomisierte Studie zur Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen) wurden registerbasierte Algorithmen und patientenindividuelle Rückmeldungen, die auf Abweichungen von den Leitlinien hinweisen, zur klinischen Entscheidungsunterstützung entwickelt und im Register implementiert (17). Ziel dieser Arbeit war es, durch registerbasierte Rückmeldungen an Behandelende, die Anzahl patientenindividueller Versorgungsdefizite bei Kindern und Jugendlichen mit CED zu verringern.
Methode
Eine ausführliche Methodendarstellung ist im eMethodenteil sowie den eTabellen 1 und 2 enthalten.
Studiendesign
Die CLARA-Studie (DRKS00015505) ist eine zweiarmige, kontrollierte, clusterrandomisierte Studie. Randomisiert wurde auf der Ebene der teilnehmenden Einrichtungen (Praxen und Kliniken). Es wurden kindergastroenterologische Zentren rekrutiert, die zum Projektstart nicht bereits Daten im Onlinetool des Registers CEDATA-GPGE gemeldet hatten.
Teilnehmende
Eingeschlossen in die Studie wurden pädiatrische Patientinnen und Patienten mit gesicherter CED-Diagnose, bei denen das Datum der Diagnose nicht länger als drei Monate vor dem Erstvorstellungsdatum zurücklag und die zum Zeitpunkt der Diagnose < 18 Jahre alt waren.
Intervention
Die Zentren der Interventionsgruppe (IG) dokumentierten Diagnostik und Therapie ihrer pädiatrischen Patientinnen und Patienten im Patientenregister CEDATA-GPGE über die Online-Plattform. Die lokale Dokumentation in den Zentren blieb von der Registerteilnahme unbeeinträchtigt. Die Behandelnden erhielten ein strukturiertes und automatisiertes Feedback zu den eingegebenen Daten ihrer Patientinnen und Patienten in Bezug auf Abweichungen der Diagnostik und Therapie von den Empfehlungen der Leitlinien (mögliche Versorgungsdefizite). Die Einträge im Dokumentationsbogen konnten durch den jeweiligen Behandelnden der IG vor Abschluss der Dokumentation korrigiert und/oder kommentiert werden.
Behandelnde der Kontrollgruppe (KG) dokumentierten im Beobachtungszeitraum keine Daten im Register und erhielten keine Rückmeldungen zu ihren Patientinnen und Patienten. Die Behandlung der pädiatrischen Patientinnen und Patienten und die Dokumentation von Daten erfolgte wie üblich („usual care“).
Nach dem Beobachtungszeitraum wurden die Diagnostik- und Behandlungsdaten in den Zentren der KG retrospektiv aus den Patientenakten erhoben und vom Studienteam in das Register überführt, um die datenbezogenen Rückmeldungen analog zur IG zu erzeugen.
Endpunkte
Der primäre Endpunkt der Studie war die Anzahl der identifizierten Versorgungsdefizite nach 12 Monaten. Die Daten zu entzündlicher Aktivität und steroidfreier Remission sowie die Anzahl der Komplikationen und Nebenwirkungen nach 12 Monaten zählten zu den sekundären Endpunkten.
Datenanalyse
Pädiatrische Patientinnen und Patienten mit vorliegenden Daten zum 12-Monats-Follow-up wurden in die Analyse eingeschlossen. Registerrückmeldungen der jeweiligen Erhebungszeitpunkte (Baseline, 12-Monats-Follow-up) wurden in der Analyse getrennt voneinander betrachtet, da hier jeweils unterschiedliche Parameter erhoben wurden. Die Auswertung erfolgte mithilfe von t-Tests und Chi-Square-Tests (α = 0,05). Als Sensitivitätsanalysen wurden eine Mehrebenenanalyse sowie ein t-Test mit einem für die Dropouts imputierten Datensatz durchgeführt. Die Ergebnisse wurden anhand der Statistikprogramme SPPS, STATA und SAS (JMP) ausgewertet und visualisiert. Die Datenanalyse folgte den Leitlinien der „Guten Epidemiologischen Praxis“ (18).
