[768] Kaufhaus (hierzu Tafel »Kaufhäuser IIII«), ein ganz oder doch in der Hauptsache kaufmännischgeschäftlichen Zwecken dienendes Gebäude. Zwar haben schon die alten Kulturvölker Einrichtungen gehabt, die als Vorstufen gelten können, soz. B. der Orient seine Basare, Athen seinen sogen. Ölmarkt, Rom seine Ladenreihen, die das Forum Romanum umgaben. Allein diese Einrichtungen sind doch mehr als Märkte aufzufassen. Oder es waren Reihen von Läden, wie sie schon in früher Zeit die Straßenseite vom Erdgeschoß des antiken Wohnhauses einnahmen (vgl. Tafel »Wohnhaus I«). Mehr Anspruch auf die Bezeichnung K. haben schon die Häuser der mittelalterlichen Kaufherren. Doch sie tragen vorwiegend Wohnhausgepräge, enthalten neben großen Speichern und Kontoren im wesentlichen Wohnräume, und es fehlt ihnen in der Regel, weil sie dem Großhandel dienten, das für unser heutiges K. vornehmlich bezeichnende Element des Ladens oder Schauraumes. Immerhin dürfen wir sie den Kaufhäusern zuzählen, wie sich denn auch ihr Typus bis auf den heutigen Tag, insbes. in den alten Hansestädten, mit der gleichen Zweckbestimmung erhalten hat. Den Hauptraum und Mittelpunkt eines solchen Patrizierkaufhauses (Fig. 11 auf Tafel II gibt den Hamburger Typus) bildet die geräumige, durch zwei oder anderthalb Geschosse reichende Diele. Vor ihr, an der Straße, liegen ein Kontor und ein [768] Raum für den Pförtner (in Hamburg die »Zibürken« für den »Einhüter«). In der Diele ist vielleicht noch ein Lattenverschlag für Waren abgeteilt; sonst ist sie frei und vermittelt den Verkehr über den Hof nach dem womöglich aus Wasser (Fleet) stoßenden Speicherflügel sowohl als nach dem seitlichen Verbindungsflügel und (durch Treppe und Windeluke) nach den vordern Obergeschossen, in denen teils Wohn-, teils weitere Kontor- und Speicherräume sich befinden. Die Entwickelung des Kaufhauses im modernen Sinne hat in Deutschland nach 1870, in England, Frankreich und Amerika schon etwas früher begonnen. Obgleich England wohl die größten und am besten mit Waren besetzten Kaufhäuser der Welt hat, so sind dafür Prachtbauten der Art, wie sie Paris in seinem Louvre, Bon Marché, Printemps (Tafel II, Fig. 14), Belle Jardinière etc. aufzuweisen hat, und wie sie neuerdings auch in Deutschland, Berlin voran, errichtet worden sind, nicht vorhanden. Die Army and Navy Stores in London, das größte Universalgeschäft wohl der Welt, mit korporativer Besitzerschaft, sind in Miethäusern untergebracht; ebenso Civil Service Stores, ein ähnliches Geschäft. Aber auch Kaufhäuser, wie das allgemeine Geschäft von Whiteley und das Möbel- und Haushaltungsgeschäft von Maple in London, beide um 1880 für ihren Zweck erbaut, haben architektonisch keine Bedeutung; sie sind aufs äußerste mit Waren vollgestopft und entbehren der durchgehenden Hallen, der betonten, großartigen Treppen, welche die französischen und deutschen Warenhäuser auszeichnen. Amerika besitzt stattlichere Kaufhäuser; besonders sind dort jetzt infolge der enorm gesteigerten Bodenpreise in den Citys der Weltstädte die himmelhohen sogen. Wolkenkratzer (sky-scrapers) an der Tagesordnung (s. Hohe Häuser). In Deutschland hat sich das K. besonders in Berlin zu großer Vollkommenheit und auch künstlerisch bedeutsam entwickelt. Leipzig, Frankfurt a. M., Köln, München etc. folgen dem Berliner Vorgange; Hamburg und Bremen halten (wohl infolge ihrer alten kaufmännischen Überlieferungen) mehr zurück.
