Geschichte einiger Lazaristenpfarren in Österreich
Beachten Sie bitte, dass es sich bei den folgenden Abschriften um Originaltexte der Vinzentinischen Nachrichten Nr. 10 aus dem Jahre 1978 (!) handelt!
Zentralhaus und Pfarre zur Schmerzhaften Mutter
Visitator Schlick wollte neben der Kirche der Barmherzigen Schwestern auch für die Vorstadtbevölkerung eine Missionskirche, wie in Wien, errichten. Beauftragt wurde wieder der Erbauer des Wiener Rathauses und der Kirche in der Kaiserstraße, Prof. Friedrich Schmidt, der diesmal eine kleinere, einschiffige, hohe, neugotische Kirche projektierte. Nach nicht ganz dreijähriger Bauzeit konnte Fürstbischof Ottokar Maria von Attems bereits am 18. Juli 1863 die neue Kirche feierlich konsekrieren. Da die Kirche inmitten eines Armenviertels stand, weihte sie Visitator Schlick der "Schmerzhaften Mutter", der Trösterin der Betrübten. Auf Grund seiner tiefen marianischen Frömmigkeit weihte er nicht nur jede seiner drei Kirchen der Gottesmutter, sondern erreichte auch die Umbenennung der Labornergasse in Mariengasse. Die zugleich mit der Kirchweihe eröffnete vierzehntägige Mission leitete eine Zeit regen und vielfältigen Seelsorgelebens ein. So wurden an der Kirche Bruderschaften errichtet, wie die Bruderschaft von der Todesangst Christi, ein Armen-Seelen-Verein und später die nächtliche Anbetung jeden ersten Donnerstag im Monat.
Mit der Konsekration der Kirche zur Schmerzhaften Mutter war die Bedeutung des Grazer Missionshauses sehr gestiegen. Hatte es bisher nur Funktion als Herberge für die wenigen Seelsorger der Barmherzigen Schwestern, so wurde es jetzt tatsächlich Missionshaus und, da der Visitator in Graz residierte, das Zentralhaus für die ganze Provinz. Deutlich unterstrichen wurde die Funktion des "Zentralhauses" durch den Bau des neuen Noviziatgebäudes, von Schlick angestrebt, um damit der Provinz ein eigenes Formungs- und Nachwuchszentrum zu geben. Die Verwirklichung seines Wunsches blieb jedoch seinem Nachfolger, Visitator Müngersdorf, vorbehalten, der es als seine erste Aufgabe ansah, diesen Bau durchzuführen. In zweijähriger Bauzeit wurde er 1867 vollendet. Der fünfte Visitator, Dr. Karl Spiegel, schlug im Februar 1939 dem Seckauer Ordinariat vor, an der Kirche eine Seelsorgestation zu errichten. Verschiedene Erwägungen führten aber zum Entschluss, eine eigene Pfarre zu gründen. Mit Wirksamkeitsbeginn vom 1.11.1939 wurde sie vom Fürstbischof Ferdinand Palikowski errichtet, der zugleich den Lazaristen die Pfarrseelsorge übertrug.
Durch den bereits ausgebrochenen Weltkrieg stand nun der Pfarre eine sorgenvolle Zeit bevor. Es ging nahezu Schlag auf Schlag: Stück für Stück wird das Zentralhaus für staatspolitische Zwecke annektiert, sodass die Lazaristen die Schwestern um Obdach bitten müsse, Stilllegung der Vereine, alle Mitbrüder außer dem Pfarrer werden gezwungen, das Haus zu verlassen, Plünderungen von Haus und Kirche, Ablieferung der vier Glocken, mehrer Luftangriffe zerstören in den letzten Kriegsjahren einen Großteil des Zentralhauses und der Kirche. Da außerdem der Krieg die Reihen der Lazaristen stark lichtete, lastete der Wiederaufbau in den Händen der wenigen überlebenden Priester und Brüder. Ludwig Maria Suchy, erster Pfarrer von 1939-1959, gelang es in der schweren Nachkriegszeit, die Marienpfarre neu aufzubauen und zu beleben.