Ergebnisse
Teilnehmende
Es wurden 47 Zentren aus Deutschland in die Studie eingeschlossen und insgesamt 323 Patientinnen und Patienten rekrutiert. Davon gehörten 21 Zentren und 160 Patientinnen und Patienten zur IG und 26 Zentren und 164 Patientinnen und Patienten zur KG. 160 Erstmeldebögen der IG sowie 159 Erstmeldebögen der KG konnten in die Auswertung einbezogen werden (Grafik 1). Die Dokumentationsbögen von 146 Patientinnen und Patienten der IG und 134 Patientinnen und Patienten der KG (gesamt n = 280) konnten in die Analyse zum 12 Monats-Follow-up eingeschlossen werden.
Basisdaten
Tabelle 1 zeigt, dass die meisten Patientinnen und Patienten sowohl in der IG als auch in der KG an MC erkrankt waren, gefolgt von CU und der UCED. Das Verhältnis von Jungen und Mädchen mit CED war ausgewogen. Das mediane Alter lag in beiden Studiengruppen bei 14 Jahren bei Erstvorstellung.
Als Basis für weitere Analysen wurden die beiden Studiengruppen zunächst auf Strukturgleichheit geprüft. Beim Vergleich der Parameter Alters- und Geschlechterverteilung, Zentrumsgröße (gemessen an der Anzahl behandelter CED-Fälle im Jahr 2019 pro Zentrum) sowie GPGE-Zertifizierung konnten keine Unterschiede zwischen IG und KG festgestellt werden.
Endpunkte
Tabelle 2 zeigt den primären Endpunkt (Anzahl der Versorgungsdefizite nach 12 Monaten) und die sekundären Endpunkte (Daten zu entzündlicher Aktivität, steroidfreier Remission, Komplikationen und Nebenwirkungen nach 12 Monaten).
Primärer Endpunkt
In der IG wurden bei 78 Erstmeldebögen insgesamt 99 Rückmeldungen ausgelöst. Hiervon wurden 16 Versorgungsdefizite ermittelt (0,1 Versorgungsdefizite/Patientin beziehungsweise Patient (95-%-KI: [0,05; 0,15]). In 82 von 160 Erstmeldebögen (51,3 %) wurden keine Registerrückmeldungen ausgelöst. Im 12-Monats-Follow-up gab es 125 Rückmeldungen verteilt auf ebenfalls 78 Dokumentationsbögen. Davon stellten sich 25 Rückmeldungen als Versorgungsdefizite heraus (0,17 Versorgungsdefizite/Patientin beziehungsweise Patient [0,10; 0,24]). In 68 der 146 Dokumentationsbögen (46,6 %) wurde keine Rückmeldung aus dem Register ausgelöst.
In der KG lagen bei 84 Erstmeldebögen insgesamt 111 Rückmeldungen aus dem Register vor. Hiervon waren 20 Versorgungsdefizite (0,13 Versorgungsdefizite/Patientin beziehungsweise Patient [0,07; 0,19]). In 75 von 159 Erstmeldebögen (47,2 %) wurden keine Registerrückmeldungen ausgelöst. Im 12-Monats-Follow-up gab es 148 Rückmeldungen in 93 Dokumentationsbögen. Davon waren 73 Rückmeldungen Versorgungsdefizite (0,54 Versorgungsdefizite/Patientin beziehungsweise Patient [0,43; 0,66]). In 41 der 134 Dokumentationsbögen (30,6 %) wurde keine Rückmeldung ausgelöst.
Im Gruppenvergleich hinsichtlich des primären Endpunkts war die Anzahl der identifizierten Versorgungsdefizite in der IG (n = 25; 0,17 Defizite/Patientin beziehungsweise Patient) gegenüber der KG (n = 78; 0,54 Defizite/Patientin beziehungsweise Patient) geringer (t[219,03] = 2,58, p < 0,0001).
Für die Analyse der Drop-outs (n = 39) wurden multiple Imputationen (Poisson) vorgenommen. Im nachfolgenden t-Test zeigten sich keine Abweichungen zur Hauptanalyse (t[317] = 6,18, p < 0,0001). Weiterhin wurden Mehrebenenanalysen als Sensitivitätsanalysen mit Zentren als zufälliger Effekt speziell für die Krankenhäuser (n = 302) durchgeführt. Es wurde adjustiert für Alter bei Diagnose, Geschlecht, GPGE-Zertifizierung, jährlich behandelter Anzahl CED-Fälle sowie Zentren, die mehr oder weniger als 10 Patienten rekrutiert haben. Die Ergebnisse der Sensitivitätsanalysen wichen nicht von den Hauptergebnissen ab, nur die Gruppenzugehörigkeit hatte einen signifikanten Einfluss auf den Endpunkt (p < 0,001).
