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Jean Paul

Lebensdaten
1763 – 1825
Geburtsort
Wunsiedel (Fichtelgebirge)
Sterbeort
Bayreuth
Beruf/Funktion
Dichter ; Schriftsteller ; Lyriker ; Librettist
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118557211 | OGND | VIAF: 311302636
Namensvarianten

  • Richter, Johann Paul Friedrich (eigentlich, Jean Paul ist Pseudonym)
  • Paul, Jean
  • Richter, Friedrich (eigentlich, Jean Paul ist Pseudonym)
  • Richter, Johann Paul Friedrich
  • Jean Paul
  • Richter, Johann Paul Friedrich (eigentlich, Jean Paul ist Pseudonym)
  • richter, johann paul friedrich
  • Paul, Jean
  • Richter, Friedrich (eigentlich, Jean Paul ist Pseudonym)
  • richter, friedrich
  • H.
  • Jan Pauru
  • Pauru, Jan
  • Z'an Paul
  • Z'an Pol
  • Žan-Polʹ
  • Richther, Johann Paul Friedrich (eigentlich, Jean Paul ist Pseudonym)
  • richther, johann paul friedrich
  • Richther, Friedrich (eigentlich, Jean Paul ist Pseudonym)
  • richther, friedrich

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Zitierweise

Jean Paul, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118557211.html [27.12.2024].

CC0

  • Jean Paul (Pseudonym f. Johann Paul Friedrich Richter)

    Dichter, * 21.3.1763 Wunsiedel (Fichtelgebirge), 14.11.1825 Bayreuth. (evangelisch)

  • Genealogie

    Aus oberfränk.-vogtländ. Fam.;
    V Joh. Christian Christoph Richter (1727–79), Gymnasiast in W. u. Regensburg (hier auch Mitgl. d. thurn u. taxisschen Hofkapelle), Hauslehrer in St. Georgen b. Bayreuth, 1759 Lehrer a. d. Lateinschule u. Organist in W., 1765 Pfarrer in Joditz b. Hof, 1776 in Schwarzenbach/Saale, S d. Johannes (1687–1763), Rektor u. Kantor in Rehau u. Neustadt am Kulm (aus Färberfam. in Schwarzenbach/Saale), u. d. Pfarrers-T Magdalena Margaretha Hugo (aus Pfarrersfam.);
    M Sophia Rosina (1737–97), T d. Joh. Paul Kuhn (1710–80), Tuchmacher (Vormeister) u. Florhändler in Hof/Saale (aus Tuchmacherfam. in Plauen), u. d. Eva Barbara Zapf; Vorfahre Nicolaus Hugo (1588–1634), D. theol., Gen.sup. in Coburg;
    - Berlin 1801 Caroline (1777–1860), T d. Geh. Obertribunalrats Joh. Siegfried Wilhelm Mayer ( 1819) in Berlin u. d. Caroline Cath. Friederike Germershausen; Schwägerinnen Wilhelmine Mayer ( Karl Spazier, 1761–1805, Schriftsteller, s. ADB 35), Ernestine Mayer ( August Mahlmann, 1771–1826, Dichter, Redakteur, s. ADB 20);
    1 S, 2 T, u. a. Max (1803–21), Emma (1802–53, 1826 Ernst Förster, 1800–85, Maler u. Kunsthistoriker, Hrsg. d. lit. Nachlasses v. J. in Bd. 61-65 d. Sämmtl. Werke, 1836–38, d. Briefwechsels zw. J. u. Chrstn. Otto, in: „Wahrheit aus J. P.s Leben“, H. 4-8, 1829-33, d. „Denkwürdigkeiten aus J. P.s Leben“, 1863, s. ADB 48): N Richard Otto Spazier (1803|-54), Schriftsteller, vf. „Jean Paul Frdr. Richter in s. letzten Tagen u. im Tode“, 1826, „Jean Paul Frdr. Richter, Ein biogr. Kommentar zu dessen Werken“, 5 T., 1833, „Gesch. d. Aufstandes d. poln. Volkes i. d. J. 1830 u. 1831“, 3 Bde., 1832, (s. ADB 35);
    Ur-E Siegfried Kallenberg (1867–1944), Komp., Musikschriftsteller (s. Riemann).

  • Biographie

    In seiner Bruchstück gebliebenen „Selberlebensbeschreibung“ hat J. die Idylle seiner Kindheit aus der Erinnerung des Alternden verklärend geschildert. Der Vater wurde 1765 als Pfarrer nach Joditz berufen und 1776 nach Schwarzenbach a. d. Saale versetzt. Die vertrauliche Enge des ländlichen Pfarrhauses, das vom Wechsel der Jahreszeiten bestimmte Leben mit der Natur und die nahe Anteilnahme am Geschick der Dorfbewohner prägten die erwachende Gefühlswelt des Knaben. Zwei Erlebnisse dieser frühen Jahre gaben dem Gang seiner geistigen Entwicklung eine unverlierbare Richtung: in Joditz die „Geburt“ seines „Selbstbewußtseins“, die ihn „wie ein Blitzstrahl vom Himmel“ mit der Gewißheit überkam: „Ich bin ein Ich“; später in Schwarzenbach das erste Abendmahl, bei dessen Empfang „die Seligkeit stieg bis zum körperlichen Gefühlsblitz der Wundervereinigung“. Demgegenüber trat der Unterricht, den er zumeist vom Vater erhielt, in den Hintergrund. Eine erste Berührung mit den philosophisch-theologischen Tendenzen der Aufklärung vermittelte ihm der Schwarzenbacher Kaplan Joh. Sam. Völkel; doch erst der Fünfzehnjährige fand in dem Pfarrer Erh. Frdr. Vogel aus dem benachbarten Rehau einen geistigen Förderer, den er später seinen „ältesten literarischen Wohltäter“ nennen konnte. Um sich nach dem Wunsch des Vaters auf das Studium der Theologie vorzubereiten, trat J. Anfang 1779 in die Prima des Gymnasiums in Hof ein. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, die in seiner ländlichen Herkunft und seinem autodidaktischen Bildungsgang ihre Ursachen hatten, gewann er in Adam Lorenz v. Oerthel, Joh. Bernh. Hermann und Christian Otto Freunde, deren verschiedene Wesensart ihm drei Seiten des eigenen Charakters widerspiegeln konnte. Während ihn mit Oerthel die Neigung zur Empfindsamkeit der Zeit verband, begegnete ihm in Hermann mit bizarren Zügen ihr sarkastischer und skeptischer Antipode: eine Doppelung, die noch in die Erfindung des gegensätzlichen Brüderpaars Walt und Vult der „Flegeljahre“ eingegangen ist. Die ruhige Verläßlichkeit Ottos hat J. durch sein ganzes Leben begleitet, als ordnende Hilfe jederzeit dankbar angenommen und auch einem häuslichbürgerlichen Grundzug der eigenen Natur entgegenkommend.

    Mit einer Schulrede über Nützlichkeit und mögliche Schädlichkeit der Entdeckung neuer Wahrheiten verließ J. im Okt. 1780 das Gymnasium, legte vor dem Konsistorium in Bayreuth die Reifeprüfung ab und begann im Mai 1781 mit dem Studium in Leipzig. Kurze Zeit vorher war der kleine, halb autobiographische Briefroman „Abelard und Heloise“ entstanden, ein von J. selbst alsbald verworfenes Gemisch aus Einflüssen des „Werther“, der „Nouvelle Héloïse“ Rousseaus und des „Siegwart“ von J. M. Miller. Schon in Hof begonnene „Übungen im Denken“, die aus kleinen popularphilosophischen Abhandlungen und aphoristischen Aufzeichnungen bestanden, führte er als nur ihm selbst dienende Vorbereitung auf eine künftige Autorschaft unter der Einwirkung der Lektüre franz. und engl. Schriftsteller (Helvétius, Rousseau, Voltaire, Pope, Swift, Young, Sterne) weiter. Sehr bald gewann in ihnen das Stilprinzip des „Witzes“ die Oberhand, das ihn zu „Bemerkungen über uns närrische Menschen“ und einem erasmischen „Lob der Dummheit“ veranlaßte. Hinzu trat die „Laune“ als eine dem Witz nahe verwandte Geistesbeschaffenheit, die das Absonderliche, Entlegene, Lächerliche aufsucht, es nach Willkür und momentaner Gemütsverfassung miteinander verbindet und damit eine auktoriale Schreibweise herbeiführt, wie sie für J.s erste Satirensammlung „Grönland. Prozesse“ (1783) und auch noch für die folgende „Auswahl aus des Teufels Papieren“ (1789) kennzeichnend ist.

    Die seit dem Tod des Vaters (1779) immer schwieriger gewordenen wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie zwangen J. schließlich im Nov. 1784, Leipzig ohne Studienabschluß zu verlassen und zu seiner Mutter, die inzwischen nach Hof übergesiedelt war, zurückzukehren. Armut, Not und Enge der folgenden Jahre haben später in dem Roman „Siebenkäs“ ihren Niederschlag gefunden. Anfang 1787 ging J. als Hauslehrer des jüngeren Bruders seines kurz vorher gestorbenen Freundes Oerthel nach Töpen, kehrte im April 1789, um die unerquicklichen Erfahrungen des Hofmeisterdaseins bereichert, nach Hof zurück und war danach 1790-94 Lehrer und Erzieher von sieben Kindern verschiedenen Alters in Schwarzenbach. Er gewann Zugang zu einem Kreis bürgerlicher Familien in Hof. Mit deren Töchtern Renate Wirth, Amöne Herold und Helene Köhler pflegte er eine zwischen Liebe und|Freundschaft schwärmende Geselligkeit, die er scherzhaft seine „Erotische Akademie“ nannte. Nachdem er seinen Bruder Heinrich durch Selbstmord in der Saale und mit dem Tod Hermanns den zweiten Freund verloren hatte, widerfuhr ihm am Abend des 15.11.1790 eine Vision, in der er sich selbst auf dem Sterbebett sah. Es war eine Vanitas-Erfahrung, vergleichbar den religiösen Erschütterungen des Barockzeitalters angesichts der Allgewalt des Todes und der Hinfälligkeit des irdischen Daseins. Er überwand ihr Vernichtendes durch den Entschluß zur Menschenliebe und den Glauben an die Fortdauer der Seele. Damit wurde sie ihm zur Geburtsstunde seines Dichtertums. Die vier großen Themen waren nun gegeben, die sein ganzes Werk beherrschen sollten: Freundschaft, Liebe, Tod, Unsterblichkeit.

    Vorstufen, zum Teil auch schon Übergänge zu den beiden ersten Romanen bildeten die Idyllen „Des Amts-Vogts Josuah Freudel Klaglibell gegen seinen verfluchten Dämon“, „Des Rektors Florian Fälbeis und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg“ und das „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“. Während in den beiden ersten die Satire noch vorwaltet, aus der jedoch schon viel Kälte und unbarmherzige Schärfe gewichen sind, ist im „Wutz“ zur Bindung der Charakterstudie an individuelle, Handlung einschließende Situationen die Umwandlung der Satire in den Humor hinzugekommen, der das beengte kleine Leben mit dem All-Leben verbindet. Dadurch wurde es möglich, 1793 im Druck das „Schulmeisterlein Wutz“ an die „Unsichtbare Loge“ anzuschließen. Diesen Roman begann J. im Frühling 1791 und beendete ihn ein Jahr später. Er sandte das Manuskript an Karl Philipp Moritz, der enthusiastisch zustimmte und die Übernahme in den Verlag seines Schwagers Matzdorff vermittelte. J. ging sogleich an die Niederschrift seines zweiten Romans „Hesperus“. Als dieser 1795 erschien, machte er J. in kürzester Frist zum berühmten und beim literarischen Publikum beliebtesten Schriftsteller Deutschlands.

    Der „Hesperus“ und die nicht zum Abschluß gelangte „Unsichtbare Loge“ sind miteinander nahe verwandt. Beide entnehmen viele Handlungsrequisiten dem zeitgenössischen Unterhaltungsroman. Soweit politisch-gesellschaftliche Verhältnisse in ihnen zur Darstellung gelangen, erinnern sie an Staatsromane und Fürstenspiegel. Ihre vom Autor im Untertitel hervorgehobene Kennzeichnung als „Lebensbeschreibung“ weist auf den Zusammenhang mit dem Erziehungs- und Bildungsroman. Die Technik des Erzählens verleugnet nicht die Schulung an Sterne und seinem deutschen Vermittler Th. G. v. Hippel. In den Figurenkonstellationen wiederholen sich persönliche Erlebnisse: Gustav, Beata und Amandus in der „Unsichtbaren Loge“, Viktor, Klotilde und Flamin im „Hesperus“ stehen zueinander in einem ähnlichen Spannungsverhältnis von Freundschaft und Liebe, wie J. zwischen Beate v. Spangenberg und L. A. v. Oerthel, Amöne Herold und Chr. Otto gestanden hatte. In der „Unsichtbaren Loge“, die das Motiv der Geheimen Gesellschaften mit dem der revolutionären Verschwörung verbindet, wird die Ausgangssituation der unterirdischen Erziehung Gustavs durch den „Genius“ nur aus der Verbindung Rousseauschen Gedankenguts mit pietistischer Religiosität verständlich. Mit der „Auferstehung“ Gustavs in das Leben schuf J. die erste seiner großen Naturschilderungen, in denen die Idylle den Charakter der Erhabenheit gewinnt. Der reinen Seele Gustavs erscheint eine paradiesische Natur, die nicht göttlich, aber ein Spiegel Gottes ist. Fortan vermochte J. der unendlichen Natur den Rahmen eines Landschaftsbildes zu geben. In jeden Gefühlsaufschwung ist sie einbezogen, sie antwortet auf das, was im Innern des Menschen geschieht. Darum ist sie, soviel Züge der fränk. Heimat J.s sie auch trägt, dennoch Phantasielandschaft, geschaffen mit jener „Magie der Einbildungskraft“, der er 1795 einen eigenen Aufsatz gewidmet hat, worin er sie aus dem Trieb nach dem Unendlichen erklärt. Zwischen J.s Landschaftsbildern und seinen Traumdichtungen bestehen enge Verbindungen, oft werden beide ins Visionäre gesteigert. Er setzt alle musikalischen Mittel seiner Sprache ein, um den Raum zu entgrenzen und die Zeit aufzuheben.

    Wie Gustavs Kindheit in der unterirdischen Höhle als eine Vorbereitung auf das irdische Leben verläuft, so ist dieses wiederum nur Erwartung eines höheren Daseins, das in „seligen“ Augenblicken ahnend vorweggenommen wird. In dieser Transparenz liegt die Ursache für die eigentümliche Weltlosigkeit der Dichtung J.s, die man ihm immer wieder zum Vorwurf gemacht hat und die Dichter wie Stifter und Keller, deren Jugend im Zeichen J.s stand, von ihm weg und zu Goethe hinführte. Für J. selbst aber ist gerade diese Unfähigkeit, sich in der Welt einzurichten, ein Erkennungszeichen der „hohen Menschen“, zu deren Verteidigung er in die „Unsichtbare Loge“ einen kleinen Traktat als „Extrablatt“ eingefügt hat. „Die|Erhebung über die Erde, das Gefühl der Geringfügigkeit alles irdischen Tuns und der Unförmlichkeit zwischen unserem Herzen und unserem Orte“, der „Wunsch des Todes“ und der „Blick über die Wolken“ zeichnen sie aus. Zu ihnen gehören nicht nur Charaktere, die mit sich selbst einig sind, sondern auch dissonantische, in der „Unsichtbaren Loge“ neben Gustav auch Ottomar, der am inneren Feuer verbrennende, schwermütige, in die Verneinung getriebene geniale Mensch der Sturm- und Drang-Generation.

    Weder die „Unsichtbare Loge“ noch der „Hesperus“ bieten dem Leser ein zusammenhängendes episches Geschehen, statt dessen ein Gewirr von Verwechslungen, Mißverständnissen und Wiedererkennungen, denen, soweit sie nicht zur meist satirisch vorgetragenen Kritik am absolutistischen Herrschaftssystem der deutschen Kleinstaaten dienen, nur Bedeutung als auslösendes Moment für seelische Konflikte und stärkste Gefühlsäußerungen zukommt. Im Gegensatz zu Gustav ist Viktor, die Hauptgestalt im „Hesperus“, ein komplizierter Charakter, in dessen Selbstreflexion die Ich-Erfahrung zur Ich-Spaltung führen kann. Durch grotesk-komische Darstellung in Viktors „Leichenrede auf sich selbst“ wird deren lauernde Bedrohlichkeit vergegenwärtigt. Aber entgegenwirkende überlegene Kräfte in der Seele Viktors beschützen ihn vor der Selbstzerstörung: Gefühl, philosophische Besonnenheit und Humor. In dem Vermögen, auch dem Kleinsten und Unscheinbarsten Wert zu verleihen, trifft er sich mit Wutz. Den Prüfungen, die ihm durch äußere Schicksalsverkettungen auferlegt werden, vermag er standzuhalten, weil er eine Freiheit des Geistes besitzt, die ihn zu selbstgewählten Entscheidungen befähigt. Die unendliche Sehnsucht des Herzens verbindet ihn mit Klotilde und ihrem gemeinsamen Lehrer Emanuel-Dahore. Der „Genius“ der „Unsichtbaren Loge“ kehrt in Emanuel wieder, wobei das zuerst christlich Platonische jetzt ins Indische hinüberverwandelt ist. Der Wunsch zu sterben und seine Erfüllung in der Idyllik Maienthals geben diesem Vorbildleben die vollkommenste Gestalt des „hohen Menschen“. Scheintod, Wiedererwachen in ein schon für das Jenseits gehaltenes elysisches Diesseits, abermaliges Sterben und Verlöschen in dem Traum, daß „eine Wonne alle Seelen vernichte“, sind die Stationen der Zeitliches im Ewigen aufhebenden letzten irdischen Vervollkommnung. Der Nirwana-Gedanke wird als All-Liebe begriffen; er löscht nicht Natur, Freundschaft, Liebe, Ich-Erfahrung und den Glauben an einen persönlichen Gott aus, sondern nimmt das alles in sich auf und umfaßt es. In Emanuels Todesvision öffnet der Engel des Endes die Arme und drückt „das ganze Menschengeschlecht in eine Umarmung zusammen“.