Die im letzten Jahrzehnt erbauten Wohnhäuser ließen die Pfarrbevölkerung auf nunmehr 9000 Katholiken anwachsen. Damit stehen nun die Verantwortlichen für die Pfarre vor der Notwendigkeit, die pastorale Tätigkeit zu verstärken und neue Strategien zu überdenken.
Missionshaus und Pfarre zur Unbefleckten Empfängnis
Auf Initiative Kardinal Rauschers kamen die Lazaristen 1854 nach Wien, um in den damaligen Vororten Wiens, Gumpendorf, Reindorf und Schottenfeld die Pfarrseelsorge zu unterstützen.
Der Eifer der ersten Missionare brachten es mit sich, dass sowohl auf der sogenannten "Schmelz", wo sie die ersten Jahre zubrachten, als auch im Haus Schottenfeld 511 (heutige Kaiserstraße 7) die Kapelle für ihre Seelsorgetätigkeit zu klein war.
So entschloss sich Visitator Schlick zum Neubau einer großen geräumigen Kirche nach den Plänen von Prof. Schmidt, dem Erbauer des Wiener Rathauses. Am 27. September 1860 , dem 200. Todestag des hl. Vinzenz war die Grundsteinlegung und bereits am 7. Dezember 1862 konnte die Kirche von Kardinal Rauscher "zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria" konsekriert werden.
Von diesem Gotteshaus sollte viel Segen ausgehen. Bereits am Tage der Weihe begannen die Missionare die erste Volksmission abzuhalten und zahlreiche folgten durch viele Jahrzehnte in Wien, Niederösterreich und im Burgenland.
An dieser Kirche wurde die erste Bruderschaft zu Ehren des Hl. Geistes errichtet. Der Selige Arnold Jansen, der Gründer der Steyler Missionare, sollte sich und seine Gemeinschaft hier dem hl. Geist weihen. Von Mitbrüdern dieses Missionshauses wurde das Werk der Päpstlichen Missionswerke in Österreich eingeführt und vor allem viel in Marienvereinigungen und andere Bewegungen für die religiöse Betreuung der Jugend gearbeitet.
Während des nationalsozialistischen Regimes wurde das Missionshaus schier zerstückelt und nach und nach enteignet. Am 1. Juli 1939 wurde an der Kirche eine eigene Pfarre errichtet. Trotz aller Schwierigkeiten, die der Krieg und das herrschende Regime verursachten, wurde eifrig am Ausbau der pfarrlichen Einrichtungen, Kinder- und Erwachsenenbildung, Gruppenarbeit und Jugenderziehung gearbeitet. Die Priester an dieser neu errichteten Pfarre sind sich bewusst, dass sie auch in dieser neuen Tätigkeit immer auch Missionare bleiben. Daher wurde immer ein besonderes Augenmerk auf eine lebendige und würdige Feier der Eucharistie gelegt und auf die Betreuung der Armen. So wurde nach dem Krieg von einem Pfarrer und Superior dieses Hauses bereits ein Werk zur "Rettung des werdenden Lebens" begründet und geführt, während in der Öffentlichkeit dieses Problem noch nicht einmal ins Bewusstsein gerückt war.
Bis auf den heutigen Tag ist die Kirche zur Unbefleckten Empfängnis Mariens als "Beichtkirche" bekannt und beliebt.
Missionshaus und Pfarre St. Severin
Das zweite Seelsorgezentrum der Lazaristen in Wien wurde am 20. Oktober 1878 nach einer Bauzeit von 2 Jahren von Kardinal Johann Kutschker zu Ehren des Hl. Severin, des Apostels von Norikum, geweiht.
Mit ihrem Fassungsvermögen von 2000 Personen sollte sie einem drängenden Bedürfnis des rasch anwachsenden 18. Wiener Gemeindebezirks abhelfen.