Die Kaufhausbauten lassen sich in der Hauptsache in zwei Gruppen sondern. Man unterscheidet die Kaufhäuser, welche nur Geschäftsräume enthalten (Tafel I, Fig. 1, 2 u. 46; Tafel II, Fig. 2, 6, 8, 1215; Tafel III, Fig. 1 u. 2), von denen, die zwar in der Hauptsache Geschäftsräume, daneben aber auch Wohnungen aufweisen (Tafel I, Fig. 3; Tafel II, Fig. 35, 7, 9 u. 10; Tafel III, Fig. 3). Für grundsätzliche Abweichungen in den Einzelheiten ist bei beiden Gattungen wieder maßgebend, ob die Kaufhäuser dem Klein- oder dem Großhandel dienen und ob sie für wechselnde oder für von vornherein bestimmte Betriebe benutzt werden. Eine besondere Art von Kaufhäusern bilden dann noch die Passagen (Tafel II, Fig. 1). Bei der Vereinigung von Geschäftsräumen mit Wohnungen pflegen jene das Erdgeschoß und die untern Stockwerke, diese die obern Stockwerke einzunehmen. Beim Kleinhandel spielt das Erdgeschoß als Ladengeschoß die Hauptrolle; in belebtern Geschäftsgegenden werden aber auch, namentlich für Geschäfte von altem Ruf und für solche, welche großer Auslagen bedürfen, das erste Stockwerk und unter Umständen auch das Untergeschoß und der zweite Stock hinzugezogen. Der Großhandel, für den die Bedingung der engern Verbindung mit der Straße nicht besteht, begnügt sich mit obern Geschossen und mit den zurückliegenden Gebäudeflügeln, deren Räume dann als Arbeitsstätten und Lagerräume dienen. Die Unterbringung von Wohnungen in Kaufhäusern ist in baulicher, und zwar sowohl in rein technischer, also praktischer und konstruktiver, wie in künstlerischer Hinsicht immer mit Schwierigkeiten verbunden. Vornehmlich gilt das für Häuser mit wechselnden Betrieben, in denen die Wohnungen dann Mietwohnungen zu sein pflegen (Tafel II, Fig. 4 u. 7). Technisch besonders schwierig sind dabei einmal die Anordnung zahlreicher kleinerer Zimmer mit ihren vielen Trennungswänden über wenigen, möglichst ungeteilten und auch durch Stützenstellungen so wenig wie möglich beengten großen Räumen und anderseits die Herstellung der erforderlichen bequemen und ausgiebigen Verbindungen der Wohnungen (in den Obergeschossen) mit der Straße. Künstlerisch entsteht in der Fassade der schwer zu lösende Konflikt zwischen den obern schweren Mauermassen mit ihren verhältnismäßig kleinen Fensteröffnungen einerseits und den zu größtmöglicher Masselosigkeit und in große Glasflächen aufgelösten untern Gebäudeteilen anderseits. Diese Schwierigkeiten, vor allem aber der Umstand, daß sich in den Großstädten der Geschäftsverkehr in gewissen Stadtgegenden immer intensiver zusammendrängt, und daß dort mit dem Steigen der Preise der Grundstücke und Mieten und dem immer unbehaglicher werdenden Getriebe die Wohnungen allmählich fast ganz verschwinden, haben dahin geführt, daß sich neuerdings der Kaufhaustypus immer ausgesprochener entwickelt. Die Abbildungen Tafel I, Fig. 1, 2, 5 u. 6, lassen das hinsichtlich des Aufbaues, die Abbildungen Tafel II, Fig. 6, 8, 13, 14 u. 15, bezüglich des Grundplanes erkennen. Kaufhäuser wie die neuerdings für die Firmen Wertheim und Tietz in der Leipziger Straße zu Berlin erbauten Warenhäuser (Tafel I, Fig. 5 u. 6; Tafel II, Fig. 8; Tafel III, Fig. 1 u. 2) ziehen nach beiden Richtungen nahezu die äußersten, schon zu Bedenken mancherlei Art Anlaß gebenden Konsequenzen.
Die allgemeinen Anforderungen, welche an ein K. zu stellen sind, werden in der Hauptsache immer auf möglichste Weiträumigkeit, Übersichtlichkeit, gleichmäßige Helligkeit und Feuersicherheit hinauslaufen. Daneben ist Rücksicht auf lange, geschlossene, gut beleuchtete Wände für Regale zu nehmen, die Verbindungen zwischen den verschiedenen Geschossen durch Treppen, Auszüge, Fahrtreppen müssen auskömmlich und bequem sein, und in der Regel wird besonderer Wert auf möglichst große Schaufensterflächen gelegt. Dient das K. dem einheitlichen Betrieb eines einzelnen Geschäfts, so wird infolge der von vornherein feststehenden jedesmaligen Zweckbestimmung die bauliche Lösung nicht mit den Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die sich ergeben, wenn die Möglichkeit vielseitiger Verwendung und wechselnder Vermietung zur Bedingung wird. In letzterm Falle wird es vor allem darauf ankommen, durch weitgehende Anwendung von Eisenkonstruktionen tunlichst große, ungeteilte Räume herzustellen, in denen sich der Mieter durch Einziehen leichter Trennungswände etc. nach Belieben einrichten kann. Zu sorgen ist dabei aber von vornherein dafür, daß jeder Mieter den für ihn unentbehrlichen Anteil an allen sogen. Gemeinschaften, also an den Verbindungen (Zugängen, Fluren, Treppen, Aufzügen, Aborten etc.) sowie an den zentralen Einrichtungen für Heizung, Beleuchtung, Be- und Entwässerung, Lieferung elektrischer oder Dampfkraft etc., erhält.
Die in der Regel zur Erschließung des Hinterlandes großer Häuserblöcke in lebhaften Geschäftsgegenden und nebenbei zur Abkürzung der Verkehrswege angelegten Passagen dienen gewöhnlich dem Kleinhandel, insbesondere[769] den auf den Fremdenverkehr spekulierenden Geschäften und pflegen deshalb auch mit Cafés, Restaurationen, Räumlichkeiten für Schaustellungen u. dgl. verbunden zu sein. Manche Städte, wie z. B. Leipzig, haben zahlreiche derartige Passagen (»Höfe«) aufzuweisen; besonders bekannte Beispiele befinden sich in Berlin (Kaisergalerie, Tafel II, Fig. 1) und in Mailand (Galeria Vittorio Emanuele). Vgl. Goldschmidt, Kauf-, Waren- und Geschäftshäuser, in der »Baukunde des Architekten«, 2. Bd., 5. Teil (2. Aufl., Berl. 1902); Zaar im »Handbuch der Architektur«, 4. Teil, 2. Halbbd., Heft 2 (Stuttg. 1902); reiches Material in den von den betreffenden Architekten- und Ingenieurvereinen herausgegebenen Werken: »Berlin und seine Bauten« (Berl. 1896, 2 Bde.), »Hamburg« (Hamb. 1890), »Leipzig« (Leipz. 1892), »Frankfurt a. M.« (Frankf. 1886), »Köln« (Köln 1888) etc.; die von Wasmuth herausgegebene Sammlung »Geschäfts- und Warenhäuser. Naturaufnahmen« (Berl. 1899, 25 Tafeln) u. a.
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