    Seit 1794 lebte J. wieder bei der Mutter und den Brüdern in Hof, weiterhin in ärmlichen Verhältnissen. Nur Besuche in Bayreuth, wo er nach Chr. Otto in Emanuel Osmund einen zweiten Freund für sein ganzes Leben gefunden hatte, führten ihn über die kleinstädtische Enge hinaus. Der Erfolg des „Hesperus“ brachte die Wende. Gleim, Wieland, Lavater und Herder wurden auf ihn aufmerksam. Unter den Leserinnen, die empfindungsvolle Briefe an ihn richteten, befand sich auch Charlotte v. Kalb. Ihrer Einladung nach Weimar folgte er im Juni 1796. Mit großer Wärme wurde er im Herderschen Hause aufgenommen, auch die Hzgn. Anna Amalia empfing ihn in Tiefurt, während Goethe und Schiller ihm mit Vorbehalten begegneten. Goethe nannte den „Hesperus“ einen „Tragelaphen“; im Musenalmanach für 1797 formulierte er seine ästhetischen Einwände in den Distichen „Der Chinese in Rom“. Später hat Goethe eine sehr viel positivere Meinung über J. gewonnen: an der „Levana“ bewunderte er „eine unglaubliche Reife“, und in dem Abschnitt „Vergleichung“ der „Noten und Abhandlungen“ zum „Westöstlichen Divan“ sprach er ihm die Vorzüge der Orientalität zu. Wiederholt hat J. bekundet, daß er Goethe verehre und liebe. Schiller gegenüber, dem er bei seinem Besuch in Jena fremd, „wie einer, der aus dem Mond gefallen ist“, vorgekommen war, hegte er dagegen eine Abneigung, die sich aus dessen vermeintlicher Härte und Kälte herleitete. Den Eindruck, den er schon vorher von einem Porträt Schillers erhalten hatte, es stelle „einen Cherubim mit dem Keime des Abfalls“ dar, und er scheine sich „über alles zu erheben, über die Menschen, über das Unglück und über die Moral“, konnte auch die persönliche Begegnung nicht tilgen.

    Mit dem ersten Aufenthalt in Weimar begannen von Unruhe getriebene Jahre für J. Nach dem Tod der Mutter verließ er im Juli 1797 Hof und zog mit seinem jüngsten Bruder Samuel zunächst nach Leipzig. Ein zweiter Besuch in Weimar veranlaßte ihn dann 1798 zur Übersiedlung, weil er der dortigen literarischen Anregungen für den entstehenden „Titan“ zu bedürfen glaubte. Der vereinsamte und verbitterte Herder fand|in J. noch einmal einen ihn rückhaltlos anerkennenden Jünger. Aus der ihm innewohnenden Verklärungstendenz hat J. zwei Idealbildnisse Herders geschaffen: die Gestalt Dians im „Titan“ und das Epithaphium in der „Vorschule der Ästhetik“. Auch zu Wieland und Knebel ergaben sich nähere Beziehungen, während das Verhältnis zu Goethe unter der Entzweiung zwischen diesem und Herder litt. Die ersten Berührungen mit der Jenenser Frühromantik ließen vornehmlich das Gegensätzliche der Welt- und Kunstanschauung in Erscheinung treten. Nicht nur Charlotte v. Kalb brachte J. leidenschaftliche Gefühle entgegen, schon in Hof suchten ihn Julie v. Krüdener und die Schriftstellerin Emilie v. Berlepsch auf, die ihm nach Leipzig folgte. Während der Weimarer Zeit galt J.s „Simultanliebe“ Josephine v. Sydow, Henriette v. Schlabrendorff und Karoline v. Feuchtersieben. Mit Karoline verlobte er sich im Herbst 1799 in Hildburghausen. J.s Briefwechsel mit diesen Frauen zeigt, wie wenig er selbst um sie geworben hat, wie vorrangig ihm der literarische Charakter dieser Verbindungen war. Zu einem tieferen menschlichen Konflikt kam es nur bei einem Zusammentreffen zwischen Karoline, J. und Herder im Mai 1800 in Ilmenau, das zur Auflösung der Verlobung führte. J. reiste kurz darauf nach Berlin, und der ihm dort bereitete Empfang beschleunigte seinen Entschluß, Weimar zu verlassen. Er lernte Fichte, Schleiermacher und Tieck kennen, verkehrte in den literarischen Zirkeln der Rahel Varnhagen, Henriette Herz und Helmina v. Chézy und wurde von Kgn. Luise nach Sanssouci eingeladen. In Karoline Mayer, der Tochter eines preuß. Obertribunalrats, fand er seine künftige Gattin. Gleich nach der Hochzeit reisten beide zu Herder, dann wählten sie sich Meiningen zum Wohnort. 1803 vertauschten sie Meiningen mit Coburg, aber erst im folgenden Jahr brachte ihnen die Übersiedlung nach Bayreuth die bleibende Häuslichkeit. Fortan hat J. Bayreuth nur noch für gelegentliche kürzere oder längere Reisen verlassen; lange Zeit hindurch war das Gasthaus „Rollwenzelei“ vor der Stadt seine fast tägliche Arbeitsstätte.

    Nach dem Abschluß des „Hesperus“, in den Jahren der Vorarbeiten zum „Titan“, hat J. versucht, mit kleineren Prosadichtungen unter sich gegensätzlicher Stilart die Spannweite seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu erproben. Sie umfaßt die drei Grundformen des Romans – von J. später in der „Vorschule der Ästhetik“ ital., deutsche und niederländ. Schule genannt – mitsamt ihren Mischformen. „Die unsichtbare Loge“, „Hesperus“ und „Titan“ gehören der ital. Schule an, „Siebenkäs“ und die „Flegeljahre“ der deutschen, „Wutz“, „Quintus Fixlein“ und „Der Jubelsenior“ der niederländischen. Der „ital.“ Roman hebt die Wirklichkeit zur Idee hinauf, sie wird so durchscheinend für die Idee, daß sie sich auf den Höhepunkten der Darstellung fast in ihr auflöst. Im „deutschen“ Roman steht der Dichter, wie Goethe im „Wilhelm Meister“, mit seinem Helden auf der gleichen Lebensstufe; J. hält diese Form für die schwerste, da sie dem Dichter die Mittel des Romantisierens ebenso entzieht wie die des Idyllisierens. Die „niederländ.“ Schule hingegen – J. denkt bei dieser Bezeichnung ebenso an Breughel, Brouwer, Teniers wie bei der italienischen an Tizian und Raffael – gibt dem Autor einen überlegenen Standpunkt, von dem aus er auf seinen Helden herabblickt. Das erlaubt ihm die freie Wahl unter allen Darstellungsformen des Lächerlichen, von der Satire, Karikatur und Parodie, über die Burleske und Groteske bis zur Wärme des versöhnenden Humors.

    In dem „Leben des Quintus Fixlein“ (1795) und der Pfarrhausidylle „Der Jubelsenior“ (1797) ist J. den mit „Wutz“ eingeschlagenen Weg weitergegangen. Idylle ist ihm die „Darstellung des Vollglücks in der Beschränkung“. Ein dem „Fixlein“ vorangestelltes „Billett an meine Freunde“ nennt drei Wege „glücklicher (nicht glücklich) zu werden“. Der erste führt über „das Gewölke des Lebens“ auf eine Höhe, von der aus die ganze äußere Welt nur noch als „eingeschrumpftes Kindergärtchen“ erscheint; auf dem zweiten läßt sich der Mensch in dieses Gärtchen herabfallen, nistet sich in eine Furche ein und hält die Welt für das, was er „aus seinem warmen Lerchennest“ erblicken kann. Der dritte Weg, der schwerste und klügste, „ist der, mit den beiden andern zu wechseln“. Während J. selbst in Leben und Kunst diesen dritten Weg zu gehen versucht hat, wählt Fixlein den zweiten. Der erste Weg bleibt den „hohen Menschen“ der „ital.“ Romane vorbehalten. So wie im „Wutz“ die humoristische Idylle durch den Anschluß an die „Unsichtbare Loge“ mit dem hohen Stil verbunden wurde, hat J. bei „Fixlein“ sein prätendiertes Erzählerrecht zu Ab- und Ausschweifungen in vorangestellten Traumvisionen, nachfolgenden „Jus de tablette“, die neben „Freudel“ und „Fälbel“ den Aufsatz „Über die natürliche Magie der Einbildungskraft“ enthalten, und vor allem in der zunächst selbständig erschienenen Geschichte meiner Vorrede zur 2. Auflage des Quintus Fixlein“ (1796) in Anspruch genommen. Der Aufsatz über das Wesen der Phantasie und die „Geschichte meiner Vorrede“ zeigen, wie sich in der Auseinandersetzung mit der Weimarer Klassik und der Jenenser Frühromantik in dieser Zeit J.s eigene ästhetische Theorie vorbereitete. Die Phantasie als der „Sinn des Grenzenlosen“ ist für J. eine menschliche Grundveranlagung, von der sich die poetische Schöpfungskraft des Genies nicht spezifisch, sondern nur dem Grade nach unterscheidet. In der „Geschichte meiner Vorrede“ wendet sich J.s Polemik gegen den „Gräzismus“ der Weimarer und der Brüder Schlegel. Er versteht darunter einen Kult der reinen Form um den Preis inhaltlicher Entleerung des Kunstwerks. Dem Spielbegriff Schillers, den er mit diesem Vorwurf treffen wollte, konnte er durch eine solche negative Auslegung nicht gerecht werden. Ebenso wie eine gegenstandslose Artistik fürchtete er die Vergötterung der Kunst. Insofern sah er in dem klassischen Ideal der Kunstvollendung die gleichen Gefahren wie in Friedrich Schlegels Begriff der romantischen Ironie, der ästhetischen „Erhebung über die Erhebung“.

    Die Beunruhigungen, die für J. von dem frühromantischen Subjektivismus ausgingen, und sein zwiespältiges Verhältnis zu Fichtes „Wissenschaftslehre“ veranlaßten ihn 1798, sich an Friedrich Heinrich Jacobi zu wenden, von dessen Glaubensphilosophie er Hilfe erwartete. Der Briefwechsel zwischen beiden, die sich erst 1812 in Nürnberg sahen, wurde für J. zu einer immer neuen Bestärkung in seinem Kampf gegen Fichtes Ich-Lehre und den romantischen Solipsismus. Schon vorher hatte er in der Dialogerzählung „Das Kampaner Thal“ (1797) Beweisgründe für den Unsterblichkeitsglauben gesammelt, der ihm seit der ersten Ich-Erfahrung und der Todesvision zum Inbegriff aller Religion geworden war. Dieser Glaube war für ihn unablösbar von dem Gedanken einer zeitlosen Ich-Du-Beziehung zwischen der Einzelseele und einem außerweltlichen Gott. Daher mußte er den spinozistischen Pantheismus ebenso ablehnen wie Fichtes Lehre von dem sich selbst setzenden Ich. Indem er das Vernunft-Ich Fichtes fälschlich mit dem Ich des individuellen Selbstbewußtseins identifizierte, mußte ihm alles Seiende außerhalb dieses Ich-Bewußtseins zum selbstgeschaffenen Nicht-Ich werden. Die absolute Einsamkeit eines nur sich selbst antwortenden Ich in einem leeren All schien ihm die unausweichliche Konsequenz dieser Philosophie zu sein. Das treibt im „Titan“ den Fichteaner Schoppe in die Zwangsvorstellungen des ihm begegnenden Doppel-Ichs, in den Verzweiflungsausbruch am Schluß der seiner Verfasserschaft zugeschriebenen „Clavis Fichtiana“ und zuletzt in den Wahnsinn hinein. Schon früh war J. von der Schreckensvision des Atheismus ergriffen worden. Am Anfang seiner Traumdichtungen steht „Des toten Shakespears Klage unter toten Zuhörern in der Kirche, dass kein Gott sei“ (1789), die später umgearbeitet als „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei“ in den „Siebenkäs“ aufgenommen wurde.

    Die „Blumen-, Frucht- und Dornenstücke“, der Roman von „Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs“ (1796/97) enthält schon deshalb viel Selbstbiographisches, weil J. hier, seiner eigenen Stilforderung entsprechend, sich mit seinen Personen auf die gleiche Stufe stellen mußte. Die realistischen Detailschilderungen der Armut, der kleinbürgerlichen Enge und der geistigen Beschränktheit Lenettens sind den Lebensumständen J.s in Hof entnommen; in Siebenkäs, seiner oft herzlosen satirischen Überlegenheit, seiner humoristischen Selbsterhaltungs- und Regenerationsfähigkeit und seiner Sehnsucht nach einem höheren Leben stecken viele Züge eines Selbstbildnisses aus jener Zeit. Die Episode des vorgetäuschten Sterbens, die angesichts des Ernstes der Eheproblematik in bedenkliche Nähe zur Blasphemie gerät, zeigt noch die ursprünglich burleske Absicht des Dichters. Erst die Einführung Nataliens und ihrer Bayreuther Umwelt hat, wohl auf einer späteren Arbeitsstufe, die idealischen Motive in den Roman gebracht. Der zerrütteten Alltagsehe wurde damit der Wunsch nach der Vereinigung einander ebenbürtiger Menschen gegenübergestellt. Indem nur durch eine Selbstverleugnung des Freundes Leibgeber die Befreiung für Siebenkäs möglich wird, und er diese mit der Trennung von dem Freund erkaufen muß, tritt die ironische Lebenshaltung des Freigeistes Leibgeber zum erstenmal in jene tragische Sphäre ein, die sein Schicksal als Schoppe im „Titan“ dann ganz bestimmt.

    Bis 1792 reichen die Entwürfe und Vorarbeiten zum „Titan“ (1800/03) zurück, dem geschlossensten Werk J.s, mit dem er sich der Klassik am meisten genähert hat. Anfangs sollte der Roman „Das Genie“ heißen, dann wählte er den mythologischen Namen zur Kennzeichnung frevelhafter Selbstüberhebung. Jacobis „Eduard Allwill“ und „Woldemar“ hatten ihn auf den Gedanken gebracht, das Genietum des Sturm und Drang in allen|Ausartungen zur Darstellung zu bringen. Das bedingte negative Helden als Hauptfiguren, wobei J. für die Gestalt Roquairols an das Bild, das er sich von F. M. Klinger machte, gedacht hat. Als weibliche Titanide, Roquairol gegenüberstehend, ist Linda de Romeiro zu betrachten, zu deren Charakterbild die von J. „eine Woldemarin“ genannte Charlotte v. Kalb am meisten beigetragen hat. Auf der letzten Stufe der Planung erhielt der Titel jedoch die gegenteilige Bedeutung: Títan ist jetzt als Name des Sonnengottes zu verstehen, und abbildlich gilt er für Albano, den zur Herrschaft vorbestimmten, in Schönheit, Kraft und Reinheit strahlenden Fürstensohn. Diese Sinngebung forderte den J. sonst fremden pathetischen Ton, und folgerichtig wurde die Naturidylle auf die im Roman erst später nachgeholte Kindheitsgeschichte in Blumenbühl beschränkt, während gleich am Beginn die Fahrt nach Isola Bella im Lago Maggiore die Reihe der heroischen Landschaften eröffnet, die allein den angemessenen Rahmen für die Schicksale gesteigerten Menschentums bieten konnten. J. hat Italien niemals gesehen, und so gibt er auch hier Phantasielandschaften, ebenso wie bei der Schilderung der Montgolfierenfahrt in „Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch“, das als 2. „Komischer Anhang“ dem „Titan“ beigefügt wurde. Weit mehr als die „Unsichtbare Loge“ und der „Hesperus“ ist der „Titan“ dem klassischromantischen Entwicklungs- und Bildungsroman verwandt. Die Bildungsmächte, die Albano durch Erzieher erschlossen werden, und die ihm widerfahrenden Lebensschicksale sind darauf gerichtet, ihn das Ziel seiner Bestimmung erreichen zu lassen. Das Rousseausche Ideal der naturnahen ländlichen Abgeschiedenheit gewährt ihm eine glückliche Kindheit. Den Studenten führt der Grieche Dian in die klassisch-antike Kulturwelt ein, zugleich wird er durch Schoppe mit den geistigen Spannungen und Konflikten der eigenen Zeit konfrontiert. Die Begegnungen mit Liane und Roquairol bilden den Anfang der ihm auferlegten Prüfungen. Liebe und Freundschaft werfen Albano nur auf sich selbst zurück. Als eine Sterbende muß sich Liane ihm entziehen. Roquairol ist eine Vorwegnahme des Kierkegaardschen Verführers, ästhetischer Immoralist mit teuflischer Lust an der Zerstörung, ein „Abgebrannter des Lebens“, vom tödlichen Gift nihilistischer Selbstbespiegelung zerfressen. Eine neue Entwicklungsstufe bringt für Albano die Reise nach Rom: Die untergegangene weltgeschichtliche Größe begreift er als Aufforderung zu eigenem großen Handeln. Der Entschluß, diese durch Teilnahme an der Französischen Revolution zu befolgen, gelangt jedoch nicht zur Ausführung. Die leidenschaftliche Maßlosigkeit, die Linda, das renaissancehafte Gegenbild der seraphischen Liane, beherrscht, läßt Albano auch in der Liebe zu ihr keine Erfüllung finden. Am meisten trägt Schoppe, dessen Inferno Albano bis zum Ende miterleidet, zu seiner Reifung bei. Wie J. hier die Lehre und Verhaltensweise, die er philosophisch aufs schärfste bekämpfte, in einem „hohen Menschen“ als tragische Schicksalhaftigkeit dargestellt hat, muß seinen größten dichterischen Leistungen zugezählt werden. Nach Schoppes Tod hat Albano die Stufe erreicht, die ihn befähigen soll, durch höchste Gerechtigkeit „Volksglück“ zu stiften. In Idoine erhält er die Gattin, die Lianes und Lindas Wesen harmonisch in sich vereinigt.