Der Eifer, der an der Kirche wirkenden Priester machte die Kirche zu einem gerne besuchten Gotteshaus. Ein Hauptwerk war auch hier das Abhalten von Volksmissionen und Exerzitien. Im Jahre 1941 wurde die Kirche zum Hl. Severin zur Pfarrkirche. Trotz der Schwierigkeiten, die die Kriegszeit und das damals herrschende Regime der Seelsorge bereiteten, entfaltete sich eine lebendige Pfarrgemeinde. Die katholische Aktion wurde ausgebaut, Kinder und Jugendliche verantwortungsvoll betreut. Unvergesslich bleibt der Name des Herrn Rudolf Koza CM, dem die Jugend mit Begeisterung verbunden war. Leider war gerade er eines von den sechs Opfern, die bei der Bombardierung des Missionshauses am 12. März 1945 den Tod fanden.
Das Mission- und Pfarrhaus war bis auf den Grund zerstört, die Kirche schwer beschädigt. In diesen Tagen zeigte sich die innige Verbundenheit zwischen dem Volk und den Missionaren. Die Schäden an der Kirche konnten dank der Kirchengemeinde beseitigt werden; die Seelsorgetätigkeit fand keine Unterbrechung.
Am 8. November 1952 konnte das mit Hilfe des Wiederaufbaufonds neu errichtete Missionshaus eingeweiht werden.
Anlässlich des 100. Weihtages der Kirche zum Hl. Severin wurden gründliche Renovierungsarbeiten vorgenommen und in zahlreichen kirchlichen Veranstaltungen kommt das Bemühen zum Ausdruck, neue religiöse Impulse zur Vertiefung des religiösen Lebens zu vermitteln.
Missionshaus und Pfarre St. Vinzenz
St. Vinzenz verdankt seine Gründung nebst den Barmherzigen Schwestern vor allem dem Eifer des Stadtpfarrers von St. Andrä in Graz, Leopold Hofbauer. Den trostlosen sozialen und religiösen Verhältnissen im heutigen Eggenberg, wollte er mit dem geplanten Asyl für Kinder und einer Seelsorgestation entgegentreten.
Mit dem großzügigen Nachlass des Grafen Leopold Ritter von Lilienthal war er im September 1881 in der Lage, einen Baugrund anzukaufen und den Bau zu beginnen.
Bei der Eröffnung des Leopoldinums im Herbst 1882 waren bereits 320 Kinder aufgenommen. Nachdem auch eine Mädchenschule errichtet wurde, um die Zukunft zu sichern, umfasste das Leopoldinum noch einen Kindergarten, eine Arbeitsschule für erwachsene Mädchen und das Asyl für die Knaben, welche die Volksschule in Baierdorf besuchten. Die Seelsorge oblag einem Missionspriester. Im Februar 1889 erfuhr die Seelsorge eine Erweiterung, da ein Missionar an Sonn- und Feiertagen in der Kapelle eine zweite hl. Messe und Predigt hielt.
Doch genügten diese wenigen seelsorglichen Bemühungen und besonders die kleine Kapelle in keiner Weise der Zahl der Bevölkerung und deren religiösen Bedürfnissen. So dachte Bischof Zwerger ebenso wie Pfarrer Hofbauer daran, hier eine Kirche zu bauen und an dieser Kirche eine Filiale von St. Andrä zu errichten.
Die Seelsorge wollte Bischof Zwerger den Lazaristen vertrauen. Visitator Müngersdorf war einverstanden und so hätte der Plan bereits 1890 verwirklicht werden können, wäre genügend Geld vorhanden gewesen.
Als aber im folgenden Jahr die nötige Summe wiederum aus dem Nachlass des verstorbenen Grafen von Lilienthal zur Verfügung stand, konnte am 9. Mai 1892 der Grundstein von Fürstbischof Dr. Zwerger gelegt werden. Die einschiffige Kirche wurde nach einigen Bauverzögerungen im März 1894 fertiggestellt. Gleichzeitig mit der Weihe der Altäre übergab man auch das Priesterhaus dem neuernannten Superior Coloman Galambos, welcher mit noch einem Priester und vier Brüdern das Haus bezog.
