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Aesthetik

[88] Aesthetik. Dieses Wort ist griechischen Ursprunges; Aesthesis heißt Empfindung, Wahrnehmung durch die Sinne, ferner Gefühl oder auch Anschauung durch das Gefühl. Aesthetik als Wissenschaft ist also die Gesammtheit der Gesetze, welche man dem Gefühle zur Hervorbringung oder Beurtheilung des Schönen entnommen hat; Aesthetik ist sonach die Wissenschaft, recht zu empfinden, schön zu fühlen und wahr anzuschauen. Ein ästhetischer Mensch ist der, welcher bei Anschauung der Außenwelt den inneren Sinn für Schönheit sogleich in Thätigkeit zu versetzen weiß. Gibt es aber, wie ich sage, im Menschen einen innern Sinn für Schönheit, so ist dieser natürlich kein erworbener, sondern ein angeborner. Dieser Schönheitssinn schuf die ersten Kunstwerke, denen man die Gesetze ablauschte, nach welchen sich späterhin die eigentliche Kunst bildete. Daß dieser Sinn in seinen ersten, völlig freien, ungelehrten Aeußerungen nicht Allgemeingiltiges leisten konnte und kann, versteht sich von selbst; auch war es nicht immer das einzelne Product irgend eines Genies, dem man die Regel entnahm, sondern nur bloß das wird als Kunstnorm anerkannt, was in den Erzeugnissen derselben Art bei Mehreren zugleich übereinstimmend an den Tag trat, da es eben jene überraschende Gleichheit in den Kunstwerken ganz verschiedener Künstler, die durchaus in keiner Verbindung standen, nicht im Entferntesten gemeinschaftlich wirkten, eben dieses unbewußte Zusammentreffen in wesentlichen Grundsätzen ist, was einen uns angebornen Sinn für Schönheit bekundet.[88] Dieser Schönheitssinn gab und gibt Gesetze. Die Gesammtheit dieser Gesetze zur Hervorbringung und Beurtheilung des Schönen ist – die Aesthetik oder die Wissenschaft des Geschmacks. Geschmack ist der ausgebildete Sinn für das Schöne. – Die Wissenschaft des Geschmacks zerfällt nach dem oben Gesagten in zwei Theile: in die persönliche oder subjective und in die angewandte oder objective; d. h. in die der Kunst und der Kritik. Der Aesthetiker, welcher selbst Kunstwerke schafft, ist der persönliche oder subjective; der, welcher nicht selbst schafft, sondern nur das Geschaffene zu erkennen und zu beurtheilen weiß, ist der anwendende oder objective: dieser heißt Kritiker, jener Künstler oder Autor. Der geniale Autor muß auch Kritiker, wenigstens negativ sein, d. i. er muß das Nichtschöne kennen und meiden; der nur talentvolle muß die Kritik positiv üben, d. i. das Schöne nachahmen; der absolute Kritiker, der nichts selbst erzeugt, aber Alles erkennt, braucht demnach kein Künstler zu sein, um competent zu heißen, und es ist ganz unrecht, wenn man von ihm verlangt, er solle die Sache, die er getadelt, selbst besser machen.

B–l.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 88-89.
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