    Mit den „Flegeljahren“ (1804/05) kehrte J. von der Erhabenheit seines „Kardinalromans“ zum Humor des „deutschen“ Stils zurück, freilich auf einer neuen Stufe. Jetzt geht die romantische Unendlichkeit in die Charaktere der Idylle ein, der harmonische Ausgleich zwischen den Gegensätzen wird gesucht. Indem dieser sich jedoch als unerreichbar erweist, streift die Idylle den Grenzbereich des Tragischen. Ursprünglich zur „Erholung des Lesers“ für den „Komischen Anhang“ des „Titan“ vorgesehen, ist erst in der letzten Entstehungsphase aus einer einseitigen, satirisch-skurrilen Charakterstudie durch das Motiv des wesensverschiedenen Zwillingsbrüderpaares Walt und Vult ein Roman geworden, der die Kontrastwirkungen des Humors ermöglichte. „Flegeljahre“ in der Wortbedeutung des 18. Jh. sind die Jugendjahre des Suchens mit all ihrer Unsicherheit und Unbedingtheit. Walt, eine Parzivalnatur, arglos vertrauend, ohne Menschenkenntnis, der sich lächerlich machende, aber zum Glück vorherbestimmte ‚tumbe tor', lebt ganz aus der Innerlichkeit seines Gefühls. Er schreibt „Streckverse“, Gedichte in Prosa, von J. sonst auch „Polymeter“ genannt, als musikalische Sprachgebilde von freier Rhythmik und fließender Bildlichkeit J.s einzige lyrische Ausdrucksform. Daß ihm die Welt fehlt, tritt nicht in Walts Bewußtsein, und so verkörpert er „hohes“ Menschentum in der Idylle. Dagegen sucht Vult das Unbedingte außer sich, in der Freundschaft, deren Ausschließlichkeit er auch vom Bruder fordert. Er ist ein Mensch der romantischen Spannungen, skeptisch, pessimistisch, resignierend, in seinem Urteil von kritischer Schärfe bis zur verletzenden Ungerechtigkeit,|doch auch er Künstler: Flötist und satirischer Schriftsteller. In der gemeinsamen Liebe zu Wina wird ihm der Verzicht auferlegt. Mit dem Abschied der beiden Brüder voneinander bricht der Roman ab. Da es sich um einen unaufhebbaren Konflikt in der Seele J.s handelte, mußte das Werk Fragment bleiben.

    Philosophisches Denken, das sein Ziel in einem geschlossenen System der Weltweisheit sieht, war J. fremd. Seine philosophischen Bemühungen, ob anthropologischer, ästhetischer, pädagogischer oder religionsphilosophischer Art, tragen aphoristischen Charakter. Zeitlebens sammelte er Beobachtungen und Einfälle als „Bemerkungen über den Menschen“, „Untersuchungen“, „Gedanken“ und ethische Lebensregeln. Zur Ausführung im Zusammenhang bedurfte es aktueller Anlässe, wodurch diese Arbeiten dann polemischen oder apologetischen Charakter erhielten. So ist auch die „Vorschule der Ästhetik“ (1804) aus dem Zwang zur eignen Standortbestimmung in der Auseinandersetzung mit den literarischen „Parteien der Zeit“ entstanden. Die „Vorlesungen“ der 3. Abteilung über „Nicolaiten“ und „Schlegeliten“ oder, wie J. mißversländlich sagt, „Stilistiker“ und „Poetiker“ geben die Ausgangssituation wieder. Von zeitgenössischer Literaturkritik steigt J. zu verallgemeinernden Postulaten auf. Ähnlich steht es mit dem Verhältnis von ästhetischer Theorie und dichterischer Praxis. Spezifische Probleme des eigenen Schaffens verlangten nach genereller Klärung, J.s Subjektivität drang auf objektive Legitimierung. Die „Vorschule“ gibt keine allgemeine Kunstlehre, sie ist eine Poetik und auch das ohne den normativen Anspruch der vorangegangenen Zeit. Fern von allem Vollständigkeitsstreben theoretisiert J. nur dort, wo er selbst als Künstler betroffen ist. Unter Zurücksetzung weiter Bereiche, die, wie das Tragische, die Gattungstheorie, die Formenlehre des Dramas und der Lyrik, nur flüchtig berührt werden, bildet die „Vorschule“ charakteristische Schwerpunkte bei der Wesensbestimmung der dichterischen Phantasie, dem Geniebegriff, der Theorie des Humors und den Bauformen des Romans. Ausgehend von dem aristotelischen Nachahmungsgrundsatz, verurteilt J. sowohl das Verfahren der sich gegenüber der Natur als autonom betrachtenden „poetischen Nihilisten“, als auch das der „poetischen Materialisten“, die ihre Aufgabe darin sehen, die Natur zu kopieren. Diesen falschen Tendenzen stellt er die geistige Nachahmung der Natur entgegen, durch die eine „zweite Welt in der hiesigen“ geschaffen wird. Die Poesie umgibt die begrenzte Natur mit der Unendlichkeit der Idee und läßt sie darin aufgehen. Daher ist alle Poesie idealisch, die komische nicht minder als die ernste. In der poetischen Bildersprache wird die Vereinigung von Natur und Idee zur Anschauung gebracht. J. teilt Hamanns und Herders Überzeugung von dem Vorrang der metaphorischen vor der begrifflichen Sprache. Er beschreibt eine Stufenfolge der „poetischen Bildungskraft“, die von allgemeiner Empfänglichkeit über das Talent und das passive Genie zum produktiven Genie führt. Scharf unterscheidet er zwischen der „Einkräftigkeit“ des Talents und der „Vielkräftigkeit“ des Genies. Das Genie, ausgezeichnet durch eine „neue Welt- oder Lebens-Anschauung“, stellt in jedem Werk „das Ganze des Lebens“ dar, während das Talent nur einseitig aufgefaßte Teile zu geben vermag. Die seit Young vom Genie geforderte Originalität besteht für J. in einem ihm angeborenen „inneren Stoff“, aus dem die Phantasie als eine universale „Kraft voller Kräfte“ das „geniale Ideal“ bildet, jene in die Idee aufgenommene Natur, worin innere und äußere Welt, begrenzter Raum und Unendlichkeit, Zeit und Ewigkeit ineinanderfließen. Zwischen der Genieauffassung des Sturm und Drang und der Romantik entwarf J. eine eigene Genielehre, die mit den zentralen Begriffen der „Besonnenheit“ und des „Geistigen Instinkts“ die Einheit des Bewußtten und Unbewußten im Genie darzutun suchte. Am meisten in eigener Sache argumentierte er, wo er im Sinne dieser Genielehre dem Humor einen gleichrangigen Platz neben dem Erhabenen zuerkannt wissen wollte. Während er im Erhabenen ein auf das Endliche angewandtes Unendliches sieht, leistet für ihn der Humor das Umgekehrte: Er wendet ein Endliches auf das Unendliche an. Die befreiende Wirkung des Humors beruht auf dem Kontrast zwischen beidem. Indem er das Kleine vor den Horizont des Unendlichen stellt, vernichtet er nicht dieses selbst, sondern dessen Endlichkeit. Die vom Genie geforderte Totalität kann der Humorist daher am äußerlich geringfügigsten Gegenstand zur Erscheinung bringen.

    Kaum weniger eng als die „Vorschule“ ist J.s „Levana“ (1807) mit seinem dichterischen Werk verbunden. Man könnte die Hauptgedanken dieser „Erziehlehre“ aus den großen Romanen herleiten. Hier wie dort erscheint die Kindheit als paradiesischer Zustand in der Reinheit des Herzens, das Jünglingsalter als die eigentliche Blütezeit des Lebens mit|der reichsten Entfaltung aller geistigen und sittlichen Kräfte. Erziehergestalten werden als Vorbildmenschen gezeichnet, Bildungsinhalte und Entwicklungswege von einem Idealziel her gewählt. Auch daß J. der Mädchenerzichung wie der Fürstenerziehung umfangreiche Kapitel gewidmet hat, entspricht der Thematik seiner Romane. Reiche Erfahrungen aus der Schwarzenbacher Lehrerzeit kamen hinzu und als jüngste „Mitarbeiter“ die eigenen Kinder. Von Rousseau, Herder und Pestalozzi hat J. viel Grundsätzliches übernommen, im einzelnen jedoch auch häufig sich deutlich von ihnen abgegrenzt. Oberster pädagogischer Leitsatz ist für ihn die Schonung und Förderung der Individualität als „Wurzel jedes Guten“. Die Aufgabe der Erziehung sieht er darin, den jeder Individualität innewohnenden „idealen Preismenschen“ aus dem „Anthropoliten“, der ihn gefangenhält, zu befreien, Entfaltungsmöglichkeiten und Bildungsanreize zu bieten, egoistische Abirrungen durch Weckung des Bewußtseins der Verantwortlichkeit zu verhüten, keine hypertrophierende Einzelkraft zu schwächen, sondern ihr eine Gegenkraft zu erwecken. J.s Erziehungsideal ist von seiner Genielehre nicht zu trennen: daher die hohe Bedeutung, die er der Pflege der Phantasie zuschreibt. Hiermit wird jedoch nicht einer Überbewertung ästhetischer Bildung das Wort geredet, weil J. geniale Grundveranlagung als das jeder geistigen Individualität angeborene Absolute im Menschen betrachtet. Er kennt moralisches Genie, philosophisches Genie und religiöses Genie. Dem poetischen Genie räumt er nur deshalb Vorrang ein, weil es die drei anderen Genialitäten in sich aufnimmt und sie zu einer höheren Synthese führt.

    Im Zeitalter der napoleonischen Kriege widmete J. einen Teil seiner Arbeitskraft der politischen Publizistik. Begonnen hat er 1801 mit einem apologetisch-biographischen Essay über Charlotte Corday, die er als eine zweite Jeanne d'Arc feierte, geschlossen am Beginn der Restaurationszeit mit den „Politischen Fastenpredigten während Deutschlands Marterwoche“ (1817). Die Verteidigung der Freiheit ist der durchgängige Zug, der sich in allen seinen Stellungnahmen zu Tagesereignissen wiederfindet. Zunächst war er persönlich betroffen. Die Philosophische Fakultät der Univ. Jena verweigerte die Druckerlaubnis für die Widmung der „Vorschule“ an Hzg. August von Sachsen-Gotha wegen ihres zu freien Tons gegenüber dem Fürsten. J. nahm dies zum Anlaß einer Kampfschrift für allgemeine Pressefreiheit. Er veröffentlichte in seinem „Freiheits-Büchlein“ (1805) zur Dokumentation den Text der verbotenen Widmung und den ihretwegen mit dem Herzog geführten Briefwechsel. Die „Friedens-Predigt an Deutschland“ (1808), die „Dämmerungen für Deutschland“ (1809) und die „Politischen Fastenpredigten“ (1817) galten dem Überdenken der Situation Deutschlands in Europa. Weltbürgerliche und nationale Komponenten halten einander dabei die Waage. J. sah in dem Zusammenbruch des alten Reiches die Chance zu einem Neubeginn auf allen Lebensgebieten. Die Notjahre erschienen ihm als eine Zeit der Prüfung und Läuterung; sein geschichtsphilosophischer Optimismus ließ ihn an einen „Gott in der Geschichte“ glauben. Als anzustrebende Staatsform befürwortete er die konstitutionelle Monarchie mit einer gestärkten Volksvertretung. In einer „Kriegs-Erklärung gegen den Krieg“ forderte er Völkerverständigung als ein Gebot der Humanität. Wie sehr er sich von politischer Parteinahme freizuhalten vermocht hatte, zeigen zwei Reisen: 1816 nach Regensburg zu Karl Theodor v. Dalberg, der ihm seit 1808 als Fürstprimas des Rheinbundes besondere Gunst zugewandt hatte, und 1817 nach Heidelberg zur Verleihung der Ehrendoktorwürde, deren von Heinrich Voß d. J. verfaßtes Diplom im burschensohaftlichen Sinne ebenso J.s nationale wie seine künstlerischen Verdienste feierte.

    Als Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften und Almanache hat J. im gleichen Zeitraum zahlreiche Gelegenheitsaufsätze und Rezensionen geschrieben, die er in der „Herbst-Blumine“ (1810/20), dem „Museum“ (1814) und der „Kleinen Bücherschau“ (1825) sammelte. In seiner Dichtung wandte er sich wieder der Idylle zu. „Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz“ (1809) erweckt als satirische Charakterstudie zunächst den Eindruck des Wiederanknüpfens an die frühe Form des „Fälbel“ und „Freudel“, nur daß die Absonderlichkeiten noch mehr ins Extrem getrieben sind. Die Gefühlswärme des „Wutz“ fehlt ebenso wie die romantische Phantastik E. Th. A. Hoffmanns, den J. mit einer Vorrede zu den „Fantasiestücken in Callots Manier“ (1814) in die Literatur eingeführt hat. Ohne spürbare Sympathie mit dem Helden wird ein wahnhaftes Verhalten karikaturistisch geschildert. Dagegen erscheint im „Leben Fibels“ (1812) noch einmal der „einfältige“ Mensch. Diese Idylle umfaßt den ganzen Lebensweg von der Kindheit bis ins hohe Greisenalter. Um die gleiche Zeit beschäftigte sich J. mit dem Plan seiner Selbstbiographie; daher wirkten die eigenen|Kindheitserinnerungen verklärend auch auf Fibels Jugendgeschichte ein. Das Lebensgefühl des Dichters aber war schon das des Alternden, so hat er im letzten Teil des „Fibel“, wiederum verklärend, sein Wunschbild des Lebensausgangs gestaltet. Das Mittelstück wird von der wahnhaften Groteske ausgefüllt: Weil er eine Schulfibel verfaßte, glaubt Fibel, er sei ein berühmter Schriftsteller. Ironie und Parodie überwiegen in „Doktor Katzenbergers Badereise“ (1809) und in dem unvollendet gebliebenen Roman „Der Komet“ (1820/22). Mit der Gestalt Katzenbergers hat J. das Porträt eines zynischen Mediziners gezeichnet. Seinem ätzenden, rein physiologischen Interesse am Menschen steht in satirisch-komischem Kontrast die Mädchenschwärmerei der Tochter Theoda gegenüber. Zu beiden Personen wahrt der Dichter die gleiche Distanz. Subjektiven und objektiven Humor hatte J. in der „Vorschule“ unterschieden. Während er selbst bislang aus der Perspektive des Dichters, d. h. subjektiv humoristisch erzählt hatte, trat er jetzt zurück vor dem objektiv Humoristischen seines Gegenstandes.

