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Calabrien

[241] Calabrien, ein Küstenland Italiens, das von dessen südlichster Spitze sich ungefähr 30 Meilen nordwärts erstreckt, und eine Breite von 3–10 Meilen hat. Cosenza und Reggio sind die beiden Hauptstädte des 318 Quadrat Meilen großen, in das nördliche und das südliche getheilten Ländchens, das ungefähr 1 Million Einwohner hat. Aloe und Palmen, Cactus, Tamarisken und Erdbeerbäume, [241] schmücken, so wie immer grüne und Cochenille-Eichen, Manna liefernde Eschen, Fichten, Tannen und Lerchenbäume die Meeresküsten oder das Gebirge, da die erstern von einer eilf Monate währenden Wärme, das letztere aber von Sonnengluth und Wintereis heimgesucht wird. Der Bewohner dieses reichen üppigen Bodens – der Calabrese, ist fast ganz noch ein Wilder, und steht in vielen Stücken dem Urbewohner amerikanischer Wälder weit nach. Zwar ist er gastfrei, freundlich entgegenkommend, und voll Ehrgefühl, aber leider auch grausam, roh, wild, zornig, eifersüchtig, unwissend (nicht dumm), schlau, rachsüchtig und abergläubisch. Ueber das schöne Geschlecht läßt sich wenig sagen, als daß es nicht schön ist. Der Calabrese verschließt Weib und Tochter in seiner den Ställen Deutschlands ähnlichen Hütte, mit der Eifersucht eines Türken, daher es nur einigen vom Zufall begünstigten Reisenden gelang, Nachrichten von denselben einzuziehen, und diese beschränken sich darauf, daß, so charakteristisch wohl gebildet die Männer, fast alle griechischen Stammes auch sind, doch die Frauen durchaus nicht zu einem Grade von Schönheit gelangen, der sie für unseren geläuterten Geschmack anziehend machte. Nur dem Geistlichen steht der Zutritt zu dem weiblichen Geschlecht offen. Die Mädchen heirathen im zwölften, im dreizehnten Jahre, und sind im zwanzigsten verblüht, ganz reizlos, da ihr Geist nicht im mindesten ausgebildet wurde, da sie nicht einmal lesen können; was sogar für die höchsten Stände gilt. Calabrien, einst Groß-Griechenland, der Raum, auf welchem das üppige Sybaris stand, Calabrien, Pythagoras's Wohnsitz, und das Geburtsland eines Praxiteles (der berühmteste Bildhauer der Griechen, nach dem Phidias), eines Agathokles etc. ist herabgesunken auf die unterste Stufe der Cultur; seine Bewohner unterscheiden sich von den Negern Senegambiens nur dadurch, daß sie Kleider tragen.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 241-242.
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