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Nacht

[350] Nacht, der Gegensatz von Tag, seine Halbscheid, die Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, die Periode, in welcher unsere Erdhemisphäre von dem Tagesgestirne abgewendet ist, das Bereich der Romantik, ihrer Träume und Phantasien, grauenvoller Wahngebilde, unheimlicher Mährchen, wo sich das Geisterreich erschließt, das Todte ein gespenstisches Leben lebt, und das Unheimliche seinen düsterumschleierten Thron aufgeschlagen. Wie der Tag Leben, Licht und Farbe, so hat die Nacht in ihrer Ruhe, in ihrer majestätischen Stille auch ihre Pracht. Das Sternenheer taucht leuchtend auf aus der Tiefe des Himmelsazurs, der silberne Kahn des Mondes durchschwimmt die Bläue und segelt über weißen und grauen Wolkengebilden leicht dahin, das Nordlicht durchzittert mit seinen Feuerlanzen den Horizont, Sternschnuppen flammen hernieder, die Wunder der Schöpfung, die zahllosen ungeheuren Feuergloben des ungemessenen Weltraumes offenbaren sich dem trunkenen Auge. Die Ruhe der Nacht, ihre stille lautlose Größe hat etwas Heiliges; mit süßen Schauern durchbebt sie die Menschenbrust, füllt selbst das Herz des Wilden mit der geheimen Ahnung des Allmächtigen, Unbegreiflichen, sendet einen Strahl des Jenseits in die gläubige Seele und lenkt ihre Hoffnung aufwärts nach den leuchtenden, ungezählten Räthselchiffern des Jenseits. Dem müden Erdenpilger bringt sie Ruhe, Labung, Schlummer, Träume. Fast alles organische Leben rastet zur Nachtzeit, nur die Luft athmet, sie, die Lunge[350] der Schöpfung, die Ströme wandeln und brausen ihrem Ziele zu und der Erdball kreist ruhig in seiner ungeheuren Bahn. Eine Lebensnacht wird auch unserm Lebenstage folgen, finster, ruhig, todt; aber ein schöner Morgen wird uns jenseits erwecken zum langen, leuchtenden Tage; davon geben uns jene Sterne Kunde, sie die Unvergänglichen, die Perlen im Thronbaldachine des Allmächtigen. Nach der Dauer der Tageslänge richtet sich in Sommer und Winter auch die Nachtlänge. Die Polanwohner haben eine monatlange Nacht, nur vom Nordlicht oder Mond- und Sternenschein erhellt. In höhern Breitegraden wird es in der Mitte des Sommers, wo die Dämmerung nie ganz verschwindet, oft sogar die Sonne nie ganz untergeht, im eigentlichen Sinne nicht Nacht. (Nacht, Mythol., s. Nat.)

B.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 350-351.
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