    Ein Rabelaissches Narrenpantheon sollte J.s letztes Werk zunächst werden, das er dann aber auf die Lebensbeschreibung Nikolaus Marggrafs in der Form eines parodistischgrotesken Reiseromans beschränken mußte. Trotzdem ist das Motiv des wahnhaften Narrentums im „Komet“ beherrschend geblieben. Die Rolle, die Marggraf für sich erfunden hat, ein bereits zur Regierung gelangter Fürst zu sein, spielt er als Wirklichkeit, ohne die faktische Wirklichkeit zu gewahren. Sachlich, beinahe nüchtern schildert der Dichter Genese und Erscheinungsformen dieses Wahns. Unverkennbar ist J.s Studium des Cervantes, die Parallelen zum „Don Quichote“ drängen sich auf. Peter Worble, Marggrafs Hof- und Reisemarschall, ist sein Sancho Pansa, die Prinzessin Amanda seine Dulcinea. Wie ein apokalyptischer Gegenspieler taucht der Marggraf verfolgende Ledermann auf, der sich für Kain hält und für den „Fürsten der Welt“. Als Kandidat Richter aus dem Vogtland mischt sich der Autor selbst ein: das krankhaft Illusionäre der selbstgeschaffenen Phantasiewelt durchschauend und um den Ausgang fürchtend.

    Der Tod des einzigen Sohnes hat J. die Kraft zur Weiterarbeit an dem Roman geraubt. Vergebens war er bemüht gewesen, den Hochbegabten, durch den Hang zu asketischer Vergeistigung Gefährdeten, der in München und Heidelberg Philologie studierte, vor dem Einfluß des spätromantischen Mystizismus zu bewahren. Jetzt konnte er nur noch versuchen, ein solches „Überchristentum“ mit religionsphilosophischen Argumenten zu bekämpfen, und in der Wiederaufnahme der Gedankenwelt des „Kampaner Thals“ Trost zu finden. Aber auch die letzte Schrift „Selina oder über die Unsterblichkeit“ blieb Fragment; sie wurde 1827 von Christian Otto aus dem Nachlaß herausgegeben.

  • Werke

    Sämmtl. Werke, Bd. 1-60, 1826-28, 33 Bde., hrsg. v. E. Förster, ²1840-42, 34 Bde., hrsg. v. dems., ³1860-62;
    Literar. Nachlaß, 5 Bde., 1836-38 (= Sämmtl. Werke, Bd. 61-65);
    Wahrheit aus J. P.s Leben, H. 1-3, hrsg. v. Ch. Otto, H. 4-8, hrsg. v. E. Förster, 1826-33;
    Sämtl. Werke, Hist.-krit. Ausg. hrsg. v. d. Preuß. Ak. d. Wiss., 1927 ff., ab 1952 ff. v. d. Dt. Ak. d. Wiss. zu Berlin, Abt. I: Zu Lebzeiten d. Dichters ersch. Werke, Bd. 1-17, 19, Abt. II: Nachlaß, Bd. 1-5, Abt. III: Briefe, Bd. 1-9. -
    Ausw.-Ausgg.: Werke, hrsg. v. R. Wustmann, 4 Bde. [1908] (Meyers Klassiker-Ausgg.);
    Werke, T. 1-8, neu hrsg. mit Einl. u. Anm. v. K. Freye mit E. Berend [1908-10] (Bongs Goldene Klassiker-Bibl.);
    Werke, Bd. 1-6, hrsg. v. N. Miller, mit Nachworten v. W. Höllerer, ²u. ³1967 ff. (Hanser-Klassiker). -
    Briefwechsel: J. P.s Briefwechsel mit s. freunde Chr. Otto, 4 Bde., 1829-33;
    Heinrich Voß u. J. P., Briefwechsel, hrsg. v. A. Voß, 1833;
    Denkwürdigkeiten aus d. Leben v. J. P. F. Richter, 4 Bde., hrsg. v. E. Förster, 1863;
    Briefwechsel mit s. Frau u. Chr. Otto, hrsg. v. P. Nerrlich, 1902;
    J. P. u. Herder. Briefwechsel J. P.s u. Karoline Richters mit Herder u. d. Herderschen Fam. 1785-1804, hrsg. v. P. Stapf. 1959. - Gespräche:
    J. P.s Persönlichkeit in Berr. d. Zeitgenossen, ges. u, hrsg. v. E. Berend, 1956 (P). - Hs. Nachlaß: Berlin, Dt. Staatsbibl. -
    J. P.- Archiv (Slg. Berend): Marbach, Schiller-Nat.mus.

  • Literatur

    ADB 28 unter Richter;
    E. Berend, J. P.-Bibliogr., neu bearb. u. erg. v. J. Krogoll, 1963;
    Jb. d. J. P.-Ges., hrsg. v. K. Wölfel, 1. Jg. ff., 1966 ff. (darin Forts, d. Bibliogr. ab 1963). - Forschungsberr.: R. Unger, Vom Sturm u. Drang z. Romantik, Eine Problem- u. Lit.schau II, 2, in: Dt. Vjschr. 6, 1928, S. 159-78;
    F. Martini, J. P.-Forschung u. J. P.-Lit., Ein Ber., ebd. 14, 1936, S. 305-23;
    J. Krogoll, Probleme u. Problematik d. J. P.-Forschung (1936–67), Ein Ber., in: Jb. d. Freien Dt. Hochstifts 1968, S. 425-523;
    U. Schweikert, J. P., 1970;
    Goedeke V, S. 461-66;
    Eppelsheimer I-XII. -
    F. Bamler, Ahnentafel d. Dichters J. P. R. (Ahnentafeln berühmter Deutscher 5, 10), 1940.

  • Porträts

    Gem. v. H. Pfenninger, 1798 (Halberstadt, Gleimhaus), Abb. b. Rave, Wilpert, Literatur in Bildern;
    Kupf. v. F. W. Nettling, 1804, n. Zeichnung v. J. H. Schröder, 1803, Abb. in: J. P.s Persönlichkeit in Berr. d. Zeitgenossen, s. L, u. in: J. P. Gedächtnisausstellung, Marbach, 1963, Kat.;
    Gem. v. J. Meier, 1810 (Bayreuth, Städt. Mus., Kopie), Abb. in: J. P.s Persönlichkeit, s. W;
    Gipsbüste v. Hildebrant, 1816 (Bayreuth, Rollwenzelei), Abb. ebd.;
    Scherenschnitt v. L. Duttenhofer, 1819, Abb. in: J. P. Gedächtnisausstellung, Kat.;
    Zeichnung v. K. Ch. Vogel v. Vogelstein, 1822 (Dresden, Kupf.kab.),|Abb. b. Rave u. in: Die Gr. Deutschen II, 1956;
    Pastellbild v. L. Kreul, 1823 (Bayreuth, Rathaus), Abb. in: J. P.s Persönlichkeit, s. W.

  • Autor/in

    Adalbert Elschenbroich
  • Zitierweise

    Elschenbroich, Adalbert, "Jean Paul" in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 372-382 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118557211.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Richter, Johann Paul Friedrich

  • Biographie

    Richter: Johann Paul Friedrich R., als Schriftsteller gewöhnlich Jean Paul genannt, war eine der eigenthümlichsten, wenn auch nicht immer erfreulichsten Erscheinungen in unserem Geistesleben. Ueberaus vielthätig, einst maßlos überschätzt und mit schwärmerischem Entzücken gelesen, wirkte er auf die folgenden Geschlechter nachhaltig ein, so daß die Spuren seines litterarischen Einflusses noch jetzt bei uns deutlich zu erkennen sind, da doch die unmittelbare Theilnahme unseres Volkes an ihm und seinen Schriften längst verraucht ist.

    R. wurde am 21. März 1763 zu Wunsiedel (zwischen Bayreuth und Hof) als ältester Sohn des dortigen Tertius und Organisten Johann Christian Christoph R. (1727—1779) aus Neustadt am Kulm und seiner Gattin Sophia Rosina geb. Kuhn aus Hof ( 1797) geboren. Schon 1765 wurde der Vater als Pfarrer nach dem Dorfe Joditz bei Hof versetzt. Hier besuchte R. zuerst die Dorfschule; dann erhielt er mit den jüngern Brüdern vom Vater Privatunterricht. Das trockne Auswendiglernen befriedigte jedoch seinen Verstand und seine Phantasie wenig. Gierig las er die paar Bücher, die ihm in die Hand kamen; zur Musik zog ihn die innigste Liebe; daneben aber bildete sich im unbeschränkten Verkehr mit der ländlichen Natur sein lebhafter Natursinn aus, und häufige Besuche in den Nachbardörfern und bei den Großeltern in Hof|gaben seiner Einbildungskraft mannichfache Nahrung. Sogar zärtliche Empfindungen regten sich schon in seinem später mit Frauenliebe so reich gesegneten Herzen. Als sein Vater im Januar 1776 die Joditzer Stelle mit der eines Pfarrers in dem Städtchen Schwarzenbach bei Hof vertauschte, entwickelte sich dieses Phantasie- und Gemüthsleben Jean Paul's unter den veränderten Umständen nur kräftiger weiter; zugleich wurden seinem Geiste wieder in regelmäßigem Schulunterricht neue Kenntnisse eingeprägt, die, so unzulänglich und unmethodisch sie auch dem Knaben mitunter überliefert wurden, doch seinen Lerneifer erfolgreich anspornten. Als er zu Ostern 1779, um sich auf das Studium der Theologie vorzubereiten, in das Gymnasium zu Hof eintrat, konnte der tüchtig vorgebildete Jüngling sofort in die oberste Classe Aufnahme finden. Bei den neuen Lehrern und neuen Kameraden wurde es ihm nicht gleich behaglich; doch gewann er bald an dem reichen, dichterisch angelegten, zu empfindsamer Schwärmerei neigenden Lorenz v. Oerthel ( 1789), an dem armen, realistischherben, ja bisweilen cynischen Johann Bernhard Hermann ( 1790) und an dem gleichfalls wohlhabenden, besonnenen, feinfühligen Christian Otto (1763—1828) innige Freunde, die den damals geschlossenen Bund treu durch das ganze Leben hindurch bewahrten. Diese verschieden gearteten Charaktere wirkten verschieden auf R. ein, und seine noch auf dem Gymnasium veifaßten theils poetischen, theils kritisch-philosophischen Erstlingsschriften, ein Roman „Abelard und Heloise“ nach dem Muster des „Werther“, ruhig überdachte und klar vorgetragene Schulreden über pädagogische oder geschichtliche Themen und Aufsätze über ethische und religiöse Fragen, in denen er besonders die Früchte seines Studiums Lessing's und der Berliner Aufklärer reifte, zeigten den wechselnden Einfluß dieser Freunde. Zu Ostern 1781 bestand er die Gymnasialprüfung vor dem Consistorium in Bayreuth und bezog im Mai darauf als angehender Theologe die Universität Leipzig. Bald aber setzte er die theologischen Vorlesungen den philologischen und philosophischen, namentlich denen Platners, nach, las und exerpirte dabei für sich auf das emsigste deutsche, französische und englische philosophische und dichterische Schriften, die ihn meistens noch weiter von der orthodoxen Kirchenlehre ablenkten, und fuhr fort. Aufsätze über philosophische und religiöse Gegenstände, nunmehr aber auch satirische und ironische Versuche ("Lob der Dummheit“ u. dgl.) abzufassen, die für ihn Vorläufer seines ersten gedruckten größeren Werkes, der „Grönländischen Processe oder satirischen Skizzen“ (anonym erschienen in zwei Bänden zu Berlin 1783) bildeten. Er bekannte später selbst, daß ihn namentlich Erasmus, Pope und Young zu der bittern, zum Theil revolutionäre Tendenzen bekundenden Satire angeregt hatten, die er hier in mehreren nicht zusammenhängenden Aufsätzen voll Geist und Laune über allerlei Stände und Lebensverhältnisse, über die Fehler der Schriftsteller, über die Auswüchse der Theologie, über Schwächen der Frauen und Stutzer, über den Ahnenstolz, die Bücherverbote u. s. w. ausgoß. Unbeschränkt waltete in dem Werke die Phantasie, weit mächtiger als der logisch gliedernde Verstand. Eine geradezu verblüffende Fülle von Bildern, die rasch einander ablösten oder ganz in einander überflossen, oft aber weit hergeholt oder erkünstelt waren, trat dem Leser darin entgegen; abstoßende Derbheiten, deren Vorbilder der junge, sittlich vollkommen reine Verfasser bei den englischen Satirikern fand, waren nicht gespart; das bedenklichste aber war das ermüdende Uebermaß, mit dem er seine witzigen Einfälle ins Endlose und keineswegs immer gleichmäßig fesselnd fortsetzte. Daraus erklärte sich denn auch die geringe Theilnahme, welche die Kritik wie die Leserwelt seiner Erstlingsschrift entgegenbrachte. Gleichwohl machte er sich alsbald an eine neue, wiederum satirische Arbeit, die „Auswahl aus des Teufels Papieren“, für die er damals noch keinen Verleger fand. Und doch hatte er gehofft, von dem|Ertrag des Buches seine Schulden zu bezahlen und sein entbehrungsreiches Leben weiter zu fristen. In seiner Bedrängniß entfloh er zuletzt im November 1784 aus Leipzig und kehrte nach Hof in die arme Stube seiner Mutter zurück.

    In seinen ersten Hoffnungen getäuscht, von der eignen Familie und vollends von seinen Hofer Mitbürgern nicht verstanden, durchlebte er hier zwei Jahre der bittersten Armuth, ohne jedoch je in der Arbeit zu erlahmen. Seine Lage schien sich etwas zu bessern, als er um Neujahr 1787 in das Haus seines Freundes Oerthel zu Töpen bei Hof als Lehrer für dessen jüngsten Bruder einzog; aber die Talentlosigkeit und geringe Zuneigung des Knaben, der Hochmuth, die Rauhheit und Rücksichtslosigkeit seines Vaters und dazu die Anfeindungen des unduldsamen Ortsgeistlichen bereiteten ihm neuerdings schwere Tage. In kleineren Aufsätzen, von denen er mit Mühe einige in Zeitschriften unterbrachte, trat er für die Rechte des niedern Volkes und überhaupt für freiheitliche Anschauungen und Bestrebungen auf politischem, litterarischem und religiösem Gebiete kräftig ein; ebenso in den „Teufelspapieren“, die nach langer Mühe und manchem Aerger endlich 1789 mit dem Pseudonym Hasus zu Gera im Druck erschienen. Nach denselben englischen Mustern wie in den „Grönländischen Processen“ bot R. hier wieder tolle Phantasiestücke voll der abenteuerlichsten Laune dar, denen wir, obgleich sie sich beständig auf wirkliche Verhältnisse des Lebens beziehen, doch nur geringes menschliches Interesse abgewinnen können. Die neuen Versuche waren vielseitiger und noch sarkastischer als die Satiren in seiner ersten Sammlung, aber trotz ihrer Breite nur in den wenigsten einzelnen Stellen von bleibendem Werth, und wurden deßhalb von den gleichzeitigen Lesern noch herber abgelehnt als das frühere Werk. Um dieselbe Zeit kehrte Jean Paul, den der Tod seines Freundes Oerthel um die wichtigste Stütze in seiner unerquicklichen Hauslehrerstellung brachte, nach Hof zurück (im Sommer 1789), um im März des folgenden Jahres wieder ein Lehramt, in Schwarzenbach, anzutreten. Nach eigenartiger Methode unterrichtete er hier mit unermüdlichem Fleiße sieben an Alter und Geschlecht verschiedene Kinder seiner Freunde; dafür lohnte ihn jetzt aber die unbegrenzte Liebe seiner Zöglinge, die Achtung und Freundschaft ihrer Eltern, und immerhin blieb ihm Muße genug, um im frischen Genusse der Natur Feld und Wald zu durchstreifen oder zum Besuche der Mutter, eines Kreises von empfindsamen Freundinnen, unter denen vornehmlich Renata Wirth und Amöne Herold während ihres ganzen Lebens im innigen Verkehr mit ihm blieben, und seines treuen Christian Otto, der von nun an recht eigentlich sein Gewissens- und Geistesberather wurde, nach dem nahen Hof zu wandern. Eine Reihe von schriftstellerischen Arbeiten wurde begonnen, die zum Theil überhaupt ungedruckt blieben, zum Theil später in größere Werke eingewoben wurden, am vollendetsten darunter die Satire „Des Rectors Florian Fälbel's und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg", die Humoreske „Des Amtsvogts Josua Freudel Klaglibell gegen seinen verfluchten Dämon", beide 1796 im Anhang zum „Quintus Fixlein“ mitgetheilt, und die Idylle „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wuz in Auenthal“. In diesen kleinen Erzählungen oder Skizzen von Erzählungen trat R. zum ersten Mal als Dichter, als Bildner scharf charakterifirter Gestalten, als Maler lebendig angeschauter, sarbenreicher Situationen auf. So schilderte er den geschmacklosen Schulpedanten Fälbel, den liebenswürdigen, in seiner Armuth und Einfalt glücklichen Wuz, den zerstreuten Pechvogel Freudel. Eigne Erfahrungen verwendete er hier, wie in seinen spätem großen Romanen in mehr oder minder künstlerischer Weise. Wie viel er aber auch vom Stoffe seiner Geschichten dem wirklichen Leben entlehnte, zu einem realistischen Stil der Darstellung ließ es die schrankenlose Subjectivität seines schriftstellerischen Wesens mit ihren beständigen Sprüngen,|Abschweifungen, humoristischen Zwischenreden und Randbemerkungen fast nie kommen. Er selbst betrachtete diese kleineren Versuche nur als Vorstudien für einen großen Roman, den er in elf Monaten vom März 1791 bis zum Februar 1792 vollendete, „Die unsichtbare Loge“. Das fertige Manuscript sandte er an den Verfasser des „Anton Reiser“, Karl Philipp Moritz, der, aufs höchste entzückt, dem Buche sogleich einen tüchtigen Verleger verschaffte. So erschien es zusammen mit dem „Schulmeisterlein Wuz“ 1793 in zwei Bänden zu Berlin. Zum ersten Male nannte sich R. hier auf dem Titelblatt, wie fortan stets, Jean Paul.