Grafik 2 veranschaulicht die Verteilung der Versorgungsdefizite auf die Gesamtzahl der Patientinnen und Patienten im 12-Monats-Follow-up je Studiengruppe. Bei 124 der 146 Patientinnen und Patienten der IG (85 %) lag kein Versorgungsdefizit vor, bei 19 Patientinnen und Patienten (13 %) bestand ein solches Defizit. In der KG wurde bei 75 der 134 Patientinnen und Patienten (56 %) kein Versorgungsdefizit kategorisiert, bei 46 Patientinnen und Patienten (34 %) enthielt der Bogen ein solches Defizit.
Tabelle 3 zeigt die drei häufigsten Registerrückmeldungen je Eingabezeitpunkt (Erstmeldung oder 12-Monats-Follow-up) und Studiengruppe. Im Erstmeldebogen (54 ×) und im Follow-up (65 ×) waren niedrige Hämoglobinwerte, auf die therapeutisch nicht reagiert wurde, die häufigsten dokumentierten Defizite in der IG. Die Registerrückmeldung „Ein fehlerhafter Befall liegt vor“ – damit ist ein Befallsmuster gemeint, das entweder durch die angegebene Erkrankung nicht erklärt oder durch die Diagnostik nicht eingeschätzt werden konnte – wurde in allen Fällen als Hinweis kategorisiert. Das geschah, weil hier entweder eine weiterführende Diagnostik (Magnetresonanz-Enterografie) dokumentiert oder auf Basis der Kommentare der Behandelnden der Interventionszentren auf das Vorliegen einer atypischen CU hingewiesen wurde.
Zu niedrige Hämoglobin-Werte sowie erhöhte Gamma-GT-Werte bei Patientinnen und Patienten, die keine weiterführende Leberdiagnostik erhielten, stellten in den Erstmeldebögen der KG die häufigsten Defizite dar. Im 12-Monats-Follow-up waren es eine zu geringe Dosierung beim Beginn einer Mesalazin-Therapie sowie eine nicht dokumentierte Thiopurinmethyltransferase(TPMT)-Aktivität in Verbindung mit der Gabe von Azathioprin.
Sekundäre Endpunkte
Tabelle 2 zeigt, dass prozentual etwas mehr Patientinnen und Patienten der KG nach 12 Monaten in Remission waren (IG: 71,2 %; KG: 80,3 %). Der Anteil der Patientinnen und Patienten, bei denen die Remission ohne die Gabe von Steroiden erreicht wurde, war wiederum in der IG größer (IG: 93,6 %; KG: 85,7 %). Die Anzahl an Komplikationen war im 12-Monats-Follow-up in der KG größer als in der IG (IG: 2,9 %; KG: 5,6 %). Bei den Nebenwirkungen ergab sich ein umgekehrtes Bild (IG: 19,0 %, KG: 13,1 %).
Diskussion
Insgesamt wurden 134 Versorgungsdefizite (IG: n = 41, KG: n = 93) ermittelt. Die Anzahl der Versorgungsdefizite nach 12 Monaten (primärer Endpunkt) in der IG (n = 25) war signifikant geringer als in der KG (n = 78). Die Unterschiede in der Anzahl der Versorgungsdefizite zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten je Gruppe bedeuten keine Zunahme der Anzahl der Defizite, sondern beruhen auf den unterschiedlichen Parametern, die zu Baseline und Follow-up im Register erhoben wurden. Dennoch führte die Intervention innerhalb der IG zu einer merklichen Reduzierung der Registerrückmeldungen. Auch die Anzahl der Dokumentationsbögen, die keine Rückmeldungen aus dem Register nach sich zogen – die also eine leitlinienkonforme Dokumentation enthielten –, war in der IG deutlich höher als in der KG.
Bei den sekundären Endpunkten entzündliche Aktivität, steroidfreie Remission, Komplikationen und Nebenwirkungen gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Die Ergebnisse der sekundären Endpunkte sind unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass das Follow-up zu kurz für einen harten klinischen Endpunkt war und dass in der KG deutlich weniger Angaben für einen Gruppenvergleich vorlagen. Es konnte jedoch insgesamt gezeigt werden, dass registerbasierte Algorithmen und ein patientenindividuelles Feedback zur klinischen Entscheidungsunterstützung für die Behandelnden hilfreiche Tools sein können, um patientenindividuelle Versorgungsdefizite im weiteren Therapieverlauf zu verringern.
