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Horizont

[551] Horizont. (Mahlerey)

In der Natur ist der Horizont die äußerste Linie, die eine ganz flache Gegend des Erdbodens von der Luft oder dem Himmel abschneidet; oder das äusserste End des ohne Hügel oder Erhöhungen vor uns liegenden Erdbodens, hinter welchem wir nur Luft, oder in die Höhe steigende Gegenstände sehen. Eben diese Bedeutung hat das Wort auch in gemahlten Landschaften und andern Gemählden; nur mit dem Unterschied, daß man sich im Gemählde auch da einen Horizont vorstellen muß, wo die Aussicht in die Ferne durch etwas vor uns stehendes gehemmt wird. Nämlich, wenn wir z. B. in der Thür eines Zimmers stehen, und gerade vor uns auf die, dem Eingange gegen überstehende, Wand sehen, so würde eine an dieser Wand in der Höhe unsers Auges, waagerecht längst der Wand gezogene Linie den Horizont bezeichnen. Der Mahler muß in jedem Gemählde sich einen bestimmten Horizont vorstellen. Denn es muß immer in dem Gemählde, oder in der Fläche, von welcher das vor uns stehende Gemähld einen Theil bedekt, irgend ein Punkt seyn, der dem Auge dessen, der das Gemählde so ansieht, wie der Mahler den natürlichen Gegenstand, da er ihn gemahlt, angesehen hat, gegenüber liegt, und die durch diesen Punkt waagerecht gezogene Linie, macht die Horizontallinie aus.1

Alles was im Gemähld über dieser Linie liegt, wird von dem Auge von unten herauf, was aber unter ihr liegt, von oben heruntergesehen. Daher hat die Bestimmung des Horizonts einen Einfluß auf die Zeichnung eines jeden in dem Gemähld vorkommenden Gegenstandes, und kein Gemählde, wenn es auch nur eine einzele Figur vorstellt, kann völlig richtig gezeichnet werden, wenn der Mahler nicht immer genaue Rüksicht auf den Horizont desselben hat. Wir werden in dem Artikel Perspektiv das Wichtigste, was in der Zeichnung von dem Horizont abhängt, anzeigen.

Weil jeder Gegenstand so gemahlt wird, wie wir ihn aus einem einzigen Gesichtspunkt sehen, der Gesichtspunkt aber den Horizont bestimmt2, so muß jedes Gemähld nur einen einzigen Horizont haben. Wenn man uns z. B. eine Landschaft mahlt, so muß sie so gezeichnet werden, wie wir sie von einer einzigen Stelle sehen. Es würde ein seltsames Gemisch herauskommen, wenn ein Theil so gezeichnet würde, wie wir ihn von einem Thurm herunter sehen, ein andrer, so wie er sich zeiget, wenn wir an der Erde stehen. Darum muß der Mahler in der Zeichnung vor allen Dingen seinen Horizont festsetzen, ihn bey Zeichnung jedes Gegenstandes vor Augen haben,3 und gewissen daher entstehenden Regeln folgen, damit alles richtig gezeichnet werde. Man sieht bisweilen historische Gemählde von berühmten [551] Meistern, wo die Gruppen der Figuren einen andern Horizont haben, als die Scene, oder die Landschaft, auf der sie stehen. In diesen Fehler wird jeder Mahler fallen, der die Regeln der Perspektiv nicht weiß, oder nicht darnach arbeitet. Besonders aber wird er in der Landschaft angetroffen, deren Theile aus verschiedenen Zeichnungen und so genannten Studien zusammengetragen sind.

Will man die Richtigkeit einer Zeichnung beurtheilen, so muß man ebenfalls sich zuerst bemühen, den Horizont derselben zu finden. Man entdekt ihn sehr leicht, wenn nur irgendwo im Gemählde zwey Linien auf der Grundfläche, oder auf einer ihr parallelen Fläche vorkommen, von denen wir wissen, daß sie in der Natur parallel seyn müssen. Denn diese beyden Linien därfen wir nur in Gedanken gegen den hintern Grund des Gemähldes verlängern; sie müssen in einem Punkt zusammen treffen, und dieser Punkt ist allemal in der Horizontallinie.4 Wenn diese Horizontallinie hoch über der Grundlinie des Gemähldes liegt, so hat es einen hohen Horizont, liegt sie aber nicht hoch über diese Grundlinie, so hat es einen niedrigen Horizont. Ein Gemählde fällt am vortheilhaftesten in die Augen, wenn wir es so ansehen können, daß der Horizont desselben gerade die Höhe hat, auf dem das Aug steht. Die Wahl eines hohen oder niedrigen Horizonts hat nach der Beschaffenheit des Gegenstandes einen wichtigen Einfluß auf seine Schönheit und gute Würkung, wie schon anderswo mit mehrerm angemerkt worden ist5.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 551-552.
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