    Nach dem Muster Sterne's und seiner deutschen Nachahmer, für die er es nicht an Worten der Verehrung fehlen ließ, aber auch unter dem Einfluß des Wielandischen „Agathon“ und des Goethe’schen „Werther“ lieferte R. in der „Unsichtbaren Loge“ eine Entwicklungsgeschichte, welche die Erziehung des durchaus sentimentalen, in der wirklichen Welt fremden Helden zum Leben schildern soll, aber nach verschiednen, zum Theil vortrefflichen, idyllischen und elegischen Scenen ohne richtigen Abschluß und ohne erschöpfende Lösung des Problems abbricht. Trotz der mitunter meisterlichen Charakteristik einzelner Personen steht doch die feste Gestaltungskraft des Dichters, die geordnete Klarheit seiner Darstellung weit zurück hinter dem Reichthum von Gemüth, Phantasie, Laune, Humor, den der Roman offenbart. Die bloße Erzählung erscheint als Nebenzweck; überall drängt sich das Ich des Verfassers mit seinen von Augenblick zu Augenblick wechselnden und anders schillernden Stimmungen hervor; daher die beständigen Einschaltungen von Extraseiten, Zwischenwörtern und vgl. in die Geschichte, daher die unablässigen Sprünge vom Höchsten in's Niedrigste, vom Ernst in den Scherz, von empfindsamer Schwärmerei in cynische Derbheit, daher die ganze Verschwommenheit des Stils. Auch die Sprache, die Jean Paul mit der Genialität, aber auch mit der Willkür eines Fischart behandelt, leidet bei allem Wohllaut, bei allem Glanze, bei aller Fülle doch unter dieser immerwährenden Mischung der verschiedenartigsten Elemente, besonders unter dem fortgesetzten Zusammenfluß unvereinbarer Bilder und Gleichnisse. Zu einem reinen Kunstgenuß läßt uns „Die Unsichtbare Loge“, deren Titel übrigens aus dem Roman kaum zu erklären ist und gleichfalls nur einer humoristischen Grille des Verfassers entstammt, ebensowenig kommen wie Jean Paul's folgendes Werk, welches im Grunde nur das gleiche Thema, aber auf einer höheren Stufe und mit reiferer Kunst fortführt, „Hesperus oder fünfundvierzig Hundsposttage“.

    Vom 21. September 1792 bis zum 21. Juni 1794 arbeitete R. diesen Roman aus, während er gleichzeitig schon den Grund zu mehreren seiner späteren größten Werke legte. 1795 erschien der „Hesperus“ zu Berlin in drei Bänden. Der Roman zeichnet sich vor der „Unsichtbaren Loge“ durch einen geschickteren Aufbau, eine trotz allen Wiederholungen stetig fortschreitende Entwicklung, besonders durch eine viel klarere, sichrere Charakteristik des Helden wie der vielen, zum Theil sehr liebenswürdigen Nebenpersonen aus. Er zeigt uns ein größeres Bild des Welttreibens, durchaus nach dem Leben gemalt. Laut seinem eignen Bekenntniß hat R. den Helden der Geschichte „ein wenig nach sich selbst gebosselt“ und „überhaupt in dieser ganzen Lebensbeschreibung als Supernumerarcopist der Natur allezeit die Wirklichkeit abgeschrieben“. Dabei verallgemeinerte und idealifirte er freilich überall. Er ließ es an wirkungsvollen, fast theatralisch erregten Scenen, auch an einigem drastischen Apparat selbst mit einem leichten criminalistischen Anstrich nicht fehlen, ohne dadurch aber die ruhige epische Darstellung zu stören. Viel mehr wird diese wieder durch seine zahllosen Abschweifungen, barocken und abenteuerlichen Einfülle, überhaupt durch die gerade hier ungebändigt waltende Willkür seiner humoristischen Subjectivität unterbrochen. Die weiche Empfindsamkeit des Verfassers und seiner Gestalten, die Abkehr von aller gesunden Sinnlichkeit ist hier noch ungleich stärker als in der „Unsichtbaren Loge“. Freilich verdanken wir dieser Hypersentimentalität mehrere der schönsten, dichterisch ergreifendsten, wenn auch nicht immer sehr wahrscheinlich begründeten Scenen des Romans; wir verdanken ihr auch mit die wunderbar weiche, innige und lebendige Naturschilderung, sowie die zarte Stimmungsmalerei, die schon die gleichzeitigen Leser aufs höchste entzückte. Der „Hesperus“ (in spätern Auflagen noch vielfältig im einzelnen ausgebessert) begründete Jean Paul's Weltruhm; er ebnete ihm vor allem auch die Bahnen, die ihn künftig zu neuen, behaglicheren Wirkungsstätten führen sollten.

    Im Mai 1794, als die meisten seiner Zöglinge in das Bayreuther Gymnasium eintraten, war er nach Hof zurückgekehrt, wo er fürs erste, ähnlich wie in Schwarzenbach, einige Kinder unterrichtete. Vom Herbst an wanderte er öfters nach Bayreuth. Wahres Verständniß, das er in Hof so sehr entbehrte, wurde ihm hier entgegengebracht; Damen der hohen Aristokratie zogen ihn verehrungsvoll in ihre Kreise; an dem reichen jüdischen Geschäftsmann Emanuel Osmund gewann er einen geistig nicht unbedeutenden, besonders aber moralisch vorzüglichen Freund, der von da an in unvergleichlich liebenswürdiger Weise an allem, was den Dichter und später seine Familie betraf, den herzlichsten Antheil nahm.

    Durch den unerwarteten Erfolg des „Hesperus“ angespornt, vollendete R. rasch einen neuen, kürzeren Roman, „Leben des Quintus Fixlein, aus funfzehn Zettelkästen gezogen; nebst einem Mußtheil und einigen Jus de tablette“, der 1796 zu Bayreuth erschien und nach Jahresfrist schon wieder aufgelegt werden mußte. Wie im „Wuz“, lieferte Jean Paul hier wieder eine Schulmeisteridylle, nur breiter ausgeführt, farben- und figurenreicher, mit lebhafterer Handlung, im einzelnen zwar auch voll rührender Empfindsamkeit, aber heitrer ausmündend, zugleich reicher an Humor, an Witz, an Satire gegen private und öffentliche Zustände. Die Geschichte selbst ist einfach und hübsch erfunden und gut aufgebaut, die Charakteristik der Haupt- und Nebenpersonen durchaus gelungen; die Fülle lieblicher Genrebilder und gemüthlich erfreuender Scenen gibt dem Ganzen einen unvergänglichen Reiz. Freilich stört auch hier wieder die Verschwommenheit des allzu phantastischen und allzu subjectiven Stils. Ein Uebermaß von Phantasie und weicher Empfindsamkeit steckt besonders in den beiden als „Mußtheil für Mädchen“ vorausgeschickten kleinen Erzählungen, während der Anhang, die „Jus de tablette für Mannpersonen“, neben einem Aufsatz über die natürliche Magie der Phantasie, der durchaus den feinsinnigen Aesthetiker bekundet, treffliche satirische und humoristische Geschichten enthält. Die umfangreiche, gesucht humoristische Vorrede zur zweiten Auflage wandte sich ablehnend gegen die einseitige Verehrung des Alterthums und gegen die von Weimar aus verkündigten Kunstanschauungen; mit besonderem Spott aber traf sie August Wilhelm Schlegel, den „gräcisirenden Formschneider“.

    Unvollendet blieb ein zweites Werk, dessen erster Band gleichfalls 1796 zu Berlin erschien, „Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin", eine empfindsame, an Handlung dürftige, aber mit Humor und Satire überreich gewürzte Geschichte, in der am meisten die Charakteristik des Helden, eine Vorstudie zum „Titan", einen Fortschritt gegen früher bezeichnete. Hingegen war die als „Appendix“ beigefügte „Salatkirchweih in Obersees“ ein Meisterstück einer humoristisch-realistischen Idylle. Das dritte größere Werk des Jahres 1795 reichte mit seinen Anfängen in eine frühere Zeit zurück, „Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvocaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel“ (3 Bändchen, Berlin|1796 f.; vollständig umgearbeitet in der vierbändigen zweiten Auflage 1818). Was R. im „Wuz“ und „Quintus Fixlein“ als Idylle dargestellt hatte, das erhielt hier durch den bedeutenderen, problematischen Charakter des Titelhelden eine tragische Färbung. Der Roman schildert den Kampf eines genialen Menschen mit den Beschränktheiten seiner kleinbürgerlichen Verhältnisse, aus denen gleichwohl Siebenkäs nicht in folgerichtig strenger Arbeit herauszustreben vermag, sondern lieber durch einen lügenhaften Gaunerstreich listig sich herausschleicht, nachdem er lange in satirischem Humor oder phantastischen Träumereien einen vorübergehenden Trost gefunden hat. Die Geschichte ist etwas lang gedehnt, doch auch im einzelnen überall anziehend; bald ergreift sie den Leser gewaltsam, bald unterhält sie ihn gemüthlich oder belustigt ihn gar, und wirkt nur durch ihre zahllosen Abschweifungen und durch die vielfache Verschwommenheit des Stils unerquicklich. Als Meister der Charakterzeichnung bewährte sich Jean Paul hier namentlich an seinen beiden Helden, den Herzensfreunden Siebenkäs und Leibgeber, aber auch an den Nebenpersonen, ja selbst, was ihm sonst so selten gelang, an einer Frauengestalt, an Lenette. Dagegen stößt gegen den Schluß des Werkes nicht nur die unsittliche Betrügerei, durch welche die glückliche Katastrophe herbeigeführt wird, uns ab, sondern auch die Schilderung Nataliens und ihrer Liebe zu Siebenkäs ist zu unbestimmt und allgemein gehalten, um unsern künstlerischen Geschmack zu befriedigen.

    Indessen hatten sich die Zeichen der Theilnahme und Verehrung in Deutschland für den unermüdlich schaffenden Dichter rasch gemehrt. Unter anderm erhielt R. von dem hinter falschem Namen versteckten alten Gleim, dem er im „Siebenkäs“ dafür ein bleibendes Denkmal setzte, eine ansehnliche Geldsendung und von Charlotte v. Kalb mit der Versicherung, daß Wieland. Herder, Knebel und Einsiedet zu seinen warmen Anhängern gehörten, die herzliche Einladung, sie in Weimar zn besuchen. Im Juni 1796 trat er die Reise an, die nach seinem eignen Bekenntniß „eine neue Welt in ihm anfieng“. Er fand bei den Frauen, in erster Linie bei der Herzogin-Mutter Anna Amalia und bei Frau v. Kalb, die wärmste Ausnahme und schloß mit Herder den Bund inniger Freundschaft. Wieland weilte eben von Weimar fern; Goethe und Schiller verhielten sich äußerlich freundlich, aber kalt gegen den Gast, dessen Wesen und Weltanschauung zu der ihrigen so wenig paßte. Mit beglückenden Erfahrungen bereichert, aber zugleich mit dem bittern Gefühl, das ihn auch später in ähnlichen Lagen immer wieder beschlich, daß er seine Ideale von größern Menschen zum Theil schwinden sehen mußte, kehrte R. nach drei Wochen nach Hof zurück. Die Aufforderung, als Erzieher eines Prinzen und einer Prinzessin von Hohenlohe nach den Rheingegenden überzusiedeln, lehnte er jetzt ab; er fühlte, daß er als Schriftsteller unerschöpflich viel zu leisten habe und diesen seinen Lebensberuf nicht mehr hinter eine andre Thätigkeit zurückdrängen dürfe. So verfaßte er zunächst in den letzten drei Monaten des Jahres 1796 den „Jubelsenior“ (Leipzig 1797), eine hübsche Pfarrhausidylle mit gutem Aufbau der stellenweise dramatisch bewegten Handlung, mit klar und lebendig gezeichneten Charakteren, durchaus humoristisch und liebenswürdig, ohne die früher nicht genug vermiedenen künstlerischen und sittlichen Rohheiten. Er selbst nannte die Geschichte einen Appendix und erklärte sie demgemäß nur für eine sehr entfernte Seitenverwandte des Romans, für dessen Stiefschwester, wenn nicht gar feindliche Stiefmutter; die Digression, nicht die eigentliche Erzählung, sondern die humoristisch-satirische Schilderung sei hier der Hauptzweck in einem noch viel höheren Grade als im älteren englischen und deutschen humoristischen Roman. Stilvoller als zuvor verwies aber Jean Paul diesmal seine launigen Excurse über alles Erdenkliche, was im Leben und in der Schriftstellerei vorkommt, meistens in die Hirten|und Zirkelbriefe", welche er den eigentlichen Capiteln der Geschichte, den sogenannten „officiellen Berichten“, regelmäßig folgen ließ. Dicht nach dem „Jubelsenior“, unter dem überwältigenden, bald ihn zu entschiednem Widerspruch reizenden Eindruck der kritischen Philosophie Kant's und Fichte's vollendete er das sogleich zu Erfurt 1797 gedruckte „Kampanerthal oder über die Unsterblichkeit der Seele, nebst einer Erklärung der Holzschnitte unter den zehn Geboten des Katechismus“. In eine einfache, empfindsame, im einzelnen keineswegs reizlose Erzählung flocht er hier die philosophisch weder besonders originellen noch besonders bedeutenden Gespräche zum Beweis der Unsterblichkeit ein; für die verhältnißmäßige Klarheit und Uebersehbarkeit dieses ersten Theiles seines Buchs entschädigte er sich jedoch durch den zweiten, die „Erklärung der Holzschnitte“, wo er in krauser Verworrenheit alle möglichen Gedanken, Empfindungen, Schlüsse, Witze, Einfälle durcheinander schüttelte.

    Das Verhältniß zu den Weimarer Freunden wurde währenddem sorgfältig weiter gepflegt; nur hatten neue, geistig bedeutende, meist empfindsam-schwärmerische Frauen, die ihn leidenschaftlich, aber nur vorübergehend anzogen, Julie v. Krüdener und darnach besonders Emilie v. Berlepsch, das Bild der Frau v. Kalb verdunkelt. Mit Emilie siedelte er nach dem Tode seiner Mutter im October 1797 nach Leipzig über; mit ihr reifte er im folgenden Mai nach Dresden, wo er die ersten großen Eindrücke von der bildenden Kunst empfing. Andre Ausflüge führten ihn damals nach Halle und Halberstadt und wieder nach Weimar. Hier wurde er in dem alten Kreise so herzlich willkommen geheißen, daß er rasch entschlossen im October 1798 von Leipzig ganz nach der Kunststadt an der Ilm herüberzog. Die Beziehungen zu Charlotte v. Kalb gewannen wieder die ehemalige Innigkeit und verloren diese auch nicht, als R. hier, ebenso wie zuvor bei Frau v. Berlepsch, nichts von einer Heirath wissen wollte. Das hinderte jedoch nicht, daß er bald in der Französin Josephine v. Sydow eine glühende Freundin fand, die vorerst sich ihm zwar nur brieflich mittheilte, und daß er seit dem Mai 1799 zu der herzoglichen Hofdame Karoline v. Feuchtersieben in Hildburghausen in das innigste Verhältniß trat: im October 1799 verlobte er sich mit ihr; allein unmittelbar vor der geplanten Hochzeit, im Mai 1800, löste er zu Herder's Verdruß ruhig wieder den Bund, den er selbst jüngst erst geschlossen hatte.