Bei der Art der Rückmeldung zeigte sich, dass in beiden Studiengruppen viele Patientinnen und Patienten einen zu niedrigen Hämoglobin(Hb)-Wert aufwiesen. Diese Konstellation tritt bei Patientinnen und Patienten mit CED bekannterweise vermehrt auf. Ein chronisch intestinaler Blutverlust kann die Ursache einer chronischen Anämie sein, die im Kindes- und Jugendalter zu Wachstumsverzögerungen, Lernschwierigkeiten und einer Intelligenzminderung führen kann (19). Die chronische Anämie sollte frühzeitig erkannt und mit oraler oder intravenöser Eisensubstitution therapiert werden. Keine Eisengabe bei niedrigem Hb-Wert führte in der IG (n = 4) trotz Hinweis aus dem Register an die Behandelnden („Der Wert ist zu gering“) öfter als in der KG (n = 2) zu einem kategorisierten Versorgungsdefizit. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass der Hb-Wert in der KG seltener dokumentiert wurde (Missings: KG: n = 19, 14,2 %; IG: n = 4, 2,7 %) und dadurch potenziell weniger Rückmeldungen ausgelöst wurden.
Im Erstmeldebogen erhielt ein Großteil der Kinder aus der KG mit erhöhtem Gamma-Glutamyltransferase(GT)-Wert, der auf eine Beeinträchtigung der Leber hindeutet, keine weiterführende Diagnostik wie eine Magnetresonanz-Cholangiopankreatografie (MRCP) oder eine Leberbiopsie. Dies kann dazu beitragen, dass mögliche Erkrankungen wie die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) oder Autoimmunhepatitis (AIH) unentdeckt bleiben, mit dem Risiko für weitere Komplikationen. In der KG war bei 24 Kindern, die sich zum Zeitpunkt des Follow-up nicht in Remission befanden, die Dosierung von Mesalazin im Verhältnis zum Gewicht zu gering. Das 5-Aminosalicylsäure(ASA)-Präparat gilt als Goldstandard bei einer leichten bis mittelschweren CU (PUCAI 10–65) (20) und sollte gemäß Leitlinienempfehlung in der Dosierung 60–80 mg/kg Körpergewicht, aufgeteilt in zwei Dosen/Tag, verabreicht werden (21).
Die Bestimmung der hiopurinmethyltransferase(TPMT)Aktivität zu Beginn einer Azathioprin-Therapie ist wichtig, um ein hierdurch unverhältnismäßig hohes Komplikationsrisiko frühzeitig zu erkennen (22). Eine frühere Studie aus Nordamerika zeigte, dass lediglich bei 61 % der Patientinnen und Patienten das TPMT-Level vor einer Thiopurintherapie bestimmt wurde (23). Zur Einschätzung der Frage, inwieweit die Bestimmung der TPMT-Aktivität als Voruntersuchung bei der Behandlung mit Thiopurinen zu empfehlen ist, verweisen wir auf die ESPGHAN-Leitlinie sowie die intensive Diskussion in der kindergastroenterologischen Szene. Trotz des Unterschieds im Empfehlungsgrad im Vergleich zu den anderen dargestellten Defiziten, wird sie in der Leitlinie insbesondere im Hinblick auf eine zügige Eindosierung von den meisten Kindergastroenterologinnen und -gastrologen als sinnvoll erachtet und befürwortet. Es kann nicht abschließend beurteilt werden, ob der Wert in jedem Fall tatsächlich nicht bestimmt oder ob die Information lediglich nicht dokumentiert wurde (Informationsverlust außerhalb des Registers). Eine Literaturübersicht ergab, dass beim Informationstransfer zwischen Krankenhaus und Hausarztpraxis oftmals therapierelevante Informationen, wie etwa diagnostische Testergebnisse (33–63 %) oder Angaben zu Entlassungsmedikamenten (2–40 %), verloren gehen (24).
Übertragbarkeit der Ergebnisse
Künftig sollten sich weitere Zentren dem Patientenregister CEDATA-GPGE anschließen, um sowohl die Qualität der Datendokumentation als auch die Qualität der Versorgung von pädiatrischen Patientinnen und Patienten mit CED, insbesondere vor dem Hintergrund steigender Inzidenzen, flächendeckend zu erhöhen. Die Ergebnisse der CLARA-Studie zeigen, dass die registerbasierten Rückmeldungen verstetigt werden sollten. Zudem könnten die Ergebnisse künftig auch auf andere Register oder andere seltene Erkrankungen übertragen werden, um mögliche Defizite in der Versorgung effektiv zu reduzieren.