Sie waren hier bis 1932 als Missionare tätig. In diesem Jahr wurde infolge der immer stärker anwachsenden Bevölkerung das Gebiet zur selbstständigen Pfarre erklärt. So zählt heute St. Vinzenz an die 14.000 Seelen. Die Pfarrseelsorge erfasst alle Schichten der Bevölkerung, deren soziale Situation sich besonders nach dem 2. Weltkrieg sowohl durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung als auch durch die vielen neu zugezogenen Bewohner entscheidend gebessert hat. Aber begegnet man auch nicht mehr jener krassen materiellen Armut der Zwischenkriegszeit, so besteht doch weiterhin ein Teil der Pfarrarbeit darin, den sozial schlechter gestellten, minderbemittelten armen Menschen (Familien) zu helfen.
Das Sankt Georgs-Werk in Istanbul
Als am 25. November 1882 in den Amtsräumen des Apostolischen Patriarchats-Vicariates von Konstantinopel vor dem Procancellarius Giovanni Dacus zwischen den Vertretern der bosnischen Franziskaner, Fr. Michael Timoni, Stefan Ladan und Rafael Babic, auf der einen Seite und Herrn Peter Conrad Stroever, dem Vertreter der Lazaristen auf der anderen Seite, der Kaufvertrag über Kirche, Kloster und das dazugehörige Besitztum zum Preis von 7.500 Goldlira unterzeichnet worden war, hatte das Missionswerk der Lazaristen und Barmherzigen Schwestern deutscher Sprache in Konstantinopel für alle künftige Zeit seine bleibende Stätte gefunden.
Die Anfänge dieses Missionswerkes unter den deutschsprechenden Katholiken im Osmanischen Reich gehen aber viel weiter zurück. Der Visitator der Provinz der Lazaristen in der Levante, Herr Eugen Bore, Generalsuperior der Kongregation, begann zur Zeit des Krimkrieges (1854-1856) mit der Seelsorge bei deutschsprechenden Katholiken in Konstantinopel, insbesondere deutschsprachigen Soldaten in den französischen Lazaretten. Die rasch wachsende Zahl der deutschsprachigen Katholiken ließ deren seelsorgliche Betreuung immer notwendiger erscheinen. Und diese Aufgabe übernahmen die Lazaristen. Zuerst ein italienischer, dann ein deutscher; beide waren nur wenige Jahre geblieben. 1871 kam der erste österreichische Lazarist, Herr Karl Flandorfer. Dieser erkannte gleich die Notwendigkeit einer katholischen Schule, damit die Kinder, die doch in einer glaubensfremden Umwelt aufwuchsen, im christlichen Geist erzogen werden könnten. Doch ihm war es nicht vergönnt, diesen Plan zu verwirklichen, denn eine schwere Krankheit zwang ihn, schon 1874 nach Österreich zurück zu kehren.
Sein Nachfolger, der deutsche Lazarist Peter Conrad Stroever, konnte dann zusammen mit den Barmherzigen Schwestern das Werk der Schule begründen und einer viel versprechenden Zukunft entgegenführen. Im Jahr seines Todes, 1891, hatte die Schule bereits 300 Schüler. 1891 wurde das Sankt Georgswerk auf Drängen seines ersten Superiors, des Herrn Stroever, der österreichischen Lazaristenprovinz angeschlossen. Der zweite Superior des Werkes, Herr Joseph Jarosch, der im Dezember 1891 die Leitung des jungen Werkes übernommen hatte, und dessen Nachfolger, Herr Superior Johann Kajdi (gestorben 1925), gaben dem Seelsorgswerk und der Schule die Gestalt, die es bis heute bewahrt hat.