    Trotz dieser mannigfach aufregenden seelischen Erfahrungen blieb ihm in Weimar Zeit und Lust zu den größten schriftstellerischen Arbeiten. In Leipzig hatte er nur (vom November 1797 bis zum März 1798) die „Palingenesien, Jean Pauls Fata und Werke vor und in Nürnberg“ (2 Bände, Leipzig und Gera 1798) vollendet, die er durch diesen Titel schon als eine freilich vollständig umgestaltete und durch reiche Zusätze zu einem durchaus neuen und selbständigen Werke umgeschaffene Wiedergeburt der „Teufelspapiere" ankündigte. Die äußere Geschichte, in welche er diesmal seine zügellosen Einfülle einkleidete, knüpfte er lose an den „Siebenkäs“ an. Für Herder hatte er auch hier Worte der höchsten Verehrung, während er die Kantianer und die „gräcisirenden Dichter“ — er hatte dabei vornehmlich Goethe im Sinn — mit Schelt- und Spottreden heimsuchte. In Weimar folgten den „Palingenesien“ sogleich „Jean Paul's Briefe und bevorstehender Lebenslauf“ (Gera und Leipzig 1799), aus glücklichen Stimmungen voller Befriedigung erwachsen. In die regelmäßigen Postscripte zu den Briefen, selbständige kurze Aufsätze voll Phantasie, Satire, Ironie. Moral, die an Umfang und Bedeutung die Briefe selbst meistens übertrafen, nahm R. auch einzelne ältere, schon früher gedruckte Studien und Skizzen umgearbeitet auf, so den „Doppelten Schwur der Besserung“ und die „Neujahrsnacht eines Unglücklichen“ aus dem Bayreuther „Taschenkalender für die Jugend"|1796. Unter den neu entstandenen Postscripten war der „Brief über die Philosophie, an meinen erstgebornen Sohn Hans Paul, den er auf der Universität zu lesen hat“, wegen seiner Polemik gegen die Kantianer bedeutsam. Die mit den Briefen zugleich herausgegebene „Conjecturalbiographie“, gleichfalls in Briefe (an Christian Otto) eingekleidet, entwirft ein idyllisch-heitres, liebenswürdiges Bild von dem künftigen Leben ihres Verfassers in bescheidnen, aber glücklichen Familienverhältnissen. Sie verräth mehr empfindsame Weichheit als männliche Kraft und Größe, hält sich aber von krankhaft übertriebener Sentimentalität eben so fern, wie von dem Uebermaß eines phantastisch tollenden Humors und bringt den Dichter namentlich uns menschlich nahe. Das Ende der Biographie wies verehrungsvoll auf den „unsterblichen Wieland" hin, wie die „Briefe“ mit einem Hymnus auf Herder geschlossen hatten, dessen „Metakritik“ Jean Paul gerade damals in der Handschrift durchsah. Was ihn an Herder's Schriften so sehr anzog, war die Vereinigung von Religion und Philosophie, dasselbe was er an Friedrich Heinrich Jacobi überschwänglich rühmte. Mit beiden wußte er sich eins im Kampfe gegen die Transcendentalphilosophie; Jacobi widmete er daher die Schrift, die er um Weihnachten 1799 gegen den vermeintlichen Gipfel derselben, gegen Fichte's Wissenschaftslehre, unter dem Titel „Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana“ verfaßte (gedruckt zu Erfurt 1800). Wie sehr er Fichte auch persönlich schätzte, so überschüttete er seine „potenzierte Scholastik“ doch mit dem schärfsten Spott, parodirte sie und suchte sie ad absurdum zu führen — freilich ohne wirklichen Erfolg. Aehnliche Ideen fanden auch in das Hauptwerk dieser Lebensperiode Eingang, in den „Titan“, von dem der erste Band nebst dem komischen Anhang noch in Weimar vollendet wurde.

    Um Frau v. Sydow persönlich kennen zu lernen, reiste R. im Mai 1800 auf einige Wochen nach Berlin. Hier in der „wühlenden und wogenden“ Hauptstadt, in der „Mutterloge deutscher Freiheit“, wo er allerorten Anregung und begeisterte Verehrung fand, fühlte er sich so zufrieden, daß er im October von Weimar zu dauerndem Winteraufenthalt nach Berlin übersiedelte. Am Hofe von der Königin Luise, von den Ministern, von Tieck, Schleiermacher, Fichte, von gesellschaftlich oder geistig hervorragenden Frauen (Frau v. Berg. E. Vernarb, Rahel, Helmine v. Chezy, Gräfin Schlabrendorf u. s. w.) wurde er mit Beweisen der Hochachtung und Liebe überhäuft; sein Herz fühlte sich bald vor allem zu Karoline, der zweiten Tochter des Obertribunalrathes Maier, hingezogen, einem philosophisch gebildeten, dabei mit praktischem Sinn ausgestatteten und häuslich erzogenen Mädchen, das ihm leidenschaftliche Liebe und Begeisterung entgegenbrachte. Am 9. November Verlobte er sich mit ihr; am 27. Mai 1801 fand die Hochzeit statt. Gleich darauf reiste das junge Paar über Weimar und Gotha nach seinem neuen Wohnsitze Meiningen ab. Das Glück der Ehe und das Glück, welches R. in der aufrichtigen Freundschaft des Herzogs und der Besten in seiner Residenz fand, dazu kleine Reisen in die Nachbarstädte oder Besuche willkommener Gäste aus ihnen bescherten ihm frohe Tage. Die edelsten Eigenschaften seines Charakters traten dabei immer bedeutender heraus, die Wärme, die Tiefe, die kindliche Herzlichkeit seines Gemüthes. Rastlos schuf sein Geist. Neben kleineren Arbeiten schrieb er „Das heimliche Klaglied der jetzigen Männer, eine Stadtgeschichte, und die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht“ (Bremen 1801), ersteres eine moralische, empfindsame Geschichte mit Motiven der rührenden Familienromane älterer Zeit, letzteres eine zum Theil humoristische Phantasie mit allerlei verschwommenen Andeutungen vom Ende der Zeiten und der Welt. Namentlich aber vollendete er am 6. December 1802 sein Hauptwerk, den „Titan“, begann schon vorher (am 19. April 1801) die „Flegeljahre"|und plante den Abschluß der „Biographischen Belustigungen“ sowie die Fortsetzung des „Siebenkäs“.

    Seit dem December 1792 hatte er sich mit dem Entwurf des „Titan“ getragen; aber erst während der Weimarer Periode reifte das gegen den Titanismus jeder Art gerichtete Werk, in welches er Erfahrungen seines Lebens und Züge von Personen seiner Bekanntschaft massenhaft verarbeitete, völlig aus. Gedruckt erschien es 1800—1803 in vier Bänden zu Berlin, ebenda der „Komische Anhang zum Titan“ 1800 und 1801 in zwei besonderen Bändchen. Als den Grundgedanken des von den Zeitgenossen sehr verschieden beurtheilten Romans, dessen erste Idee er aus Jacobi's „Allwill“ empfangen haben will, bezeichnet Jean Paul selbst den Streit der Kraft mit der Harmonie. „Titan“, der eigentlich „Antititan“ heißen sollte, sei gegen das irrende Umherbilden ohne punctum saliens, gegen jede genialische Partialität und jede Suprrfötation gerichtet und solle zeigen, wie verderblich die Macht der zügellosen Phantasie sei (bei kraftgenialischen Stürmern sowohl wie bei empfindsamen oder humoristischen Naturen), wie nur Thaten dem Leben Stärke, nur Maß ihm Reiz verleihen könne. So schildert der Dichter die Entwicklungsgeschichte eines Prinzen, der, mit seinem Stande unbekannt, körperlich und geistig gesund, rein gesinnt, mit reichen Gaben ausgestattet und wahrhaft gebildet, seinem künftigen Beruf in mannigfachen Schicksalen entgegenreift. Um ihn reihen sich die mehr oder minder titanisch ungesunden Naturen, die dem Erdenleben immer mehr sich entfremdende, empfindsame Schwärmerin Liane, die willensstarke, freiheitslustige, leidenschaftliche, extravagante Linda, der edle, aber religionslose, durch die Fichte’sche Philosophie zuletzt dem Wahnsinn in die Arme getriebene Humorist Schoppe, eine geniale Fortbildung Leibgebers, der mephistophelische, in Gedanken. Begierden und Thaten zügellose, weltschmerzlich-atheistische Wollüstling Roquairol. Während sie alle dem Untergange verfallen sind, erlangt der Held schließlich in den Armen einer still und fromm im praktischen Leben Gutes wirkenden, liebevollen, aber von allem titanischen Uebermaß weit entfernten Gemahlin und im Besitze des väterlichen Thrones für sich und seine Unterthanen ein reiches, dauerndes Glück. Der „Titan“ bedeutet einen gewaltigen Fortschritt gegen die früheren großen Romane Jean Paul's. Klar angeschaute und virtuos gezeichnete Menschen, die auf dem Boden des wirklichen Lebens stehen, treten uns entgegen; statt des beständigen früheren Verweises auf ein alles klärendes und erfüllendes Jenseits werden hier alle Verwicklungen der Geschichte schon im Diesseits gelöst; ohne daß der Verfasser seinen Glauben an Gott und Unsterblichkeit als die höchsten Endziele alles irdischen Seins und Denkens je verleugnet, sucht er jetzt unter dem ihm unbewußten Einflusse Goethe's, der sich auch sonst gelegentlich im „Titan“ bemerkbar macht, im Inneren des Menschen selbst die Kraft, welche die Zweifel und Kämpfe seines Daseins schlichtet. Dazu läßt er seine Subjectivität mit ihren humoristischen Grillen und Seitensprüngen nur selten mehr den ruhigen, etwas schwerfälligen, aber steten Fluß der Handlung stören. An Psychologischen Unwahrscheinlichkeiten besonders im Wesen des Helden und an verletzenden Grausamleiten in den Schicksalen der weitaus folgerichtiger und glänzender durchgeführten übrigen Charaktere ist zwar kein Mangel; noch reicher aber sind die Schönheiten im einzelnen, die prächtigen Naturschilderungen, die reizvollen idyllischen Scenen, die ergreifend innigen Gemälde echter Herzensleidenschaft. Die humoristischsatirisch-ironischen Abschweifungen, die R. sich mit wenigen Ausnahmen im „Titan“ versagte, holte er in dem „Komischen Anhang“ zu dem Romane nach, in welchem er alle wesensverwandten humoristischen Personen seiner früheren Romane als einheitlich zusammenwirkend aufführte und überhaupt überall äußerlich an seine frühern humoristischen Darstellungen anknüpfte, aber auch in|ernsterer Weise philosophische und künstlerische Fragen wissenschaftlich brauchbar erörterte.

    Trotz der angenehmen Verhältnisse fand R. an Meiningen auf die Dauer kein Behagen. Im Juni 1803 verlegte er seinen Wohnsitz nach Coburg, wo er eine größere Bibliothek benützen konnte und mehr Sinn für Dichtkunst und Philosophie unter den Einwohnern erwartete. Auch hier fühlte er sich anfangs überaus zufrieden und besonders, nachdem ihm im November ein Sohn geboren war, überglücklich. Doch bald trieb ihn die alte Unruhe und Verstimmung, wozu Mißverhältnisse zwischen seinen Freunden am Hofe kamen, auch von hier weiter; im August 1804 fand er endlich in Bayreuth die Stätte, die ihm zur zweiten Heimath wurde. Anfangs zwar klagte er auch hier über Mangel an Wissenschaftlichem Sinn und Kunstverständniß; doch hielt ihn die Freundschaft zu Osmund und Otto fest, zu denen sich bald mehr liebe Bekannte gesellten, besonders der Hofrath und spätere geheime Medicinalrath Langermann. Später bildete sich sein Leben im Kreise seiner Familie oder in seinem Arbeitsstübchen in dem eine halbe Stunde von der Stadt entfernten Wirthshaus der Frau Rollwenzel immermehr zu der beschränkten, aber glücklichen Idylle aus, die er einst in der „Conjecturalbiographie“ sich gewünscht hatte.

    Aus Coburg brachte er bis auf die Vorrede vollendet die „Vorschule der Aesthetik nebst einigen Vorlesungen in Leipzig über die Parteien der Zeit“ (3 Bände, Hamburg 1804; zweite Auflage 1813) nach Bayreuth mit; von den „Flegeljahren" war der größte Theil gleichfalls fertig, die „Levana“ und anderes begonnen. Die „Vorschule der Aesthetik“, in Wirklichkeit nur eine Vorschule der Poetik, nicht kunstreich, ja in ihrer zweiten Hälfte nicht einmal klar gegliedert, aber von ungeheurer Belesenheit in der schönen und philosophischen Litteratur und von scharfem, selbständigem Urtheil zeugend, voll der geistreichsten und bedeutendsten Bemerkungen im einzelnen, knüpfte in vielen Dingen an Herder an, dessen Tod während der Ausarbeitung dieses Werkes Jean Paul tief erschütterte und zu dem begeisterten Nachruf am Schlusse desselben veranlaßte; sie setzte desgleichen die ästhetischen Untersuchungen Goethe's und Schiller's unmittelbar voraus, hatte aber noch mehr die Anschauungen und Arbeiten der Romantiker über das Wesen der Poesie und Kunst zur philosophischen Grundlage. Auch aus der eignen dichterischen Praxis abstrahirte R. öfters seine Theorien, und so durfte er mit Recht die Abschnitte über das Lächerliche, den Humor, die Ironie und den Witz als die eigenartigsten seines Werks bezeichnen, denen die spätere Entwicklung unsrer Aesthetik auch positiv am meisten verdankte. Wissenschaftlicher Stil fehlte der „Vorschule“ gänzlich; die eigenthümliche Mischung eines großentheils abstracten Inhaltes und einer übermäßig sinnlichen, bilderreichen Form, dazu das ausgelassene Spiel des Humors und der Ironie namentlich in den letzten Capiteln des Buches that der Klarheit der Darstellung schweren Eintrag und ließ es in ihr nur selten zu dem durch den Stoff geforderten ruhigen Ernste kommen. R. hatte die „Vorschule“ dem Herzog August von Sachsen-Gotha widmen wollen; aber die Censur der philosophischen Facultät zu Jena strich trotz dem Widerspruch des Herzogs die Zueignung, die ihr dem Kanzleistil nicht gemäß genug erschien. Jean Paul rächte sich dafür durch das „Freiheitsbüchlein“ (Tübingen 1805), worin er seinen Briefwechsel mit dem Herzog über die Widmung nebst einer Abhandlung über die Preßfreiheit herausgab. Er wandte sich scheltend gegen die niedrige Kriecherei und ängstliche Schüchternheit der deutschen Schriftsteller in ihren Reden über oder an Fürsten und gestand der Censur höchstens in Kriegszeiten bei politischen Schriften ein Recht zu, wollte sie hingegen bei wissenschaftlichen, religiösen, künstlerischen Werken, auch bei geschichtlichen Büchern, bei Reisebeschreibungen und Schriften über Höfe|und Fürsten ganz beseitigt wissen. Der gediegene Inhalt und der männliche Ton dieser Abhandlung würde noch weit kräftiger wirken, wenn die unsägliche Verschwommenheit in den vorausgehenden Briefen Jean Pauls und noch mehr des Herzogs August den Geschmack des Lesers nicht so gröblich verletzen würde.

    In den ersten Monaten des Bayreuther Aufenthaltes (bis zum 30. Mai 1805) beendigte R. vorläufig sein zweites, unvollendet geblichenes Hauptwerk, die „Flegeljahre“, an denen er schon in Berlin und Meiningen, namentlich aber in Coburg fleißig gearbeitet hatte; 1804—1805 erschienen sie in vier Bänden zu Tübingen. Vom „Titan" war er hier wieder in seine eigentliche Sphäre, auf die „ebne Gasse der Bürgerlichkeit“, gelangt. So schilderte er den Lebenslauf zweier Zwillingsbrüder Walt und Vult, in denen er die beiden Seiten seines eignen menschlichen und dichterischen Wesens schilderte, beide aber mit einer plastischen Gestaltungskraft, die er bis dahin kaum je gezeigt hatte, zu selbständigen Typen ausschuf und durchaus auf den Boden des wirklichen Lebens stellte. Die Handlung der Geschichte war ihm freilich auch hier nur Nebensache, zu einer strengen, bedeutenden Durchführung eines einzigen, großen Grundgedankens kam er auch diesmal nicht, und einzelnen Motiven, so der ganzen, weit ausgedehnten Erbschaftsgeschichte, klebt sogar etwas Läppisches an; desto meisterlicher und folgerichtiger ist die Charakteristik sämmtlicher Personen gelungen. Der weltunläufige, traumbefangene, stets empfindsam schwärmende Walt mit seinem kindlichen Gemüth und seinem warmen, liebevollen Herzen streift zwar hie und da an die Caricatur; desto überzeugender sind der weltgewandte, kraftvolle, kühne, satirische, cynische Vult und die meisten andern, theils wahrhast liebenswürdigen, theils überaus ergötzlichen Gestalten des Romans gezeichnet. Und jetzt offenbaren sie sich ziemlich alle nicht mehr bloß durch Worte; der Dichter weiß sie sämmtlich in Handlung zu versetzen. Er entzückt uns vor allem wieder durch köstliche Einzelbilder, großentheils humoristische Genregemälde, in denen er manche eignen Erlebnisse und Gewohnheiten künstlerisch verarbeitete. Freilich findet sich in den „Flegeljahren“ auch wieder die ungesunde Mischung von tugendseliger Empfindsamkeit und cynischer Roheit, von erhabner Poesie und niedriger Prosa, das gelegentliche, oft satirische oder ironische Abschweifen zu allen möglichen, außerhalb der epischen Handlung liegenden Fragen, die Ueberfülle an phantastisch zerfahrenen Bildern und Gleichnissen. In die Erzählung flocht R. (der gerade damals, im Juni 1805, in einem Wechselgesang der Oreaden und Najaden zur Feier des preußischen Königspaars bei seinem Besuch des Alexanderbades bei Wunsiedel seine völlige Unfähigkeit zur metrisch gebundenen Poesie bewies) mehrere sogenannte „Streckverse“ in rhythmischer Prosa ein, ihrem Inhalte nach meistens phantastische Gefühlsergüsse.

