[1122] FORT ÉNA, æ, Gr. Τύχη, ης.
1 §. Namen. Dieser kommt nach einigen von fortis, oder fortus, oder, wie solche Wörter auch geschrieben worden, forctis, oder forctus, welches so viel als gut geheißen, und ist an sich nichts, als ein Beynamen zu Fors gewesen, welches das eigentliche Wort war, womit das Gluck bemerket worden. Nachher ist das Hauptwort weggelassen, und dargegen nur das Nebenwort behalten worden, welches daher auch nicht anders, als auf eine harte Art [1122] so viel, als ein widriges oder böses Glück, bedeuten kann. Voss. Etymol. in Fortunæ, s. p. 258. Indessen wollen doch einige, daß Fortuna so viel, als Vortuna sey, weil sie große Dinge umwendet, (vertat:) Becmann. Orig. L. L. in Fero, s. p. 466. Cf. Voss. l. c. Allein, besser wird es noch von Fero, so viel als Ferentina, hergeleitet, weil sie gutes und böses bringt, (fert.) Voss. l. c. Sonst heißt sie noch dann und wann Fors; wogegen einige aber den Unterschied machen, daß Fors so viel, als ein Zufall, Glücksfall, Fortuna aber eigentlich die Göttinn seyn soll. Non. Marcell. de Propr. Sermon. c. 5. Der griechische Namen Τύχη kömmt von τυγχάνω her, und ist, der Bedeutung nach, mit nur bemeldetem Fors einerley.
2 §. Aeltern. Nach einigen ist ihr Vater der Ocean Hesiod. Theog. v. 360. Homer. ap. Pausan. Messen. c. 30. p. 273. nach andern Konsus oder Eubuleus. Orpheus Hymn. in Τύχην v. 3. Allein, da sie nicht eher für eine Göttinn angesehen worden, als da es in der Welt mit dergleichen Dingen schon ziemlich licht gewesen, so hat man auch weder Vater, noch Mutter, geziemend für sie ausmachen können.
3 §. Wesen. Einige halten sie für eine der Parcen, die aber ihre Schwestern weit an Macht übertroffen habe; Pindar. Olymp. Od. II. 65. Pausan. Ach. c. 26. p. 451. Von andern wird sie für einen Geist (Mens) angegeben, der vom Himmel herab gesendet worden, und alles blinder Weise in der Welt regiere. Sie wurde für eine Göttinn gehalten, weil nicht bekannt war, wem die Ursache dieser, oder jener wunderbaren Wirkung zuzuschreiben sey, insonderheit aber, daß es klugen Leuten oft unglücklich, Narren hingegen wohl gehe. Voss. Theol. gent. l. II. c. 43. Jedoch erkannten sie auch andere eben daher für keine Göttinn, weil GOtt ein weises Wesen sey, und daher den Weisen geneigter, als den Unweisen, seyn müsse. Aristot. ap. eumd. l. c. Einige machten sie darum mehr zu einer Dienerinn Gottes, als selbst zu einer Gottheit, und wollten, daß Gott durch sie ausrichte, [1123] was von ungefähr in der Welt zu geschehen schiene. Platonici ap. eumd. l. c. Sie war daher in gewisser Absicht mit der Nemesis und Themis einerley. Hesych. ἀγαδὴ τύχη. Ueberhaupt aber wußte man so eigentlich nicht, für was man sie ansehen sollte, daher sie denn von einigen eben so sehr ausgescholten, als von andern wieder erhoben wird. Nat. Com. l. IV. c. 9.
