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Chor [1]

[92] Chor (griech., der), eigentlich ein umgrenzter Tanzplatz, dann der Rund- und Reigentanz selbst, insbes. der mit Gesang verbundene, bei festlichen Gelegenheiten zu Ehren einer Gottheit ausgeführte Reigen und das ihn ausführende Personal. Solche Aufführungen, bald ernst und feierlich, bald lustig und ausgelassen, bildeten bei den Dionysischen Festen den ursprünglichen und hauptsächlichen Bestandteil der Festfeier, und als sich aus den Dithyrambenchören (s. Dithyrambos) in Athen das Drama entwickelte, wurde der C. als Hauptelement der dionysischen Feier beibehalten, wenn auch im Laufe der Zeit mit zunehmender Beschränkung, gewissermaßen als ein ideales Publikum von Greisen, Männern oder Frauen (in der Tragödie anfangs 12, seit Sophokles 15, ebensoviel wahrscheinlich im Satyrdrama, in der Komödie 24), das zu den handelnden Personen in irgend einer Beziehung steht, an den dargestellten Vorgängen selbst ein gewisses Interesse hat, von der Orchestra aus die Handlung mit ruhiger Teilnahme begleitet, bisweilen auch in dieselbe, wenn auch nicht tätig, durch Vermittelung des Chorführers (Koryphaios) eingreift und in den Hauptabschnitten des Stückes lyrische Stücke, von Flötenspiel begleitet, unter angemessenen mimischen und Tanzbewegungen vorträgt. Gewöhnlich erfolgt nach der ersten Szene der feierliche Einzug des Chores (Parodos) in die Orchestra, auf der er in der Regel bis zum Schluß des Stückes verblieb. Zum Unterschied von der kreisförmigen Ordnung des Dithyrambos war seine Ausstellung viereckig; während des Spieles trat er, um den Blick auf die Bühne nicht zu hindern, in zwei sich gegenüberstehende Abteilungen auseinander, änderte aber nach Beschaffenheit des Stückes und der Gesänge die Stellung. Die Gesänge des tragischen Chores waren dreifacher Art: der erste gemeinsame Gesang beim Einzug in die Orchestra, die Parodos; das die Dialogpartien unterbrechende und in der Regel bei leerer Bühne bald vom ganzen C., bald von Halbchören, kleinern Abteilungen oder einzelnen Mitgliedern (Choreuten) vorgetragene Stasimon und der Kommos, ein von einzelnen Choreuten oder Abteilungen abwechselnd mit einer Person auf der Bühne gesungenes Klagelied. Die Stasima waren antistrophisch, d. h. jeder Strophe entsprach eine zweite von genau demselben Umfang und Bau, die Antistrophe; beiden folgte bisweilen noch ein selbständig gebauter Abgesang, die Epodos. Außer der lyrischen Form, welche die ganze Mannigfaltigkeit der ausgebildeten dorischen Metrik zeigt, unterscheiden sich diese Lieder auch sprachlich vom Dialog, indem der attische Dialekt leicht mit dorischen Formen gemischt ist. Dem Inhalt nach schließen sich die Chorgesänge in der guten Zeit stets eng an die Handlung an (schon bei Euripides lockert sich die Verbindung, noch mehr bei den spätern Tragikern seit Agathon) und äußern, was sich aus derselben aufdrängt: Klage, Jubel, Warnung, Trost, Belehrung über die Leidenschaften und die stets waltende Gerechtigkeit der Götter, Hymnen, Gebete etc. Die tragischen Chöre sind neben Pindars Epinikien die erhabensten Reste griechischer Lyrik. Der C. der ältern Komödie, welcher der Handlung wie dem Zuschauer erheblich näher trat als der tragische, hatte nicht nur seine Parodos und seine Stasima, sondern griff auch beständig mit kleinen Gesängen in die Handlung ein. Speziell an das Publikum gerichtet war der Hauptchorgesang, die Parabase (so genannt von dem Umschwenken des bisher der Bühne zugewandten Chores zum Zuschauerraum), in halb launiger, halb würdevoller Sprache, aber mit ernster Tendenz; hierbei trat auch die Person des Dichters gelegentlich stark hervor. Die vollständige Parabase (nicht immer war sie vollständig) zählte sieben Teile: das Kommation, ein einleitendes, Wünsche für den Schauspieler enthaltendes Liedchen; die eigentliche Parabase, eine Ansprache an das Publikum über den Dichter oder eine sonstige Angelegenheit, meist in anapästischen Tetrametern; das sie beschließende, in ununterbrochenen Anapästen abgefaßte Makron oder Pnigos. die Ode, ein aus Ernst und Scherz gemischtes Loblied an die Götter; das bloß der ausgelassenen Laune dienende Epirrhema, meist in trochäischen Tetrametern; schließlich beiden letztern in Form und Inhalt entsprechend die Antode und das Antepirrhema. Die ältern Stücke des Aristophanes haben zwei Parabasen, von denen die zweite nur aus den vier letzten Teilen besteht. Über die musikalische Komposition sind wir ebenso unzureichend unterrichtet wie über die orchestische Ausführung; wir wissen nur, daß die tragische Tanzweise, Emmeleia genannt, sich durch Würde und Ruhe von der lebhaftern des Satyrspiels, der Sikinnis, und der ausgelassenen der Komödie, dem Kordax, unterschied. Die Beschaffung und Ausbildung der Chöre fiel zu Choregen bestellten vermögenden Bürgern zu (s. Choregie). Als nach dem Peloponnesischen Krieg Athens Wohlstand gesunken war, gingen manche Chöre ganz ein, wieder komische schon in den letzten Jahren des Aristophanes, daher auch der sogen. mittlern und neuern Komödie und der aus letzterer hervorgegangenen römischen der C. fehlte. Dagegen besaß ihn die der griechischen nachgebildete römische Tragödie, in der er jedoch wegen der fehlenden Orchestra[92] gleich den Schauspielern seinen Platz auf der Bühne hatte. – Bei dem Charakter dieses antiken Chores, der ganz im öffentlichen Leben des griechischen Volkes wurzelte, ist nicht zu verwundern, daß Nachbildungen, wie sie z. B. Schiller in der »Braut von Messina« versuchte, keinen allgemeinen Anklang fanden. Mehr Glück machten in Platens (freilich nur gelesenen) aristophanischen Stücken die Parabasen, obwohl auch sie als vorwiegend literarischen Inhalts nur in engern Kreisen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 92-93.
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