    Nach dem vorläufigen Abschlusse der „Flegeljahre“ arbeitete R. zunächst sein zweites wissenschaftliches Werk „Levana oder Erziehlehre“ (vom Juli 1805 bis zum October 1806) aus, das 1807, der Königin Karoline von Bayern gewidmet, in drei Bänden zu Braunschweig erschien. Er hatte nicht die Absicht, ein wohlgeordnetes System der Pädagogik nach einem einheitlichen Plane methodisch aufzubauen, sondern gab lieber nach den einleitenden allgemeinen Erörterungen in willkürlicher Ordnung praktische Vorschriften und Rathschläge für die verschiednen einzelnen Fälle und Fragen, die sich für den Pädagogen ergeben. Die Herausbildung des Idealmenschen galt ihm als höchstes Ziel, die Wahrung der Individualität einerseits, die Hinleitung der schrankenlosen individuellen Freiheit und des persönlichen Egoismus zur Hingabe an das Allgemeine andrerseits als wichtigste Aufgabe der Erziehung. So untersuchte er, im einzelnen bald von Rousseau, Pestalozzi und den Aufklärern abhängig, bald gegen sie ankämpfend, die Bildung des Kindes zum Guten, Wahren und Schönen und drang dabei vor|allem auf Wahrhaftigkeit als die erste Tugend, die der Erzieher einprägen und selbst üben soll, auf vollkommene Consequenz und leidenschaftslose Besonnenheit in seinem gesammten Handeln, auf richtige Pflege des religiösen Sinnes im Kinde, auf Erweckung der in ihm schlummernden Liebe zu Thieren und Menschen, auf die Anleitung seines Geistes zum selbständigen Denken, auf einheimischnationale Grundlagen seines Wissens und seiner ganzen Geistesschulung. Feinsinnig unterschied er die Grundsätze der männlichen und weiblichen Erziehung und erfaßte in bedeutsam-schöner Weise das Wesen und den Beruf des Weibes tiefer und richtiger als viele selbst seiner größten Zeitgenossen. Unwichtiger und überflüssiger dagegen waren die breit ausgeführten Anhangscapitel über Fürstenerziehung. Der Stil des Werkes, das zwischen wissenschaftlich schwerer und humoristisch populärer Darstellung schwankte, litt an ähnlichen Mängeln wie der der „Vorschule"; die Fülle geistreicher und praktisch werthvoller Winke verschaffte aber dem Buch eine im ganzen sehr freundliche Aufnahme, sodaß schon 1814 eine neue, vermehrte Auflage davon nöthig wurde.

    Das politische Unglück, das während der Vollendung dieser letzten Werke über Deutschland hereingebrochen war, empfand R. in tiefster Seele innig mit; aber wie es ihn auch persönlich erschütterte, so erhob er sich doch rasch wieder darüber, um tröstend seinem Volk eine bessere Zukunft zu weissagen. So verfaßte er 1808 die „Friedenspredigt an Deutschland“, in der er mehr hoffend als klagend zunächst eine sittliche Läuterung und Erhebung der Deutschen als erste Bedingung ihres politischen Aufschwungs forderte. Er verlangte innere Besserung, mehr Vertrauen auf die eigne Kraft, Mäßigung des Luxus wie alles sonstigen Uebermaßes in Lust und Selbstsucht, entschiednes Streben nach echter Bildung des Geistes und Herzens, aber auch größere Politische Freiheit auf Grund des Gesetzes, Umsturz des verjährten geistlosen Formalismus. Aufhebung der Censur, überhaupt eine vernünftige Regelung des Verhältnisses zwischen den Fürsten und dem Volke. Als eine bloße „Vollendung der Friedenspredigt“ ließ R. 1809 die „Dämmerungen für Deutschland" folgen, im gleichen Sinne patriotisch empfunden ohne einseitig-nationale Vorurtheile und zunächst für sittliche Besserung und social-politische Freiheit wirkend. Die beiden hervorragendsten der hier vereinigten Aufsätze, „Ueber den Gott in der Geschichte und im Leben“ und „Ueber die jetzige Sonnenwende der Religion“ enthielten geschichtsphilosophische Betrachtungen, deren Bedeutung sich nicht allein auf die deutschen Verhältnisse beschränkte.

    Ziemlich gleichzeitig mit den „Dämmerungen für Deutschland“ ließ Jean Paul 1809 zu Tübingen erscheinen „Des Feldpredigers Schmelzte Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten; nebst der Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne", eine kurze, überaus lustige Geschichte, die durchaus von echtem, bisweilen derbem, aber immer gesundem Humor erfüllt ist, eigentlich nur ein komisches Charakterbild eines Hasenfußes, der überall eingebildete Gefahren sieht, während die angefügte „Beichte des Teufels“ eine bittere Satire auf die Verbrechen hoher Staatsbeamten ist. Einen ähnlichen drolligen Kauz, diesmal einen Arzt, der mit Vorliebe Ekelhaftes und Monströses aufsucht, stellt „Dr. Katzenbergers Badreise“ (Heidelberg 1809, in drei Bänden) dar, in demselben derbrealistischen Stil wie der „Schmelzte“ verfaßt, mit demselben gefunden Humor ausgestattet. Aber bei allen seinen Wunderlichkeiten und Cynismen ist Katzenberger ein tüchtiger, gediegener Charakter, ein Mann der That und Feind des leeren Scheins, grob und raut), aber voll warmer Liebe im Herzen. Im Gegensatze zu ihm steht seine empfindsam schwärmende Tochter und noch mehr der phantastische Theaterdichter Theudobach, in welchem R. die Helden seiner früheren empfindsamen Romane und sich selbst ironisch carikirte, sowie der schmeichlerische, hämische, feige Windbeutel Strykius. Alle diese Charaktere sind anschaulich in allen großen|und kleinen Zügen geschildert, die ganze Erzählung spannend ohne übermäßige Umschweife entwickelt, durchweg mit bewegter Handlung erfüllt und nach allen Seiten glücklich abgerundet und abgeschlossen.

    Dem „Katzenberger“ gab R. als Unhang eine „Auswahl verbesserter Werkchen" bei, mehrere kleine Aufsätze und Recensionen, die zuerst in Zeitschriften erschienen und zum Theil 1804 von einem Jenaer Buchhändler ohne Wissen des Verfassers als dessen „Kleine Schriften" gesammelt worden waren. Die meisten dieser Schriften sind Ausgeburten eines satirisch-kühnen, zugleich rücksichtslos phantastischen Humors; aber daneben kommt auch der Ernst zu seinem Rechte, so in der Vision „Die Vernichtung“ aus dem April 1796, in dem edlen, begeisterten Nachruf auf Charlotte Corday aus dem Ende des Jahres 1799, in der Lobpreisung Luthers und Schillers in der 1805 geschriebenen Satire „Wünsche für Luthers Denkmal von Musurus“. Eine Reihe anderer kleinerer Aufsätze aus Zeitschriften sammelte R. 1810 zum ersten Bande der „Herbst-Blumine", dem sich noch zwei Bände 1815 und 1820 sowie 1814 unter dem Titel „Museum" die im „Frankfurter Museum“ veröffentlichten Aufsätze und 1825 die zwei Bände der „Kleinen Bücherschau“ anschlossen. Phantasie und Humor, Empfindsamkeit und Satire waren auch die Wesenseigenschaften dieser kleinen Abhandlungen oder Erzählungen, deren Stoffe alle erdenklichen Personen und Verhältnisse des wirklichen oder eines erträumten Lebens bildeten. R. erörterte in ihnen die bedeutendsten Fragen der Philosophie und der Sittenlehre ebensowohl, wie er etwa eine Anzahl „goldner Wetterregeln“ als Ergebniß seiner langjährigen Wetterbeobachtungen darin mittheilte. Er untersuchte, an Schelling, Mesmer, Schubert und andere verwandte Denker anknüpfend, die Wundererscheinungen des Magnetismus, das Traumleben, überhaupt die Nachtseiten der Naturwissenschaft, forschte mit gleicher Vorliebe dem Wachsthum des menschlichen Lebens vor der Geburt nach und wollte die Frage nach dem Entstehen der ersten Pflanzen, Thiere und Menschen in einer gegen die Entwicklungstheorie Darwins entschieden ankämpfenden Weise lösen. Er lieferte unter anderm in den „Erinnerungen aus den schönsten Stunden für die letzten“ (1815) eine seiner rührendsten und liebenswürdigsten, dabei stilistisch einfachsten und anmuthigsten Geschichten und schuf zur gleichen Zeit in dem armen, hypochondrischen Rector Seemaus eine seiner ergreifendsten humoristischen Gestalten. Er trat in Vorreden und namentlich in Recensionen, die er unter dem Pseudonym Frip für die „Heidelberger Jahrbücher“ schrieb, für die dichterischen wie für die wissenschaftlichen Bestrebungen der Romantiker ein. Mit mehreren Mitgliedern der neuen Schule, besonders mit Tieck, war er persönlich befreundet, E. T. A. Hoffmann führte er in die Litteratur ein, für Oehlenschläger und Fouqué hatte er Worte ungetheilter Bewunderung. Auf das eifrigste unterstützte er die ästhetischen, sprachlichen und litterargeschichtlichen Arbeiten, die durch die Romantiker in Deutschland angeregt wurden; er begeisterte sich warm für die Erforschung des deutschen Alterthums, für deutsche Sprachreinigkeit und Sprachrichtigkeit. Die rechtlichen Zustände in der litterarischen Welt Deutschlands beleuchtete er durch seine „Sieben letzten oder Nachworte gegen den Nachdruck" (1815). Er lieferte ferner gelegentlich Nachlesen zu seinen früheren größern Werken; so fügte er der „Kleinen Bücherschau“ 1825 die „Kleine Nachschule zur ästhetischen Vorschule“ bei. Vor allem aber nahm er an den wichtigen Ereignissen der Zeitgeschichte stets den lebhaftesten Antheil und erwies in zahlreichen, halb politischen, halb poetischen Aufsätzen seine treue vaterländische Gesinnung. Er verfolgte mit vertrauensvoller Begeisterung den Kampf seines Volkes gegen den corsischen Unterdrücker; aber er hielt auch seinem befreiten Vaterland im Mai 1814 die Pflichten vor, welche der Sieg ihm auferlege, daß nämlich in den Fürsten und ihren Landeskindern „das wechselseitige|Unglück der Entbehrung und das wechselseitige Erkennen des gereisten Werthes zu einem neuen Lieben, einem edlen Herrschen und Dienen aus einander blühen werde ...., daß das Abstoßen zwischen Wehr-, Lehr- und Nährstand nun, seitdem auf dem Schlachtfelde die Herzen aller Stände Eine Brust dem Feinde und dem Tode entgegenpflanzten, in ein gemeinschaftliches Anziehen zu der Vaterlandliebe übergehn werde, und daß alles besser und die Menschheit mehr werden werde“. Dieselben Anschauungen offenbarte er auch in seinen selbständig gedruckten politischen Schriften aus jener Zeit, so in der scherzhaften Flugschrift „Mars' und Phöbus' Thronwechsel im J. 1814“ (Tübingen 1814) und in den „Politischen Fastenpredigten während Deutschlands Marterwoche“ (Stuttgart und Tübingen 1817), die zum größten Theil aus ältern Aufsätzen der Jahre 1810 bis 1812 zusammengesetzt waren. Auch durch diese ältern Aufsätze ging ein Zug von Hoffnung; zugleich aber ermahnten sie Deutschlands Volk und Fürsten, zur Klärung der gährenden Elemente im deutschen Geistes- und Sittenleben redlich beizutragen. Andere dieser Aufsätze wandten sich mit treffendem, scharf satirischem Humor gegen die deutsche Kleinstaaterei mit ihrem verschwenderischen Reichthum an Titeln, Orden, Ehrenstellen oder ihrem praktisch werthlosen Soldatenspiel nach größern Mustern, so namentlich die Erzählung „Mein Aufenthalt in der Nepomukskirche während der Belagerung der Reichsfestung Ziebingen“ (1810) voll derber, phantastisch ausgelassener Komik und die Groteske „Die Doppelheerschau in Großlausau und in Kauzen, sammt Feldzügen“ (1811).

    Diesen überall mit scharfer Satire gewürzten Humoresken schloß sich das 1806—1811 geschriebene „Leben Fibels, des Verfassers der Vienrodischen Fibel“ (Nürnberg 1812) an, die humoristische, jedoch von der Satire mehr zur Idylle sich neigende Biographie eines gutmüthigen, harm- und arglosen Menschen, der ein Abcbuch verfertigt und darüber in seinem Streben nach Ruhm, worin ihn pfiffigere Gesellen zu selbstsüchtigen Zwecken bestärken, beinahe verrückt wird. Seine Lebensgeschichte, die R. ohne die früher unvermeidlichen Seitensprünge und Abschweifungen, nur etwas breit und besonders in ihrer zweiten Hälfte weniger fesselnd erzählte, zeugte in der Schilderung der donquixotenhaften Träumereien Fibels von der Selbstironie, mit welcher ihr Verfasser das gefährliche Ueberwuchern der Phantasie geißelte. In den poetisch rein empfundenen Idyllen am Anfang und am Schluß des Buches, welche zur Zeit des nationalen Elends lehrten, daß wahres Glück und wahrer Frieden nur in der Beschränkung, fern vom großen Treiben der Welt, in der Familie zu finden sei, erinnerte sie an die verwandten Darstellungen im „Wuz“, im „Quintus Fixlein“ und in den übrigen früheren Romanen Jean Paul's.

    Die eignen häuslichen Verhältnisse des Dichters hatten sich jetzt behaglicher gestaltet, besonders durch die Gunst des Fürsten Primas Karl von Dalberg, der ihn auf sein Ansuchen (1808) zum Mitglieds der Frankfurter Akademie mit einer jährlichen Pension von tausend Gulden ernannte. Das bald darauf folgende Anbieten Dalberg's, mit einem weiteren Jahresgehalte von tausend Gulden als Professor der Aesthetik an der höheren Schule in Aschaffenburg zu Wirken, lehnte R. ab, weil er sich für ein solches, seine schriftstellerische Freiheit stark verkürzendes Lehramt nicht geeignet glaubte. Nach Dalberg's Abdankung drohte ihm eine Zeit lang der völlige Verlust der beträchtlichen Pension; aber nachdem er vergeblich bei mehreren andern Fürsten Ersatz dafür gesucht hatte, trat endlich der König von Baiern in Dalberg's Verpflichtungen gegen den Dichter ein. Von Bayreuth mochte dieser sich nun auf die Dauer nicht mehr trennen; wohl aber trieb es ihn jetzt wieder öfters auf einige Tage oder Wochen in die Ferne hinaus, und so unternahm er wieder regelmäßig kleine Reisen, 1811 nach Erlangen, 1812 nach Nürnberg, wo er Friedrich Heinrich Jacobi|endlich persönlich kennen lernte. 1816 nach Regensburg, wo Dalberg seit seiner Entthronung wohnte. 1817 nach Heidelberg. Professoren und Studenten, Männer und Frauen, vor allem Heinrich Voß, Hegel, Creuzer, Paulus, überhäusten hier den Gast mit Beweisen ihrer Achtung und Liebe; die Universität ernannte ihn zum Ehrendoctor der Philosophie. Kleine, nicht weniger fröhliche Ausflüge mit den Freunden nach Mannheim, Wiesbaden und rheinabwärts bis Bingen unterbrachen die Festwochen, die in der Seele des Gefeierten solches Entzücken zurückließen, daß er schon 1818 zu den badischen Freunden zurückkehrte. Aber der ehrenvolle Empfang unterwegs in Frankfurt und die Wiederholung aller Auszeichnungen in Heidelberg, wo er jedoch diesmal alle Ehren gemeinschaftlich mit seinem ebenfalls gerade anwesenden litterarischen Gegner August Wilhelm Schlegel hinnehmen mußte, ermüdete ihn und ließ ihm keinen so ungetrübt frohen Eindruck zurück wie das Jahr zuvor, als das alles neu gewesen war. Im Sommer 1819 reifte er, wieder von Hoch und Niedrig mit Verehrung überhäuft, nach Stuttgart, im Herbst desselben Jahres nach Löbichau bei Altenburg, dem Landsitz der Herzogin Dorothea von Kurland, die einen auserlesenen Kreis geistvoller Männer und Frauen um sich versammelt hatte. Jean Paul fand hier Tiedge, Elise von der Recke, Anselm v. Feuerbach mit seinem Sohne. Thümmel, Marheineke und andre ihn ungemein anziehende Schriftsteller und Gelehrte; er zählte diese Tage zu den schönsten seines Lebens. Im Frühling 1820 wanderte er nach München, wo sein Sohn Max seit einem halben Jahre am Lyceum studirte. Trotzdem er am Hofe und in der Gelehrtenwelt die wohlwollendste und auszeichnendste Aufnahme fand, behagte es ihm hier wenig; die dringende Aufforderung, eine Stelle in der Akademie mit tausend bis fünfzehnhundert Gulden Gehalt anzunehmen und Hieher zu ziehen, lehnte er schon wegen der abscheulichen Gegend von München“ ab. Die bairische Residenz verlor für ihn die letzte Anziehungskraft, als im Herbst 1820 sein Sohn die Universität Heidelberg bezog. Hier gerieth der glänzend begabte, von unersättlichem Wissensdurst getriebene Jüngling durch das Studium der Hegel’schen Philosophie und einer unter romantischen Einflüssen ausgebildeten mystisch-asketischen Richtung der Theologie in aufreibende religiöse Zweifel, die seine Lebenskraft unterwühlten. Während der Herbstferien 1821 erlag er am 25. September im Elternhaus einem Nervenfieber; seinen Verlust verschmerzte der alternde Vater niemals. Eine Reise nach Diesden im Frühling 1822, auf der er nur Heitres und Freudiges erlebte, entriß ihn doch nur auf kurze Zeit seiner Trauer, auf's neue erweckte diese der plötzliche Tod seines Freundes Voß im October 1822. Jetzt griffen aber auch ihn selbst körperliche Leiden und Gebrechen an. Den Wein, den er bisher nebst dem Bier und andern erregenden Getränken zur Belebung seiner geistigen Thätigkeit während der Arbeit gern genossen hatte, vertrug er nicht mehr; dazu begannen seine beiden Augen zu erblinden. Mannigfache, oft falsche oder nicht folgerichtig durchgeführte Heilversuche, besonders drei Reisen nach Nürnberg, die er in den drei folgenden Jahren mitunter zur ungünstigsten Jahreszeit unternahm, verschlimmerten noch das Uebel. Endlich trat die Wassersucht dazu und setzte seinem Leben am Abend des 14. November 1825 ein immerhin frühes Ende.