4 §. Verehrung. Sie scheint solche in den ältesten Zeiten bey den Griechen nicht gehabt zu haben. Ban. Erläut. der Götterl. III B. 758. S. Nachher hatte sie ihre unterschiedenen Tempel bey denselben, als den Eleern, Pause El. post. c. 25. p. 393. den Pharaiten, Id. Messen. c. 30. p. 273. und andern mehr. Dergleichen hatten die Römer unter allerhand Beynamen, die hernach zu sehen sind, errichtet, als zwey Tempel in der I, einen in der II, drey in der V, sieben in der VI, einen in der VII, fünfe in der VIII, einen in der IX, einen in der X, einen in der XI, einen in der XII, einen in der XIII, und zweene in der XIV Region. Merula Cosmogr. P. II. 4. c. 22. Unter diesen allen waren die beyden, welche ihr Servius Tullius erbauen ließ, die ersten. Dion. Halic. l. IV. c. 27. & 40. So hatte sie auch einen sehr berühmten zu Antium, Hor. L. I. Od. 35. v. 1. zu Präneste, Suet. Domit. c. 15. und an andern Orten in Italien mehr, worinnen ihr denn ihr Dienst bald auf diese, bald auf eine andere Art erwiesen wurde. Die zu Antium aber verehreten zwo Fortunen zugleich, welche die Zwillingsschwestern (gemellæ) genannt wurden und vermuthlich das gute und widrige Glück gewesen sind. Sie ertheilete ihre Orakel an der Seeküste, Martial. L. V. epigr. 1. und hießen vielfältig auch sortes. Suet. Cal. c. 37. Das widrige Glück wurde auch bey den Römern verehret und hatte auf dem esquilinischen Berge seinen Altar. Cic. de N.D. L. III. c. 25.
5 §. Beynamen. Die sonderbarsten von diesen sind, daß sie heißt
AntiasAutomatia,Barbata,
Brevis,Dubia,Equestris,
[1124] Mammosa,Mascula,Muliebris,
Obsequens,Primigenia,Privata,
Publica,Redux,Seja,
von welchen insgesammt an ihren Orten ein mehrers zu sehen steht.
6 §. Bildung. Bupalus, einer der ältesten Bildhauer, stellete sie zu Smyrna als eine Frauensperson vor, die eine Himmelskugel auf dem Kopfe, in der Hand aber ein Füllhorn hatte. Pausan. Messen. c. 30. p. 274. Anderweits war sie gebildet, wie sie den Plutus oder Gott des Reichthums, als ein Kind trug. Id. Bœot. c. 16. p. 565. So wurde sie auch mit einem Füllhorne in der linken und einem Steuerruder in der rechten Hand gebildet, Lactant. Inst. l. III. c. wie sie auf einer perinthischen Münze des Nerva vorkömmt. Frœl. tentam. p. 173. imgleichen mit einem Steuerruder, und verbundenen Augen, wobey sie zugleich auf einem Rade stund, Galen. ap. Gyrald Synt XVI. p. 457. oder auf einer Kugel. Wilde gem. sel. p. 160. u.w.d. mehr war. Ueberhaupt sind ihre Abbildungen auf denen alten Denkmälern, die zu uns gekommen sind, ziemlich einstimmig, nur daß sie zuweilen steht, zuweilen auf einem Throne sitzt, aber doch stets eines von ihren Sinnbildern, wo nicht mehrere, bey sich hat. Diese sind ein Füllhorn, ein Steuerruder oder eine Deichsel, ein Rad oder eine Kugel. Montfauc. Ant. expl. T. I. P. II. tab. 196–198. Ihre Kleidung ist gemeiniglich einer erbaren Matrone ihre: doch sitzt sie auf einer Münze des K. Geta mit entblößtem Oberleibe an der Erde, lehnet sich mit dem rechten Arme auf ein Rad und hält in der linken Hand ein auf ihrem Schooße stehendes Horn des Ueberflusses. Croyac. numis. tab. 54. n. 6. Ihr Steuerruder stützet sie auch bald auf eine Kugel, wie auf einer Münze Domitians Ib. t. 31. n. 18. bald auf ein Rad, wie auf einer vom Gallien. Corrario numis. ær. max. mod. tab. 67. und bald auf einen Schiffsschnabel, dergleichen eine trajanische Münze