Die Kirche zum hl. Georg in Galata/Karaköy wurde zum Mittelpunkt der deutschsprachigen Seelsorge, bis nach dem ersten Weltkrieg ein Seelsorger aus Deutschland kam, der für die deutschen Katholiken eine eigene Gemeinde aufbaute. Die St. Georgskirche ist nach wie vor Zentrum der Seelsorge für die Österreicher. Die Schule entfaltete sich zu einer Mädchenschule und einer Knabenschule im St. Georgswerk und entwickelte sich schon vor dem ersten Weltkrieg zu einem Gymnasium für Knaben mit einer Handelsakademie und einem Gymnasium für Mädchen. Ersteres führen und leiten die Lazaristen, letzteres die Barmherzigen Schwestern der Grazer Provinz der beiden Kongregationen. Neben der Seelsorge und der Schule war von Anfang an die Betreuung armer Kranken ein besonderes Anliegen des Sankt Georgswerkes. Waren doch die ersten Barmherzigen Schwestern deutscher Sprache zur Pflege von Cholera-Kranken zur Zeit einer verheerenden Epidemie nach Konstantinopel gekommen. Gerührt von der Notlage so vieler Kranker, um die sich niemand kümmerte, für die auch von der öffentlichen Hand keine Vorsorge getroffen war, blieben diese Barmherzigen Schwestern in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches, ja zogen noch weitere österreichische Schwestern nach sich, sodass in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg österreichische Barmherzige Schwestern in vier Spitälern in Istanbul den Kranken dienten, dazu führten sie noch ein Rekonvaleszentenheim in Göztepe.
Soviel über die Begründung des St. Georgswerkes und seinen Aufbau zu seiner heutigen Gestalt. Die Nöte und Wirren der Zeit nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg überdauerte das Werk nicht nur, sondern es entfaltete sich in der Zwischenkriegszeit und nach der Sperrung am Ende des Zweiten Weltkrieges (August 1944) "mit anders gesetzten Schwerpunkten" (Franz Kangler CM) in seiner Zielsetzung wie seiner Tätigkeit, jedoch getreu seinem Gründungsziel und dem Vermächtnis seiner Gründer, zu einem der bedeutendsten kirchlichen Werke in der muslimischen Welt von Istanbul.
Nach dieser kurzen historischen Einschau in Gründung, Werden und Wachsen dieses unseres St. Georgswerkes, ist es angezeigt, auseinander zu legen, worin die Zielsetzung dieses Werkes im Lichte der Gründung und seines Entstehens heute zu sehen ist, soll aber auch dargelegt werden, in wie weit dieses Werk dem Geist und der Intention des Hl. Vinzenz entspricht. Überlegt muss aber auch werden, ob das Sankt Georgswerk einem Anruf oder einer Forderung der gegenwärtigen Zeit und der Lokalsituation entspricht.
Die Zielsetzung des Sankt Georgs-Werkes in Seelsorge, Schule und Spital ist unter einem zweifachen Gesichtspunkt zu sehen: Es ist eine Zielsetzung, die uns von unserer Kirche zukommt und eine Zielsetzung, die uns von unserem Heimatland zukommt. In vergangenen Zeiten, die ein christliches Abendland eine gemeinte Realität war, hätte man von einer einzigen Zielsetzung sprechen können. Heute, da wir Europäer nicht nur verschiedener Sprachen und Kulturen, sondern auch verschiedener Ideologien (vielleicht sollte man sagen: verschiedenen Glaubens und verschiedener Weltanschauung oder Ideologien) sind, ist eine solche Einheit nicht mehr unmittelbar einsichtig. In einer Besinnung auf uns selber verstehen wir uns als christliche Österreicher. Als solchen ist es uns ein Anliegen, sowohl das Glaubensgut, das unsere Vorfahren uns geliefert haben, in der gegenwärtigen und zukünftigen Welt zu bezeugen, als auch Kultur, Lebensart und Weltverständnis unseres Volkes und unseres Landes im Gastland darzustellen und als Wert für eine Begegnung sichtbar zu machen.
