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Harmonĭum

[814] Harmonĭum, jetzt allgemein gebräuchlicher Name für die erst im 19. Jahrh. aufgekommenen orgelartigen Tasteninstrumente mit frei schwingenden Zungen ohne Aufsätze, die sich von dem ältern Regal (s. d.) hauptsächlich dadurch unterscheiden, daß sie eines ausdrucksvollern Spieles (crescendo) fähig sind. Der erste Erfinder, Grenié (1810), nannte daher das Instrument Orgue expressif, während andre, die ähnliche Instrumente selbständig konstruierten oder die schon erfundenen verbesserten, dafür den Namen Äoline (s. d.), Klaväoline, Äolodikon, Physharmonika (Häckel 1818), Aërophon, Melophon, Melodium, Terpodion etc. aufstellten. Den Namen H. gab A. Debain in Paris seinen 1840 patentierten Instrumenten, die zuerst mehrere Register aufweisen. Von unwesentlicher Bedeutung sind die Einführung der Perkussion (Hammeranschlag) der Zungen behufs präziserer Ansprache, das »Prolongement« (Befestigungen einzelner Tasten in herabgedrückter Lage), der doppelte Druckpunkt (double touche), d. h. verschiedene Tonstärke, je nachdem die Tasten tiefer heruntergedrückt werden, u. a. Dagegen haben die Amerikaner eine vollständige Umwälzung im Bau des Harmoniums hervorgebracht durch Einführung des Einsaugens der Luft durch die Zungen statt des Ausstoßens. Diese Erfindung stammt von einem Arbeiter in der Harmoniumfabrik von Alexandre in Paris, der nach Amerika auswanderte; doch kamen die Instrumente in ihrer jetzigen vollkommenen Gestalt erst seit 1860 durch die Firma Mason u. Hamlin zu Boston in Aufnahme (daher die Bezeichnung amerikanische Orgeln). Etwas ganz Ähnliches ist die Alexandre-Orgel (1874 durch Alexandre in Paris gebaut). – Der Umstand, daß bei Zungenpfeifenklängen die Obertöne, Kombinationstöne, Schwebungen etc. sehr laut und leicht wahrnehmbar sind, hat einerseits das H. zu einem Lieblingsinstrument für akustische Untersuchungen gemacht (vgl. Engel, Das mathematische H., Berl. 1881; Shohe Tanaka, Studien auf dem Gebiete der reinen Stimmung, Leipz. 1890), ist aber anderseits der Verbreitung desselben als Hausinstrument entschieden hinderlich. Doch ist das H. mit zwei Manualen und Pedal ziemlich allgemein an Stelle der ältern Position und Regale als Ersatz einer Orgel für kleine Räume und Übungszwecke in Aufnahme gekommen. Von Harmoniumschulen seien die von Sachs (1878) und Mettenleiter (3 Tle.; 1. Teil in 5. Aufl., Kempten 1904) genannt. Vgl. Lederle, Das H., seine Geschichte, Konstruktion etc. (Freiburg 1884); Riehm, Das H., sein Bau und seine Behandlung (3. Aufl., Berl. 1897); Allihn, Wegweiser durch die Harmoniummusik (das. 1894). Eine Zeitschrift »Das Harmonium«, herausgegeben von Lückhoff, erscheint seit 1900 in Berlin.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 814.
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