hat. Croy. l. c. tab. 34. n. 7. und eine vom Commodus, wo sie auch noch statt [1125] des Stenerruders einen Mercuriusstab und zwey Füllhörner hat. Buonarot. Osserv. sop. alc. Med. p. 107. Auf einer vom Gordian kommen fast alle ihre Kennzeichen zusammen vor. Sie sitzt da auf einem Throne, hält in der rechten Hand das Steuerruder, das auf einer Kugel steht, und in der linken das ihr im Arme liegende Füllhorn. An der Seite des Thrones aber befindet sich das Rad. Croy. l. c. t. 57. n. 22. Einige besondere Bezeichnungen derselben sieht man auf verschiedenen Gemmen, als einen über eine Weltkugel ausgesperrten Zirkel, Wilde gem. ant. n. 3. eine Weltkugel zwischen einem Steuerruder und einer Kornähre, worauf ein Rad steht. Ib. n. 70. u.s.w. wie es denn auch an allegorischen Vorstellungen derselben auf solchen nicht fehlet. Dergleichen ist, wie sie von dem Siege gekrönet wird und die Tugend oder Mercurius vorher geht. Maffei gem. ant. T. III. t. 71. & 72. Vieler pantheistischen Vorstellungen zu geschweigen, wo man sie mit den Zeichen vieler Gottheiten ausgerüstet hat. Beger. Thes. Brand. T. III. p. 295. Man hat noch eine Bildsäule, welche sie unter der Gestalt eines betagten Mannes mit einem Barte vorstellet, welcher in der einen Hand ein Gefäß, und in der andern ein Steuerruder hält. Dabey ist die Aufschrift FORTVNAE BARBATAE. Spon. miscell. erud. ant. p. 47. In den erstern Zeiten hatte sie auch Flügel, ihre Flüchtigkeit zu bezeichnen. Stob. Eclog phys. l. I. c. 10. Unter allen römischen Vorstellungen von ihr aber ist keine einzige geflügelt. Die Ursache, welche davon angegeben wird, ist eine große Schmeicheley für die Römer. Es soll nämlich diese Glücksgöttinn, nachdem sie die Perser und Assyrer verlassen gehabt, nur flüchtig über Macedonien hinweg geflogen seyn, und den Alexander geschwind abgeworfen haben, worauf sie denn Aegypten und Syrien durchgeeilet und den Karthaginensern viele Abwechselungen zugebracht. Da sie aber endlich auf dem palatinischen Berge angekommen, so habe sie ihre Flügel abgeleget, sey von ihrer Kugel herunter[1126] gestiegen und so in die Stadt Rom gegangen, daselbst auf immer zu bleiben. Plut. de fort Rom. p. 317. T. II. Opp.
7 §. Deutung. Die Himmelskugel auf ihrem Haupte bedeutet ihre große Gewalt; das Füllhorn und Plutus den Reichthum, mit dem sie nach Gefallen waltet; das Steuerruder ihre Regierung aller Dinge; die verbundenen Augen ihre blinden Zufälle und schlechte Wahl unter würdigen und unwürdigen, und das Rad ihre Unbeständigkeit. Gyrald. l. c. & Chartar. Imag. 75. Sie wird daher auch für eine Tochter des Oceans oder unbeständigen Meeres angegeben, und, dqsie auch mit Feuer in der rechten, und mit Wasser in der linken Hand gebildet wird, so soll es bemerken, daß sie eine Erfinderinn beydes des Guten und des Bösen sey. Masen. Spec. ver occ. c. XXIV. n. 21. Ihre Abbildung mit dem Füllhorne und neben ihr Cupido, soll anzeigen, daß die Ehe mehr auf das Glück und den Reichthum, als die Tugend, gegründet worden. Masen. l. c. n. 22. Wenn sie mit blinden Augen auf einem Wagen, den auch blinde Pferde ziehen, jedoch mit einem Blitze in der Hand vorgestellet wird, so soll es bedeuten, daß sie nach blinder Willkühr die Jugend hinreiße und die Alten erhalte. Ovid. ad Liv. Aug. v. 371.
Buchempfehlung
Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.
226 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro