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Einfalt

[166] Einfalt (lat. simplicitas) bezeichnet 1. eine gewisse Begrenztheit des Verstandes und Geradheit des Urteils, und, da diese den Kindern eigen ist, die echte Kindlichkeit, 2. die Abwesenheit von Ziererei, falscher Rücksichtnahme, Verstellung und Unredlichkeit. (Vgl. Naivität.) Wer einfältigen Verstandes ist, kann nicht nach weitaussehenden und verwickelten Absichten handeln; wer einfältigen Herzens ist, will es nicht. Der Einfältige ist das Gegenteil vom Gewandten, Pfiffigen und Weltklugen. Sein Leben ist naturgemäß, ohne Luxus und Affektiertheit; seine Gesinnungen und Handlungen stehen, frei von allen Nebenabsichten, in Harmonie. – Die ästhetische Einfalt oder Einfachheit besteht im ungekünstelten Zusammenstimmen aller Teile eines Kunstwerkes. Sie gibt nie mehr, als der Zweck des Ganzen fordert; ihre Kunstmittel sind die einfachsten; ihre Anordnung und Verbindung ist natürlich; sie ist fern von aller Überladung und Verschnörkelung. Solche Einfalt adelt die Werke aller wahren Genies. Sie herrschte in der Kunstrichtung der Alten und fehlt in vielen Richtungen der modernen Kunst (vgl. Schillers Gedicht an Goethe: »Des falschen Anstands prunkende Gebärden verschmäht der Sinn, der nur das Wahre preist«).[166]

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 166-167.
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