In einem haben wir am St. Georgswerk also der Begegnung von Muslim und Christen zu dienen, und ebenso der Begegnung von Türken und Österreichern, Begegnen heißt nun aber: Einander kennen lernen, einander verstehen wollen, einander achten und schätzen, um dann miteinander zu leben und vielleicht sogar füreinander zu leben.
Die Zielsetzung des St. Georgswerkes in Seelsorge, Schule und Spital ist für unsere Landsleute da zu sein; dann aber, und das gibt unserem Werk den viel tieferen Sinn: bereit zu sein für die Begegnung mit Menschen eines anderen Glaubens, einer anderen Nation, ja solche Begegnung herbeiführen zu helfen. Und wenn es gelingt, Begegnung im Geben und Nehmen zu verstehen und zu leben, d. h. immer darum zu wissen, dass wir etwas anzubieten haben im Zeugnis unseres Glaubens und im Anbot dessen, was wir als Österreicher sind, aber auch ebenso darum, zu wissen, dass wir das Zeugnis des anderen Glaubens ehrfürchtig annehmen sollen und das Anbot dessen, was ein anderes Volk als Kultur und Lebensart hat, dann wird das St. Georgswerk weiterhin seiner Zielsetzung treu sein, seinem Gründungsziel, und wird seinen Bestand jederzeit rechtfertigen.
Und noch dieses: Ständig fragen wir uns selber nach der Einordnung unserer Tätigkeit im St. Georgswerk in den Geist und die Intention des Hl. Vinzenz. Oft genug kamen uns Zweifel, war uns die Berufsausrichtung verdunkelt, waren wir kleinmütig. Ein Wort unseres Generalsuperiors anlässlich seiner Visitation in unserer Provinz im Mai 1978 gab uns klare Weisung und große Ermutigung:
"Sie leisten einen bedeutenden Beitrag zur Tätigkeit der katholischen Kirche im Nahen Osten. Und der Hl. Vater persönlich verlangt diesen Einsatz. Also, liebe Mitbrüder im St. Georgskolleg. Sie müssen den strengen Forderungen der Kirche gerecht werden und treu auf Ihrem Posten ausharren. Ihr Wirken ist echt katholisch. Und es könnte nicht echter vinzintianisch sein: Ihr Apostolat inmitten der Nichtchristen, die mit uns den e i n e n wahren Gott anbeten, bleibt dem Einsatz des Heiligen Vinzenz in Nordafrika eng verbunden. Sie führen fort, was unser heiliger Gründer begonnen hat."
James Richardson CM, Generalsuperior der Kongregation der Missionspriester
Zum Schluss steht noch die Überlegung, ob das St. Georgswerk einem Anruf oder einer Forderung der gegenwärtigen Zeit und der Lokalsituation entspricht.
Am Horizont des Denkens und Strebens unserer Zeit ist wohl zufolge der gegenwärtigen Weltlage das Verlangen aufgebrochen, dass die Menschen zweier Weltreligionen, wie des Christentums und des Islams, einander nicht mehr ablehnend oder gar feindlich, sondern verstehend und mit Achtung, sich begegnen sollten. Sichtbar ist dies in vielfachen Publikationen, in gemeinsamen Kongressen und Symposien, sichtbar ist das aber auch im Vertrauensvorschuss, den der kleine Mann von der einen Seite dem kleinen Mann von der anderen Seite entgegenzubringen bereit ist, sichtbar wird das im langsamen Abbau von überkommenen Vorurteilen auf beiden Seiten.
Istanbul ist durch seine geographische Lage, durch seine historische Entwicklung geradezu prädestiniert zu solcher Begegnung. Darum sind wir überzeugt, dass wir in der Treue zur Zielsetzung unseres Werkes im Geist unseres Gründers handeln, dass wir aber auch einen Anruf unserer Zeit entsprechen.
Und nie wollen wir vergessen:
"Sie führen fort, was unser heiliger Begründer begonnen hat!"