    Er selbst halte seinen Tod nicht so nahe geglaubt. Er war unablässig bis in seine letzten Tage mit der Vollendung älterer Schriften, den Vorbereitungen zu einer Ausgabe seiner sämmtlichen Werke, die dann seit 1826 erschien, und den Plänen zu neuen Arbeiten beschäftigt. So hatte er unter anderm 1820 die schon 1818 im „Morgenblatt“ gedruckten zwölf Briefe „Ueber die deutschen Doppelwörter“ zusammen mit zwölf neuen Postscripten selbständig veröffentlicht, eine grammatische Untersuchung, in welcher er mit warmer Liebe zu seiner Sprache|und reichen, wenn auch meist dilettantenhaften Kenntnissen in ihr vornehmlich gegen die Einschiebung eines s in zusammengesetzten Wörtern (Geburtstag. Wahrheitsliebe statt Geburttag, Wahrheitliebe u. s. w.) kämpfte. Auch der Widerspruch berufener Fachmänner, die er auf's höchste verehrte, eines Jacob Grimm. Docen, Friedrich Thiersch, brachte ihn von seiner grammatischen Grille nicht ab; vielmehr führte er sie mit strenger Consequenz in allen seinen späteren Schriften und neuen Ausgaben seiner älteren Werke durch.

    Gleichzeitig mit diesen Briefen und Postscripten verfaßte er 1818 den Anfang einer Selbstbiographie, die er seit 1806 bereits plante und nun auf das dringende Zureden vieler Freunde und Freundinnen endlich in Angriff nahm. Aber die bloße Erzählung geschichtlicher Thatsachen, ohne daß er dabei etwas zu erdichten hatte und ohne daß er dem Scherz und der Empfindung überall freien Lauf lassen durfte, ermüdete ihn: er vollendete nur die Geschichte seiner Kinderjahre bis zum ersten Genuß des heiligen Abendmahls. Ganz ließ er auch in dieser an idyllischen Schönheiten reichen Darstellung den Humor und die Empfindung nicht beiseite; aber sein Streben nach strenger Wahrheit deutete er schon durch die Wahl des Titels an, der absichtlich einen gewissen Gegensatz zu der Ueberschrift des gleichartigen Werkes von Goethe bekundete, „Wahrheit aus Jean Pauls Leben“. Erst nach seinem Tode (1826) erschien dieses Bruchstück, das Christian Otto und Ernst Förster, der Schwiegersohn Richter's, bis 1833 durch weitere sieben Bände, großentheils Briefe und Tagebuchstellen des Verstorbenen, ergänzten. Statt der im Januar 1819 abgebrochenen rein geschichtlichen Arbeit griff R. einen älteren dichterischen Versuch wieder auf, in welchen er einen Theil seiner autobiographischen Bekenntnisse zu verweben gedachte, den 1811 begonnenen, 1820—22 in drei Bänden zu Berlin gedruckten Roman „Der Komet oder Nikolaus Marggraf“. Wieder wie in seinen ersten großen Romanen lieferte er hier ein Werk von beispielloser humoristischer Willkür und phantastischer Zerfahrenheit, voll Abschweifungen und subjectiven Einfällen aller Art. Wieder kümmerte er sich um einen geordneten, kunstvollen Aufbau und eine klare, folgerichtige Entwicklung der Handlung viel zu wenig; dagegen leistete er in der Ausgestaltung der einzelnen Charaktere und Scenen Bewundernswürdiges. Er schilderte seinen Helden, den Apotheker Nikolaus Marggraf, als einen die Welt durchziehenden Don Quixote, den das Bewußtsein seiner fürstlichen Abkunft, seine Erfindung der Kunst Diamanten zu verfertigen und seine weltbeglückenden Ideen halb verrückt gemacht haben, und kämpfte so auf's neue gegen alles Ueberwuchern der ungezügelten Phantasie und Empfindsamkeit an. Seine Geschichte streift überall an die Allegorie, ihre Figuren an die Caricatur an; aber im einzelnen durchaus anschaulich und realistisch, hält sie sich von der Sentimentalität und Transcendenz der früheren Romane Jean Paul's durchweg fern. Einen reinen Kunstgenuß vermag sie trotz allem Reichthum an geistigem Gehalt nicht zu gewähren; worauf sie äußerlich abzielt, ist kaum zu ersehen, da sie unvollendet blieb. Noch in seinen letzten Jahren häufte der Dichter allerlei Studien zur Fortsetzung des Romans auf.

    In ähnlicher Weise sammelte und ordnete er jetzt den seit dreißig Jahren aufgespeicherten reichhaltigen Stoff zu seinem „letzten Werke“, dem „Papierbrachen“, allerlei bald nur flüchtig skizzirte, bald breit ausgeführte Gedanken, Empfindungen, dichterische, satirische, witzige, humoristische Einfälle, philosophische, ästhetische, religiöse, politische Bemerkungen, von Ernst Förster erst 1845 aus dem Nachlaß des längst Entschlafenen in zwei Bänden herausgegeben. Hier traten auch zuerst die Fragmente „Wider das Ueberchristenthum“ an das Tageslicht, in welchen der alternde Dichter, an Lessing und an den Heidelberger Freund Paulus anknüpfend, als ein kühner Vertheidiger der religiösen Freiheit|und des geistigen Fortschritts gegen den entnervenden und knechtenden Pietismus der spätern Romantiker zu Felde zog. Mit besonderer Liebe arbeitete er in diesen letzten Jahren außerdem an einem Buche über „Die Kunst stets heiter zu sein" und an dem erst 1827 in zwei Bänden herausgegebenen Werke „Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele“. Der Tod seines Sohnes, der bald nach Jacobi's, kurz vor Vossens Hingang ihn erschütterte, hatte ihn zu dieser ganz ernsten, jedes Humors baaren, äußeren Fortsetzung des „Kampanerthals“ angeregt. Eine ziemlich dürftige, schwach bewegte Handlung, deren Träger dieselben Personen wie in jener älteren Geschichte waren, diente wieder wie dort fast nur als Rahmen für Gespräche, in welchen R. alle erdenklichen Beweise und Scheinbeweise für die Unsterblichkeit anhäufte und gegen etwaige Einwände vertheidigte. Von den Gründen, mit denen die geoffenbarte Religion den Glauben an die persönliche Fortdauer des Menschen nach dem Tode stützt, hielt er sich absichtlich dabei ferner, ja er kämpfte sogar gegen gewisse herkömmliche Beweise der christlichen Theologen erfolgreich an; er suchte seine Ueberzeugung mehr durch allgemeine philosophische Schlüsse, die er bald der Naturwissenschaft, bald der Psychologie, bald der Ethik entnahm, zu begründen. Statt unumstößlichen Beweisen lieferte er freilich oft nur Vermuthungen, Wünsche, Hoffnungen. Phantasien; sein Geist schweifte aber dabei forschend und lehrend durch das unermeßliche Reich aller Welten und spendete denen, die ihm zu folgen vermochten, Gedanken und Anschauungen von einer bei R. früher kaum geahnten Erhabenheit in verschwenderischer Fülle. Dem unvollendeten, in seinen ersten Abschnitten aber mehrfach überarbeiteten Werke fügte der Herausgeber Otto eine große Anzahl Aphorismen verwandten Inhalts aus dem handschriftlichen Nachlasse seines Freundes bei.

    Viele weitere Aphorismen aller Art haben Jean Paul's Freunde und Verehrer an verschiedenen Orten veröffentlicht, 1832 in den „Politischen Nachklängen“, 1845 im „Pavierdrachen“ und sonst. Unter diesen abgerissenen Gedanken ragen besonders die Regeln hervor, die R. immer wieder für sich selbst, für sein Leben oder sein schriftstellerisches Wirken niederschrieb, so bereits als Jüngling 1784 in seinem „Andachtsbüchlein“, dann namentlich seit 1812 in seiner „Via recti“. Wie er hierdurch sein sittliches Handeln fast pedantisch streng überwachte, so war ihm überhaupt in seinem täglichen Thun eine genaue Regelmäßigkeit eigen. Sein Leben floß so nach Ablauf der stürmischen Lehr- und Wanderjahre in einfachen, bürgerlich-herkömmlichen und ebenmäßigen Geleisen hin, ohne jedoch in eigentlich spießbürgerliche Unfreiheit und Kleinlichkeit auszumünden. Die freundliche Milde und Heiterkeit seines Wesens, seine thätige Hilfsbereitschaft und seine warme Theilnahme an allem, was rings um ihn vorging, gewann ihm die Liebe seiner Mitbürger, die manche seiner Eigenheiten mißtrauisch betrachteten und allzu nüchtern beurtheilten, und die herzliche Zuneigung der zahlreichen Bewunderer seiner Schriften, die Jahr für Jahr verehrungsvoll ihn in Bayreuth besuchten. Sein menschlich liebenswürdiger, sittlich reiner, wenn auch oft derber Charakter und sein unablässiges, echtes Streben nach den höchsten Idealen der Menschheit war auch aus allen seinen Schriften ersichtlich, auch aus denen, in welchen er mit grobem Cynismus oder tollem satirischem Humor scheinbar nur die engen Verhältnisse der Kleinstaaterei oder des ärmlichen kleinbürgerlichen Familienlebens in Deutschland schilderte. Für König Friedrich II. fand er gelegentlich einmal Worte ungeteilter Hochachtung; aber das größere, wirklich lebendige Treiben in einem der mächtigeren, frischer zu hohen Zielen emporstrebenden Staaten Europas wählte er nirgends zum Hintergrunde seiner Romane. Mit scharfem Auge betrachtete er die Zustände, die er darstellen wollte, bis auf alle Einzelheiten; aber nicht selten hinderte ihn die ungeordnete Fülle dieser Einzelbeobachtungen zusammen mit dem ungeordneten Reichthum seiner Gelehrsamkeit, mit dem bunten Vorrath seiner humoristischen, ironischen, satirischen, moralischen Einfälle, den er überall nach willkürlichem Belieben ausstreute, eine klar und sicher sich entwickelnde Erzählung mit anschaulichen Charakteren und spannenden Situationen in munteren Fluß zu bringen. Seine komische Kraft, seine Innigkeit des Empfindens, seine Stärke der dichterischen Erfindung war groß; aber seine an eigentlichen Ausdrücken arme, an Bildern und Gleichnissen, die oft zerfließen, und besonders an Wiederholungen und Tautologien überreiche Sprache, die alles, auch das fest Ruhende und Leblose, bewegt, beseelt und personificirt, sein unendlich verschlungener, wenig übersichtlicher Periodenbau, seine zahllosen übertrieben subjectiven Zwischenbemerkungen, seine vielen Geschmacklosigkeiten und plötzlichen Veränderungen der Stimmung, kurz seine ganze humoristische Stil- und Formlosigkeit hat der künstlerischen Wirkung seiner Schriften von jeher schweren Eintrag gethan. Der Einfluß seiner Manier freilich erstreckte sich nicht nur auf mehrere der gleichzeitigen Romantiker, namentlich E. T. A. Hoffmann, sondern auch gelegentlich selbst, wenn gleich äußerst maßvoll, auf Goethe, besonders aber auf die meisten Feuilletonisten und Journalisten von Ludwig Börne an bis zu unsern Tagen, auf verschiedene deutsche Dichter, welche der orientalischen Richtung in unserer Litteratur folgten, und auf die mannichfachen späteren Humoristen und Romanschriftsteller unseres Volkes. —

    Panegyrische Worte wärmster Begeisterung und Liebe rief dem Geschiedenen Ludwig Börne in seiner Denkrede auf Jean Paul Friedrich Richter (im Morgenblatt 1825, dann im Sonderdruck zu Erlangen 1826) nach. Dann folgte die Herausgabe zahlreicher Briefwechsel Richter's, zunächst in den spätern Bänden der „Wahrheit aus Jean Paul's Leben“ (1826—33), ferner namentlich seine Briefe an Friedrich Heinrich Jacobi (Berlin 1828), sein Briefwechsel mit Christian Otto (4 Bde., Berlin 1829—33), mit Heinrich Voß (Heidelberg 1833), mit Emanuel Osmund, Friedrich v. Oertel, Paul Thieriot, mit seiner Frau und verschieden Freunden und Freundinnen in den „Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Jean Paul Friedrich Richter, herausgegeben von Ernst Förster“ (4 Bde., München 1863), mit Charlotte v. Kalb (herausgegeben von Paul Nerrlich, Berlin 1882). Die Reihe der größeren Biographien eröffnete Heinrich Döring nach einem ersten Versuch (Gotha 1826) mit „Jean Paul Friedrich Richter's Leben und Charakteristik“ (2 Bde., Leipzig 1830—32), einem durchweg aus Briefen und früheren gelegentlichen Mittheilungen anderer ohne jedes eigne Urtheil und besonders ohne eigne Geistesarbeit geschöpften, fabrikmäßig zusammengeschriebenen Buche. Unvergleichlich höher steht der von Richard Otto Spazier, dem Nessen des Dichters, verfaßte „Biographische Commentar zu den Werken Jean Paul Friedrich Richter's“ (5 Bde., Leipzig 1833), eine sorgfältige, liebevoll eingehende Darstellung seines Lebens und Schaffens, durchaus von selbständiger und verständnißvoller Auffassung seiner Werke zeugend. Persönliche Erinnerungen an Jean Paul zusammen mit mehreren Briefen und einem kleinen Aufsatze desselben (aus dem Nachlaß Böttiger's) nebst einer allgemeinen Charakteristik seiner schriftstellerischen Thätigkeit veröffentlichte Z. Funck im dritten Bande der „Erinnerungen aus meinem Leben in biographischen Denksteinen und anderen Mittheilungen“ (Echleusingen 1839). In übersichtlich zusammenfassender und dabei das Wesentliche der Lebensgeschichte doch erschöpfender Weise ergänzte Ernst Förster im letzten Bande der dritten Ausgabe von Jean Paul's sämmtlichen Werken dessen Bruchstück seiner Autobiographie (Berlin 1862). Waltete in allen diesen Arbeiten eine begreifliche Voreingenommenheit für Richter, so betrachtete K. Ch. Planck den Schriftsteller mit mehr Objektivität in seiner|litterar- und culturgeschichtlich trefflichen Charakteristik von „Jean Pauls Dichtung im Lichte unserer nationalen Entwicklung“ (Berlin 1667). Endlich lieferte Paul Nerrlich nach seinem aufschlußreichen Buche „Jean Paul und seine Zeitgenossen“ (Berlin 1876) in der Einleitung zu seiner Auswahl von Jean Paul's Werken (in Joseph Kürschner's Deutscher Nationallitteratur, Bd. 130—34) eine bei aller Kürze den jetzigen Anforderungen der litterargeschichtlichen Forschung vorzüglich entsprechende Uebersicht über Richter's Leben und Dichten.

  • Autor/in

    Franz Muncker.
  • Zitierweise

    Muncker, Franz, "Jean Paul" in: Allgemeine Deutsche Biographie 28 (1889), S. 467-485 unter Richter [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118557211.html#adbcontent

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