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Holbach

[468] Holbach, Paul Heinrich Dietrich, Freiherr von, der »Nährvater« (wie sein Freund Diderot der geistige Vater) der Enzyklopädisten, geb. 1723 zu Edesheim in der Pfalz, gest. 21. Juni 1789 in Paris, brachte sein Leben in Paris, dem damaligen Herde der Geisterbewegung, zu, deren Zentrum die Enzyklopädie und deren Ausgangsort sein gastfreies Haus bildete. Ein reiner und menschenfreundlicher Charakter, widmete er sein Leben und sein Vermögen mit deutscher Beharrlichkeit der Bekämpfung dessen, was ihm als schädliches Vorurteil, sowie der Verbreitung desjenigen, was ihm als Wahrheit erschien. Da nach ihm die Bestimmung des Menschen darin besteht, glücklich zu sein, so müssen alle sie hindernden Meinungen als schädliche beseitigt, dagegen alle sie fördernden Erkenntnisse möglichst verbreitet werden. Zu jenen rechnet H. alle Religionen, die er als Erzeugnisse priesterlichen Eigennutzes betrachtet und deren Schädlichkeit tür Moral und Völkerglück er darzutun sich bemüht, zu diesen dagegen die Naturwissenschaften, die den menschlichen Geist von Irrtümern über sein Wesen, seinen Ursprung und seine Zukunft freimachen. Ersterer Richtung gehören seine zahlreichsten, einst einflußreichen, jetzt völlig vergessenen Schriften an, wie: »Christianisme dévoilé« (London [Nancy] 1767); »Examen critique de la vie et des ouvrages desaint Paul« (Lond. 1770); »La contagion sacrée« (1767); »De l'imposture sacerdotale« (1767); »Les prêtres démasqués« (1768); »L'esprit du judaïsme« (1770); »Ecce homo« oder »Histoire critique de Jésus-Christ, ou analyse raisonnée des évangiles« (1770, Edinb. 1799 u. Lond. 1813); »Système social« (1773, 2 Bde.; deutsch von Umminger, Leipz. 1898); »L'éthocratie, ou le gouvernement fondé sur la morale« (1776) und »La morale universelle« (1776). Für die Naturwissenschaften hat er hauptsächlich durch sein bekanntestes Buch, das »Système de la nature« (Lond. [Amsterd.] 1770, 2 Bde.; deutsch von Schreiter, Frankfurt 1783, 2 Bde.; Leipz. 1843) gewirkt, indem er ihnen eine (materialistisch-mechanische) metaphysische[468] Grundlage zu geben versucht. Der Zusatz auf dem Titel: »ou des lois du monde physique et du monde moral« verrät deutlich, daß es dem Verfasser (oder den Verfassern), wie einst Spinoza mit seiner »Ethik«, um die praktischen Konsequenzen wenigstens ebensoviel wie um die theoretische Welteinsicht zu tun war. Das Buch erschien unter dem Namen des (zehn Jahre vorher verstorbenen) Akademikers Mirabaud und war seinem Inhalt nach, wie aus Diderots nachgelassenen Schriften erhellt, diesen teilweise wörtlich, wahrscheinlicherweise aber auch handschriftlichen Aufsätzen von La Grange, Naigeon u. a. entlehnt. Es will beweisen, daß der Materialismus als Weltanschauung konsequent und wohltätig sei. Ersteres gehe daraus hervor, daß ihm zufolge Moralisches und Physisches (Geist und Körper) dasselbe, das einzige Existierende die Materie und die von ihr unzertrennliche, ihr auch nicht erst mitgeteilte Bewegung sei. Alle Veränderung in der Natur geht durch wirkende Ursachen ohne Zwecke mit Notwendigkeit vor sich, und was die Psychologen Selbstliebe, Liebe und Haß nennen, ist nichts andres als das, was die Physiker Trägheit, Attraktion und Repulsion heißen. Wohltätig aber wirke der Materialismus, weil er demjenigen, der weiß, daß alles Geschehende notwendig ist, von betrüglicher Hoffnung und quälender Furcht befreie und in der Gegenwart glücklich zu sein lehre. Statt von den Menschen das Unmögliche zu fordern, daß sie, um sittlich zu handeln, gegen ihren Vorteil handeln sollen, lehrt er, daß sich die Gesellschaft am besten befindet, wenn jeder (durch sie) seinen Vorteil sucht. Fanatiker der Konsequenz, Materialist aus »Humanität«, flößte H. nicht nur Gleichgesinnten Verehrung, sondern auch offenen Gegnern, wie Rousseau, hohe Achtung ein, so daß ihn dieser zum Modell seines Herrn v. Wolmar (in der »Neuen Heloise«) nahm. Die Kaiserin Katharina II. von Rußland zog ihn bei ihrer Gesetzgebung zu Rate. Er starb am Vorabend der Revolution, die er mit vorbereiten half. Vgl. Avezac-Lavigne, Diderot et la société du baron H. (Par. 1875); Plechanow, Beiträge zur Geschichte des Materialismus, I: Holbach (Stuttg. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 468-469.
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