Limitation
Die Dokumentationsbögen wurden nicht immer direkt nach der Behandlung der Patientin/des Patienten in das Register eingetragen. So konnte gegebenenfalls auf potenziell relevante Registerhinweise in der IG nicht mehr zeitnah reagiert werden. Ein Grund hierfür könnte im zusätzlichen zeitlichen Dokumentationsaufwand liegen. Dieser betrug je nach Komplexität des Falls für die Registereingabe zwischen 4–12 Minuten.
Einige Registerrückmeldungen in der IG wurden als Eingabefehler kategorisiert, könnten jedoch möglicherweise auch zu einer Unterschätzung potenzieller Versorgungsdefizite geführt haben. Weiterhin haben vier Zentren in der IG keine Patientinnen und Patienten rekrutiert. Hauptgrund dafür waren Personaländerungen in diesen Zentren.
Das CLARA-Projekt fand im Zeitraum der Corona-Pandemie statt, daher war es nicht möglich, die Daten in den KG vor Ort durch das Studienteam zu erheben. Die Zentren der KG wurden dazu aufgefordert, die kompletten Dokumentationsdaten der Patientinnen und Patienten an die Studienzentrale zu schicken. Dort wurden die Daten aus den Dokumentationen ausgewertet und in das Register übertragen. Ob die zugeschickten Patientendokumentationsdaten in jedem Fall vollständig übermittelt worden sind, kann nicht abschließend beurteilt werden.
Schlussfolgerung
Das Einbringen von Diagnostik- und Therapiedaten ins Patientenregister CEDTA-GPGE leistet einen erheblichen Beitrag zu einer standardisierten Dokumentation und leitliniengerechten, patientenzentrierten Versorgung. Durch patientenspezifische Rückmeldungen können Versorgungsdefizite in der Diagnostik und Therapie verringert werden. Dieser Ansatz sollte in Zukunft allen Kindern und Jugendlichen mit CED zur Verfügung gestellt werden.
Datasharing
Wir stimmen zu, anonymisierte Patientendaten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die einen methodisch sinnvollen Auswertungsvorschlag einreichen, drei Monate bis fünf Jahre nach der Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt zur Verfügung zu stellen.
Förderung
Das mit dieser Studie verbundene CED-KQN-Projekt wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) finanziert (Förderkennzeichen: 01VSF17054).
Danksagung
Wir danken der CEDATA-GPGE-Studiengruppe sowie allen teilnehmenden Zentren sowie Patientinnen und Patienten für ihre Bereitschaft, an der Studie mitzuwirken (eTabelle 3). Ausdrücklich hervorheben möchten wir die Mitarbeit nachfolgender Personen an der CLARA-Studie: Kalina Kaul, Melanie Knorr, Maren Leiz, Prof. Wolfgang Hoffmann, Hanna Gurmai, Tanja Weidenhausen, Nicolas Schneider, Philip Krieb, Prof. Henning Schneider, Prof. Volker Groß, Prof. Keywan Sohrabi und Prof. Klaus-Peter Zimmer.
Interessenkonflikt
JdL erhielt Forschungsförderung von Abbvie und Takeda. Er ist Mitglied in Advisory Boards von Sanofi, Danone und Mirum.
Die übrigen Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 24.10.2023, revidierte Fassung angenommen: 31.07.2024
Anschrift der korrespondierenden Verfasserin
Luisa Tischler
Universitätsmedizin Greifswald
Institut für Community Medicine
Ellernholzstraße 1/2, 17489 Greifswald
Luisa.Tischler@uni-greifswald.de
Zitierweise
Tischler L, Boerkoel A, Krause H, van den Berg N, de Laffolie J: The care of children and adolescents with chronic inflammatory bowel disease: A cluster-randomized trial on improving the guideline conformity of treatment by the use of the CEDATA-GPGE patient registry.
Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 627–33. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0168
Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine und Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ), Standort Greifswald/Rostock: Luisa Tischler, M.Sc.; Aletta Boerkoel, M.M.Sc., M.A.; Heiko Krause, Prof. Dr. rer. med. Neeltje van den Berg
Justus-Liebig-Universität Gießen, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Abteilung Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie: Prof. Dr. med. Jan de Laffolie, MME, MA
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